Zwölf Dinge, die besser sind als verliebt zu sein

Es geht wieder los, der Frühling kommt, die Hormone schlagen aus. Die sind nämlich etwas früher dran als die Bäume. Während die Bäume sich dafür bis zum Mai Zeit lassen, ebbt der Gefühls-Ausschlag dort ja bereits wieder ab und der Mai ist, obschon Wonnemonat, doch eher einer der Tränen, verletzten Gefühle, großer Enttäuschung und stiller Genugtuung.

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Nagelprobe

, die [f]: (1) Von einer … spricht der Dirigent, wenn er trotz steter Wiederholung durch den Musiker mit dessen Performance nicht zufrieden ist und ihn das Stück auf einem Nagelbrett sitzend wiederholen lässt. Ist er anschließend zufrieden, war die Nagelprobe erfolgreich. Ist er weiterhin nicht zufrieden, findet die nächste Probe in einer Eisernen Jungfrau statt.

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Anna Koch/Axel Lilienblum (Hgg.) – ;) Du hast mich auf dem Balkon vergessen

Meines Erachtens ist ein Blog so etwas ähnliches wie eine Zeitungskolumne, wenn man es sich mal nüchtern anschaut. Es gibt natürlich auch Blogs, die man sich hinbiegen müsste, um dieses Urteil zu fällen, aber auf eine gute Zahl an Blogs, auch auf solche, die Kuriositäten sammeln, trifft die Beschreibung ganz gut zu.

Das hier vorliegende Buch (ich schenke mir die Beschreibung der Covergestaltung, weil es eine Bertelsmann-Club-Ausgabe ist) reiht sich damit ein in durchaus gelungene Bücher wie „Was wir tun, wenn der Aufzug nicht kommt“ und „Chill mal, Frau Freitag“. Hier ist der Vorwurf, man wolle aus einer durchaus interessanten Idee für ein Blog nicht bloß Kapital schlagen, sondern das Sujet funktioniert auch als Buch. Für die Kolumnenautoren könnte man auch die Bände von Rainer Erlinger nennen, den ich an dieser Stelle gleich mal für den Einsatz im Ethik-Studium empfehlen möchte, falls ihn irgendjemand nicht kennen sollte.

Wenn ich davon spreche, dass sich das Buch einreiht, ist das noch kein Qualitätsurteil. Denn manche Ideen funktionieren als Blog ganz gut und die Lektüre von ein paar SMS auf http://www.smsvongesternnacht.de/ ist ein amüsantes Unterfangen. Wenn man daraus ein Buch macht, passiert es aber ganz schnell, dass so ein Bücherwurm wie ich daherkommt und das Buch an einem Abend komplett durchliest. Dass es geklappt hat, ist ebenfalls kein Qualitätskriterium, dass „;) Du hast mich auf dem Balkon vergessen“ so nicht funktioniert, zumindest für mich schon.

Das liegt sicherlich nicht daran, dass ich mich durch etwa 300 Seiten mit Kurznachrichten gelesen habe, es liegt eher am retardierenden Moment, das sich nach ca. 50 Seiten einstellt. Statt es selbst zu sagen, lasse ich einfach einen der lustigeren Beiträge zu Worte kommen:

„10:18

Guten Morgen an alle. Ich brauch mal eure Hilfe! 1. Was war gestern? 2. Wo waren wir? 3. Wer war alles mit? 4. Wo sind meine 100 Euro? 5. Wie bin ich heimgekommen? 6. Wo kommt der BH in meiner Stube her? Danke für eure Hilfe.“

In etwa nach diesem Schema funktionieren gefühlte 90% der SMS. Es geht darum, dass Leute die Orientierung verloren haben, sich an ihre Sexpartner/innen nicht erinnern können, Leuten Nachrichten schreiben, die ihnen direkt gegenüber sitzen oder vollkommen unverständliches Zeug von sich geben, weil sie sich zwar nicht mehr artikulieren können aber immer noch den unbändigen Drang dazu in sich tragen. Das wirkt auf den ersten Moment lustig. Das ist im ersten Moment lustig, wenn es nicht die dauernde, mittelmäßige Reproduktion von Klischees wäre. Statt eine Auswahl an kuriosen, einzigartigen und lustigen Nachrichten auszuwählen, wird die Erwartung der Leserschaft übererfüllt, was in Albernheit ausschlägt. Hier begegnet man einer Horde von Menschen, die im Suff offenbar vergessen haben, dass sie zur Gattung Mensch gehören und das auf eine Art und Weise, dass es nicht mehr lustig, sondern bloß noch traurig ist oder schockierend, wenn man noch letzte Illusionen über die Verfassung der Menschheit gehegt hatte.

