Jeden Montag stellt das Buch-Fresserchen seine Montagsfrage zu Lesegewohnheiten, (fast) jeden Dienstag bemühe ich mich um eine Antwort auf ihre Frage. Alle meine Antworten gibt es im Archiv. In dieser Woche heißt es: Des Zeilenendes Blut kocht über.

Warnung: In diesem Beitrag bin ich pauschalisierend, zuweilen grob, womöglich verletzend und ich mache implizit Menschen nieder, die auf Gay Romance stehen. Vorab: Ich will euch euer Genre nicht madig machen. Aber die Existenz dieses Genre allein bringt mich ebenso wie die Existenz von Hetero-Liebesromanen auf die Palme.

Ich wollte eigentlich nichts schreiben zu der gestrigen  Montagsfrage, denn am Mittwoch Abend gehe ich auf ein Konzert von Dieter Thomas Kuhn, am Donnerstag habe ich frei und am Samstag werde ich irgendwo eine Regenbogenflagge auftreiben müssen, weil ich keine habe. Aber ich habe mir ein nagelneues dunkelrotes Ultra Slim Fit Hemd für die Parade gekauft. Und ein rosafarbenes Hemd für den Dieter. Vielleicht ziehe ich aber auch das blaue mit den großen Edelweiß-Prints an. Wenn ich nicht zu erschöpft und/oder betrunken bin (ich habe ja einen Ruf zu pflegen), könnte es bei dem Outfit aber in jedem Fall passieren, dass ich mich entschließe, am nächsten Morgen nicht in meinem Bett aufzuwachen. Übrigens, neue Unterwäsche habe ich auch.

Jedenfalls wollte ich da nicht auch noch über Gay Romance schreiben. Die Woche ist eh schon reichlich rosa. Aber jetzt sitze ich hier und hacke mit abgeknickten Handgelenken auf meine Tastatur ein, während mir die Federboa zu Berge steht. Warum? Gay Romance

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Warum man sich zuweilen benutzt fühlt

Ja, ich bin mittlerweile ein wenig raus, was das Genre so alles an Überraschungen bereit hält. Aber auch mit ein paar Jahren Abstand seit der letzten Lektüre reichen die Klappentexte, um mir Tränen in die Augen zu treiben. Aber nicht die, die Mutter Zeilenende beim Sonntagsfilm im ZDF vergießt. Sondern die, die Bruderherz vergießt, wenn der Schiri im entscheidenden Spiel einen unberechtigten Elfmeter gegen den BVB gibt und der für die Niederlage sorgt.

Also mal ehrlich. Seichte, kitschige Liebesgeschichtchen, in denen sie ihn nicht kriegt oder er sie nicht, weil irgendwas dazwischen kommt oder es Missverständnisse gibt … Wenn Rosamunde Pilcher nun plötzlich Männchen miteinander verkuppelt, wird sie dadurch nicht zur literarischen Avantgarde.

Ich will nicht sagen, dass ich mich benutzt fühle. Okay, doch. Weil Gay Romance genau so idealisierender Kitsch ist wie die Liebesliteratur, mit denen sich das vorwiegend weibliche Lesepublikum nicht mehr vergleichen will. Wie viel harmloser ist es da, den gleichen Schmu einfach mit zwei Jungs abzuziehen. Klar … Es sei denn, man bekommt den perfekten Vorzeigeschwulen in so einer Geschichte vorgeführt, neben dem man wie der totale Loser dasteht.

Okay, das ist nicht unbedingt mein Problem. Ich find mich momentan ziemlich geil. Aber ich wollte das zum Einstieg los werden, denn – Sorry, Mädels – auch wenn ihr es nicht so gemeint haben solltet, die immer wieder auftauchende Formulierung, dass ihr euch endlich mal nicht vergleichen müsst, trifft. Vor allen Dingen, wenn man eh damit leben muss, in heteronormativen Gesellschaftsstrukturen der queer one zu sein.

 

Klischees, wohin man schaut

Ganz oft seien die Beziehungen auf Augenhöhe und gleichberechtigter als die Hetero-Pendants in der Literatur, durfte ich mehrfach lesen. Das mag ja so sein und das ist schön und gut, aber mal ehrlich, Mädels: In was für einer Welt lebt ihr, dass ihr bei dieser maßlosen Idealisierung nicht empört aufschreit? Mal ehrlich: Wie verquer sind eigentlich heterosexuelle Beziehungen? Sind die so schlimm, dass ihr den Gedanken nicht einmal zulassen könnt, dass es am anderen Ufer nicht genau so verquer aussieht wie bei euch?

