Wir gehören jetzt nicht mehr zur Mitteleuropäischen Sommerzeit, sondern zur Mitteleuropäischen Zeit. Ein phantastisches Spektakel, wenn nachts die Uhrzeiger plötzlich rückwärts laufen und ganz Europa sich – noch – einig ist.
Schlagwort: Eurovision Song Contest
Hallo und herzlich Willkommen zu Teil 2 der Besprechung des diesjährigen Eurovision Song Contest. Ich habe die Nase voll von österreichischen Verwaltungsreformen und ebensolcher Steuerpolitik im Bereich Lombardo-Venetiens zu Zeiten des Neoabsolutismus. Bei aller Liebe, liebe Österreicher, aber eure Historiker sind noch dröger als die deutschen Vertreter dieser Zunft. Aber die Überleitung ist doch großartig. Mit Italien und Slowenien haben wir nämlich zwei Länder, die zumindest teilweise dem Vielvölkerreich der Habsburger angehört haben, auf der CD. Und ein Donaumonarchie Song Contest im 19. Jahrhundert, mit den grade erwachenden Nationalbewusstseinen ist eine amüsante historische Fiktion. Wenn ihr den Sängerwettstreit zum Staatsprogramm gemacht hättet, wäret ihr bestimmt nicht auseinandergebrochen.
Genug des verzweifelten Versuchs, auf meine verquere Art und Weise für einen Anfangslacher zu sorgen. Ihr seid wahrscheinlich hier gelandet, um etwas über die Musik zu lesen und ich brauche dringend die Entspannung, die sich beim Hören einstellt. Schließlich muss der Eindruck der Mittelmäßigkeit von CD 1 wettgemacht werden.
1. Ryan Dolan – Only Love Survives (Ireland)
Künstliche Trommelbeats und eine elektronisch effektverstärkte Stimme schickt die ehemalige ESC-Großmacht Irland, Heimat von Johnny Logan (Ryan Dolan klingt verdächtig ähnlich), ins Rennen. Klassischer ESC-Sound. Ich nenne das manchmal Eurodancepop, weil ich mir nicht ganz sicher bin, wie man es korrekt kategorisiert. Davon abgesehen glaube ich nicht, dass man das kann. Gilt auch für Bücher (dazu in Zukunft vielleicht mehr). Ihr merkt an meinen abschweifenden Gedanken wahrscheinlich, dass die Nummer nicht so doll ist. Sie erinnert mich an irgendeinen Song, den ich in meiner Jugend im Radio gehört habe, als ich in meinem Zimmer die alte Tapete abgekratzt habe. Mehr kann man darüber wirklich nicht sagen.
2. Moran Mazor – Rak Bishvilo (Israel)
Israelische Beiträge sind manchmal dafür gut, dass sie ins Ohr gehen. Dana Internationals Diva war sogar ein Siegersong, ihr Ding Dong hingegen war wegen rasanten stimmlichen Verfalls nicht zum Aushalten. Dann gab es 2012 den grandiosen Song „Time“ von Izabo. In diesem Jahr versuchen sie es mit einer Ballade. Im Gegensatz zu den Balladen auf der ersten CD haben wir es hier mit einem Fall von „alles richtig gemacht“ zu tun. Opulenter musikalischer Teppich, indem man orchestrale Elemente einspielt, eine Sängerin hat, die über Stimmvermögen verfügt und es das gesamte Lied über unter Beweis stellt und sehr eindringlich und gefühlvoll singt – und das, obwohl die vielen „ch“s (wie in Bach) des Hebräischen potentiell dafür geeignet sind, ein akustischer Stolperstein für jemanden zu sein, der sonst an die rheinische Sprachmelodey gewöhnt ist. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir endlich eine Kandidatin für den Eurovision Ballad Award gefunden.
3. Eyþór Ingi Gunnlaugsson – Ég á Lif (Iceland)
Island ist die Nation, die zu meiner Freude jahrelang die Flagge des Eurodance in der Machart von DJ Bobo hochgehalten hat. Im letzten Jahr sind sie bereits mit einem Stück angetreten, das hingegen als Ballade angelegt war. Und hatte ich bei CD 1 noch gejammert, dass es zu wenig Männer gibt, die klassische ESC-Balladen schmettern, bekomme ich hier gleich eine geliefert. Noch dazu: Wie die Israelis erneut in der Landessprache. Erneut eine schöne Stimme, im Gegensatz zu den Israelis sparsam instrumentiert, zumindest bis zum großen Finale. Da sieht man mal, wie groß die Bandbreite auch im Bereich der Balladen ist, wie abwechslungsreich man das gestalten kann. Der isländische Interpret (nochmal tippe ich das nicht!) hat eine Stimme zum Dahinschmelzen und nach Track 3 bin ich trotz des schwachen Openers ganz hin und weg von dieser CD.
4. Marco Mengoni – L’Essenziale
Die Italiener sind jetzt das dritte Jahr wieder mit im Boot. Zwischen 1998 und 2010 haben sie pausiert, sind dann aber mit Furore zurückgekehrt. Sowohl Raphael Gualazzi als auch Nina Zilli haben nicht bloß gute Platzierungen geholt, sondern auch großartige Lieder zum ESC beigesteuert. Kein Wunder, das beide noch in meiner Playlist sind. Der Erwartungsdruck für Marco Mengoni ist hoch – kommt doch erschwerend hinzu, dass gerade zwei gute Stücke liefen. Da kann ich leider nicht für Fairness garantieren.
