Tag 2 von „29 Tage, ein Objekt“ mit einem dezent missgelaunten Seamus. Ich hoffe, solche Diskussionen muss ich jetzt nicht jeden Tag mit ihm führen.

„Also Zeilenende, ich fühle mich ja gebauchpinselt, dass du mir so viel Aufmerksamkeit schenkst …“
„Aber … ?“
„Nix aber. Dann kommt nämlich so ein sprachlicher Trick, mit dem du mir unterstellst, ich meinte das Gegenteil dessen, was ich sage.“
„Und … ?“
„Ich fühle mich wirklich gebauchpinselt, dass du mir so viel Aufmerksamkeit schenkst!“
Seamus verschränkt die Arme und blickt so grimmig drein, wie es nur ein Stoffbär mit militärischer Befehlsgewalt kann.
„Dennoch passt dir irgendwas nicht. Sehe ich das richtig?“
„Nicht passen ist vielleicht der falsche Ausdruck.“
„Was, Seamus, was? Raus mit der Sprache, du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Als wir letztens auf der Party waren, wo du diesen Miss-Piggy-Verschnitt aufgerissen hast, hattest du immerhin auch keine Probleme, MEINEM Augenschmaus zu erzählen, dass ich am Daumen nuckel.“
„Stimmt. Wie ging das eigentlich weiter? Hat er dich dann …“
„Nein, ich musste in der Nacht an meinem eigenen Daumen nuckeln, während du genüsslich eine Kochschinken-Stulle vernascht hast.“
„Das tut mir leid.“
„Also, Seamus, was ist los?“
„Ich meine ja nur. Seien wir mal ehrlich, wir wissen beide, dass du kein großer Photograph bist.“
Verlegenes Kopfkratzen auf beiden Seiten.
„Aber das Bild, das du gestern von mir gemacht hast, das war höchst unvorteilhaft.“
„Das diente dokumentarischen Zwecken. Wie diese Bilder, die in US-amerikanischen Fernsehserien gemacht werden, wenn jemand verhaftet wurde. Nur auf die Nummer in deinen Händen habe ich verzichtet.“
„Du meinst also, ich sei ein Verbrecher. Was wirfst du mir vor? Glaubst du, ich schmuggele Kochschinken in meiner Füllung? Das ist nicht illegal, mein Freund!“
„Immer mit der Ruhe. Was bist du denn heute so garstig?“
„Ich – sehe – auf – dem – Auftaktbild – scheiße – aus. Und jetzt steht das im Netz. Wie soll ich jemals wieder ne Braut aufreißen, wenn du mich so ablichtest?“
„Ich dachte, die Mädels stehen auf behaarte Kerle in Uniform.“
„Nicht nur die Mädels …“
Seamus wirft einen vielsagenden Blick auf Zeilenende. Der blickt verlegen zur Seite.
„…aber das Bild ist nicht hilfreich. Wenn der gutaussehende Bär in Uniform auf einem Bild derart verunstaltet ist, kann ich meine Kluft demnächst gegen ein Habit eintauschen.“
„Du bist Katholik?“
„Ich heiße Seamus und mein Fell hat einen leichten Rotstich. Was meinst du wohl?“
„Okay, das war jetzt sehr klischeehaft, findest du nicht auch?“
„Lenk nicht ab. Zurück zu dem Bild!“
„Jaja. Also, dir gefällt es nicht. Was sollen wir anders machen? Hast du eine Idee für das heutige Motiv?“
„Naja … Also, ich weiß ja, dass du nicht gern Menschen photographierst und so. Auch Tiere findest du nur semi-toll, wenn sie nicht gerade ausgestopft sind. Aber eigentlich bin ich ja ein ausgestopftes Tier, also solltest du deine Scheu überwinden – Schieß ein Portrait von mir.“
„Wir können es ja mal probieren.“

 

IMGP1308.jpg
Pentax K-50 mit Pentax SMC-FA 50mm F1,4 – f2.2, 1/8sec, ISO 100

 

 

„Zeilenende, das ist uncool! Das wirst du doch nicht etwa veröffentlichen wollen? Voll unscharf!“
„Naja, du weißt, hier ist es dunkel, also muss ich mit offener Blende arbeiten. Und der Platz hier ist auch nicht so groß.“
„Trotzdem! Können wir nicht irgendwo anders hin und noch ein Bild machen? Oder ein Stativ?“
„Ich habe kein Tisch-Stativ und für Portraits taugt nur das Objektiv. An andere Orte kommst du noch oft genug, keine Sorge. Wir machen das jetzt so.“
„Aber ich sehe verpennt aus. Wo hast du den Schärfepunkt hingelegt?“
„Knapp neben deine Nase. Auge ging nicht, dann wäre der Bildausschnitt blöd geworden oder ich hätte manuell fokussieren müssen. Und du weißt, was dann passiert.“
„Aber mein rechtes Auge ist nicht so scharf, wie es sein könnte und vom Linken wollen wir gar nicht erst reden!“
„Das, lieber Seamus, liegt an deiner langen Schnauze. Da ist bei so offener Blende einfach nicht mehr drin.“
„Aber …“
„Nichts aber. Betrachte es als Kompliment. Ich habe gerade klargestellt, dass es an deiner langen Schnauze liegt und du weißt doch: An der Schnauze eines Mannes erkennt man seinen Johannes.“
Seamus schweigt. Er denkt einen Augenblick nach. Zeilenende zwinkert ihm zu.
„Soso … Sagmal, Zeilenende, woher weißt du eigentlich so gut über meinen Johannes Bescheid?“

17 Kommentare zu „Seamus – Tag 2

  1. Hach danke für diese herrliche Diskussion zwischen euch beiden 🙂
    Es war eine Freude zu lesen..ich sitzte hier und schmunzle immer noch..

    Und ja ich stimme Wortman zu, das es klasse ist wenn ein Text und nicht nur ein Foto
    gepostet wird..

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    1. Ich hätte mir den Text für den letzten Tag aufheben sollen, jetzt sind die Erwartungen so hoch. *g* Nagut. Eine Geschichte wird es jeden Tag geben, vielleicht schaffe ich es, die Geschichte irgendwann ins Bild zu packen.

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