Planlos und aufgedreht

Es ist schon sehr lange her, dass ich mich ausführlich in 11 Fragen zu mir selbst geäußert hat. Das muss sich zumindest „Kein Menschenfeind“ gedacht haben und warf mir einen „Liebster Award“ zu. Während ich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich irgendeine Sehenswürdigkeit in München genieße, wo ich mir einen Kurz-Urlaub hin gegönnt habe, wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen.

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Die schönste Zeit des Jahres

Nun bricht sie an, die schönste Zeit des Jahres. Eltern mit schulpflichtigen Kindern wissen, wovon ich rede. Und Kinder mit schulpflichtigen Eltern ebenso. Eben noch hat Mutter Zeilenende Herrn Zeilenende Sr. sein Butterbrot geschmiert, einen Fleck von der Jacke gewischt, den Rucksack ins Auto getragen und den Sack in einem Ruck zum Bahnhof gefahren, kommt er auch schon freudestrahlend wieder zurückgelaufen. Ein Zeugnis hat er wie immer nicht dabei, denn das mit der Versetzung hat wieder einmal nicht geklappt. Auch im kommenden Jahr lautet das Urteil „Schule“.

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Evelyn Sanders – Mit Fünfen ist man kinderreich

Wieder mal Zeit für ein öffentliches Bekenntnis. Nachdem ich mich schon als Harry-Potter- und Eurovision-Song-Contest-Fan bekannt habe, geht das muntere Bekennen gleich in die nächste Runde. Genau genommen ist es so, dass ich fast alles lese, was man lesen kann, einschließlich Buchstabensuppe. Aber ich mag auch das, was gemeinhin als Unterhaltungsliteratur für Frauen bezeichnet wird. Damit meine ich keine Liebesromanschmonzetten, auch wenn es natürlich um die Liebe geht. Aber Dora Heldt ist gar nicht so schlimm, wie Denis Scheck manchmal tut. Und Kerstin Giers Mütter-Mafia-Trilogie hat richtig Laune gemacht. Das Sujet ist nun aber beileibe kein Neues, es hat sich bloß ein wenig gewandelt. Ich würde sagen, der Vorläufer dieser Romane, wo die einzelne Frau im Mittelpunkt steht, sind die Familiengeschichten. Und da ist Evelyn Sanders meiner Einschätzung nach nicht nur die bekannteste, sondern auch die erste Autorin, die solcherlei „Heitere Romane“, wie meine Flohmarktausgabe von 1991 es nennt, verfasst hat. Das Cover ist ganz niedlich gemacht, mit den fünf Kindern der Familie Sanders, die man unter einen Hut zu bekommen versucht. Jedenfalls erzielt es seinen Effekt und erheitert schon beim Anschauen.

Mit Fünfen ist man kinderreich ist ihr Erstlingswerk, veröffentlicht im Jahre 1980 und dem Epilog nach zu urteilen etwa im Jahre 1975 spielend. Der Roman ist damit auch ein Stück Zeitgeist, dem Evelyn Sanders mal mehr, mal weniger huldigt, aber immer mit einem zwinkernden Auge. Beispielhaft sei ihr Verhältnis zum Autofahren erwähnt: Sie holt sich von ihrem Mann die Erlaubnis ein, den Führerschein zu machen und als sie diesen endlich hat, bleibt sie über die Jahre eine nicht allzu sichere Fahrerin. Die „moderne“ Schaltweise eines geliehenen Autos lässt sich nur durch Anweisungen der Beifahrerin bedienen, sie ist nur die gute alte Lenkradschaltung gewöhnt. Ihr Mann lässt sie seinen Wagen nur selten fahren und das eigene Auto gibt es erst, als es gar nicht mehr anders geht. Sie kokettiert aber auch immer ein wenig damit, zwischen den Zeilen hat man das Gefühl, dass sie eine ganz passable und sehr umsichtige Autofahrerin ist – und das auch weiß. Sich ein wenig dümmer zu stellen, als es sein muss, so meine Vermutung der dahinterliegenden Motivation, kann nicht schaden.

