In der letzten Woche musstet ihr meine musikalischen Anflüge von Bildungsbürgerlichkeit ausbaden, statt einen kleinen Einblick in das Leben eines Bibliophilen zu bekommen. Heute dürft ihr wieder eine Antwort auf die Montagsfrage vom Buchfresserchen lesen, gast-gestellt von a book love. Zum Thema „Onlineshop oder Buchhandlung“ fällt mir nicht nur etwas was ein, es gibt sogar eine kleine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte über uns alle.

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Räumen wir zunächst mit der Lebenslüge auf, die in der Frage mitschwingt: Wenn wir vom Buchkauf im Onlineshop reden, dann reden wir davon, Bücher bei Amazon zu kaufen. Es sei denn, es ginge um eBooks. Aber mal ehrlich, liebe Tolino-Nutzer: Ihr fändet es doch famos, wenn ihr euer Readerfutter auch dort bekommen könntet. Ihr seid das immerhin gewohnt, eure Buchbestellungen dort einzutragen, habt ihr jahrelang gemacht. Und für die analoge Verwandtschaft erledigt ihr den Weihnachtsgeschenkekauf auch nach wie vor über amazon.

Eigentlich sollten wir uns dafür schämen. Amazon, das war mal dieser innovative Onlinehändler. Der hat ein leicht verstaubtes Produkt genommen, das schon vom Radio und anschließend vom Fernsehen getötet wurde. Dann hat er dieses Produkt zu seinem Verkaufsartikel gemacht. In diesem Retortendorf namens Internet, das doch dringend einen Buchladen bräuchte. Gefühlt hat Amazon damals gegen den Trend gearbeitet. Wer hat damals schon noch eine neue Buchhandlung eröffnet, wenn nicht eine ganze Kette dahintersteckte?

Amazon ist in unsere Lebensgewohnheiten geschlichen: Ein Ort, um zu stöbern, Neues zu entdecken und vor Allem war Amazon ein wunderbarer Ort, um niedrigschwellige Lese-Empfehlungen zu bekommen. „Kunden, die ‚Lady Chatterley’s Lover‘ liebten, liebten auch …“ Kein peinliches Rumdrucksen und mühsames investigatives Recherchieren mehr. Wir haben Amazon geliebt. Dafür und für die Anmutung. Denn die Buchhandlungen, das war ein trauriger Anblick. Die Filialisten sahen doch alle gleich aus, überall standen große Tische mit Bestsellern herum, auf Entdeckungstour zu gehen lohnte kaum. Amazon, das war eine persönliche, maßgeschneiderte Buchhandlung. Wo genau unser Geschmack ausgestellt wurde.

Doch irgendwas passierte. Vielleicht unbemerkt vom Nutzer geschah eine Transformation seiner schnuckeligen kleinen Buchhandlung. Genau genommen geschahen zwei Dinge. Eines Morgens mussten wir entsetzt feststellen, dass wir in der Lieblings-Falle saßen. Wann hatten wir zuletzt ein Buch in Händen gehalten, dass wir nie bewusst im Regal aufgesucht hätten und das uns dennoch überrascht hat, nachdem wir es zufällig gefunden haben? Plötzlich ging es uns wie dem alten Menschen, der gern Konfekt aß und deshalb zum Geburtstag nur noch Mon Cheries geschenkt bekommt. Dabei mochte er doch auch die Feinkostkonservenleberwurst, die ihm aber zu teuer war, sie sich einfach so zu kaufen.

Das zweite Ding war noch ungeheuerlicher. Wir waren einmal Buchkäufer mit Prinzipien und einem gewissen gesunden Buchkäuferstandesdünkel. Über die Filialisten mit ihren Geschenkartikeln und DVDs hatten wir immer ein wenig die Nase gerümpft. Von den Buchregalen in den Kaufhäusern, eingezwängt zwischen dem Villeroy-und-Boch-Porzellan auf der einen und den Tischdecken auf der anderen Seite hatten wir uns immer fern gehalten. Das war völlig gegen die Buchkultur. So macht Bücherkauf doch keinen Spaß! Doch was war das? „Kunden, die ‚Lady Chatterly’s Lover‘ liebten, liebten auch das Rose Cottage Service von Villeroy & Boch“ und sie „liebten auch Durex Play Massage 2in1“ [Anm. d. Verf.: Ihr erwartet doch jetzt nicht etwa einen Link? Ich bin nicht Oswald Kolle!]. Plötzlich stand neben dem Bücherregal auf der einen Seite wieder das Porzellan, auf der anderen Seite … Was zum Henker ist das denn? Ist da auf der anderen Seite die Baumarktabteilung mit dem Schmierfettregal?