Ich könnte das noch ein wenig ausdifferenzieren. Während es nämlich Probleme gibt, denen sich ein Homo-Pärchen nicht stellen muss (die Sache mit dem Kind zählt nicht, dafür gibt es den Hund. Merke: Eine schwule Beziehung ist dann ernst, wenn es ein Kind … äh, einen Hund gibt), dafür aber unter Umständen solche, denen sich ein Heten-Pärchen nicht stellen muss. Und ich rede hier nicht über die Aktiv-Passiv-Frage … Es gibt bei „uns“ (man verzeihe mir die mangelnde Differenzierung) zum Beispiel einen gewissen Hang zur Oberflächlichkeit, der ganz schön anstrengend sein kann, wenn man sich so direkt vergleichen kann. Da haben Heten-Pärchen es echt einfacher, so lange bis der Mann eine größere Körbchengröße erreicht hat als die Frau. Aber dann hat man es ja schon so lange miteinander ausgehalten, dass sich eine Trennung oft nicht mehr lohnt.

Es gibt mitnichten nur nervtötende Negativ-Klischees, es gibt auch das Positiv-Klischee, dass Beziehungen mehr auf Augenhöhe stattfinden, nur weil beide Partner einen (überdurchschnittlich großen, immer einsatzbereiten und überhaupt wohlgeformten) behaarten Brustkorb besitzen. Gay Romance degradiert schwule Beziehungen viel zu oft zu einem heterosexuellen Wunschtraum.

 

 

Aber was ist mit den Coming Outs?

Ist euch eigentlich mal aufgefallen, dass die Coming Outs, damit sie in diesen Geschichten Sinn machen, immer dramatisch sein müssen? Niemand will lesen: „Und dann sagte er seinen Eltern, dass er Männer liebe. Seine Mutter stutzte kurz und fragte dann besorgt, ob sie trotzdem Cannelloni zum Abendessen machen dürfe.“ Okay, in der Form vielleicht schon, aber der Punkt ist: Das Coming Out ist in solchen Romanen meistens ein Mittel zum Zweck, eine dramatische Nummer draus zu machen.

Das muss nicht so laufen. Ein Coming Out kann auch ganz undramatisch ablaufen. Oder sogar unterbleiben. Irgendwann erzähle ich euch vielleicht die gänzlich undramatische Geschichte, wieso meine Eltern nicht wissen, dass ihr Ältester schwul ist, mein Bruder aber schon (Hallo Mama, hallo Papa, schön, dass ihr zum ersten Mal in eurem Leben beschlossen habt, meinen Blog zu lesen.)

Aber manchmal sind sie doch dramatisch, deshalb muss darüber geschrieben werden

Ja, Herrgott nochmal, so ein Coming out kann auch echt dramatisch sein, aber mal unter uns Pastorentöchtern: Was hat der arme bedauernswerte Mensch, dessen Coming Out die Hölle ist, davon, dass diese Situation auch noch dazu missbraucht wird, einer Liebesgeschichte spannende Würze zu verleihen?

Achso, es könnte ihm helfen, dass es am Ende gut ausgeht. Das lässt ihn Zuversicht tanken. Und die Jungs, die sich nicht trauen, sich zu outen, die sehen auch, am Ende wird alles gut und eigentlich ist Schwulsein voll normal.

Echt jetzt? Selbst wenn die Geschichte kein durchgestyltes Ideal präsentiert (Happy Ends gibts nur im Märchen, Prinzessinnen) glaube ich nicht, dass Gay Romance dazu angetan wäre, dem armen noch ungeouteten oder geouteten und verzweifelten Bub weiter zu helfen. Einfach weil er sowas nicht liest.

 

 

Was ich mir statt Gay Romance wünschen würde

Es wäre echt toll, wenn Gay Romance kein Nischen-Genre wäre, sondern es das gar nicht gäbe. Sondern wie Rosamunde-Pilcher-Bücher endlich verboten würden. Und das meine ich nur halb im Spaß. Denn die Tatsache, dass oft beides der gleiche Mist mit mehr Penes (der korrekte Plural von Penis – damit habe ich auch meinen Bildungsauftrag erfüllt) ist. Und für die soziologisch bewegten Regenbogenfreund*innen unter uns: Letzten Endes reproduziert die Aufführung von Rosamunde-Pilcher-Plots mit homosexuellem Personal auch nur die heteronormativen Strukturen, die darin stecken und werden zu Kontrollmechanismen. Das hätte Foucault sich nicht besser ausdenken können.

Tun wir mal so, als seien Geschichten über Coming Outs wichtig … Okay, sie sind wichtig! Man kann Coming Outs aber auch ohne Romance erzählen. Es darf meinetwegen auch Liebe gehen, aber die Verquickung von Coming Out und Romance verengt die unterschiedlichen Facetten eines Coming Outs doch massiv. Wer mag, darf sich übrigens auch outen, ohne verliebt zu sein. Aber für die Emanzipation brauchen wir den Mist echt nicht. Und was die Diversity angeht … Es sagt doch schon alles, dass das hier ein eigenständiges Genre ist, oder? Noch dazu ein männlich dominiertes.

