Ich habe mir für das Jahr 2016 vorgenommen. Bücher zu lesen. Und sechs Bücher habe ich ausgewählt, die es in jedem Fall werden sollen. Eines davon ist der Robinson. Und da wir noch das Wetter für regelmäßige Badewannenbesuche hatten, habe ich mit ihm begonnen.

Vorab muss ich erklären, dass es sich bei diesem Buch um eine uralte Ausgabe handelt, die meine Mutter in ihrer frühen Jugend gelesen hat. Es handelt sich dabei, wie bei den meisten Ausgaben des Robinson Crusoe, nicht um eine Gesamtausgabe, sondern um eine Übersetzung vornehmlich des ersten Bandes und einiger Passagen aus dem zweiten Band. Die Geschichten um Robinson Crusoe umfassen im Original drei Bände. Wie ich dem Anhang entnehmen konnte, sind die Bände 2 bis 3 vornehmlich Gesellschaftskritik, der erste Band die im kollektiven Bewusstsein verankerte Geschichte. Wie der Übersetzer anmerkt, hat er den Text vor allen Dingen „entstaubt“. So entstehen performative Widersprüche, wenn eine entstaubte Fassung selbst Staub ansetzt.

bücherchallenge

Inhalt lt. amazon.de

Achtundzwanzig Jahre voller Abenteuer und Gefahren verbringt Robinson auf einer unbewohnten Insel, auf die er als einziger Überlebender eines Schiffbruchs verschlagen wird. Mit einfachsten Mitteln muss sich der junge Seefahrer ein neues Leben fernab von aller Zivilisation aufbauen.

 

Bericht, Einsamkeit und Monotonie

Der Robinson ist keine Abenteuergeschichte. Zumindest nicht im engeren Sinne. Der Auftakt ist es natürlich schon, da gerät Robinson in Seenot und Sklaverei, flüchtet, lässt sich in Südamerika nieder. Ihm geschieht vieles und er unternimmt viel. Robinson ist der klassische Hansdampf in allen Gassen, ein unsteter Geist, der nie an einem Ort bleiben kann.

Für ihn muss es die größte Katastrophe gewesen sein, auf einer einsamen Insel zu stranden. Er spricht es nie an, aber sein Erzählen macht es deutlich. Robinson ist einsam, also macht er beständig Pläne. Robinson ist einsam, also legt er wie in einem Haushaltsbuch stellenweise minutiös Rechenschaft über das ab, was er tut. Robinson füllt das Inselleben mit Beschäftigung. Und schon nach kurzer Zeit leidet seine Leserschaft mit ihm, denn seine Tagebucheinträge sind gähnend langweilig. Robinson schildert und schildert und schildert, aber er erzählt nichts. Auf dieser Insel gibt es keine Geschichten. Es gibt nur ihn und das was er tut. Also schildert er, was er tut.

Robinson verbringt 28 Jahre auf seiner Insel. Und er gewöhnt sich langsam ein. Sein Trick ist einfach: Er entwickelt Routinen, die ihm das Gefühl von Zivilisation geben und er tut seine Arbeit möglichst umständlich, damit er keine Gelegenheit bekommt, Langeweile zu verspüren. Benötigt er Bretter, fällt er einen Baum und schlägt mit seinen Beilen genau ein langes Brett aus diesem Baum. Anschaulicher kann man Robinsons Überlebensstrategie nicht machen.

Er passt sich an sein neues Leben auf der Insel so gut an, dass die Ankunft anderer Menschen ihn verstört. Die Wilden (ich spare mir die Anführungszeichen, bitte sie in Gedanken zu lesen), die er auf seiner Insel entdeckt, jagen ihm große Angst ein. Und auch wenn Robinson auf Rettung aus der „Zivilisation“ euphorisch reagiert, musste er dafür wahrscheinlich erst den Wilden begegnen. Vordergründig behauptet er, die Wilden machten ihm Angst, weil sie Kannibalen seien. Wahrscheinlicher ist, dass er nach so langen Jahren der Einsamkeit Angst vor allem Fremden und Neuen entwickelt hat. Er kann lediglich gerettet werden, weil seine Retter wie er „zivilisiert“ sind.