Er beginnt mit Gitarre, Klavier und Gesang. Wir freuen uns also auf Ballade Nr. 3 direkt hintereinander. Die hier ist weniger klassich, sondern wurde vom Sound her vorsichtig modernisiert und ein wenig poppiger gemacht. Was an und für sich eine gute Idee zu sein scheint, führt leider ab Minute 2 dazu, dass das Ding im Ohr nur so vor sich hinplätschert und trotz des Italienischen ihr Besonderes vermissen lässt. Das Ding könnte auch der Soundtrack zu einem Liebesfilm sein. In meinem Kopf legt sich sowieso Aerosmiths „Don’t wanna miss a thing“ über das Stück. Ich werde aber unfair, ich mag „Don’t wanna miss a thing“ schließlich. Das Stück ist gut, keine Frage, es kann ja nichts für überzogene Erwartungen meinerseits. Wie sagte mein EWR früher zu mir „The audience was still pumped up from the last match so this seemed as a get-down for them“ … oder so ähnlich. Lang lang ists her. Hier ist es genau so. Aber insgesamt wird solide Musikerkunst geboten.
5. Andrius Pojavis – Something (Lithuania)
Ein Riff voraus! Natürlich bloß ein Gitarrenriff, aber das spricht doch für Abwechslung. Das war jetzt dringend nötig. Der Litauer spricht ein lustiges Englisch und lässt ein monotones Trommeln dazuschalten. Dann kommt der Konservenpop dazu und ich vermute mal, er weiß nicht, was er da singt. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, denn ich suche die Emotion. Dabei soll es meiner Ansicht nach ein Liebeslied sein. Das Stück hat einen gewissen Trash-Faktor, ich mag es jedenfalls. Und jetzt alle: „If you don’t know, I’m in love with you.“ Er trägt außerdem heute besondere Schuhe… Der eine heißt „Love“ und der andere heißt… Ich weiß es nicht, aber für euch habe ich im Songtext nachgeguckt. Er heißt „Pain“ … Ich glaube, das ist eine Metapher auf die Vergänglichkeit der Liebe. Holla, Leute, da kann man aus so ner leicht albernen Pop-Nummer gleich ein Proseminar Textinterpretation am Institut für Germanistik machen. Ist das nicht hohe Kunst, die man lieben muss?
6. PeR – Here we go (Latvia)
Nicht perlesen, ähm verlesen: Für Lettland geht nicht der beste Kanzlerkandidat der SPD seit Frank-Walter Steinmeier ins Rennen, sondern PeR. Der Unterschied ist einfach zu merken: Das eine ist eine Band, die komische Geräusche mit dem Mund macht… Das andere ist ein einzelner Mann, der komische Geräusche mit dem Mund macht. Also immer schön nachzählen. Und falls keine Geräusche gemacht werden, dann ist es weder Peer noch PeR, dann ist es Angela Merkel. Zurück zur Musik.
PeR ist eine Popband, die auf Beatboxingeffekte setzt, behauptet zumindest der englische Wikipedia-Artikel. Da „rappt“ auch jemand rum und ich dachte für einen Augenblick, der bereits von mir erwähnte DJ Bobo hätte sich unter einem anderen Namen in den Contest gemischt. Nicht von der Stimme her, aber von der Anlage des Ganzen her passt das schon ein wenig. Natürlich tanzt bei einer Musik-CD niemand außer mir selbst (wozu ich mich an dieser Stelle allerdings nicht animiert fühle), aber ich behaupte mal, dass sie es bei ihrem Live-Auftritt getan haben, in lustigen Glitzerkostümen und mit einer ausgefeilten Choreographie. Der Titel des Songs ist jedenfalls Programm, „Here we go“ sind gefühlte 75% des Textes und reiht sich damit in eine lange Reihe an Titeln (Ding Dong, Nananana, Na na na na na, Dschingh- Dschingh- Dschinghis Khan, …) ein, die nur unter Alkoholeinfluss Bedeutung gewinnen können.
7. Aliona Moon – O Mie (Moldova)
Wir kehren zu den Balladen zurück. Wir haben eine Frau, wir haben ein Klavier, wir haben eine mir unbekannte Sprache, wir haben ein paar Streicher, die etwas später einsetzen und die zweite CD versöhnt mich ein wenig mit dem Balladenmangel der ersten CD. Stimmlich wandern wir solide durch den ersten Teil, Aliona Moon erzeugt mit ihrer Stimme Drama, Gravität, Pathos, fast schon eine opernhafte Darbietung, auch wenn ihr für eine solche wohl das letzte Quäntchen Stimmvolumen fehlen dürfte. Aber das ist wirklich gut gemacht. Das Drama wird immer schlimmer, was sich auch in der Instrumentierung zeigt, wir haben zwischenzeitlich nämlich auch E-Gitarre und Schlagzeug integriert. Dann ist plötzlich Schluss. Ich dachte, es kommt noch eine große Auflösung, stattdessen: Ein Klavier klimpert ein paar letzte Töne. Was ist geschehen? Selbstmord aus Verzweiflung? Oder ist bloß das Mittagessen fertig? Fragen über Fragen, mit denen ich – emotional tief bewegt, womit das Lied eine 1 mit Sternchen bekommt – allein gelassen werde.
8. Igranka – Who See (Montenegro)
Trommeln. Trommeln sind ein guter Opener in diesem Jahr. Ich muss mich mal durch ältere Jahrgänge hören, ob das früher auch so war, dieses Jahr fällt es mir extrem auf. Wir haben es hier mit einem weiteren Ausfluss des Eurodance zu tun, diesmal so eine Mischung aus DJ Bobo Rap in der Strophe und der Refrain ist ganz eindeutig bei den uns allen bekannten Stücken von Snap! wie „Rythm is a dancer“ und „The Power“ geklaut. Dadurch, dass das Ganze auf montenegrinisch (korrekt?) dargeboten wird, klingt das albern und interessant zugleich, auch wenn ich das gesamte Stück über mein What-the-fuck-Gesicht nicht losgeworden bin.
