Kieler Krimskrams hat vor längerer Zeit einen ungewöhnlichen Liebster-Award zugeworfen bekommen. Ungewöhnlich nicht, weil er anders ist als die anderen Liebsten, sondern weil die Fragen so ungewöhnlich sind. Sie stammen von der Koriandermadame.

Ich nehme den Liebsten – für mich doch ungewöhnlich – auf und beantworte ihn ohne Nominierung. Mit noch ein wenig mehr Ungewöhnlichkeit, denn nach und nach, mit jedem Beitrag eine Frage. Heute geht es um schlagende Herzen, es ging bereits um die SonneSchmerz und Angst.

Die kurze Antwort ist: Ja, das kann es mit Sicherheit. Aber das ist die weniger interessante Antwort. Wenn man der Frage unterstellt, sie will wissen, wie man es mit dem eigenen Herzen hält, fällt die Antwort anders aus, mit einem entschiedenen „Sicher nicht!“ Und dann wird es spannend, denn ich möchte ergänzen: Und das aus gutem Grund.

Wessen Herz für alle schlägt, läuft recht schnell Gefahr zu vergessen, dass das Herz auch für den eigenen Körper schlägt. Und da jeder Körper ein eigenes Herz besitzt, muss das eigene Herz nicht die ganze Zeit über für alle anderen schlagen, vor allen dann nicht, wenn die anderen Herzen sich nicht darum kümmern, für mich zu schlagen. Dankbarkeit ist eine nette Art der Gegenleistung, aber allein von Dankbarkeit zu zehren, während man sich aufopfert ist ein sicherer Weg in den körperlichen wie geistigen Ruin.

Muss ich also, wenn ich das Leid in der Welt sehe, empört sein? Ja. Empörung ist ein Gefühl, das sich rational begründen lässt. Denn Empörung ist eine Reaktion auf Ungerechtigkeit: Die Ungerechtigkeit, dass die Lebenschancen anderer Menschen so viel geringer sind als die eigenen und das nur, weil sie zufälligerweise in Somalia und nicht in Deutschland geboren wurden.

Diese Empörung ist etwas anderes als das Herz, das für alle schlägt. Sie ist mächtiger. Denn wenn sie einen rationalen Grund hat, bedeutet das auch, dass sie sich ganz gefühllos aus der Welt schaffen lässt. Auch wer keine große Liebe für seine Mitmenschen verspürt, kann durch sie motiviert werden, weil sie rational zugänglich ist. Gerechtigkeit mag zwar auch nur ein Gefühl sein, aber im Unterschied zur Liebe eines, das sich ganz gut begründen lässt.

Gleichzeitig limitiert die Empörung aber meinen Handlungskreis. Wenn mein Herz für alle schlägt, fehlt ihm die Kraft, für sich selbst zu schlagen und geht unter. Wenn ich empört bin, erkenne ich an, dass ich ein gutes, lebenswertes Leben führe.

Ich sollte womöglich einen Teil meiner Zeit und meines Geldes darin investieren, die Ungerechtigkeit in der Welt zu beseitigen, aber wenn ich beginne mich aufzuopfern und „nichts mehr vom Leben habe“, auf Spaß verzichte um Gerechtigkeit zu üben, sorge ich durch mein Handeln dafür, dass die Ungerechtigkeit in der Welt nur noch größer wird. Denn mein eigentlich lebenswertes Leben wird plötzlich nicht mehr lebenswert. Und damit trage ich aktiv zu einer neuen Ungerechtigkeit bei – selbst wenn ich die so wähle.

Die Notwendigkeit, anderen Menschen zu helfen, ergibt sich nie aus dem Gefühl, denn dann gäbe es keine objektive Notwendigkeit, Menschen in Not zu helfen. Gefühle sind immer subjektiv. Das heißt nicht, dass „helfen oder nicht“ eine Frage des Abwägens wäre, denn es ist wie gesagt notwendig. Aber sobald es an die praktischen Fragen geht, wem man wie stark hilft, muss man sich selbst mit in die Rechnung einbeziehen. Und dann beginnt ein Prozess des Abwägens, den man aus Selbstschutz lernen sollte. Ansonsten gibt es irgendwann auf der Welt nämlich gar keine Gutmenschen mehr, sondern nur noch Zyniker wie mich.

