Ich hatte mir für heute morgen vorgenommen, übers Brotbacken zu schreiben. Paris ist dazwischen gekommen.

Die meisten meiner Blogbeiträge, das habe ich gelegentlich anklingen lassen, schreibe ich „auf Halde“. Wenn ich im Flow bin, mit einer Besprechung anfange, kommen mir oft Ideen für weitere Themen und wenn ich schon einmal warm geschrieben bin, nutze ich das aus. Das hat den Vorteil, dass ich zu grundsätzlichen Themen, die mich beschäfigen, Roh-Entwürfe habe, dass ich über Tage an Argumenten feilen kann. Das hat den weiteren Vorteil, dass ich manchmal einen Einfall habe und darüber nachdenken kann, wie man ihn humorvoll verpacken kann. Ich probiere dann ein paar Tage lang aus.
Sonntags ist das anders. Zumindest wenn ich nicht arbeite. Dann gebe ich einen kleinen Einblick in meine persönlichen Befindlichkeiten und schreibe zu dem, was mir spontan zu einem Thema einfällt. Und heute fliegt mir zum Thema Brot nichts zu. Stattdessen klingelt überall in  meinem Kopf Samuel Huntington und sein Kampf der Kulturen.
Ich bin nicht nur tendentiell nicht aktuell. Ich versuche auch meist, nicht allein Meinungen zu posten, sondern Beiträge zu schreiben, die zum Nachdenken anzuregen. Nehmen wir meinen Beitrag zur Sterbehilfe, der hoffentlich einen kritischen Unterton hat. Und das, obwohl ich eher pro Sterbehilfe denn contra Sterbehilfe bin. Und heute Paris.
Ich bin ein friedliebender Mensch mit einem Hang zum Pazifismus und ausgeprägter Multikulti-Attitüde. Jetzt finden sich im Netz erste Kommentare, die einen Kampf der Kulturen wittern. Und ich habe Angst. Ich habe Angst, dass diese Denkfigur zurückkommt. Dass die arabische Kultur dem Westen den Krieg erklärt hat und wir uns robust zur Wehr setzen müssen. Unsere Kultur verteidigen. Aber wie verteidigt man eine Kultur? Ich verstehe das Konzept nicht.
Andererseits: Ich merke, dass ich keine Argumente habe, dass ich spontan solchen kulturkämpferischen Thesen zustimme. Ich habe nur mein Unbehagen, dass Kultur lebendig und im ständigen Wandel ist. Kultur ist kein Monolith, der sich verteidigen lässt. Mit jedem Menschen, der in unser Land kommt, verändert sich unsere Kultur. Ob positiv oder negativ, wer weiß das schon? Bereichern sie uns, bringen sie nicht wünschenswerte Ideen mit? Wenn wir es nicht ausprobieren, finden wir es nicht raus. Wenn wir sie systematisch ausgrenzen, verknöchert unsere Kultur. Indem wir sie monolithisch machen, nehmen wir ihr die Lebendigkeit. Wird Kultur festgeschrieben, darf niemand sie mehr ändern, auch kein besorgter Bürger, der irgendwann ein Unbehagen spürt. Kultur wird zur Repression, wir werden zu Geiseln unserer selbst.
Attentäter sind eine Bedrohung für unsere Kultur. Aber sie attackieren nicht unsere Kultur, sie attackieren unsere Haltung zur Kultur. Die offene Gesellschaft, um mit Popper zu sprechen, wird nicht durch andere Vorstellungen von Kultur bedroht. Die Leistung der offenen Gesellschaft ist es, viele verschiedene Kulturverständnisse integrieren zu können. Die Bedrohung der offenen Gesellschaft ist die geschlossene Gesellschaft, ein System von Regeln, das verbindlich festgelegt und unveränderlich ist. Die Bedrohung der offenen Gesellschaft ist Totalitarismus, ist der Modus konservativer Kulturkritik. Ist das Hinterherweinen einer vermeintlich guten alten Zeit und der Versuch, das Rad zurückzudrehen.
Die Attentäter in Paris und überall auf der Welt führen keinen Kampf gegen unsere Kultur. Diesen Kampf führen wir selbst, sobald wir anfangen, den starren Denkmuster der Ideologie das Wort zu reden. Nein, die islamische Welt hat uns nicht den Krieg erklärt. Schlimmer noch: In all dem Schmerz über die Verluste, in all der Abscheu den Attentätern gegenüber. Wichtiger als einen Kampf der Kulturen zu erklären, ist es zu verstehen, wie es zu den Attentaten kommen konnte. Nicht auf der Ausführungsebene, im Rahmen einer Analyse von Geheimdienstversagen, etc. Es geht um die Motivationsebene, was hat die Täter getrieben? Dann gilt es, daraus zu lernen, ohne die Kultur der Täter zum eigentlichen Täter zu erklären. Kultur, zumal die des Totalitarismus, mag Menschen deformieren, aber Kulturen führen keine Kriege und Kulturen töten keine Menschen. Menschen töten Menschen.

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Nach diesem Wort zum Sonntag doch noch fröhlicheres. Letzte Woche konnte ich krankheitsbedingt nicht backen. Die Pause hat gut getan. Rechterhand ein Weizenmischbrot mit Bier, das wunderschön geworden ist. Linkerhand ein Roggenmischbrot mit diversen Saaten und Apfelmus. Langsam wird meine Brotform wieder besser, gell? 🙂

6 Kommentare zu „Kein Kampf der Kulturen

  1. ja, wird sie, die Brotform. Dabei bin ich Fan von deinen Broten.

    Gestern beschlssen der junge Syrer, der vor einigen Tagen das freie Zimmer meiner Wohnung besichtigte und ich, dass wir ab Dezember eine WG bilden werden. Ich freue mich auf den neuen kulturellen Austausch und erlebe das schon jetzt mit allen noch unbekannten Herausforderungen als Bereicherung.

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        1. Ja, ich habe jahrelang in einer WG gewohnt und kenne andere WGs durch regelmäßige Besuche. Es ist zwar manchmal anstrengend und ich habe die ein oder andere schlechte Erfahrung gemacht, habe es aber sehr genossen, möchte die Erfahrung nicht missen und liebäugel mittlerweile damit, es nochmal zu tun.

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          1. das klingt gut 🙂
            Ichhabe bisher ausschlißlich mit Familie, Partner oder als Single gelebt. Hausgemeinschaft kenne ich auch und jetzt eben eine WG mit einem jungen Mann, der hier in Deutschland ankommen möchte.

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