 

Kritik und Erfüllung

Überhaupt, die Wilden. Jedes Buch, das ein gewisses Alter überschritten hat, bekommt Probleme mit der Political Correctness. Robinson versteht sich ganz selbstverständlich als Herr. Er bewundert im Laufe des Buches zwar einige der Wilden-Völker für ihren Edelmut, ihre Stärke und Anmut, die Europäer sind aber immer die edleren – und mit Sklaverei hat Robinson keine Probleme, die ist ganz selbstverständlich Teil seiner Vorstellungswelt. Davon abgesehen, dass es nur ganz am Rand eine Rolle in dem Buch spielt (von der allgegenwärtigen Menschenfresserangst abgesehen), ist es vergeblich, sich darüber aufzuregen, denn es ist ein Zeitdokument und damit schlicht authentisch.

Und erst diese Differenz, die Robinson zwischen sich und den Wilden zieht, seine Weigerung, sich ihnen anzuschließen, gibt ihm auch die Möglichkeit, sein Schicksal am Ende anzunehmen. Robinson ist zunächst allein, dann stößt Freitag hinzu und nach und nach bevölkert sich seine Insel. Robinson hält an seinen Arbeitsmethoden fest, die ihm dabei helfen, die Monotonie des Insellebens zu ertragen, aber er begreift sich irgendwann in einer anderen Rolle, als König der Insel. Er ist der einsame Mensch, der der Einsamkeit trotzt und der Insel Lebensraum und Kultur abringt, egal auf welch primitive Art und Weise. War anfangs die reine Beschäftigung für sein Überleben verantwortlich, lernt Robinson im Laufe der Geschichte, das Überleben in Leben zu überführen.

 

Robinson lehrt damit, was Menschsein ausmacht: Aus sich selbst heraus etwas zu erschaffen und sich seiner Umwelt zu bemächtigen. Rituale einzuführen und damit Gemeinschaft zu pflegen. Bezeichnend für Letzteres ist die Funktion der Bibel bei Robinson Crusoe. Der Einsame hat eine Bibel, in der er täglich liest, weil sie sein einziges Buch ist. Robinson ist nicht gläubig, er wird es auch im gesamten Buch nicht. Seine Religiosität beschränkt sich auf kurze Stoß- und Dank-Gebete wie auf die Lektüre. Dennoch lehrt er Freitag den christlichen Glauben, um eine gemeinsame Basis zu haben, um aus ihrer Insel- eine Schicksalsgemeinschaft zu haben. Es mag wie Ironie klingen, als Robinson erwägt, als Missionar unter die Wilden zu gehen. Aber an diesem Punkt ist er einzig wieder so weit Mensch geworden, dass er ein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Halt verspürt, den ihm in der Wildnis nur eine gemeinsame Idee liefern kann – in Ermangelung von Pubs, einem Steuersystem oder Autobahnen.

 

Fazit

Nur weil Robinson Crusoe ein Klassiker der Literaturgeschichte ist, muss man ihn nicht unbedingt lesen. Er hat seine anstrengenden Passagen, wenn er seitenlang Inventar auflistet, um es mit der Monotonie auf seiner Insel zu übertreiben. Für einen Abenteuerroman passiert in diesem Buch entschieden zu wenig, sodass man sich nicht auf spannende Lektüre freuen sollte. Robinson Crusoe ist einfach der Prototyp der Robinsonade. Was passiert mit einem Menschen, der dauerhaft der Einsamkeit ausgesetzt wird? Es ist damit ein literarischer Versuch über das Wesen des Menschen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

31 Kommentare zu „Die einsame Insel und Gott – Besprechung: Daniel Defoe – Robinson Crusoe

  1. Ich habe damals die abgespeckte Jugendvariante gelesen und fand sie damals schon seltsam. Aber eher weil ich mit Abenteuergeschichten nie was anfangen konnte. Klingt gruselig, die Weltanschauung.

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    1. Für eine Abenteuergeschichte ist er auch zu langweilig. Ansonsten ist er gar nicht so unspannend. Gruselig trifft es m. E. nicht. Man muss die Themen in ihrer Zeit lesen. An manchen Stellen hatte ich den Verdacht, dass das auch gut ziemlich böse Religionskritik sein könnte.

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    1. Den Marsianer will ich auch noch lesen. Im Robinson fand ich es aber teilweise anstrengend, weil es recht phantasielos ist. Obwohl ich mich für Seefahrt sonst sehr begeistern kann. Aber das Thema ist ja das eigentlich spannende.

