Wir befinden uns mitten in der Fastenzeit. Alle Fasten. Er fastet, sie fastet, sie fasten, ihr fastet, wir fasten, sogar ich faste – und du kannst es nicht fassen? Lose Gedanken zu einem katholischen Brauch.

Das Fasten ist universeller Ausdruck von Religiosität. Keine Glaubensrichtung, die ohne Fasten-Vorschriften auskommt (sogar beim BUND fasten sie – Plastik). Und bevor irgendwelche piefigen Protestanten protestieren, dass Fasten unter Lutheranern nicht verbreitet sei, denen rufe ich entgegen, dass Luther zwar gesagt hat, diese ganze Fasterei bringe den Menschen nicht näher zu Gott, aber das Fasten in der evangelischen Kirche („7 Wochen ohne“, was noch krasser ist als das katholische „40 Tage ohne“ – dafür bei den Protestierern mit Motto, also auf ein Thema beschränkt) haben Lutheraner wieder eingeführt und nicht irgendwelche weichgespülten Kompromissler aus einer unierten Kirche.

Fasten ist mittlerweile Wellness und ein wenig esoterisch. Kein Wunder also, dass die Evangelen das für sich entdeckt haben, ist die evangelische Kirche doch eine Mischung aus KPD-Parteitag und dem Musical Hair. Wenn New-Age-Religiöse also das Fasten toll finden, muss es auch die evangelische Kirche toll finden.

Fasten ist, wie aus diesen Worten zu entnehmen, für mich ein dreifaches rotes Tuch:

  1.  Als evangelisch sozialisierter Mensch an den Ausläufern des katholischen Rheinlandes, der sich über dieses Fasten lustig gemacht hat.
  2. Als reiner Steuer-Evangele, der sich über jede Idee seiner Amtskirche lustig macht.
  3. Als Gegner von Hokus Pokus und sonstigen Wellness-Geschäftsideen.

Trotzdem habe ich relativ spontan entschieden, es mal auszuprobieren. Bei Zeilenende gibt es keine Süßigkeiten mehr, mit folgenden Ausnahmen: Obst, ein Marmeladenbrot zum Frühstück, eine Portion Porridge zum Mittagessen (der aber nur ein ganz klein wenig Vanillezucker enthält), der Proteinshake, wobei in dem bestimmt nur Süßstoff ist und die Cola, in der wirklich nur Süßstoff ist (kein Koffein, kein Mensch). Und mit der Ausnahme, die drei Kekse im Schreibtisch noch aufzuessen, damit sie nicht schlecht werden. Kurz dachte das Zeilenende auch darüber nach, keinen Alkohol zu trinken. Aber der Vorsatz ist ja bekannt, den gibt es auch in der verschärften Form „Ich werde nie wieder Alkohol trinken“ und hält stets bis zum nächsten Wochenende.

Es wäre ein Fehler, das Fasten als Verbot zu betrachten, deshalb ist katholisches Fasten wahrscheinlich so wenig reizvoll, denn die katholische Kirche operiert in der reinen Lehre mit Geboten und Verboten, die das Fasten unattraktiv machen.

Moment, was hat das Zeilenende da gerade gesagt? Kann Verzicht auch attraktiv sein? Ist Askese sexy?

Unter jungen Menschen beobachte ich verstärkt, dass Askese sexy ist. Straight Edge war in meiner späten Jugend zwar ein Begriff, wurde aber belächelt. Heutzutage komme ich mir als rauchender, saufender (Teilzeit-)Fleischfresser auf mancher Tanzfläche wie ein Dinosaurier vor – und das nicht, weil der gespielte Song vor der Geburt der pickligen Menschen um mich herum populär war und ich mich trotzdem an seine Veröffentlichung erinnern konnte. Es scheint jedenfalls was dran zu sein, dass Entsagung attraktiv ist. Da wächst eine neuen Generation weltlicher Mönche und Nonnen heran. Ob ich das gut finden soll, weiß ich nicht. Aber die Erfahrungen sollen sie machen.

Beim Fasten geht es allerdings nicht darum, sein Leben zu ändern. Von daher sollte man das Fasten nicht als Konsumverbot betrachten, sondern als Möglichkeit, eine Gewohnheit zu packen und sie kritisch zu beobachten, indem man sich von ihr distanziert. Ich hatte bei mir beobachtet, dass die Kekse ständig leer waren und ich viel Geld beim Bäcker ließ. Das missfiel mir.

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Dabei sieht es so verlockend aus, das viele süße Zeug!

