In meiner kleinen Reihe „Sprachverwirrungen im Altersheim“ sollten wir uns auch den Begriff Altersheim vornehmen, denn den gibt es höchstens noch umgangssprachlich. Er fristet sein Gnadenbrot im Seniorenheim, um sich noch ein letztes Mal schillernd zu geben: Seniorenzentrum, Seniorenresidenz, Wohnen im Alter, etc. pp. Damit verbirgt er, was er ist, ein Altersheim und wertet das ab, was das „Heim“ ausmacht, Schutzort, Rückzugsort, Wohlfühlort, Sorgeort zu sein. Und weil das wieder harter Stoff ist, gibt es heute wieder ein Brotbild und irgendwann die Woche auch was Schönes aus dem Heimleben: Meinen letzten Tag.
Altersheim
Zugegeben, ich muss beim Wort Altersheim zunächst an das Armenhaus aus den Michel-aus-Lönneberga-Filmen denken, weil dort auch nur alte oder alt aussehende Leute herumsitzen und vor sich hinvegetieren. Offenbar bin ich nicht der Einzige, der solche Assoziationen hat oder findet, Altersheim erinnert zu sehr an die klischeehaften Vorstellungen eines Kinderheims, wo Kinder verwahrt und misshandelt, aber nicht versorgt und gefördert werden. Alte misshandeln und verkommen lassen, so ein Image möchte kein Haus haben.
Problem Nummer 1 bei der Analogie ist die Frage, inwiefern ein alter Mensch noch gefördert werden kann. Meine Kollegin vertritt die Ansicht, dass die Förderung ein wesentliches Ziel ist, ich war da stets pessimistischer. Natürlich habe ich auch stets versucht, verborgene Talente noch im Alter zu befeuern und Neues zu vermitteln, wichtiger ist und Priorität hat aber der Erhalt vorhandener Fähigkeiten und damit Erhalt größtmöglicher Autonomie. Problem Nummer 2 ist die Abwertung des Heimbegriffes. Dazu am Ende mehr.
Seniorenzentrum
Ob nun „Alter“ oder „Senior“, darüber mag ich gar nicht reden, auch wenn „Senior“ natürlich wegen der lateinischen Wortherkunft gediegener und freundlicher klingt. Im Stowasser kann man aber nachlesen, dass „senex“ auch bloß „Greis“ heißt und der Begriff hat jegliche positive Konnotation mittlerweile verloren. Besser fände ich ohnehin, als ersten Bestandteil „Pflege“ zu wählen. Auch wenn das gern verdrängt wird: Im Altersheim leben nicht nur alte Menschen, Pflegeheim würde es weitaus besser treffen.
Interessanter finde ich den zweiten Bestandteil des Wortes. Der schillert stärker, wird auch gern variiert. Es gibt nicht bloß Zentren, sondern auch Residenzen oder Häuser. Bleiben wir aber beim Zentrum als einem Fall der Sprachverwirrung. Ein Zentrum ist eine Mitte, ein Ort zu dem Menschen von der Peripherie strömen. Ein Zentrum kann geographischer oder auch kultureller oder ökonomischer Art sein. Geographisches Zentrum eines Ortes ist oft eine Kirche, kulturelles eine Musikkneipe und ökonomisches das Gewerbegebiet. Wesentlich ist dabei, dass ein Zentrum, sobald es mehr ist als der Mittelpunkt eines Kreises, ein Ort ist, zu dem Menschen strömen und wieder gehen, nicht dauerhaft bleiben. Dementsprechend wäre Seniorenzentrum passenderweise die Bezeichnung für das Café mit den Buttercremetorten oder der Stützstrumpfladen. Zentrum ist Leben und Bewegung, Kommen und Gehen, Austausch und Vielfalt.
Das Seniorenzentrum versucht, diese Vorstellung zu kapern und lenkt davon ab, dass es hier kein Kommen und Gehen gibt (außer beim Einzug und beim Tod), sondern ein Bleiben ist, zudem weniger das chaotische Leben, sondern Rhythmus und Taktung: 8 Uhr Frühstück, 12 Uhr Mittagessen, 15 Uhr Kaffee und Kuchen, 18 Uhr Abendbrot, Pillen um 8, 16 und 24 Uhr, Dienstags um 10 Uhr Gymnastik, Freitags um 16 Uhr Bingo. Das ist nicht schlecht, im Gegenteil. Die Struktur bietet ein hohes Maß an Sicherheit für all diejenigen, die allein nicht mehr zurecht kommen. Und wer weitestgehend autonom ist, entscheidet selbst, wie weit er sich auf die Taktung einlässt. Aber ein Seniorenzentrum hat mit einem Zentrum, wie wir es uns gemeinhin vorstellen, nichts zu tun.
Heim
„Heim“ erinnert an „Heimat“. Der Ort, an dem ich mich geborgen und sicher fühle. Das sollte ein Altersheim für seine Bewohner sein. Es bietet Schutz vor sich selbst (Vor Stürzen, vor vergessenen Pillen, vor den Demütigungen der Inkontinenz) und vor der anstrengenden Welt (kein Gang mehr zu Apotheke oder Friseur, der für den Betroffenen aus verschiedenen Gründen zur gefährlichen Reise werden kann), wo man geliebt und angenommen wird und das dennoch Freiheit für die eigene Entfaltung bietet. Hobbys, Neigungen und Steckenpferde pflegt man zu einem Gutteil daheim – nicht alles, aber viel.