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  2. PC hat in meinen Augen nichts im Crusoe zu suchen. Der ist ein Produkt seiner Zeit und als solches zu verstehen und zu lesen. Und selbstverständlich auch kritisch zu hinterfragen, aber den Teil blickt irgendwie kein PC-Apologet. weil für die meist die bloße Existenz eines nicht-PC-Textes ausreicht, um zu Fackeln und Mistgabeln zu greifen.
    Aber gut, ich schreibe mich nur wieder in Rage… ^^‘
    Jedenfalls finde ich dein Vorhaben gut und bin gespannt, was noch alles kommt! 🙂

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    1. Die PC ist schon wichtig, genau deshalb. Wer die Sprache im Crusoe nicht thematisiert, überliest nämlich sonst, gerade in modernen Übersetzungen, ganz schnell, dass es ein Zeitdokument ist und bestimmte Vorstellungen einen ganz anderen Stellenwert hatten.
      Und da gilt es zu unterscheiden. Beim Robinson sind die Wilde Wilde. Das spielt für die Geschichte eine Rolle. In anderen Veröffentlichungen macht eine Übersetzung entlang des heutigen Sprachgebrauches hingegen Sinn.

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      1. Jein. Das fällt für mich unter kritischen Textumgang. PC sorgt dafür, dass solche Worte oder Passagen, an denen man sich beim Lesen den Fuß stoßen kann, gar nicht erst auftauchen, sondern brav wie bei Pipi Langstrumpf oder der kleinen Hexe von vornherein gestrichen und geändert werden. Das ist PC. 😉
        Und, sorry, aber wenn ausgerechnet aus Twains Huck Finn&Tom Sawyer das N-Wort gestrichen wird, dann ist das in meinen Augen nur eines: Verfälschung, aus Angst, sich der Realität zu stellen. Und die lautet nun einmal: Nicht immer war alles genderplüschrosa. 😉
        Sorry, aber das ist für mich echt ein Reizthema, dazu sollte ich besser nichts mehr verfassen. Sehen wir einfach unterschiedlich. 🙂

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        1. Weil es in der kleinen Hexe nicht storyentscheidend ist, welches Wort da steht (im Unterschied zu Twain, wie ich finde). Ebenso wie bei Pippi Langstrumpf, zumal das auch noch eine Übersetzung ist. In der Debatte wird von angeblichen PClern genau so viel Unfug gemacht wie von Sprachkonservativen. Beide reflektieren nicht gern, dass Sprache mehr ist als nur Lautäußerungen. Darum geht es aber im Kern.

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          1. Ich geb zu, ich bin Purist. Was der Autor schreibt, das gilt (ok, bei Übersetzungen lass ich mich noch eher überzeugen 😉 ). Wenn hinterher jemand entscheidet, welche Worte, Absätze oder gar Kapitel bedeutungstragend sind und welche nicht, dann finde ich das nicht in Ordnung. Selbstverständlich macht es für die Handlung der Hexe keinen Unterschied. Muss es das aber, damit das erhalten bleibt? Ich finde, im Gegenteil, durch die Anwesenheit lässt sich auch besprechen und erklären, was ein Wort bedeutet, und warum man es nicht mehr benutzt. Diese Option, der Austausch, der fehlt eben durch die Modifikation.

            Sicher ist Sprache mehr. Aber eines ist Sprache definitiv nicht: Ursache von Übeln. Bloß, weil es keine Mohrenköpfe mehr gibt (PC 😉 ), gibt es nicht automatisch keine Rassisten mehr.

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  3. Auch ich habe eine uralte Ausgabe dieses Klassikers gelesen und es als Kind geliebt. Durch die damaligen politischen Verhältnisse und Einstufungen von Menschen bekommt man gratis einen Einblick in die damalige Zeit. Die langsame freundschaftliche Entwicklung zwischen Robinson und Freitag hat mich schon als Kind fasziniert. Für mich war es ein Abenteuer der Robinson Geschichte zu folgen. So entstand auch zu einem Teil die erste Szene in meinem ersten Buch, als Hommage an die Einsamkeit des Menschen 😉