9. Esma & Lozano – Pred Da Se Razdeni (F.Y.R. Macedonia)
Der vorletzte Beitrag vom Balkan, lediglich Serbien fehlt noch und an dieser Stelle muss ich monieren, dass mir bislang noch kein typischer Balkan-Pop geboten wurde und das, obwohl ich den sehr zu schätzen weiß. In meinen Top 5 fürs Voting am großen Abend der Show steht eigentlich immer eines der Balkanländer (ja, ich zähle Rumänien nicht zum Balkan) auf meinem Favoritenzettel. Wenn ich mich richtig erinnere, war dies in diesem Jahr nicht so. Mal sehen ob da noch was kommt. Aus Mazedonien kommt jedenfalls keiner. Da kommt wieder eine Ballade her. So eine von den Popballaden, die sich gar keine Mühe gibt zu kaschieren, dass sie irgendwelche Dosenbeats druntermischt, um modern zu klingen. Aber zumindest ein paar leise Anklänge von Balkanpop findet man hier im Refrain. Der Refrain (ich glaube, dass es der Refrain ist, die Führung dieses Stückes ist mir nicht ganz ersichtlich) oder vielmehr der Refrain nach dem eigentlichen Refrain (ich bin hoffnungslos verwirrt ob der Anlage dieses Stückes) macht ein paar Anleihen an Ethno-Klänge, so als ob man einen Sänger von einem Volksfest in Mazedonien entführt und in ein Plattenstudio geschleppt hätte. Dort musste er singen, damit man seinen Gesang unter ein durchschnittliches Pop-Stück mischen kann und es damit aufwertet – das gibt ja vielleicht ein paar Punkte von den Nachbarn extra. Sowas kann funktionieren, aber wenn es wie nachträglich reingemixt klingt, ist das bloß Mist.
10. Gianluca Bezzina – Tomorrow (Malta)
Woho oho, Woho oho. Ich höre eine Ukulele zupfen (ich glaube zumindest, dass es ein solches Instrument ist) und ein Sänger beginnt nach dem Woho oho, Woho oho, eine Geschichte zu erzählen. Dann bauen wir ein paar Rhythmusinstrumente ein und verbreiten von der Führung der Musik her Sonnenschein und gute Laune. Aber es ist kein Gute-Laune-Lied, bei dem man den Refrain mitgröhlen kann, es ist eines von diesen anspruchsvolleren Stücken die Liedermacher so produzieren und am Ende beschließen, doch einen Refrain hineinzubasteln. Also die Liedermacher, die in ihren Liedern Geschichten erzählen. Dieses Stück fällt nicht bloß auf, weil es anders ist, sondern weil es auch noch gut gemacht ist. Ich finde es famos – ein weiterer Kandidat, bei dem ich voller Überzeugung zu prognostizieren wage, dass er auf meiner Playlist ein ganzes Jahr überdauert.
Damit haben wir auch schon Halbzeit: 10 von 19 Liedern sind überstanden, 9 kommen noch. Ich brauche jetzt dringend eine Zigarette und pausiere deshalb erstmal ein wenig für ein kurzes Zwischenfazit: CD2 überzeugt durch eine hohe Balladendichte und durch einige Stücke, die qualitativ hervorragen. Zudem gibt es mit dem maltesischen Beitrag einen doch recht eigenen und auch Trash wird endlich geboten, den die Litauer liefern. Trash ist dabei nicht zu verwechseln mit Mist (dafür hat Mazedonien gesorgt), es gibt einen wichtigen Unterschied: Sowohl bei Trash als auch bei Mist hat man es mit Stücken zu tun, die nach irgendwelchen mehr oder minder objektiven Kriterien guter Musik diesen Anspruch verfehlen. Beim Mist ist das alles, was man über das Stück sagen kann, beim Trash ist das Lied trotzdem irgendwie gut und setzt sich als Ohrwurm fest. Davon zu unterscheiden ist außerdem das Phänomen weißrussischer Beiträge, die per definitionem Mist sind, selbst wenn sie meist wie Trash wirken.
Dieser kleine musiktheoretische Exkurs zeigt auf, dass die Bandbreite von CD2 groß ist, bis hierher bin ich aber sehr zufrieden mit meinem Kauf. Hier sind ein paar Kandidaten für die Top 5 nicht nur dieser CD dabei, sondern auch für die gesamte Top 5. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
11. Anouk – Birds (The Netherlands)
Auch der niederländische Beitrag ist ein sehr spezieller Beitrag. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man ihn bezeichnen soll. Er erinnert ein wenig an einen Chanson, aber das trifft es als Bezeichnung nicht. Es ist auch keine wirkliche Ballade, zumindest nicht für mein Ohr. Es ist eine Klage, gekleidet in ein musikalisches Gewand. Und das ist großartig gemacht. Während ich die anderen Stücke live kommentiert habe, musste ich mir dieses hier zur Gänze anhören, weil ich so traurig war, während ist das Stück gehört habe. Es hat mich gerührt. Ich kann nicht sagen, ob ich es mag, aber es ist ein gut gemachtes Stück, zu dem mehr Worte zu verlieren mir unangemessen scheint.
12. Margaret Berger – I Feed You My Love (Norway)
Also machen wir schnell weiter mit dem norwegischen Beitrag. Der beginnt mit fiesen elektronischen Tönen und einer weiblichen Stimme, die ich nach Anouks Darbietung ziemlich unangenehm finde. Wie die verzerrte Instrumentierung insgesamt. Nach Birds wirkt das ziemlich künstlich auf Drama getrimmt, so ein bisschen wie Evanescence für Arme. Vom Hocker reißt mich das nun wirklich nicht. Im Gegenteil, mein Gehör fleht mich an, schnell zum nächsten Stück weiterzuspringen, aber ich quäle mich für euch tapfer bis zum Ende durch, damit ich einen Gesamteindruck habe, den ich verdammen kann. Und am Ende bleibt der Eindruck, obwohl ich Anouk zurückgedrängt habe. Diese kalte, künstliche computergenerierte Darbietung ist gemäß der oben getroffenen Unterscheidung ein klarer Fall für Mist.