Wir brauchen nicht mehr Liebe für die Menschheit, wir brauchen mehr Empörung. Die lässt sich sogar vorzüglich mit einem gewissen Hedonismus vereinbaren.

Hedonismus
Mehr Hedonismus wagen!

26 Kommentare zu „Und kann ein Herz für alle schlagen?

  1. Sehr interessanter Gedankengang. Empörung wäre dann das Erkennen und Empfinden von Regelwidrigkeiten: Etwas ist nicht so wie es sein soll/ vorgeschrieben ist. Ein gefühlloser Pedant würde also zum Helfer jener, die ungerecht behandelt werden, einfach weil Gleichheit aus dem Gleichgewicht geraten ist.
    Auf der anderen Seite die Empathie: das reine Mitleiden. Aber erzeugt Mitgefühl nicht immer Empörung und wäre somit das stärkere Mittel allerdings objektiv nicht erzeugbar und daher nur dem Zufall/ der Menschlichkeit überlassen statt rationalen Grundsätzen?

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    1. Das ist eine Frage der Antriebe. Ich will dem Mitgefühl gar nicht seinen Wert absprechen, denn „nicht am Leid des anderen mitleiden wollen“ ist durchaus ein legitimes rationales Anliegen. Ich halte es nur für gefährlich, das Mitleid zu verabsolutieren, weil das mitleidende Subjekt, ich als Mitleidender, dabei aus dem Blick gerät.
      Ich sehe die Ratio da als notwendiges Korrektiv, damit wir vor Mitleid nicht vor die Hunde gehen. Und Empörung leistet für mein Verständnis genau das, sich selbst mitzudenken, weil es rational funktioniert.

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  2. Ich denk wir brächten sicherlich mehr Empörung, aber dann bitte eine die sich nicht in der Erwählung einer Alternativbewegung zu Deutschland äußert…. Diese Sorte von besorgten Bürgern gehen mir gehörig auf den Geist.

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        1. Ich mag Singer nicht, weil er das Problem für quantifizierbar hält und es tendentiell von einem moralischen zu einem finanziellen Problem macht. Außerdem übersieht er das Problem von Nahbereich und Fernbereich, das er nicht befriedigend ausräumen kann. Aber von den theoretischen Schwierigkeiten abgesehen finde ich das Ansinnen sehr sympathisch. ☺

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          1. Wir hatten nur ein paar Auszüge aus seinem Werk, welches die „praktische Ethik“ behandelte im Unterricht gehabt. Unser Lehrer war ein recht großer Fan von ihm, zugegeben seine Tierethik ist interessant und eigentlich auch gar nicht mal so falsch. Pflanzen empfinden zwar auch gewisse Schmerzen und die Tötungsfrage wird kaum behandelt, jedoch kann man eben nicht alles haben. Zumindest war sein Schreibstil leichter zu verstehen als Kants.

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            1. Ich habe ein grundsätzliches Problem mit Utilitarismus, deshalb ist Singer für mich eine Hassfigur. Er kann das Tötungsverbot nicht nur nicht rechtfertigen, er gibt es für meine Begriffe sogar auf und er argumentiert inkonsistent, wenn er mal die Biologie bemüht, aber zum Beispiel nicht zu der Konsequenz kommt, dass es natürlicherweise so etwas wie Speziesismus gibt.
              Was die Verständlichkeit angeht: Kant auf englisch lesen verzerrt zwar manches, ist aber einfach ☺

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  3. Empörung ist, meine ich, genauso dem subjektiven Empfinden und Selbstinteresse unterworfen wie alle Lebensäußerungen, inklusive dem „Herz für alle“ und dem Leckerli auf deinem Foto, das ich nicht anrühren würde. ;).

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  4. Und doch klingt es für mich wie eine Ausrede. Dass du gar nicht helfen oder etwas ändern kannst, weil das ja eh nix bringt bzw. dein Leben auch noch schlechter machen würde.
    Dann wäre mir doch lieber, du würdest einen soziologischen Bericht darüber verfassen, dass selbst wenn man allen Menschen helfen würde, es einigen schlecht gehen würde. Bzw. es andere, schwerwiegende Konsequenzen hätte (siehe das Mäuse-Überbevölkerungsexperiment).