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  4. Den Robinson habe ich ja selber auch mal gelesen. In einem früheren Jahrtausend. Genau so, wie das Buch aus einer anderen Zeit stammt, gehört für mich das Leseerlebnis einer anderen Zeit an. Mit großer Wahrscheinlichkeit war’s eine gekürzte Jugendausgabe. Offen gesagt habe ich es weder in besonders guter noch besonders schlechter Erinnerung. Soweit ich mich erinnere, fand ich’s jedenfalls nicht langweilig – aber es ist definitiv auch kein Lieblingsbuch geworden.
    Robinsons Haltung gegenüber der Sklaverei habe ich als Kind wahrscheinlich schlicht ignoriert. Wahrscheinlich, weil das Thema doch eher nur am Rande vorkommt. Und die Ausdrucksweise älterer Bücher war halt manchmal etwas seltsam. Auch bei Wilhelm Busch oder im Struwwelpeter (nur so als Beispiele) war von Mohren die Rede – ohne dass man das ins eigene Vokabular übernommen hätte.
    Jedenfalls sehr anregend, aus einer ganz anderen Perspektive über dieses Buch zu lesen.

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    1. Ist eine Frage, auf welcher Ebene man den Text liest. Vordergründig spielt die Sklaverei keine Rolle, hintergründig ist sie für die Story nicht unbedeutend. Das macht den Text wahrscheinlich so spannend: Er ist auf vielen Ebenen mit unterschiedlichen Foki anschlussfähig. Man sollte vielleicht häufiger „Kinderbücher“ lesen.

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      1. Tja, so weit in den Hintergrund habe ich damals wohl nicht gelesen. 🙂 Beim Thema Sklaverei erinnere ich mich vor allem an Onkel Toms Hütte, das ich ungefähr im gleichen Zeitraum gelesen habe. Es wäre wohl generell aufschlussreich, Bücher der Kindheit wiederzulesen. Speziell, wenn es sich um ‚Jugendbearbeitungen‘ gehandelt hat. Ungekürzt und mit dem altersbedingt veränderten Blickwinkel – da könnten einige Überraschungen auftauchen.

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  5. Ich habe das Hörbuch beim Sport vor vier oder fünf Jahren als Ablenkung benutzt, doch selbst so wurde es irgendwann langweilig. Du hast den Finger genau in die Wunde des Buches gelegt: Ellenlange Aufzählungen von für den Leser weitgehend uninteressanten Gegenständen. Das zieht sich.

    Spannend fand ich die Episoden über die Versklavung und Flucht, auch das Urbarmachen der Insel war sehr anschaulich und fesselnd, danach hängen Story und Erzählstil mangels Handlung einfach durch. Schade irgendwie…

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  6. Dein Fazit trifft mein Empfinden recht gut.
    Kein schlechtes Buch, aber keines das mich richtig gefesselt hat.
    Der Gedanke plötzlicher und vollständiger Einsamkeit dagegen sehr. Es hat also nicht geschadet, es als Teenager gelesen zu haben.

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  7. Ich habe das Buch wirklich nicht lange durchgehalten… dieses Hin und Her am Anfang hat mich schon wahnsinnig gemacht und dann war mir irgendwann klar, dass keine großen Abenteuer mehr kommen, sondern nur noch viel erklärt wird… ich habs aufgegeben!

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  8. Ich habe „Robinson“ natürlich auch gelesen. Ich fand’s insgesamt nicht uninteressant, aber es gab schon Bücher, die mich mehr gefesselt haben. Auf jeden Fall macht das Buch die Langeweile deutlich, die man sicher so ganz allein auf einer Insel verspüren muss. Es zeigt aber auch, was man alles kann, wenn man denn muss. Mit Deiner Rezension triffst Du durchaus den Kern des Buches – gefällt mir. Da gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen.

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  9. „Nur weil Robinson Crusoe ein Klassiker der Literaturgeschichte ist, muss man ihn nicht unbedingt lesen.“
    —Gut zu lesen. Bei mir liegt das Buch nämlich schon länger auf dem SUB und wartet und wartet … aber nachdem sich „Moby Dick“ auch sehr zäh lesen las, bin ich mit Klassikern vorsichtiger geworden. Andererseits: „20.000 Meilen unter dem Meer“ enthält in der Originalfassung auch seitenweise Aufzählungen von Spezies, aber wenn man über diese Passagen schnell hinwegliest, ist es doch ein spannender Abenteuerroman.

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