13. Cezar – It’s My Life (Romania)
Schön, wenn man die Möglichkeit hat, die Unterscheidung zwischen Trash und Mist an zwei hintereinanderlaufenden Songs illustrieren zu können. Wir haben nämlich wieder fiese elektronisch generierte Beats und Cezar ist ein Countertenor. Das muss man mögen, um es zu schätzen zu wissen. Als bekennender Fan des leider viel zu früh verstorbenen Klaus Nomi ist klar, dass ich diese Hommage, diese Modernisierung seiner musikalischen Kunst zu schätzen weiß, auch wenn mir natürlich klar ist, dass das hier ein klarer Kandidat für die Einordnung in die Kategorie Trash ist. Künstliche Musik, künstlich erzeugtes Drama in der Musik, verstärkt durch die immense Tonhöhe des Gesangs, was erwartet man da? Aber, das sollte man nicht überhören, man hat ständig das Gefühl, als zwinkerte dieses Lied einem ironisch zu. Der Effekt ist gewollt, provoziert. Und das ist hohe Kunst.
14. Moje 3 – Ljubav Je Svuda (Serbia)
Ich muss meine Aussage von oben revidieren. Ich war davon ausgegangen, dass Serbien in diesem Jahr nicht teilgenommen hat, ich hatte sie beim Überfliegen der Tracklist übersehen und hoffe, dass ich am Ende nicht vorschnell über den Mangel an Balkanpop geurteilt habe. Meine Russischkenntnisse sagen mir, dass hier irgendjemand oder irgendetwas geliebt wird, aber es ist kein Liebeslied, das ist typischer Eurovisiondancepop, wie ihn jedes Land produzieren könnte, ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, irgendwelche fremden Ethnosounds zu klauen. Schade, mag ich die Ethnosounds doch, wie mehrfach erwähnt, ganz gern. Die mir unbekannte Sprache hilft mir bei der Musik sogar weiter. In meinem Kopf lautet der Text nicht so, wie er lautet sondern: „Lalalalala, ist doch egal, was ich hier siiiinge, interessiert doch sowieso keine Sa-hahaha-hahahau.“ Der Verursacher dieses Stücks ist wahrscheinlich berühmt geworden mit dem Buch „Wie ich ein vollkommen belangloses Musikstück produziere“.
15. Dina Garipova – What If (Russia)
Der Titel löst bei mir spontan eine Assoziation zum überraschend guten „What if“ von Kate Winslet aus und diese Assoziation scheint mir auch gewollt zu sein. Auch wenn es kein greifbares Plagiat, sondern ein eigenständiges Stück ist, spürt man eine gewisse Wesensverwandtschaft. In diesem Jahr setzt Russland nicht auf Klamauk, sondern auf eine solide Ballade inklusive Bridge und Tonartwechsel. Dina Garipova singt sich souverän durch ihr Lied und macht ihre Sache gut. Lieber serbischer Beitrag: So geht ein solider Beitrag zum Eurovision Song Contest.
16. Robin Stjernberg – You (Sweden)
Auch wenn die Schweden einen legendären Ruf haben in Sachen ESC ist es in den meisten Fällen so, dass der Beitrag des vorjährigen Siegerlandes meinem Empfinden nach immer im Zustand guten Durchschnitts verharrt. Das gilt auch für Robin Stjernberg. Die Hälfte des Textes ist die Wiederholung von „Because of You“, dabei schraubt sich eine Boybandstimme in typische Boybandhöhen (was im Gegensatz zu einem Gesangsstil wie dem eines Countertenors schnell lästig werden kann – und in diesem Fall auch wird) und auch wenn das Lied zum Tanzbeinschwingen auffordert, habe ich gerade unter den Schreibtisch geschaut: Mein Tanzbein schwingt nicht, es baumelt schlaff vom Schreibtischstuhl herab. Der Song ist nicht wirklich schlecht, er ist ordentlich gemachter Radiopop, aber das ist das angesprochene Problem: Es ist bloß ein durchschnittlicher Beitrag.
17. Hannah – Straight Into Love (Slovenia)
Und wir machen mit elektronischen, verzerrten Sounds weiter. Der Eurodance ist halt nicht totzukriegen. Ob Cascada heimlich zwei Mal teilgenommen hat? Das hier ist im Gegensatz zu „Glorious“ keine dreiste Kopie des Vorjahressiegers, aber von der Machart her könnte der auf dem gleichen Album von Cascada zu finden zu sein. Dass ich den Sound nicht mag, habe ich in der Besprechung des deutschen Beitrages ja bereits angedeutet, deshalb hülle ich mich hier nach der Bemerkung, dass das bloßer Radiosound zum Bügeln ist, in Schweigen.
18. Valentina Monetta – Crisalide (San Marino)
Wir fangen mit einem Klavier und einem Geschuhuhe an. Sicheres Zeichen dafür, dass wir mit einer dramatischen Ballade rechnen dürfen. Dem Italienischen wird ja sowieso ein inhärenter dramatischer Klang nachgesagt (auch wenn ich dieses Klischee für unhaltbar erachte, man höre sich den diesjährigen italienischen Beitrag an), aber in diesem Fall macht man sich das Klischee zunutze. Von der Machart ist das Stück dem moldawischen Beitragen nicht unähnlich, nur konventioneller, poppiger. Ich war zwischenzeitlich versucht, den Song zur Mittelmäßigkeit zu verdammen, aber die Stimme der Sängerin, obschon ein wenig glatt, hebt es auf ein leicht über dem Mittelmaß schwebendes Niveau hinaus.
19. Zlata Ognevich – Gravity (Ukraine)
Wir enden mit einer Ballade auf der CD, wie mir scheint. Noch so ein klassischer Kunstgriff. Wir machen ein kurzes musikalisches Intro, dann machen wir einen Augenblick Pause und dann lassen wir die Sängerin singen. In diesem Fall scheint das Vertrauen in die Sängerin aber nicht übermäßig zu sein, denn nach einem ruhigen Anfang machen wir aus dem Stück einen beliebigen Popsong, in dem die Sängerin zwischendurch „Gravity“ kreischen… nein, kreischen ist zu stark, es ist nicht schrill, sagen wir prononciert heraussingen… darf. Was der Stimme aber fehlt, ist Ausdruckskraft. Wahrscheinlich der Grund, warum man keine wirkliche Ballade für sie gestrickt hat, da wäre sie gescheitert. So enden wir also doch nicht mit einer ausdrucksstarken Ballade, sondern mit Radiopop. Nachdem wir mit Slowenien die Wäsche gebügelt haben, können wir sie zu „Gravitiy“ zusammenlegen und in den Schrank räumen. Sehr schön auch, dass auf dem letzten Stück der CD am Ende ein klassischer Kunstgriff für das Ende eines Popsongs genutzt wird. Sollte man während des Hörens vergessen haben, wie das Lied heißt, obwohl es anmoderiert wurde, lasse man die Sängerin am Ende noch einmal den Titel sagen und ende dann abrupt. So gehen zwei Stunden des Hörens und Schreibens lehrbuchmäßig zu Ende.
