Tante Tex hat zum Storysamstag geladen und da kann ich es mir nicht nehmen lassen, einen Beitrag beizusteuern, denn ihr Thema ist „Heimat“.

„Heimat“ ist ein schönes, altmodisches Wort, das aus unserem Wortschatz zu verschwinden droht, gerade weil sie eine Renaissance erfährt. Zumindest lassen sich gerade die politischen Entwicklungen in diese Richtung lesen. Rechtspopulistische Parteien in ganz Europa haben Zulauf, seien es die FPÖ in Österreich, der Front National in Frankreich, die PiS in Polen, die Schwedendemokraten in Schweden oder die AfD in Deutschland. Sie alle eint ein politisches Programm, das das Nationale betont und sich dem Internationalismus der EU widersetzt. Ihr Selbstbild: Eine nationale Gruppe gegen den Verlust der nationalen Identität. Entstehen und Erfolg dieser Gruppen lassen sich bis zu einem gewissen Grad über den Verlust eines Heimatgefühls erklären. Heimat bedeutet in diesem Kontext so viel wie „Ort, an dem man das eigene Leben kontrollieren kann“.

Heimat ist nicht zu verwechseln mit dem Wohnort oder dem Zuhause. Ich bin in meinem Leben ein paar Mal umgezogen. Aus der Kreisstadt aufs platte Land, zum Studium nach Mittelhessen, zurück aufs platte Land, nun nach Stuttgart. Die Orte waren jeweils mein Zuhause und es gab Gründe, warum ich mich dort wohl gefühlt habe.

Gerade in Mittelhessen habe ich allerdings von meiner Identität als „Bergischer Junge“ gezehrt. Und über die habe ich mich definiert. Ein gewisser Frohsinn, der Dialekt der Heimat, auch die Küche. Hin und wieder habe ich mich in Mittelhessen auf die Suche nach Reibekuchen gemacht und in dieser Zeit bin ich ein Fan von Cat Ballou, Kasalla und Brings geworden, drei Kölschrock-Bands (ich weiß, dass es auch BAP gibt, aber BAP ist irgendwie nicht so mein Fall), vor allem wegen dem wichtigen Aspekt „Sprache“. Gerade für manche Städter mag das merkwürdig klingen und wenn ich „richtig“ Dialekt spreche (das r, das manchmal zum ch wird, zählt da nicht zu) hört man, dass ich es nicht so richtig kann. Aber meine Großeltern haben noch Dialekt gesprochen, viele ältere Menschen tun es immer noch. Verstehen kann ich ihn leidlich gut.

Umso merkwürdiger war die Rückkehr in die „Heimat“. Denn obwohl ich gewissermaßen an meine Wurzeln zurückkehrte, war es für mich nicht mehr das gleiche. Neue Freundschschaften im Studium mit Menschen aus ganz Deutschland und anderen Ländern haben mich verändert, mein Studium hat mich verändert. In die heimatlichen Abläufe aus Festen, Vereinsleben und Tratsch im Supermarkt konnte ich mich nicht fügen. Ich habe mich von Anfang an zwar zu Hause gefühlt, aber nicht daheim. Daheim war eine Weile Mittelhessen geblieben – da wo ich manche Kneipe in- und auswendig kannte, meine Wege, meine Läden, meine Leute. Aber auch das verblasste und ich fühlte mich heimatlos.

Heimat, sage ich manchmal im Scherz, ist dort, wo mein Bett steht. Das ist nicht ganz richtig. Das ist Zuhause. Und Zuhause sollte man sich wohl fühlen.

Als ich an meinem ersten Abend meine neue Wohnung verließ, auf der Suche nach Abendessen, war ich traurig. Meine Familie war gerade abgefahren, in meinem Zimmer sah es furchtbar chaotisch aus, weil noch vieles in Kartons lagerte. Ich war froh, hier zu sein, war froh, nicht mehr bei Mama und Papa zu wohnen. Dennoch: Ich ließ die Menschen, zu denen ich persönlichen Kontakt hatte und die mir in den letzten zwei Jahren wichtig waren, zurück. Und meine Routinen. Die drei Katzen. Meine Tomaten. Die Küchenmaschine. Viele Bücher.

