Über Andy Weirs überraschenden Erfolg „Der Marsianer“ ist bereits viel geschrieben worden. Eigentlich lohnt es sich gar nicht, weitere große Worte zu verlieren, möchte man denken. Doch es lohnt sich dennoch, denn Andy Weir gelingt ein untypischer und zugleich traditionelles Stück Hard Science Fiction.

Inhalt lt. Verlags-Homepage

Der Astronaut Mark Watney war auf dem besten Weg, eine lebende Legende zu werden: Als einer der ersten Menschen in der Geschichte der Raumfahrt betritt er den Mars. Nun, sechs Tage später, ist Mark auf dem besten Weg, der erste Mensch zu werden, der auf dem Mars sterben wird: Bei einer Expedition auf dem Roten Planeten gerät er in einen Sandsturm, und als er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht, ist er allein. Auf dem Mars. Ohne Ausrüstung. Ohne Nahrung. Und ohne Crew, denn die ist bereits auf dem Weg zurück zur Erde. Es ist der Beginn eines spektakulären Überlebenskampfes …

1. Pointe: Pointen

Warum ist „Der Marsianer“ so gefällig und auf die Bestseller-Listen gerutscht? Die Antwort ist ziemlich einfach. Andy Weir erzählt pointensicher von Scheiße. Fäkalhumor funktioniert immer, auch im All. Und das, was Mark Watney gelegentlich liebevoll seinen Dünger nennt, ist eben genau das.

Damit nicht genug, erfreut uns Mark Watney mit einem trostlosen Freizeitprogramm aus Disco-Musik, Agatha-Christie-Romanen und alten Fernsehserien, aus denen er zu zitieren beginnt. Andy Weir macht sich vordergründig über popkulturelles Nerdtum lustig, weil sein Held mit all diesen Dingen nur notgedrungen etwas anfangen kann – außer mit der Disco-Musik, die er bis zum Schluss verabscheut. Das stößt beim nicht-nerdigen Lesepublikum auf mehr Verständnis als die Verbeugung vor der wirklich nerdigen Popkultur a la Ernest Cline (Ready Player One). Denn obwohl beide Romane Humor haben und sich vor dem Nerdtum verbeugen, tut Andy Weir es auf solch ironische Art, dass Nerd wie Nicht-Nerd mit seinen kleinen Spielereien etwas anfangen kann und damit offen für ein breites Lese-Publikum ist.

 

2. Pointe: Hard Science Fiction

Wir wissen nun also, warum der Roman gefällig ist. Wir wissen noch nicht, warum er zu einem Hype geführt hat. Mars-Literatur gibt es schließlich viel, im Bereich der Hard Science Fiction ist da insbesondere Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie zu nennen (Roter Mars, Grüner Mars, Blauer Mars), die dank des Erfolgs von Andy Weir neu aufgelegt wurde. Der Unterschied ist natürlich augenfällig: Robinsons Mars-Trilogie nimmt sich viel mehr Seiten und ist nicht halb so witzig wie „Der Marsianer“. Dennoch ist beides Hard Science Fiction.

Dass sich mit dem Marsianer ein solcher Titel auf den Bestseller-Listen etablieren konnte, mag erstaunlich sein, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass es massenkompatibel genug ist, um eine große Reichweite zu erreichen (man denke an den Humor), andererseits anspruchsvoll genug ist, um auf eine Community zurückzugreifen, die dem Buch wohlgesonnen ist. Auch Weir wirft mit Zahlen, Statistiken, Mathematik, Listen und ingenieurswissenschaftlichem Blabla um sich. Hier und da erklärt er es in einfacheren Bildern, aber im Kern geht es in diesem Buch um technische und biologische Zusammenhänge, die eine Reise zum und ein (Über-)Leben auf dem Mars möglich machen. Das ist nie trocken, aber gute alte Schule und deshalb gefällig.

 

3. Pointe: Perspektive umgedreht

Hard Science Fiction und Pointen zusammen zu führen allein ist nicht originell. Es erklärt vielleicht den Erfolg des Buchs, aber nicht den großen Erfolg des Buches, wir erinnern uns: Veröffentlichung im Selbstverlag 2011, Filmrechte 2013, 2015 Kinostart. Mit einer vergleichbaren Zeitspanne kann Harry Potter aufwarten, aber der ließ sich erst verkaufen, als auch Buch Nr. 2 erschienen war.