Zeit für das Fazit: Die zweite CD zum diesjährigen Eurovision Song Contest reißt es raus. Hier sind viele gute Beiträge des Spektakels aus Malmö versammelt und meine Top 5 zusammenzustellen wird wahrscheinlich ein wenig schwieriger als bei der ersten CD. Andererseits sind hier mit Norwegen, Mazedonien und mit Abstrichen auch Serbien Lieder dabei, die man mit dem Begriff „Totalausfall“ belegen darf. Wir erinnern uns, bei CD1 hatten wir solch einen Fall nicht. Die dort bemängelten Lieder haben es immer noch irgendwie geschafft, dass ich das böse Wort Mist nicht bemühen musste, der Beitrag aus der Schweiz z. B. eher in die Richtung Trash tendiert, und der belarussische Beitrag es ja auch nur per definitionem ist und dieses Jahr nicht so schlimm wie in den vorangegangenen Jahren. Doch so ein paar Ausfälle kann man verkraften, wenn der Rest der CD umso besser ist – man denke an den Anfang zurück und ignoriere dabei den mittelmäßige Track Nr. 1, dann haben die ersten vier Stücke (also Track 2-5, für diejenigen, die den irischen Beitrag nicht ignorieren können) doch alle Klasse (oder das, was der litauische Beitrag hat, nämlich einen Schuh namens Liebe und einen namens Schmerz).
Damit stellen sich noch ein paar Fragen: Was sind die Top 5, was die Flop 5? Wie sieht es insgesamt aus, was sind die 5 besten Stücke des Doppelalbums, welche 5 sollte man nicht auf seinen PC überspielen? Habe ich den Text des serbischen Beitrages richtig übersetzt? Lebt Klaus Nomi doch noch, in einer rumänischen WG zusammen mit Elvis, Tupac und Bernd Clüver? Und schließlich: Wie heißen eure Schuhe?
Die fünf Besten – Das Beste zuerst
Aliona Moon – O Mie (Moldova)
Gianluca Bezzina – Tomorrow (Malta)
Eyþór Ingi Gunnlaugsson – Ég á Lif (Iceland)
Moran Mazor – Rak Bishvilo (Israel)
Cezar – It’s My Life (Romania)
Die fünf Schlechtesten, das Übelste zuerst
Margaret Berger – I Feed You My Love (Norway)
Esma & Lozano – Pred Da Se Razdeni (F.Y.R. Macedonia)
PeR – Here we go (Latvia)
Moje 3 – Ljubav Je Svuda (Serbia)
Igranka – Who See (Montenegro)
Die fünf Besten insgesamt – Das Beste zuerst
ByeAlex – Kedvesem (Hungary)
Aliona Moon – O Mie (Moldova)
Gianluca Bezzina – Tomorrow (Malta)
Klapa s Mora – Mizerja (Croatia)
Eyþór Ingi Gunnlaugsson – Ég á Lif (Iceland)
Die fünf Schlechtesten insgesamt – das Übelste zuerst
Margaret Berger – I Feed You My Love (Norway)
Esma & Lozano – Pred Da Se Razdeni (F.Y.R. Macedonia)
Dorians – Lonely Planet (Armenia)
Despina Olympiou – An Me Thimase (Cyprus)
PeR – Here we go (Latvia)
Ich habe noch nie eine CD besprochen, seid also nachsichtig mit mir und teilt mir mit, was ich hätte anders machen können, was ich hätte ansprechen können und was überflüssig ist. So viel als Vorbemerkung.
Ich bin ein großer Fan des Eurovision Song Contest. Der liegt nun schon ein wenig zurück und mein Gedächtnis ist schlecht, an die einzelnen Auftritte kann ich mich kaum noch erinnern und ebenso wenig, wie die Leute live geklungen haben. Eigentlich ganz gute Voraussetzungen, wenn es um die Musik gehen soll, wie ich finde. Man ist in seiner Meinung vor Allem vom verehrten Peter Urban nicht mehr gar so sehr beeinflusst.
Da es hier um den Eurovision Song Contest geht, bleibt es nicht aus, dass viele Stücke eher belanglos sind. Das heißt nicht, dass man sie sich nicht gerne einmal oder zweimal anhört, aber irgendwann haben sie sich verschlissen. Ein paar Lieder werden es erfahrungsgemäß allerdings schaffen, das ganze Jahr über hörbar zu bleiben. Anders formuliert: Einige Stücke werden auch zum nächsten ESC noch in meiner Playlist hängen, vielleicht sogar noch länger, wie das unheimlich lustige Shalalie Shalala, mit dem die Niederländerin Sieneke uns 2010 erfreut hat. Zugegebenermaßen ein wenig trashig, aber ein Ohrwurm, der gute Laune macht. Damit ist das hier auch eine Erinnerung. Im nächsten Jahr werden wir sehen können, wie sich meine Einstellung gewandelt hat.
