Wolfgang Jeschke ist der Held meiner Kindheit. Und das ohne dass er oder ich es gewusst hätten. Klingt verrückt? Ist aber ganz simpel: Dass ich ein Nerd-Kind war, habe ich ja im letzten Beitrag dargelegt, vielleicht sollte ich an dieser Stelle ergänzen, dass das gar nicht so schlimm war, weil ich immer ein paar Leute hatte, die meine Obsession mit mir geteilt haben. Jedenfalls gehörte es zu meiner Kindheit, dass ich – wie heute auch – ständig Bücher benötigt habe. Die Buchhandlung in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, hatte nicht allzu viel Auswahl, es gab aber immer einige Bände der Reihe „Heyne Science Fiction“. Das waren noch goldene Jahre, als Heyne ein riesiges SciFi-Programm anbot. Ich schwelge gleich in Erinnerungen, denke ich, aber die Star-Trek-Romane sind bei den netten Leuten von Cross Cult auch in guten Händen.
Zurück zu Wolfgang Jeschke: Wolfgang Jeschke war deshalb mein Held, weil ich natürlich diese wenigen Bücher allesamt erworben habe. Der war zuständiger Redakteur bei Heyne für das gesamte Science-Fiction-Programm und hat deshalb maßgeblich zu meiner Entwicklung als verschrobener Mensch beigetragen. Dafür noch einmal ein großes Dankeschön. 🙂
Das hier vorliegende Büchlein ist nun schon ziemlich alt, erschienen ist es 1980. Das macht das Büchlein älter als mich. Wenn man so drüber nachdenkt, ist das schon ein verrücktes Gefühl. Aber das Erstaunliche ist, dass die Geschichten, die darin versammelt sind, nicht abgelaufen sind. Science Fiction wird oftmals als Zukunftsvision wahrgenommen, die aus ihrer Zeit verstanden werden kann. Das stimmt teilweise, bestimmte Motive der Science Fiction sind von der herrschenden Stimmung sicherlich beeinflusst. Aber sie haben in den meisten Fällen einen utopischen (oder dystopischen) Kern, der jenseits von Zeitgeist und auch technischer Spielerei liegt. Darum geht es in den meisten Fällen nur zweiter Linie. In erster Linie kann man in solchen Romanen etwas über die Menschheit erfahren. Ich würde die Wette eingehen, dass man Star Trek auch nach der Entwicklung von überlichtschneller Raumfahrt, Transportern, Replikatoren und einem interstellaren Bund gleichberechtigter und freier Welten noch mit mehr als historischem Interesse schauen könnte.
Außerdem hat es seinen Reiz, sich die älteren Sachen anzuschauen, weil die Science Fiction meiner Beobachtung nach in den letzten Jahren ganz stark in Richtung Space Opera gedriftet ist, zumindest das, was man in Deutschland so in der Buchhandlung findet. Das verdanken wir – vermute ich – dem großen Erfolg von solchen Fantasy-Werken wie der Zwerge-Trilogie (die zumindest als Hörbuch ganz nett ist), weil das von der Machart her ähnlich ist. Space Opera ist jetzt nichts Schlechtes, aber manchmal ein wenig substanzlos. Und dagegen hilft ein Band mit Kurzgeschichten, der bietet zwangsläufig ein breiteres Panorama. Und wer den Science Fiction Story Reader 13 in die Finger nimmt, wird staunen. Denn hier wird ein Begriff von Science Fiction gepflegt, den ich gerne als Phantastik benenne.
Im Folgenden möchte ich kurz meine Lieblinge aus dieser Anthologie vorstellen, vielleicht motivieren die ja doch jemanden dazu, antiquarisch zuzuschlagen:
David Chippers zeigt in seiner Geschichte „Hilfe für eine Dritte Welt“ die Menschheit aus der Perspektive von Außerirdischen. Die suchen nach Spezies, die Potential zur Weiterentwicklung haben und deshalb unterstützt werden müssen. Wichtiges Kriterium hierbei ist: Die Wesen müssen Humor besitzen. Dummerweise erwischen die Alien-Beobachter einen Kanal, in dem Dick und Doof laufen, Schadenfreude ist den Außerirdischen als Konzept aber unbekannt. Die Menschheit ist wirklich grausam.
Irmtraud Kremps „Der Tag der goldenen Reifen“ ist eine bemerkenswerte Geschichte und das nicht bloß, weil man so selten Science Fiction von Frauen liest – das ist bloß ein Zeichen für gewisse patriarchale Strukturen. Sie ist bloß 20 Seiten lang, aber sie hat mich gefesselt, weil sie in ihrer Komplexität doch so kurz ist. Es ist eine Zukunftsvision, in der es um Kasten von Gebärfähigen und Sterilisierten, Geburtenkontrolle und die scheinbaren Freuden der Sterilität geht. Letztere werden dabei aber dadurch gebrochen, dass diese sich auf gesellschaftlichem Ansehen begründen – und sterile Paare sich Roboter halten, die als Kindersatz dienen, die in einer Neuentwicklung sogar Entwicklungsprozesse durchmachen. Und dann ist da noch die Sache mit dem einen Roboterkind, das sich komisch verhält.
Joan D. Vinge erzählt die Geschichte des Tin Soldier. Science Fiction kann auch romantisch sein. Es geht um Sehnsüchte, Vorurteile, die gehässige Verteidigung von alten Standes- und Geschlechterprivilegien, die Einsamkeit der Ewigkeit, wenn man zwar das Leben gerettet bekommt und plötzlich eine immens längere Überlebenserwartung hat, andererseits aber als Kyborg irgendwie immer am Rand lebt. Bis des standhaften kleinen Zinnsoldatens Ballerina plötzlich verbrennt. Melancholisch, traurig, schön. Und am Ende doch mit Happy End. So buchstabiert man eine Liebesgeschichte in Zeiten der Raumfahrt aus.
C. J. Cherryh sei zum Schluss noch als Autor(in?) genannt, die das Grusel-Metier bedient, das unheimliche und twilight-zone-mäßige. Eine junge Frau wird für verrückt, aber einigermaßen harmlos gehalten. Immer wenn sie ihre Medikamente ignoriert, sieht sie die Stadt in Flammen aufgehen, die Menschen um sie herum, mit denen sie interagiert, nimmt sie als Geister wahr. Natürlich nimmt niemand sie ernst, wie sie in ständiger Angst lebt, bis sie endlich einen Fremden trifft, der gerade erst neu in die Stadt gekommen ist und der sich an ihrer Verrücktheit nicht stört, weil im Krieg ja alle ein wenig verrückt sind. Er macht sich nichts daraus, was die anderen sagen und sie verschweigt ihm, dass sie ihn als einzigen Menschen nicht als Geist wahrnimmt.