Das wirklich Originelle am Marsianer ist in meinen Augen, dass dieses Buch die Perspektive wechselt. Es ist keine Robinsonade, wie man erwarten sollte, wenn jemand strandet. Aber es geht eben nicht in erster Linie um den einsamen Menschen, der auf dem Mars strandet und dort um sein Überleben kämpft, denn sehr früh erfährt der Leser, dass Mark Watney gerettet werden soll. Das rückt „Der Marsianer“ eher in die Nähe von „Saving Private Ryan“.

Der zweite Aspekt, der „Der Marsianer“ so außergewöhnlich für einen Science Fiction Roman macht, hängt damit zusammen. Üblicherweise geht es in dieser Art Romanen darum, dass man als Leser auf ein Abenteuer geht und dem Unbekannten entgegenstrebt, einer besseren, aufregenden Zukunft. Der klassische Hard Science Fiction Roman ist entweder eine Dystopie oder vermittelt ein optimistisches Bild dessen, was dank der Technik für die Menschheit möglich sein wird. Durch den Fokus auf „Überleben auf dem Mars“ und „Rettet Mark Watney“ fiebert der Leser nun nicht der Erforschung des Mars entgegen (wie in der erwähnten Mars-Trilogie von Kim Stanley Robinson), sondern er reagiert emotional auf das Schicksal von Mark Watney, der zurück nach Hause muss, in Sicherheit. Er ist bereits im Unbekannten und von dem will der Leser ihn gemeinsam mit der NASA erlösen.

 

Fazit

Wer Gesellschaftskritik erwartet, dass dieser Roman erfolgreich war, kann sie haben: In gewisser Weise deutet sich Donald Trumps „America first“-Denkweise hier bereits an. Wer will schon einen Roman lesen, in dem wir „explore strange new worlds“ und „boldly go, where no man has gone before“, wenn wir auch ein Kriegsdrama lesen können, eben „Saving Private Ryan“ im Weltall? Andy Weir hat mit „Der Marsianer“ der Science Fiction gleichzeitig die Begeisterung für das Unbekannte ausgetrieben und das Weltall zu einem bedrohlichen Ort erklärt – den man besser nicht erforschen sollte. Auf der Erde ist es viel schöner, da stirbt man nicht.

Doch mit diesem Urteil allein wird man „Der Marsianer“ nicht gerecht, denn auch wenn Mark Watney Angst hat, ist er doch ein Forscher. In ihm lebt das Ideal weiter, dass man sich dem Unbekannten heroisch und mit viel Erfindungsgeist stellen sollte. Das scheint mir die Story zu sein, die Andy Weir eigentlich erzählen möchte, trifft sich aber mit einem Milieu, das den „Heimataspekt“ seines Romans und die hohe erzählerische Kunst eher zu schätzen weiß.

Der Roman kann also nichts für den traurigen Grund seines Erfolgs außer dahingehend, dass er witzig und zugleich fundiert ist. Es ist ein großartiges, unterhaltsames Buch, das man auch als Nicht-Science-Fiction-Fan lesen kann. Sofern man Fäkalhumor mag.

9 Kommentare zu „Andy Weir – Der Marsianer oder: Science Fiction anders herum

    1. Ich kenne den Film noch nicht, aber ich kann mir tatsächlich vorstellen, dass das Buch besser ist. Nicht, weil man so viel weglässt oder verfälscht, sondern weil Mark Watney auf dem Mars ganz allein ist. Das kann man im Buch halt besser umsetzen als im Film.

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    1. Ja, das Buch ist natürlich weiterhin ein klassischer Science Fiction Roman (die religiöse Ablehnung von Wissenschaft in einer technischen Welt, einem Raumschiff, hat Ben Bova in „Saturn“ übrigens gut aufs Korn genommen), mir ging es eher um das Thema, das er aufgreift. Da war der Erfolg vom Marsianer in meinen Augen nahezu prophetisch.
      Idealtypische Werke gibt es ja eigentlich nie, aber zeitdiagnostisch fand ich es interessant, weil die Themen eben Science Fiction, aber nicht „typisch“ Science Fiction sind … Oder noch nicht?
      Andererseits: Es gibt auch nicht idealtypische Länder: Man muss in Trumps Denken imho (1) zwischen Wissenschaft und Technik trennen, für Atombomben kann er sich durchaus begeistern, und darf (2) nicht vergessen, dass Amerika das Land der Kreationisten und der Alphabetisten (vormals Googlianer) zugleich ist. 😉

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