Weitere Vorbemerkung: Gehört habe ich alle Stücke, weil ich natürlich die beiden Halbfinale und das Finale geschaut habe, die CD habe ich auch schon einmal gehört – ganz unvoreingenommen werde ich also nicht sein, bekannt sind mir die Stücke schon. Jetzt aber genug palavert, wollen wir doch mal sehen, was uns geboten wird:
1. Adrian Lulgjuraj & Bledar Sejko – Identitet (Albania)
Getrommel zu Beginn, dann ein bisschen Ethnosound aus der Dose. Die Stimme des Sängers ist schön rauh und das Lied wird in der Landessprache(?) dargeboten. Das könnte funktionieren. Das mag ich am Eurovision Song Contest – ich will die Lieder nicht unbedingt verstehen, ich will mich am Klang erfreuen und dazu gehört für mich gelegentlich auch die Konfrontation mit unbekannter Zunge und für das deutsche Ohr ungewöhnlichen Klängen.
Insgesamt ist es allerdings eine 08/15-Rocknummer, durchsetzt mit ein paar Geigen, gewöhnlicher Radiosound, der nebenbei laufen kann. Ich denke, man kann auf die Musik gut abspülen.
2. Dorians – Lonely Planet (Armenia)
Bei den Dorians regnet es zu Beginn, ein Sänger schmachtet zum Gezupfe einer Gitarre herum, erinnert ein wenig an die Balladen, die uns in den 90ern von diversen Boybands dargeboten wurde. Um davon abzulenken, setzt im Refrain eine E-Gitarre ein, damit es nicht zu zuckersüß daherkommt. Allerdings ist das, was stimmlich gezeigt wird, weiterhin auf dem Niveau der Backstreet Boys, sodass man jetzt vielleicht darüber nachdenken könnte, sein Geschirr abzutrocknen.
3. Natália Kelly – Shine (Austria)
Die Österreicher sind ja ein Fall für sich. Letztes Jahr haben sie sich mit den Trackshittaz was getraut. Eigentlich mag ich keinen Hiphop, aber die Nummer war wenigstens lustig. Nátalja Kelly ist hingegen eine Pop-Sängerin, mit einer eher dünnen Stimme. Eine modernisierte Ballade, geht entfernt in die Richtung von Rihannas Diamonds. Drei Songs, bislang nur Radiogedudel. Bis hierher fehlt mir noch das Besondere. Wenn das so weiter geht, fühle ich mich genötigt, den Review abzubrechen.
4. Farid Mammadov – Hold Me (Azerbaijan)
Ein Sänger und ein klimperndes Klavier im Hintergrund. So beginnt das nächste Stück. Da wittert man eine Wesensverwandschaft zum armenischen Beitrag. Hier wird allerdings auf die E-Gitarre als Feigenblatt verzichtet, dafür spielt man mit diversen computergenerierten Sounds herum. Der Sänger hat dafür mehr drauf. Er schmonzettet sich souverän durch das Stück und wahrscheinlich liegen ihm die Mädels dafür zu Füßen. Diese gequälte Seele, die sogar einen Tonartwechsel durchmachen muss, zieht alle Register, die man so ziehen muss, wenn man gewinnen will. Da ich hier aber keine Sieger mehr zu küren habe, wäre der Song als Gewinner ganz schnell in der Versenkung verschwunden.
5. Roberto Bellarosa – Love Kills (Belgium)
Noch so ein Stück, dass ruhig beginnt. Ich sehne mich beinahe schon nach Beitrag Nr. 1 zurück. Die stimmliche Qualität hat sich aber noch einmal verstärkt, auch wenn ich das Gefühl habe, der ist nachträglich noch ein wenig geglättet worden. In der zweiten Strophe mogeln sich ein paar Beats hinein, vielleicht eine kleine Verneigung vor dem Eurodance der 90er? Der Refrain bekommt auch Gesellschaft von Dosensound und einem Klavier, wenn ich das richtig höre. Immerhin der Versuch, einen Song zu machen, der gut klingt. Hier stehen die Chancen gut, sich zumindest bis zum Herbst in meiner Playlist zu bleiben.
6. Elitsa Todorova & Stoyan Yankoulov – Samo shampioni (Bulgaria)
Bulgarien spielt die Ethno-Karte. Endlich wieder was, was den ESC für mich zum ESC macht. Irgendeine Tröte im Hintergrund und weiblicher Gesang, der irgendwie volkstümlich wirkt. Sehr rhythmisch, dummerweise für mein Kartoffelohr auch ein wenig schief – aber nicht unangenehm schief. Es klingt bloß fremd und macht Lust, genauer zuzuhören, sich in die Harmonien einzufinden. Wenn das gelungen ist, klingt es richtig gut und macht Stimmung. Leider sind die Stimmchen ein wenig dünn. Das macht es wieder weniger angenehm. Ein Trommelsolo im zweiten Drittel, bevor man nochmal durch den Refrain geführt wird, sorgt für Abwechslung, sodass man am Ende immerhin die Hüften kreisen lässt.
7. Alyona Lanskaya – Solayoh (Belarus)
Ich war versucht, weiterzuschalten. Ich mag die belarussischen Beiträge im Contest beim ersten Hören eigentlich nie, weil sie unheimlich kitschig sind und man ihnen anmerkt, wie beinahe verkrampft alle Register gezogen werden, um einen Sieg zu landen. So war es bislang immer. I love Belarus war auch schrecklich – dummerweise so schlecht, dass man es sich immer wieder anhören musste. Solayoh ist furchtbar auf Party getrimmt, gleichzeitig erinnert es entfernt an Ruslanas Wild Dances und auch wenn ich die belarussischen Beiträge auch in Zukunft nicht mögen werde, wird auch dieses Lied wohl dummerweise bei mir zum Ohrwurm werden.
8. Tasaka – You and Me (Switzerland)
Dadadada – Hey – Dadadada – Hey – Dadadada – Hey. Fetziger Beginn, dann eine Stimme, der es an jedem emotionalen Ausdruck mangelt, viel hahahaha oder Dadadada oder Lalalala. Die instrumentalen Zwischenstücke sind darum bemüht, es fetzig zu machen, aber sobald jemand anfängt zu singen, hat man das Gefühl, da wurden Zlatko oder Jürgen ins Plattenstudio geholt, man hat ihnen einen Text in die Hand gedrückt, ne Melodie vorgepfiffen und jetzt müssen sie das einsingen. Stellt euch das vor – stellt euch vor, es ist der erste Versuch, der danach bearbeitet wurde, damit es zumindest nicht schief klingt, dann wisst ihr, wie es klingt. Verve ist ein schönes Wort, das man selten liest – und in diesem Fall auch ein völlig unpassendes Prädikat wäre.