Um das mit einer zweiten (gelungenen) Textnachricht zu untermalen – leider eine der wenigen, wo die antwortende Position Humor und rhetorisches Geschick beweist:

„4:23

J.s. S.u. Berlin. KUTLIK!

4:26

Ich liebe deine betrunkenen SMS, da komm ich mir vor wie ein Archäologe vor Hieroglyphen.“

Doch es ist nicht alles schlecht an diesem Buch. Ich rate zwar davon ab und empfehle den gelegentlichen Besuch des zugehörigen Blogs, aber manche Nachrichten sorgen doch für ein Schmunzeln. An meinen Lieblingen möchte ich euch teilhaben lassen, vielleicht sind sie ja doch so gut, dass der geneigte Leser oder die geneigte Leserin trotz meiner Grundsatznörgelei doch zu diesem Buch greift – und jeden Tag nicht mehr als 10 Seiten liest.

„3:25

Mann! Ich sitz bei O. im Fahrradkorb. wir rasen gerade mit 8000km/h den Berg runter, mir ist schlecht und mein Arsch hängt fest, und O. lacht so irre. ANGST! Gleich fängt mein Finger an zu leuchten.“

Davon abgesehen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass mein Hintern jemals in einem Fahrradkorb festhängen könnte (weil er da nicht reinpasst…) beneide ich die schreibende Person doch ein wenig. Nicht nur, dass ein glühender Finger praktisch ist, wenn mal wieder die Sicherung rausgesprungen ist, nein, der nächste Schritt wäre es, einen großen Kopf mit riesigen Augen zu bekommen und zu einem Symbol der Popkultur zu werden. Das fände ich cool.

„7:59

Ich fühle mich wie ein kleines, neugeborenes Zebrababy. Kann nicht richtig laufen, mir ist speiübel, und gucken klappt auch noch nicht so ganz. Tonight it goes on. :-p“

Ich kann die Geisteshaltung nicht verstehen. Wenn ich mich betrinke (was recht schnell erledigt ist) schwöre ich am nächsten Tag dem bösen Geist Alkohol erst einmal ab… Und halte mich dann auch mind. ein bis zwei Wochen an diesen Vorsatz. Davon abgesehen musste ich bei dem Vergleich zum Zebrababy lachen – ich frage mich, wie der zustandekommt. „Wie ein Fohlen“ könnte ich verstehen, das ist noch einigermaßen nah dran an unserer Lebenswelt… Wahrscheinlich hält es der Autor/die Autorin aber auch so ähnlich wie ich: „Jetzt noch ne Tüte Chips und so ne lustige Doku von n24/Phoenix/Bayern Alpha“

„14:05

Ja, seitdem ich arbeitslos bin, habe ich kein Zeitgefühl mehr. Wir haben 2009 … Es ist Dienstag, der 21. bis 29. August.“

Die ist ja schon reichlich klischeehaft. Ich habe sie auch bloß ausgewählt, um zu illustrieren, wieso es naheliegend ist, von der Uni zur Agentur für Arbeit zu wechseln oder um es so zu formulieren: Endlich emanzipiert sich dieses Klischee und greift von der Studierendenschaft auf andere Bevölkerungsgruppen über. Nur Mut, kleines Klischee, dir steht die ganze Welt offen. Entfalte dich und reiße die Macht an dich. Nieder mit dem Zeitdiktat! *räusper* Genug der revolutionären Forderungen, einen habe ich nämlich noch. Aber wo wir schonmal dabei sind: Haben wir eigentlich Sommer- oder Wintersemester?

„15:28

Alter …

15:29

Was ’n?

15:33

Also, Kippe falsch herum anzünden gab’s ja schon. Kippe haben, aber Feuerzeug vergessen, auch. Aber auf dem Balkon stehen und nur Feuer vor dem Gesicht und Kippe vergessen, ist neu.“

Ich kann mir nicht so ganz vorstellen, dass jemand eine SMS schreibt, die ernsthaft bloß aus „Alter …“ besteht, es sei denn, diese Person ist dauerhaft sprachlos, weil der/die Adressat/in sich gerade in Godzilla verwandelt und einem dennoch den Freund/die Freundin ausgespannt hat, während einem selbst spontan ein Farmershaus aus Kansas auf den Kopf fällt. Sowas in der Art. Aber diese SMS war wie Therapie für mich, denn es zeigt mir einmal mehr, dass ich nicht der einzige Mensch auf Erden bin, der einen solchen Grad von Verplantheit erreicht hat, wie derjenige oder diejenige, die verzweifelt mit dem Feuerzeug vorm Gesicht rumgewackelt hat. Zum Abschluss rufe ich dir zu: Ich kann dich gut verstehen, mach dir nichts draus. Es ist die Welt, die dir solche Zustände bereitet.