Amazon, unser persönlicher kleiner Buchhändler, der mit der schönen Auswahl, hielt uns plötzlich also nicht nur in unserer dominanten Vorliebe gefangen, er war auch auf einmal zu dem Kaufhausbücherregal geworden, das wir immer gemieden haben wie der Teufel das Weihwasser. Oh, natürlich, wenn man nicht so genau hinsah, fiel es eigentlich gar nicht auf. Und auch Neues konnte man bei Amazon noch entdecken. Aber sobald wir die vertrauten Pfade unserer Liebesromane verließen, waren wir plötzlich mit der Unübersichtlichkeit konfrontiert: Wie sollte man aus dem Verzeichnis sämtlicher lieferbarer Krimis angemessen auswählen, wenn man auch im realen Buchladen höchstens zufällig vor dem Regal mit den Kriminalromanen stehen blieb? Bloß zurück zu Lady Chatterley, ihrem Lover und den erstaunlich geschmackvollen Tassen in leuchtendem Pink. Vielleicht finden wir ja in einem unserer Lieblings-Buchblogs einen Hinweis auf einen guten Kriminalroman. Die lesen zwar auch das Gleiche wie ich, aber vielleicht habe ich Glück. Oh, da hat jemand mal einen Rezept-Tipp abgegeben. Ist das da die Etagere aus der Rose Cottage Kollektion?!

Wie sich davon freisprechen? Denn wenn wir ehrlich sind, liebe Gemeinde: Wir verdrängen alle regelmäßig die Realität. Beinahe. Ich bin dazu übergegangen, bei Amazon nur noch Dinge zu kaufen, die ich hier nur unter größeren Mühen bekomme. Dazu gehören Bücher nicht, denn so hinterwäldlerisch meine Heimat ist, eine Buchhandlung haben wir noch. Dort tauche ich gelegentlich auf, mit einer Liste an Buchwünschen in den Händen, die ich mir bestelle. Denn natürlich weiß auch ich, was ich will, hocke in meiner kleinen Leseblase. Aber meistens kommt es anders, als ich denke und beginne zu stöbern. Drei oder vier überraschende Schätze unter meiner Brust bergend trete ich den Heimweg an, freue mich darauf, morgen meine Wunschbücher abholen zu können und vielleicht einen weiteren Überraschungsfund zu landen. Es ist weniger bequem, aber vielleicht kann ich mich so den Verlockungen des „Play Massage 2in1“ noch ein Weilchen widerstehen.

9 Kommentare zu „Montagsfrage: Virtueller oder physischer Buchladen?

  1. Ach ja. Ich gestehe ich bin sehr bequem und kaufe online. Um e-books mache ich einen Bogen. Wenn ich lese, brauche ich ein Buch in den Händen. deshalb kommen auch immer gefühlte 10kg Lesestoff mit in den Urlaub. Die Freude über die Beratung im Buchladen ist, wenn ich einen aufsuche, immer groß und ich nehme mir vor, wieder mehr dort zu kaufen. Aber dann „guckt man mal eben schnell“ bei Amazon und schwups, hat man wieder Bücher gekauft. Schlimm.

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  2. Beides. Aber nie mehr Amazon, wegen dessen menschenverachtender Geschäftspraktiken hinter den Kulissen. Ich kaufe fast alle Bücher online, Print- und eBooks. Auch weil Buchläden zu gefährlich sind: Beim
    physischen Kaufen kommt meistens mehr mit als geplant, online kaufe ich gezielter.

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  3. eBooks, klar, da bleibt nur der virtuelle Buchladen. Ansonsten erwische ich mich leider noch viel zu oft dabei, physische Bücher ebenfalls online zu kaufen. Nicht zwangsläufig bei amazon, aber eben auch nicht in der Buchhandlung vor Ort. Blöde Bequemlichkeit. In der Woche passen Arbeits- und Öffnungszeiten nicht zusammen, samstags sind 95% der Einwohner im „Stadtzentrum“ unterwegs, welches ich daher konsequent meide. Für klassische Buchläden ist es natürlich schade, zumal der Online-Kauf ja nicht mal finanzielle Vorteile bringt, wodurch er eigentlich noch unnötiger wird. Stattdessen lasse ich mir wieder ein Päckchen quer durchs Land schicken, obwohl das Buch womöglich im Laden vor Ort vorrätig ist.

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    1. Ich verteile mal Gratis-Ratschläge: Wenn dir dein Buchhändler am Herzen liegt, guck mal, ob der nicht über Libri einen eigenen Online-Shop betreibt. 🙂 Selbst mein arg altmodischer Lieblingsbuchladen bietet das mittlerweile an.

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      1. Tatsächlich, der Händler hat einen Libri-Shop, sogar mit eBook-Verkauf. Die örtliche Buchhandlung zu „googlen“ hätte helfen können. Das war wohl zu naheliegend 🙂

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        1. Ich weiß es auch nur, weil meine Buchhändlerin auch ehemalige Sportkameradin, Duz-Freundin und „Zeilenende, der Flyer interessiert dich doch bestimmt“-Werbemeisterin ist. Also mach dir keinen Kopf. 🙂

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  4. Ein sehr schöner, poetischer Text 🙂 Aber ich finde Amazon ok. Und für mich war es schon immer ein großes, großes Kaufhaus. Daher… entweder gehe ich selbst in einen Buchladen oder ich kaufe bei AMazon/Thalia.

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    1. Danke für das Kompliment. Ich finde Amazon auch super, aber ich mag Buchhandlungen viel zu gern, als dass ich ohne auskomme. Deshalb lasse ich sie an (fast) allen meinen Buchkäufen verdienen.

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