9. Despina Olympiou – An Me Thimase (Cyprus)
Noch so ein Grund, warum man den Eurovision Song Contest mögen könnte. Nicht nur, dass Despina Olympiou ein ziemlich cooler Name ist und sie auf griechisch singt, wie ich vermute, man bekommt hin und wieder auch eine Ballade geboten. Ballade muss nicht großes Drama sein, kann auch ganz unprätentiös daherkommen, mit minimalistischer Instrumentierung. Wenn man das macht, braucht man allerdings eine Sängerin oder einen Sänger, deren Stimme die Leere ausfüllt – oder man setzt die entstehende Leere als Stilmittel ein, setzt bewusst auf die leisen Töne. Das hätten die Zyprioten versuchen sollen, denn die Leere füllt die Stimme leider nicht.
10. Cascada – Glorious (Germany)
Muss ich Cascadas immer gleichen Sound kommentieren, der in diesem Fall auch noch ganz dreist genau so klingt wie der Vorjahressieger? Ich bin kein Fan von Cascada, ich hielt Glorious für die falsche Wahl – andererseits war ihr Live-Auftritt ganz gut, die Platzierung war unverhältnismäßig schlecht, vor Allem, wenn man sich so manchen der anderen Beiträge nochmal anhört. Das sei zur Verteidigung von Cascada gesagt. Ansonsten ist das dennoch Konserven-Dance-Musik. Wenn ich eine Party veranstalten würde, dann käme es auf die Playlist. Ich kann Partys aber nicht ausstehen, also ist das eher ein Fall für den Mülleimer.
10 von 20 Tracks durch, bislang lediglich Bulgarien und Belgien mehr als nur durchschnittliche Hintergrundbeschallung. Mein Geschirr ist mittlerweile sauber. Wenn das so weiter geht, ist am Ende der CD auch noch jedes meiner Bücherregale abgestaubt.
11. Emmelie de Forest – Only Teardrops (Denmark)
Direkt dahinter folgt der Siegersong des diesjährigen Eurovision Song Contest. Es fällt sofort die Flöte auf, die einen lächeln lässt. Emmelie die Forest hat zudem eine schöne Stimme, die Flöte ist nicht bloß zu Beginn des Stücks da, um die Leute anzufixen, sie fistelt sich durch das gesamte Stück, wirkt trennend zwischen Strophen und Refrain, bleibt aber im Hintergrund auch irgendwie immer da und bildet eine Klammer. Ansonsten ist das Ganze auch noch sehr rhythmisch, gezielter Einsatz von Trommeln macht das ganze ein wenig mystisch, es ist unheimlich eingängig. War am Abend des Contest nicht mein Favorit, aber jetzt, wo ich den Song zum 4. oder 5. Mal gehört habe, verstehe ich es. Wesentlich mehr Potential als Running Scared oder Euphoria, den Siegern der vorhergegangenen Jahre und ein Kandidat, das ganze Jahr auf der Playlist zu bleiben.
12. Birgit Õigemeel – Et Uus Saaks Alguse (Estonia)
Eine Frau, eine mir unbekannte Sprache (Ist das estnisch? Sieht aus wie finnisch), eine Ballade, die nur mit Stimme und Klavier auskommt, zumindest zu Beginn. Zum Refrain gesellt sich dann noch ein wenig mehr Instrumentierung hinzu. Fast das gleiche Konzept wie in Zypern. Damit bietet sich der direkte Vergleich an. Das Arrangement der Zyprioten war weniger aufgeregt. Die Esten haben ihrer Sängerin wohl nicht gar so viel zugetraut. Damit hatten sie recht – es gelingt ihr nur gerade so, sich gegen die Hintergrundmusik durchzusetzen. Denkt man. Doch dann greift sie hinten raus doch noch in ihre Trickkiste – Balladentrick 17: Lauter hoher gehaltener Ton und sie zeigt, dass sie stimmlich zwar nicht überragend, aber überdurchschnittlich ist – jedenfalls besser als die Zypriotin.
13. El Sueño de Morfeo – Contigo Hasta El Final (Spain)
Dudelsack! Dudelsack! Dudelsack! Was mancher vielleicht nicht weiß, das ist auch in Spanien und Frankreich ein Instrument, das durchaus auch Tradition hat. Sie singt spanisch, das Lied plätschert erst einmal wunderbar entspannt vor sich hin, passt gut zum sommerlichen Wetter, irgendwann lässt man eine E-Gitarre im Hintergrund mitschrammeln und es kommt Stimmung auf. Langsam habe ich aber das Gefühl, es liegt an meinen Boxen, dass die Sängerin gegen die Begleitung ankämpfen muss. Das ändert nichts daran, dass die Tempowechsel und die gesamte Anlage des Songs richtig Laune machen, das ist was für den Sommer.
14. Krista Siegfrids – Marry Me (Finland)
Eine Katy-Perry-Gedenknummer, was mich zu der Frage führt, ob Katy Perry noch lebt, dass man so dreist fleddern darf? Es geht ums Heiraten, dementsprechend läuten im Hintergrund immer mal wieder irgendwelche Glocken. Oh oh, oh oh ah Ding Dong, Oh oh, oh oh ah Ding Dong sag ich dazu nur. Die Nummer ist herrlich albern, auch wenn es die dreiste Kopie eine Erfolgskonzepts ist. Aber lieber gut geklaut als schlecht selbst gemacht, gell? Lässt sich anhören, bleibt aber auf Radioniveau.
