Ich wache auf. Ich erhebe mich aus meinem Bett. Ich schlappe ins Wohnzimmer. Kalter Rauch liegt in der Luft, Asche auf dem Boden, Flecken auf dem Tisch, leere Dosen, Gläser, Flaschen überall. Der Rest vom Fest.
Es ist Samstagabend. Ein paar Freunde und Bekannte sind zusammen gekommen, um das Leben zu feiern. Aus den Boxen dringt Musik, das Gespräch ist gut im Fluss. Der Kühlschrank ist mit alkoholischen Getränken gefüllt und natürlich auch mit nicht-alkoholischen Getränken, die dazu dienen, die hochprozentigen Getränke zu verdünnen. Denn der Abend soll lang und lustig werden.
Der Aschenbecher ist übergequollen. Ein Zeichen dafür, dass es nicht nur um Gesundheit geht. Der Autor macht sich angreifbar, ein Lob des Rauchens zu schreiben, aber die dicken Schwaden, die sämtliche Gäste produzieren, gehören dazu. Spätestens dann, wenn der Abend fortschreitet und die Themen Sphären erklimmen, die sie nur an solchen Abenden erklimmen können.
Wie sind die Themen dorthin gekommen? Es liegt auf der Hand oder vielmehr: Auf dem Boden. Leere Bierdosen befinden sich in Gesellschaft halb-leerer Weinflaschen, die Schnaps-Pinchen stehen in der gesamten Wohnung verteilt und zeugen davon, dass die Runde in Bewegung war: Auf dem Balkon, im Esszimmer, in der Küche und oben im Wohnzimmer auf der Empore. Dort steht auch die leere Flasche Jägermeister, die zu Beginn des Abends noch voll war. Am Ende des Abends waren nur die drei Tapferen voll, die sich auf das Abenteuer eingelassen haben, sich den rauschhaften Zuständen hinzugeben, die entstehen, wenn sich Intellekt und Alkohol verbinden. Geschickt vermischen sich Blödsinn, Tiefgang und die Sorglosigkeit, die angetrunkene Menschen auszeichnet und eröffnen neue Perspektiven auf das Leben.
Die Sphären, die es zu erklimmen galt, erfordern mehr als sorgloses drauflosplappern und spinnen. Der Alkohol macht den Kopf zwar leicht, entbindet aber nicht von der Verantwortung, das Erörterte zu durchdenken. Zwischen den Anwesenden werden Fragen der Liebe und des Lebens ebenso verhandelt wie die nach mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Und um solche Fragen angemessen zu besprechen, gilt es nachzudenken. Wie gut, dass man nicht sprechen kann, wenn man eine Zigarette dreht, weil alle Konzentration auf die Demonstration von Fingerfertigkeit im alkoholisierten und damit potentiell unkoordinierten Zustand gerichtet ist. Dann muss die Zigarette entzündet und ein tiefer Zug genommen werden. Zeit, um nachzudenken und anschließend heftig gestikulierend eine Erwiderung zu formulieren. Die Asche auf dem Boden zeugt davon. Sie ist ein Rest vom Fest.
Es geht nie um das blinde Trinken. Denn nur die Flasche Jägermeister ist leer. In den Weinflaschen sind Reste und auch in den Bierdosen schwappt die Neige herum. Ein Glas beherbergt einen fast unberührten Cuba Libre. Irgendwann war es Zeit, die Eindrücke zu packen und sie mit ins Bett zu nehmen. Sie schlafend und träumend zu verarbeiten. Um am nächsten Morgen aufzuwachen. Die Dosen einzusammeln und die Reste in den Ausguss zu gießen. Dabei kommt eine Erinnerung an den Abend zuvor hoch. Eine Erkenntnis, die mir von demjenigen vermittelt wurde, dessen halbes Bier ich gerade ausgieße. Das Bier ist schal geworden, die Erkenntnis nicht. Sie ist gereift. Sie ist ein Rest vom Fest.
Die Asche auf dem Boden will zusammengekehrt werden. Verteilt auf dem ganzen Boden, so wie die Gedanken des gestrigen Abends in meinem ganzen Kopf verteilt sind. Während ich mit dem Besen alles zusammenschiebe, ordnen sich meine Gedanken, verweilen bei wichtigen Dingen, die ich gelernt habe gestern Abend: Über mich, über andere. Die Asche wandert in den Müll. Sie geht. Das Gelernte bleibt. Es ist ein Rest vom Fest.
Ich räume die benutzten Gläser in die Spülmaschine. Wild durcheinander wurde getrunken, wild durcheinander kreisten meine Gedanken. Jetzt, nachträglich, findet die Trinkerei ihre Ordnung, wenn die Gläser in der Spülmaschine in Reih und Glied stehen. Auch meine Gedanken ordnen sich in Reih und Glied. Die Spülmaschine läuft und beseitigt die Reste vom Fest. In meinem Kopf wird nicht gereinigt. In meinem Kopf pocht die stille Zufriedenheit, etwas verstanden zu haben. Während der Geruch nach kaltem Rauch sich langsam lüftet, machen sich Glück und Zuneigung breit. Das ist der wahre Rest vom Fest.
Ich kann mich noch einigermaßen an meine feuchten Abende erinnern und die Leichtigkeit mit der man Logik in seine Gedanken hineinredet. Willkommen im Kreis der Restephilosophen lieber Charles Bukowski 🙂
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Für mich ist aber, wenn ich mich recht entsinne, im Unterschied zu Bukowski auch und gerade der Rest, der Morgen danach Philosophie. Der Exzess ist das Gegengewicht.