 

Derzeit missfällt es mir, dass ich nichts Süßes bekomme. Nur weil man nicht sagt, dass man sich selbst etwas verbietet, kann es sich dennoch so anfühlen. Fasten ist pures Leid. Ich laufe momentan sehr ungern an Bäckereien vorbei, aus denen es nach Teilchen riecht. Und ich fand es traurig, gleich mehrmals angebotene Kuchen zum Einstand bzw. Geburtstag abzulehnen, weil ich konsequent sein wollte. Andererseits war ich beim letzten Mal ein wenig stolz auf mich, weil ich es nicht mehr mit leidendem Unterton sagte. Manchmal ist es auch schön, nein zu sagen. Das sind die Momente, wo ein „Nein, danke“ aufrichtig und nicht schnippisch klingt (also anders als bei „Schatz, du bist fett. Noch ein Kotelett?“ „Nein, danke.“)

Der Verzicht auf Süßigkeiten fühlt sich ein wenig an wie Nikotin-Entzug, es ist körperlich spürbar. Das wird jetzt keine Zuckerschelte, es ist vielmehr so, dass mein Speiseplan ein wenig zu eintönig war und ich das irgendwie kompensieren musste. Sowas merkt man selten einfach so.

Von daher ist Fasten vielleicht doch keine blöde Idee. Wir wissen schließlich alle, wie ein gutes Leben ausschaut, wir brauchen dafür weder den Katholizismus noch Weight Watchers oder andere Ideologien. Jenseits der Frage, ob Zucker grundsätzlich ungesund ist, wissen wir, dass zu viel Zucker ungesund ist. Man ersetze in diesem Beispiel Zucker durch Alkohol, Fett, Online-Zeit, whatever. Sogar Nikotin geht, weil „gut“ nicht synonym mit „gesund“ ist. Andererseits stellen die Ideologien Momente bereit, sich und seine Gewohnheiten zu packen und kritisch zu betrachten – aus der Ferne. Nicht so wie man das morgens früh im Spiegel macht: Nach dem Duschen (dann ist er noch beschlagen), aus 10m Entfernung und ohne Brille, nicht länger als 5 Sekunden, sondern in einer Art wissenschaftlicher Langzeituntersuchung, in der man sich selbst neu kalibriert.

Die letzte Metapher war für meine Freunde, die große Fans von Julien de La Mettrie sind. Esoteriker muss ich vom Sinn des Fastens ja nicht überzeugen, sondern ihnen eher entgegenrufen, dass der „Hungermodus“ (damit meine ich nicht den „Hungerstoffwechsel) des Körpers so gesund nicht sein kann, weil Hunger das Weiterleben bedroht und damit eine existentielle Stress-Situation ist. Aber für die Materialisten, die den Menschen als (intelligente) Maschine sei aufgetragen, über die Frage nachzudenken, warum man selbst Atom-Uhren hin und wieder korrigieren muss, aber die menschlichen Gewohnheiten nicht.

 

37 Kommentare zu „Vom Fasten

      1. Warum? Ich bin keine gläubige Katholikin, ich muss keine Diät machen, Alkohol trinke ich sowieso generell nur alle paar Wochen mal und das Leben ist zu kurz und meine Nerven zu dünn, um vom Ungesunden Abstand zu nehmen oder in Stressphasen, die ich gerade wieder habe, ausgerechnet auch zu fasten und meine Nerven noch zusätzlich zu strapazieren. 😉 Habe also keinerlei Gründe zum Fasten. 😀

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          1. Natürlich. Das stimmt.
            Also Essenfasten wäre ohnehin keine sehr gute Idee für mich, da ich die letzten Monate Stressabnehmen hatte. 😉 Aber ohne weniger zu essen. Ich liebe Essen – geht immer.

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      2. Mein Geldbeutel müsste wieder fasten, aber das täte er auch ohne „erzwungene“ Fastenzeiten. Ich denke, wenn man bei etwas wirklich zurückstecken will und muss, dann braucht es dafür keine extra Zeit. Entweder es gibt was zu ändern oder nicht.

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          1. Irgendwann kommt immer die Zeit, da man realisieren muss, dass man was ändern muss.
            Wenn so eine bestimmte Zeit dabei hilft, ist ja auch ok. Will ich niemandem absprechen.
            Ich halte es selbst halt anders. Ist für mich so wie die Neujahrsvorsätze. Die dann meistens nicht eingehalten werden.

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  1. Wenn selbst du als größter Zweifler fastest… 😁

    Ich faste auch, allerdings nicht aus religiösen Gründen, sondern eher, um mir selbst den Überfluss bewusst zu machen. Und zwar ohne Pausentage: Süßigkeiten, Fleisch und Alkohol. Und ich muss leider zugeben, dass Letzteres am schwersten fällt.