Wie man es von einem heiteren Roman über eine Familie nicht anders erwarten sollte, erzählt Evelyn Sanders grob der Chronologie folgend von den Erlebnissen mit ihrer Familie: Ihrem Mann Rolf, den beiden ältesten Söhnen (11 und 10 oder so), der Tochter (5) und den zu Beginn des Buches frisch geschlüpften Zwillingen. Das alte Domizil der Familie, das ein weiteres Kind durchaus vertragen hätte, aber für zwei weitere Kinder dann doch zu klein war, muss verlassen werden, eine neue Bleibe muss her. Für die bislang eher großstadtgewöhnte Familie beginnt mit dem Roman (nach einer kurzen Zusammenfassung des Lebens der Familie vom Kennenlernen der Eltern bis zur Geburt der Zwillinge) die Existenz in der schwäbischen Provinz. Auch hier zeigt sich wieder ein wenig Zeitgeist: Die Straßen sind teilweise nicht geteert, es gibt noch Krämer und Dorfbüttel, man zieht das Gemüse im eigenen Garten, wie man sich das halt so vorstellt. Klischee, Idylle oder Hölle? Für die Familie ist es von Allem ein wenig und nach einem Jahr ergreift Familie Sanders die Gelegenheit, ihren Mietvertrag aufzulösen, zum fünften oder sechsten Mal umzuziehen, und sich in einer Kleinstadt niederzulassen. Innerhalb dieses Rahmens gilt es Fasching mit der Dorfgemeinschaft und Kindergeburtstage zu feiern, den Zwillingen das Laufen beizubringen, die Schulbegeisterung der Tochter zu ertragen und zu hoffen, dass der Sohnemann trotz seiner Flausen im Kopf und der faulen Haut die Gymnasialempfehlung bekommt. Ergänzt wird der ganz alltägliche Familienwahnsinn durch gelegentliche Gastauftritte diverser älterer Verwandter, die zwar hilfreich sind aber alle Abläufe durcheinander bringen und zahlloser anderer Besucher, die die ländliche Idylle genießen wollen und sich selbst zum Urlaub einladen. Das endgültige Chaos wird wohl nur dank Wenzel-Berta verhindert, vermutlich ursprünglich Schlesierin (wieder der Zeitgeist, so ganz konnte ich mir keinen Reim auf die Anspielungen machen; aber spielt für das Verständnis ja keine Rolle), und als Mutter eines mittlerweile erwachsenen Sohnes mit genug Freizeit gesegnet, um offiziell als Putzfrau, inoffiziell aber auch als Kindermädchen, Tortenbäckerin, Aushilfsköchin und Organisationstalent, den Seelenfrieden der Mutter und damit der gesamten Familie zu retten.

Der ganz normale Familienwahnsinn eben. Nun mag es daran liegen, dass ich mit bloß zwei Brüdern aufgewachsen bin, wir höchst selten Übernachtungsbesuch bekommen haben und die Verwandtschaft in unmittelbarer Nähe gewohnt hat, ich außerdem mittlerweile in einer kleinen WG wohne, in der Besuch eher die Ausnahme als die Regel ist, dass ich das Chaos und den Trubel erheiternd finde. Es mag auch ein wenig an dem Gefühl der Nostalgie liegen, das einem bei den zugegebenermaßen manchmal abgründigen „Heile-Welt-Geschichten“ überkommen kann, aber der eigentliche Grund, warum diese Alltagsbeschreibungen so lustig sind, ist das erzählerische Talent von Evelyn Sanders. Sie hat gelegentlich eine Schwäche für das Ausrufezeichen, die ich nicht nachvollziehen kann und mich dadurch doch ein wenig belästigt fühle. Davon aber einmal abgesehen: Selbst solch katastrophalen Zustände wie ein Wohnzimmer, das man mit zwei Pullovern und einer Jacke betreten muss, um nicht zu erfrieren, während man das Haus nur noch auf Schlittschuhen erreicht und die Wäscheberge nicht trocken werden, erscheinen bei ihr nie wie ein Weltuntergang. Sie beschreibt es augenzwinkernd, sich darüber völlig im Klaren, dass solche Dinge dazu gehören und die Welt davon gewiss nicht untergeht, auch wenn es sich in der Situation so anfühlen mag. Es ist also immer das Augenzwinkern, das in ihre Alltagsbeobachtungen einfließt. Dabei wird es nie gemein, selbst wenn nicht sie es ist, die sich mit Missgeschicken herumärgern muss, sondern ihre Kinder oder ihr Mann die Betroffenen sind. Schnell könnte einem da die Ironie in Schadenfreude abgleiten, aber das geschieht Evelyn Sanders nie. Es bleibt stets heiter. Und der Feminist in mir nimmt die Reproduktion des Klischees, dass die Frau den kompletten Bereich des Häuslichen schmeißt, auch nicht schwer, denn die Mutter der Kompanie ist damit nicht bloß glücklich, sie ist sich über ihre Rolle im Klaren (sie ist reflektiert und hat sich diese bewusst zugemutet) und hat einen eigenen Kopf, der nicht von einem Patriarchen unterdrückt wird.

Wer also damit leben kann, dass in diesem Buch keinerlei Spannung aufkommt und keine großen Katastrophen geschehen, sondern einfach nur für ein paar Stunden gut unterhalten werden möchte und wer keine Berührungsängste mit der Lebenswelt von Mittdreißigern hat, die 1968 schon damit beschäftigt waren, eine Familie zu unterhalten, der ist mit diesem Buch gut bedient. Es ist die ideale Strandlektüre für den Urlaub … und vielleicht sogar zeitgeschichtlich zumindest ein klein wenig interessant.