Ständig und überall werden wir angehalten, Dinge zu bewerten: Apps bitten um Bewertungen für den Play Store, Restaurants um Bewertungen auf Facebook, One Night Stands um Bewertungen fürs Ego. Leben wir in einer Sterne-Gesellschaft?

Etwa einmal die Woche fragt uns irgendeine App auf dem Smartphone, ob wir mit ihr zufrieden seien. Es öffnet sich ein Popup und verhindert die Weiternutzung, bis wir auf „Nein, danke“ klicken und wieder einmal genervt feststellen: Wir bin zufrieden mit der App, sonst würden wir sie nicht nutzen. Aber wir nutzen die App, um Dinge damit zu tun, die Bitte um eine Bewertung verzögert die Nutzung der App. So gesehen ist die Bitte um Bewertung für uns ein Grund, einen Stern Abzug bei der Bewertung zu geben. Andererseits sind wir zufrieden mit der App, sonst würden wir sie nicht nutzen. So in ein Dilemma gestoßen, schließen wir die App und beschließen anschließend, erst einmal was essen zu gehen.

Im Restaurant angekommen bestellen wir irgendwas von der Karte und essen. Das Essen erfüllt seinen Zweck, es stillt den Hunger und in den meisten Fällen kommt es auch dem Genuss-Bedürfnis entgegen. Wir zahlen, nehmen den Kassenbon entgegen und werden gebeten, das Restaurant auf Facebook zu bewerten. Kurz ziehen wir es in Erwägung, bis uns einfällt, dass Facebook dann in den nächsten zwei Jahren Werbung ausliefern wird für ähnliche Restaurants. Wir öffnen dennoch die Facebook-App und werden prompt gefragt, ob wir mit ihr zufrieden sind, verdrehen die Augen und gehen auf Toilette, statt zu bewerten.

Auf der Toilette angekommen, fällt uns als erstes ein Toilettenbewertungsinterface auf. Wir kratzen uns am Kopf und überlegen, ob damit wirklich die Sauberkeit bewertet werden soll und unsere Meinung der Verbesserung zuträglich ist. Denn wenn wir auf den roten Knopf drücken, wer garantiert uns, dass es eine Reaktion unserem Sinne geben wird? Wahrscheinlich bedeutet 1x roter Knopf, dass irgendeine arme Reinigungskraft heruntergeputzt wird, dass sie ihre Arbeit nicht gut gemacht hat. Das wäre nicht in unserem Sinne.

Bewertungen

Wann immer wir etwas bewerten, ergeben sich Konsequenzen für uns selbst, wenn wir Facebook unsere Meinung mitteilen oder für andere, deren Arbeit wir damit implizit kritisieren. Die schnelle Frage nach ein bis fünf Sternen kommt harmlos daher, aber mit jedem Mal geben wir etwas über uns preis und zeitigen Konsequenzen, die wir so gar nicht wünschen. Außerdem lernen wir eins: Alles und jeden gilt es zu bewerten. Scheiß Kapitalismus.

So erzogen sitzen wir im Jahresgespräch mit unseren Vorgesetzten und lassen uns entlang verschiedener Kriterien vermessen: Sozialverhalten mit den Kollegen, Einfallsreichtum, Zuverlässigkeit, Arbeitstempo. Am Ende steht ein Dokument, aus dem wir mit ein wenig logischem Denken feststellen können, dass wir drei Sterne oder vier waren, vielleicht auch nur zwei.

Enttäuscht über lediglich zwei Sterne oder euphorisiert über vier Sterne gehen wir abends weg. An der Bar lehnt ein Typ, der uns interessiert: Frisur vier Sterne, Outfit drei Sterne, Augen fünf Sterne. Intellektuell kommen nur zwei Sterne rum, aber egal: Unser Pegel ist hoch genug, um doppelt zu sehen, in seinen Augen blitzen zwei weitere Sterne, die sich daraus ergebenden acht Sterne sprengen die Skala und wir nehmen ihn mit heim.

Am nächsten Morgen fragt er euch, wie er war. Während ihr darüber nachdenkt, ob es jetzt drei oder vier Sterne waren, macht ihr Frühstück und weist euren Gast darauf hin, er möge euch doch nachher bei Facebook bewerten.

11 Kommentare zu „Über Bewertungen

  1. Wo ist der Haken an diesem Beitrag? Hä? Da kommt doch bestümmt gleich ein Aufruf das man ihn doch bittschön bewerten solle bevor man da wieder raus kommt….🤔…ich kommentier ma lieber kurz….vielllllllllllleicht kommt dann kein Button….hehe….( auf Zehenspitzen raus schleich )

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  2. Letztens hat jemand, der von seinem Vermieter aus der seiner Wohnung geklagt wurde allen ernstens zu mir gesagt: „Der bekommt von mir eine schlechte Bewertung“. Da habe ich mich wirklich alt gefühlt. Ich würde das mit den Bewertungen aber nicht überbewerten.

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  3. Als ich eben „gefällt mir“ angeklickt habe, stand da aber nur ein Stern. Ich würde gern mehr vergeben 😉 – aber nur hier bei Dir, ansonsten geht mir diese ganze Um-Bewertung-Nötigung mächtig auf den Keks. Würde man alles und jeden bewerten, hätte man einen ausgefüllten Tag. Aber wer bewertet dann am Ende meinen Bewertungseifer? 😉 Irgendwo ist da doch noch eine Lücke, die geschlossen werden sollte 😉

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  4. Tja, schwierig. Ich glaube, die Menschen möchten eigentlich sagen „Bitte bewerten Sie uns GUT“ 😀
    Trotzdem lese ich gern die Bewertungen (Worte, nicht Sterne) zu Produkten, da dies manchmal doch ganz hilfreich ist. Ist das gemein gegenüber den Produktherstellern? Vielleicht, aber vielleicht ermuntert sie es ja doch, die Produkte zu verbessern. Oder verstehen wenigstens, warum man sie nicht kauft *schulterzuck*

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