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  2. Lieber Zeilenende, wie immer regen deine Texte zum nachdenken an. Gefastet wurde in meiner Familie nie, auch wenn wir mit jeder denkbaren Religion vertraut waren, überzeugte uns der Gedanke nicht (als Kind sowieso nicht) und so hat sich mein Fasten bis zum 50. Lebensjahr hinausgeschoben, dafür habe ich jetzt eine halbe Religion daraus gemacht und faste für Plastiktüten, Fernsehen, Süßigkeiten, Fett, Konsum, Auto fahren usw, bis auf Fotografieren und das dusselige Internet, aber irgendwas ist ja immer 😀 Weiterhin frohes Fasten 😉

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  3. Lieber Zeilenende, obwohl ich noch nie diätet habe und mit Kirche so gar nichts am Hut habe, dieses Jahr ist das Fasten dann doch auch bei mir ein Thema. Mir fiel der etwas erhöhte Rotweinkonsum wie ein Zaunpfahl ins Auge. Den gilt es einfach nur bewusster zu beobachten. Also nicht den gesamten Alkohol 😀 . Ist schon interessant, in dem Moment, wenn man sich ein Gläschen einschenken möchte, mal zu fragen: „was will ich grad wirklich?“. Und oh Wunder, manchmal ists ein selbst gemixt er Smoothie.
    Dein Candida wird über Deinen reduzierten Zuckerkonsum wenig begeistert sein, denk ich 😉 . Pass bloss auf, das Vieh ist gefährlich!
    LG

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    1. Das kann aber nicht schlecht sein, dass sie hungert, die Candida. Auf den Genitalien? Echt jetzt? Ist ja widerlich.
      Ansonsten stimme ich dir voll und ganz zu. Gerade dieses „Ich kompensiere durch eine Gewohnheit einen Mangel, der ganz woanders herrscht.“ ist eine tückische Sache. Ich wünsche dir weiterhin frohes Fasten. ☺

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  4. Hier wird auch „gefastet“, weniger oder nicht aus religiösen Gründen, mehr um die Weihnachtspfunde wieder etwas zu reduzieren 😉 Von Fastenregeln habe ich eh so gar keine Ahnung. Hier gelten nur ein paar Wochen unsere eigenen Regeln 😉 😀 und dann gibt es wieder in Maßen Kuchen, Kekse, Schokolade und manchmal vielleicht auch das eine oder andere Glas Wein.
    Liebe Grüße von der Silberdistel

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  5. Dieses Jahr habe ich Karneval aus dem Vollen geschöpft und das Fasten unter den Tisch fallen gelassen. Bewussten Genuss empfinde ich so viel wohltuender als bewussten Verzicht 😉

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  6. erst mal: sehr vergnüglich und tiefsinnig geschrieben, mal wieder, liebes Zeilenende.
    Zum Fasten in der Orthodoxie: da kann ich nur sagen: es ist ein Genuss, wenn man es wie die meisten Griechen ganz unorthodox betreibt. Schon der erste Tag des Fastens! was wird da nicht alles aufgetischt und getafelt! Und das, wenn irgend möglich, unter freiem Himmel, mit dem Papa, der versucht, den Drachen in die Luft zu bekommen, und der Mama, die vom leckeren ungesäuerten Fastenbrot Scheiben abschneidet und die vielfältigen Salate, Tintenfische, Oliven etc pp an die auf Decken lagende Gesellschaft austeilt.
    Geht man während der Fastenzeit in die Taverne, werden einem allerlei Leckereien angeboten, fleischlos zwar, aber durchaus nicht monoton: Schwarzaugen-Bohnen mit Spinat, Weinblätter-Rolladen mit Reisfüllung, Oktapus in diversen Zubereitungen … ich höre schon auf, nicht dass du jetzt Hunger kriegst. Das Schöne also ist, dass sehr viele Menschen gleichzeitig ihre Essgewohnheiten ändern und man also nicht dusselig angesehen wird, wenn man mal was Fleischloses haben will.
    Dies Fasten hat natürliche Gründe: die Lämmer und Zicklein sind noch zu klein, um sie zu verzehren, die Milch wird für die Tiere gebraucht, Grünzeug, Hülsenfrüchte, Oliven, Zitronen etc aber gibt es in Hülle und Fülle. Die Kirche hat sich unnatürlicherweise dann doch noch einen Trick ausgedacht, um die wirklich Frommen von den Mitäufern zu scheiden: das strenge Fastenprogramm einige Tage vor Ostern, wo dann nicht mal Olivenöl erlaubt ist.

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    1. Oh, ich glaube, ich mag orthodoxes Fasten. Ich habe noch Reisnudeln und Auberginen und passierte Tomaten und Knoblauch und Käse. 😅 Danke für die Bereicherung meines Beitrags, sowohl um die religiöse als auch die landwirtschaftliche Komponente. Dass das Fasten auch wegen dem Rhythmus der Natur seinen Sinn hat, war mir gar nicht bewusst. ☺

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