Als ich durch die Straßen ging, blickte ich an den Mietshäusern hoch. Ich sah eine große Kirche. Ich hörte die Straßenbahn. Und plötzlich wich meine Wehmut. Ich fühlte mich wohl. Gerade noch den Tränen nahe lachte ich auf. Mein Gedanke: „Ich bin daheim angekommen.“ Ich probierte den Gedanken aus, indem ich ihn aussprach. Ich korrigierte ihn probehalber. „Ich bin zu Hause.“ Aber das traf es nicht. Ich fühlte mich plötzlich, allein auf einer Straße in einer Stadt, von der ich noch nicht viel wusste, daheim.

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Heimat ist kein geographischer Ort. Heimat sind Gefühle.

Meine Heimat wird auf immer und ewig das Bergische Land meiner Kindheit sein, wo Oma Zeilenende „Quer durch den Garten“ kocht, Mohntorte bäckt und mir an Weihnachten selbst gestrickte Socken schenkt. Wo sie durchs Haus läuft und „Hohe Tannen“ singt und mir ob platt die Leviten liest, wenn ich Unfug mache. Heimat sind Reibekuchen und Panhas. Diese Heimat ist aber gestorben, als ich sie verlassen habe, sie war nicht mehr da, als ich zurückkehrte, auch wenn sie ähnlich war. Und es ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass Oma Zeilenende jenseits meiner Heimat mittlerweile die selige Oma Zeilenende ist.

Meine Heimat wird auf immer und ewig die Alma Mater sein, wo wir im Deli Gießener trinken, weil das Geld am Monatsende knapp wird, und darüber diskutieren, ob des Menschen Antrieb, Beziehungen aufzubauen, das Bedürfnis zu lieben ist oder doch das, geliebt zu werden. Wo ich Mittwochs an der E-Kirche meinen Gemüsevorrat für die ganze Woche kaufe und meine Laufstrecke den Spazierweg meiner Vermieterin kreuzt, die mir bei Regen immer zurief, ob sie mich nicht mit nach Hause nehmen solle. Heimat sind Grüne Sauce und Harzer Roller. Aber so wie ich meine erste Heimat verloren habe, würde eine Rückkehr mir die Heimat nicht zurückbringen.

Heimat wird sicherlich einmal werden, was ich hier in Stuttgart erlebe. Es werden Linsen und Spätzle sein, der Schlossgarten, die Dachterrasse. Vielleicht. Das stellt sich am Ende heraus.

Vor meinem Umzug hatte ich eine alte Ansichtskarte von der Alma Mater auf meinem Schreibtisch stehen. Als Erinnerung. Als ich mich nach dem Umzug an die Einrichtung meines Zimmers machte, hing dort schon eine alte Stadtansicht von Stuttgart. Ich habe die Postkarte auf ein Regal gestellt. Als ich meine übrigen Postkarten sortierte, fiel mir ein Bild von der seligen Oma Zeilenende in die Hände. Ich hatte es in Mittelhessen auf dem Schreibtisch stehen. Es war eines der wenigen Bilder, wo sie lächelt. Sie lächelt den Fotografen an und hebt ein Messer, um Kuchen zu schneiden.

Ich lächelte auch. Heimat habe ich im Herzen. Daran erinnern mich die Symbole meiner Heimat. Egal, wo in der Welt ich zu Hause bin. Ich kann sie nicht bewahren, deshalb versuche ich mich heimisch zu fühlen, egal wo ich bin. Daran erinnern mich das Foto der seligen Oma Zeilenende und die Postkarte aus der Alma Mater. Heimat ist tatsächlich der Ort, an dem ich alles kontrollieren kann, denn sie existiert nur in Gedanken. Als Bejahung dessen, was war, ist und vielleicht sogar was werden wird.