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    1. Ich sage ja nicht, dass man gar nichts tun soll. Ich weise nur darauf hin, dass unsere Ressourcen begrenzt sind und sich Gerechtigkeitsfragen nur stellen, weil die Ressourcen begrenzt sind. In der Abwägung „Was kann ich tun/leisten, um die Welt weniger widerlich zu machen?“ muss jeder von uns sich selbst fragen, was er zu leisten bereit ist. Und im Zweifel mit dem Vorwurf (und den daraus resultierenden Konsequenzen) leben, dass man ihn für einen egoistischen Arsch hält.

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      1. Die Ressourcen wären halt immer begrenzt. Wenn es allen gut geht, kommt es zur Überbevölkerung und dann sind die Ressourcen irgendwann doch wieder zu knapp. Daher ist die Frage: Kann eine Welt, in der es allen gut geht, ÜBERHAUPT existieren?

        Und ja, wenn man nicht hilft, ist man schlimmstenfalls ein egoistischer Arsch. Oder kann eben einfach nicht helfen.
        Wir leben im Kapitalismus und ich denke schon, dass das ein Grund dafür ist, dass viele Menschen – selbst wenn es ihnen gut geht – alles horten und zusammenraffen, weil sie Angst haben, es könnte ihnen bald wieder schlechter gehen. Wer die Gewissheit hätte, jeden Monat für den Rest seines Lebens 100 EUR „über“ zu haben, würde die bestimmt auch großherziger spenden. Aber wer hat diese Gewissheit?

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        1. Es ist die Frage, wie man gut definiert. Das schöne am Menschen ist ja, dass er das selbst bestimmen kann und nicht nur seine Biologie ist. Es ist also meiner Meinung nach möglich. Das unterscheidet ihn von der Maus.
          Ansonsten hast du sehr schön zusammengefasst, was bei aller Konsumliebe mein Problem mit dem Kapitalismus ist. Er baut auf steter Abstiegsangst auf.

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      2. „Gut“ definiert sich für mich dadurch, dass man keinen Hunger/Durst leidet, über eine Unterkunft mit fließendem Wasser und sanitären Anlagen verfügt, eine Gesundheitsvorsorge besitzt, ein soziales Umfeld hat und möglichst wenig von dem machen muss, was man nicht machen möchte und möglichst viel von dem machen kann, was man machen will 😉
        Ich fürchte, nach dieser Definition geht es den meisten Menschen auf diesem Planeten nicht gut…
        Bei dir klingt das jetzt, als wäre die Abstiegsangst utopisch und nur ein Gebilde, um die Menschen „zu treiben“?

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        1. Ökonomische Abstiegsangst gibt es nur, weil es den Kapitalismus gibt. Und sie sorgt dafür, dass wir weiter im Rädchen unsere Arbeitskraft zu Markze tragen. Kapitalismus ist wahrgewordene Dystopie.

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        1. Ich bin tief im Herzen nach wie vor überzeugter Kommunist. Aber ein gesellschaftlich liberaler. Trotzdem pssst.
          Das Problem des Kapitalismus ist im Unterschied zu Alternativen, dass sein Ziel grenzenlose Akkumulation von Kapital ist. Es läuft darauf hinaus, immer mehr haben zu sollen. Das macht es systemlogisch unmöglich, einen stabilen Zustand zu erreichen, in dem alle etwas haben und keine Angst haben müssen, etwas zu verlieren (weil der andere es haben will). Weil es immer ums mehr allein geht. Auf Kosten der anderen.

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      3. Dann sind wir uns im Grunde ja doch recht ähnlich. Immerhin. 😀
        Damit ist man aber eben kein egoistischer Arsch, sondern ein um sich (zu recht, weil Abstiegsangst!) selbst besorgter Mensch. Es wäre aber was anderes, wenn man Millionen scheffelt und da nichtmal jemandem, dem am Ticketschalter ein Euro fehlt, diesen schenken würde… DAS wäre egoistisch-arschig.

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