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Da ich rein gar nichts vertrage, war jede mittelschwere Party im späteren Verlauf mit einem Filmriss gesegnet, deshalb habe ich vor Jahrzehnten diese Art der philosophen Findung eingestellt 😉
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Aaaahhhh, klingt nach der unbeschwerten Zeit des Studentenlebens (zumindest bei mir).
Finde aber witzig das „Abtaun“ nur für Weicheier oder Billy Joel ist. 🙂
LG Torsten
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Abtaun-Girl?
Abtaun macht man erst, wenna nich mehr aufgeht…
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Mein Reden… 😉😊
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Wenn nix mehr reingeht. 😅
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Das Studentenleben ist bei mir aber auch schon wieder drei Jahre her. Da ging das jederzeit. Hach …
Und abgetaut wird, wenn der Alkohol auf dem Balkon kühlen kann. 😅
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Zwischen dem TK-Gemüse… 😂
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… Gemüse? … Wieso willst du das Bier tiefkühlen?
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Weil ich es kann… 😂😂
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Klingt nach einer tolle Feier. Und nach einer anderen Welt, weit in der Vergangenheit. So aus Familienvaterperspektive betrachtet… 😉
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So ist von jeder Warte aus das Leben des Anderen ein wenig Utopie. Aber deshalb lese ich auch gern umgekehrt, was in Familien so passiert. ☺
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Klingt nach einer ganz bestimmten Art von Feier. Einer schönen. 🙂
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Es war eine lehrreiche Feier. So, wie man sie nur im kleinen Kreis mit besonders sensitiven Menschen haben kann. Wir haben alle was daraus mitgenommen, denke ich.
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Es klingt danach. 🙂
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Zeilenende ist wieder in Höchstform!
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Danke. ☺ Findest du? Ich fand mich recht schwach und erst im Letzten Absatz gut.
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Huh, das ist jetzt heikel. Mein derzeitiger Geisteszustand lässt derartige Beurteilungen nämlich eigentlich gar nicht verlässlich zu. Es spricht aber massiv für Deinen Text, dass ich ihn bis zu Ende lesen konnte und hinterher wusste, was ich gelesen habe, obwohl er mehr als 10 Zeilen hat.
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Das Fest muss neben dem Genuss von Alkohol und Tabak auch enorm stimulierend fürs Schreiben gewesen sein. Ich finde, Du hast ausgesprochen interessante und tiefgreifende Gedanken in die Tastatur getippelt. So habe ich bisher am anderen Tag noch nie ein Fest Revue passieren lassen.
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Danke sehr. ☺ Das Aufräumen am Tag danach ist für mich meditativ, das gehört unentrinnbar dazu.
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Das muss ja ein tolles Fest gewesen sein. Da werden wir ganz neidisch. Dein letzter Absatz ist übrigens der beste😊
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Danke. Ich mag ihn auch am liebsten. Da war ich endlich warm. Und solche Feste braucht jeder im Leben. ☺
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Ist dies wohl ein Beitrag über eine Geburtstagsparty? (Sprich: Darf/Sollte man nachträglich gratulieren?) 😉
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Nope. Keine Sorge. Nix verpasst. 😅
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Mist, hat mich mein Gefühl getrogen! 😀
(Ist das wohl das richtige Partizip? Klingt komisch, aber gleichzeitig richtig. Hmm.)
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Ohja. Es ist richtig und schön altmodisch. ☺
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Puh, hat mich mein Germanistenhirn wenigstens hier nicht getrogen. 😉
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Du bist halt besser dran als ich. Ich würde heute wohl noch nicht einmal mehr Argumente quantorenlogisch formalisieren und nachweisen können, wenn ich das wollte.
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Doch, das könntest du bestimmt. Du müsstest dich nur erst wieder ein bisschen einlesen. Ich glaube ja, dass man Fähigkeiten, die man einmal erworben hat, immer wieder reaktivieren kann. 🙂
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Ah … Ich bin da weniger optimistisch, aber danke. ☺
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Hab ein bisschen Vertrauen in deine grauen Zellen, bitte! Immerhin wurden sie durch ein geisteswissenschaftliches Studium geformt. Wenn das kein Qualitätskriterium ist! 🙂
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Sie werden von regelmäßigem Drogenkonsum (s. o.) nur deformiert. 😉
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Wie bitte? Ich bin schockiert! 😀
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Das ist die traurige Realität. Das Zeug wirkt halt auch schlecht. Als die Tabakindustrie noch anderes behaupten durfte, war die Welt besser. ☺
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Haha, na wenn du das sagst! Ich konnte ja mit Drogen zum Rauchen noch nie etwas anfangen, daher kann ich da nicht mitreden. 😀
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Da habt ihr ja ordentlich zugelangt 🙂
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So wie immer halt. Man wird nicht jünger, das Leben also immer schlimmer. 😅
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Geht so… 😉
Alkohol konserviert auch sehr gut 😉
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Spätestens wenn die Jägermeisterflasche geöffnet worden wäre, hätte ich bereits in der Badewanne geschlafen. Ich bin ein ganz mieser Festebesucher.
Ps: Aufräumen hört sich bei dir sowohl poetisch als auch unglaublich einfach an.
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Es hilft mir, nüchtern zu werden. Das ist der ganze Trick. ☺
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