35 Kommentare zu „Heimat

    1. Oh, das wollte ich nicht! Möchtest du welche von mir haben? 😉
      Okay, ich ironisiere. Das ist ein Zeichen, dass ich mich unwohl fühle. Deshalb sage ich bloß noch: Danke für das Lob. Mit Gefühlsausdruck habe ich es nicht so, deshalb macht es mich glücklich. 🙂

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  1. Viel kann ich dazu jetzt gar nicht schreiben, nur: Vielen Dank für diesen fantastischen Beitrag, der mir eine ganz andere Sichtweise auf die „Heimat“ eröffnet 🙂

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    1. Ich musste über deinen Kommentar grinsen. Ich sage es in den Kommentaren hier ja ständig: Ich habe es nicht so mit dem Ausdrücken von Gefühlen.
      Dabei fand ich hier den gar nicht so persönlich. Da tue ich mich bei anderen Beiträgen schwerer, bis ich sie schreibe … Und sie veröffentliche (oder auch nicht). Umso besser, dass er sich runterschreiben ließ und damit genau das war, was ich sagen wollte.

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  2. Sehr schönes Photo, sehr schöner Text, und dass Du manchmal seltsame kulinarische Vorlieben hast, war ja schon bekannt. Ich nehme dann doch lieber das Leberwurstrosinenbrötchen statt Panhas und kann mir momentan kaum vorstellen, dass ich das (Nieder-)Bergische mal und sei es rückblickend Heimat nennen werde. Aber es ist mittlerweile auch nur noch ein Teilzeitzuhause.

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    1. Vielleicht kommt das, wenn der Bruch endgültig ist. Das Oberbergische wurde auch erst so richtig Heimat, als ich dachte: Da kehre ich nie wieder hin zurück. Das war nicht so geplant. Wenn es anders gekommen wäre, wer weiß. Und vielleicht solltest du es mit Panhas auf Rosinenbrötchen versuchen. 😉
      Danke dir für das Teilen deiner Eindrücke. 🙂

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  3. Ein wohltuender und sinnvoller Kontrast zu den nationaltümelnden Hohlphrasen, die irgendwelche diffusen Heimatgefühle ansprechen sollen. 🙂
    Für mich ist der Begriff Heimat nicht mit Inhalt gefüllt. Aber deine Beschreibung hört sich für mich gut an. Und es macht ja auch Sinn, diesem Ausdruck entweder einen neue, nachvollziehbare Bedeutung zu verleihen, oder ihm den Stempel „obsolet“ zu verpassen. Es gab ja Zeiten, da war Heimat für viele Menschen ein Ort, an dem sie ihr gesamtes Leben verbrachten – in einem Umfeld, das sich nur graduell veränderte. Aber das ist längst passé.

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    1. Ich bin ja tendentiell Internationalist, ich denke, das ist kein Geheimnis, das ich verrate. Ich glaube, dass ich den gut finde, hat zu einem guten Teil damit zu tun, dass mir die tümelnden oder taumelnden Phrasen den Heimatbegriff gründlich verleidet haben und ich ihn woanders suchen musste. Denn ohne eine Heimat geht es nicht. Und wenn es nur eine geistige ist, die sich zufällig mit einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit deckt. So wie meine.
      Und „wohltuend“ ist eines der schönsten Komplimente, das man bekommen kann. Danke sehr. 🙂

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      1. Gerne. 🙂
        Tendenziell Internationalist, ja, das schimmert hin und wieder ein wenig durch. 😉
        Wenn man Heimat als ein Sammelsurium definiert, dessen einzelne Bestandteile einem zur passenden Zeit am passenden Ort unter den passenden Voraussetzungen ein Gefühl von Heimat – ein wohltuendes(!) „mehr als zuhause sein“ – vermitteln können, würde ich mich damit recht gut anfreunden können. 🙂

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  4. Als ewig Gereister kann ich das ja gar nicht nachvollziehen *gelangweilt Fingernägel feil*

    Wenn dir Tomaten und Küchenmaschine fehlen, pflanz was an und kauf dir eine 😀 *poke*
    In 6mon befragen wir dich nochmal 😉

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