Heim impliziert damit nicht Verwahrung sondern Versorgung, nicht Ausschluss aus sondern Ermöglichung von Teilhabe an Interessen und Themen. Gerade weil Heim Sicherheit bietet, kann es der notwendige Rückhalt sein, um aus dieser Sicherheit heraus doch noch etwas Neues zu wagen.
Leider werden Heime nicht als Heimat akzeptiert. Die Bewohner fühlen sich abgeschoben aus ihrem eigentlichen Heim. Es wäre auch sprachlich ein wichtiges Signal, dass ein Altersheim auch eine Heimat werden kann, wenn man es als solches bezeichnet, statt so zu tun, als pulsierte das pralle Leben eines Zentrum in solch einem Haus. Das tut es nicht, es gibt ein großes Ruhebedürfnis unter den Bewohnern. Aber Zentrum impliziert, dass es viele Aktivitäten, Feste gibt, dass ständig was los ist (und leider übertreibt man es zu oft mit dem Feierkalender), das Unruhe herrscht. Und damit einem wesentlichen Bedürfnis zuwiderläuft. Nicht dem einzigen, ich predige nicht die Trennung vom Leben draußen, aber ein Seniorenzentrum ist keine Eventmaschine, wie der Begriff suggerieren will. Es ist eine Heimat für pflegebedürftige Menschen, die sich in ihrem früheren Leben sicher auch dagegen gewehrt hätten, ihre Küche regelmäßig in eine Theaterbühne zu verwandeln. Es ist ein Pflege-Heim.
Brot
Wie versprochen, für all diejenigen, die durchgehalten haben und denen mein Text aufs Gemüt geschlagen ist, folgt nun ein Brotbild.
Linker Hand ein Weizen-Dinkelbrot. Ich wollte eigentlich was anderes backen, aber mein Mehlregal quillt derzeit über und mit dem Brot habe ich es geschafft, zumindest das Type-630-Dinkelmehl aufzubrauchen. Dabei war es nicht so einfach, das zu bekommen. Beim Dinkel gibt es meinem DM zufolge nämlich derzeit Nachschubschwierigkeiten. Rechter Hand ein kurioses Haselnussbrot. Kurios deshalb, weil der Vorteig laut Rezept (das ist also mal wieder kein Frei-Schnauze-Brot) aus 75g Roggen-Sauerteig und einem halben Würfel Hefe besteht, der erst einmal sechs Stunden ruhen soll. Ich war der Ansicht, dass die handelsübliche Frischhefe ihre Triebkraft über solch einen langen Zeitraum einbüßt und wurde darin bestätigt. Mal sehen, wie es schmeckt. Die Haselnüsse werden angeröstet und als Extrazutat kommt Gerstenmalzextrakt hinein. Ich kannte das bislang nicht, scheint aber so ähnlich zu sein wie Rübenkraut. Ich hatte es im Reformhaus bekommen und dummerweise im Kühlschrank gelagert, weil ich wie gesagt keine Ahnung hatte. Im Kühlschrank wird es aber leidlich fest. Deshalb mussze mein Teig noch 30 Minuten länger stehen, bis die zwei Esslöffel von dem Zeug wieder flüssig geworden sind. Dann ließ sich das Brot zu einem ziemlich festen Teig kneten. Rezept liefere ich auf Wunsch gern nach.
Kluge Gedanken, denen ich gerne zum Brot folgte. Danke
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Ich habe zu Danken. Fürs Kompliment, besonders aber fürs Lesen und Kommentieren. 🙂
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Schau mal unter „kalte Teigführung“. Die Teige, die ich über Nacht in den Kühlschrank stelle, sind einfach feiner;-)
Seit dem Tod meiner Mutter, vermeide ich alles was mit dem Thema Pflegeheim zu tun hat.Traumatische Erlebnisse, die ich seit drei Jahren verdränge und die ich zur Zeit noch nicht verarbeiten kann. Deinen Text habe ich trotzdem komplett durchgelesen.
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Dass man das Thema bei persönlicher Vorbelastung meidet, kann ich verstehen, ich kämpfe auch mit jedem einzelnen Artikel, weil sich dahinter immer persönliche Erfahrungen verbergen. Umso geehrter fühle ich mich, dass du ihn komplett gelesen hast. Vielen Dank. 🙂
Kalte Teigführung kenne ich, mache ich häufig für Pizza: Morgens ansetzen, im Kühlschrank gehen lassen und abends verbacken. Ansonsten bin ich mit meinen Sauerteigen auch so recht zufrieden. Das merkwürdige an diesem Brot ist eben, dass es nach Rezept läuft und bei 600g Mehl nur 70g Sauerteig brauchen soll und eben die 6h-Hefe, aber ngeblich soll es sich noch vergrößern… Dafür ist es azch zu trocken. Aber es ist dennoch sehr lecker und lockerer wollte ich es gar nicht. Ist eben sehr „kompakt“.
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