15. Amadine Bourgeois – L’enfer et moi (France)
Französische und britische Beiträge sind in den letzten Jahren meist unverdienterweise völlig untergegangen. Engelbert hat letztes Jahr den versammelten Jungspunden gezeigt, was Musik ist und ist trotzdem untergegangen. Den Franzosen erging es eigentlich immer genau so. Die Briten setzen wieder auf einen großen Namen (dazu im nächsten Lied), die Franzosen setzen auf das nur theoretisch und mit den Mitteln der Gentechnologie mögliche Kind von Zaz und Amy Winehouse, wenn ich das richtig verstehe. Französischer Chanson-Soul. Ungewöhnlich, weitestgehend spärlich instrumentiert, mit einer großartigen Stimme garniert. DAS ist ein guter Song. Bislang mein Favorit.
16. Bonnie Tyler – Believe in Me (United Kingdom)
Ich mag Bonnie Tyler – vor Allem ihre rockigeren Sachen. Zu „I Need a Hero“ gehe ich regelmäßig ab. Das singe ich unter der Dusche. Bonnie Tyler kann auch die ruhigeren Sachen, das hier ist so ein ruhigeres Stück. Ihre Stimme ist allerdings alt geworden, das hört man deutlich. Sie ist nicht bloß rauh, das machte die Stimme aus, sie klingt irgendwie erschöpft. „Believe in me“ ist wohl eine Ballade, so eine Bonnie-Tyler-Ballade, allerdings klingt sie nicht besonders und man hat so das Gefühl, dass sie den Glauben an sich ein wenig verloren hat. Es fehlt der Ausdruck, das Gefühl, man bleibt unberührt. Das ist schade, denn wie gesagt: Ich mag Bonnie Tyler.
17. Sopho Gelovani & Nodiko Tatishvili – Waterfall (Georgia)
Ein Duett, ein männlich-weibliches Duett. Wenn ich das richtig überblicke, hatten wir das noch nicht, dabei war das einige Jahre mal schwer angesagt. Wieder eher das, was man eine Ballade nennen könnte. Die beiden Stimmen harmonieren gut, leider so gut, dass man sie beim Zusammensingen manchmal kaum auseinanderhalten kann, was ich bei Duetten eigentlich immer schade finde. Die leben auch ein wenig davon, dass man immer zwei Stimmen hat, die sich zwar annähern, aber nie gleich werden.
18. Koza Mostra & Agathonas Iakovidis – Alcohol is free (Greece)
Wieder Ethno-Sounds. Ich will mich ja nicht blamieren, deshalb erwähne ich keine griechischen Volkstänze, es klingt jedenfalls wie ein griechischer Volkstanz. Nach dem Intro geht allerdings der Punk ab. Griechisch angehauchte Ska-Musik habe ich noch nicht gehört. Spanischer Ska war mir schon bekannt und wird von mir in Form von Ska-P häufiger gehört, aber griechischer Ska war mir neu. Was es da für Qualitätskriterien geben könnte, weiß ich nicht, aber ich mag die Mischung aus griechischer Volksmusik und den Bläsern und den Rhythmen. Und für Gratis-Alkohol bin ich auch zu haben, in diesem Sinne kann die Party beginnen und das Lied sich gute Chancen ausrechnen, mir ein ganzes Jahr lang Freude zu bereiten.
19. Klapa s Mora – Mizerja (Croatia)
Balladen werden leider recht selten von Männern gesungen. Noch seltener erlebt man es, dass es mehrere tun, es sei denn, man hört die drei, vier, fünf, zehn, zweiundvierzig hundert oder siebenhundertfünfundneunzigtausenddreihundertvierundzwanzigkommanullzwo Tenöre. Daran erinnert die Nummer. Weitestgehend ruhig und unaufgeregt, mit Streichern unterlegt – klingt einfach nur schön. Das und die Tatsache, dass es so lang gedauert hat, siebenhundertfünfundneunzigtausenddreihundertvierundzwanzigkommanullzwo zu tippen, bringt mich dazu, den Song gleich nochmal zu hören, um noch einen besseren Eindruck zu bekommen.
Und auch das zweite Hören direkt hintereinander lässt den Song nicht langweilig werden. Er ist wirklich einfach nur schön. Die Instrumentalbegleitung ist manchmal ein wenig schmalzig und dick aufgetragen, aber das passt zu dem Lied. Ist ein wenig wie ein modernisierter Männerchor – ein guter Männerchor.
20. ByeAlex – Kedvesem (Hungary)
Ich gebe es gleich zu Anfang zu, das war mein Favorit, ich habe für das Lied natürlich angerufen und mich gefreut, dass Deutschland den Ungarn 12 Punkte gegeben hat. Das Lied ist unheimlich entspannt, es ist trotz seiner scheinbaren Monotonie einfach unheimlich schön (schon wieder das Wort, ich mir fällt aber nichts Passenderes ein) und es hat den Sprachenbonus. Ich weiß nicht, was er singt und wenn es seine Einkaufsliste ist: Wenn jemand seine Einkaufsliste so eingängig und cool einsingt, muss das Kunst sein. Diesem Lied schenke ich mein Herz.
Fazit: Viel Durchschnitt dabei. Einiges ragt ein wenig heraus, vieles ist belanglos, einiges ist nicht so gut, aber es sind auch keine Totalausfälle dabei. Bevor ich den Eintrag beende, halte ich noch einmal kurz inne und lasse euch an meinen Top 5 und Flop 5 teilhaben. Danach werde ich in Endlosschleife Kedvesem hören. Die zweite CD gibt es dann die Tage.
Die fünf Besten – Das Beste zuerst
ByeAlex – Kedvesem (Hungary)
Klapa s Mora – Mizerja (Croatia)
Koza Mostra & Agathonas Iakovidis – Alcohol is free (Greece)
Amadine Bourgeois – L’enfer et moi (France)
Emmelie de Forest – Only Teardrops (Denmark)
Die fünf Schlechtesten, das Übelste zuerst
Dorians – Lonely Planet (Armenia)
Despina Olympiou – An Me Thimase (Cyprus)
Tasaka – You and Me (Switzerland)
Alyona Lanskaya – Solayoh (Belarus)
Bonnie Tyler – Believe in Me (United Kingdom)