Unter uns: Ich unterstelle jeder männlichen Figur in jedem Roman, die nicht eindeutig Weibchen jagt ohnehin, sie sei schwul. Probiert es mal aus. Das ist allemal besser als das Thema im Gay Romance Ghetto zu belassen oder sich über jede offensichtlich queere Figur jenseits des Ghetto zu freuen.

Es gibt also durchaus Gründe, diese Art von Literatur abstoßend zu finden. Warum die Wortwahl dennoch daneben ist,  muss ich hier aber nicht ausführen. Das hat der gute Wulf für mich übernommen.

Jetzt, wo wir das geklärt hätten: Ja, ich weiß, ich schwenke gerade den ganz großen Holzhammer für ein echt nischiges Thema. Und ich weiß auch, dass man die Sache anders sehen kann. Und ich weiß auch, dass es auch positive Beispiele gibt. Nur, um den Ton in den Kommentaren ein wenig einzutakten. Sonst noch Fragen? Wenn nicht, würde mich interessieren, wer von euch sich dennoch auf die Füße getreten fühlt und von mir besänftigt werden muss.

16 Kommentare zu „Montagsfragen-Rant: Gay Romance

  1. Wow, da hast Du Dir aber wirklich Luft gemacht! Ziemlich deutlich. Ich weiß noch nicht ganz, wie ich das finde, aber ich vermute mal, dass Du vielen GR-LeserInnen unrecht tust, wenn Du ihnen vorwirfst, dass sie nicht differenzieren können und dass es ihnen nur um knackige Körper geht. Natürlich gibt es auch solche Geschichten, und zwar vermutlich zu Hauf. Und natürlich handelt es sich dabei oft auch um die übliche Liebesliteratur – mit Stereotypen, dem üblichen Spannungsaufbau … Aber, hey, manchmal will man eben auch mal pilchern. Und wer bin ich, dass ich Fans von Liebesliteratur vorhalte, dass die Bücher, die sie lesen, ja eh nicht der Realität entsprechen?! Da gibt es doch deutlich kritischer zu sehende Strömungen auf dem Markt …

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    1. Klar ist das bösartig und gemein, aber die Aussage einer Leserin, man kann die Geschichte besser genießen, wenn keine Frau darin vorkommt, sagt doch nur: Ich finde die Vorgänge in Liebesromane unerträglich, solange ich potentiell davon betroffen bin. Wenn ich nicht betroffen bin, ist es romantisch. Man kann das bigott nennen.
      Davon abgesehen werfe ich Autor*innen von Liebesromanen allgemein vor, dass es um die Körper geht. Protagonist*innen solcher Literatur sind i. d. R. Attraktiv. Und wenn ich mir die Gay Romance Cover anschaue, dann steckt da oft (! Nicht immer) besonders viel Lust am Expliziten drin.
      Mich stört vor allen Dingen, dass bei Gay Romance gleichzeitig stereotypisiert und durch die rosa Brille (Hihi) verklärt wird. Das ist genau der gleiche Mechanismus, mit dem auch die „Wilden“ Anfang des 20. Jahrhunderts beschrieben wurden. Entweder als wahre Zivilisierte. Oder als Klischee des Unzivilisierten. Mir fehlt das kritische Bewusstsein.
      Und natürlich gibt es kritischere Strömungen. Aber nach denen war nicht gefragt. 😉

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      1. Na ja, Frauenschnulzen mit Heteropärchen gibt es seit ewigen Zeiten – mit den entsprechenden üblen Covern und Klischees. Dass frau da auch mal ein Buch lesen will, in dem es um Männer geht und nicht die x-te Damsel in Distress auftaucht, die blond, blauäugig und bei allen beliebt ist, nun, das ist doch verständlich. Und natürlich fallen die Verlage bei MM-Romanen dann auf der anderen Seite vom Pferd und liefern Eye Candy mit Sixpacks, die bis zum Abwinken gephotoshopped (wie schreibt man das?) sind – ist genauso sexistisch und realitätsfern.
        Wer so etwas liest, ist sich dessen aber vermutlich ebenso bewusst wie die Leser von traditionellen Nackenbeißern. Und was spricht gegen eine gelegentliche Dosis Eskapismus?! Jeder so, wie er es mag … 😉

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        1. „gephotoshopt“, würde ich spontan sagen. Unterliegt ja den deutschen Grammatik-Regeln. Aber für eine Dosis Eskapismus muss man nun wahrlich nicht sein gesamtes kritisches Bewusstsein am Buchcover abgeben. Ein wenig davon darf man ruhig auch mitnehmen. Es gibt nämlich nicht unendlich viel richtiges Leben im Falschen. 😉

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  2. Egal wer die Figur in den Liebesschinken ist, sie strotzen vor Kitsch und das ist auch das, was die Leser wollen. Ich weiß, dass Kitsch Klischee braucht um für das ‚Publikum‘ zu funktionieren und dass ich deswegen schon die „althergebrachten literarischen Werke“ aus dem Genre nicht so toll finde. Und ich häufe da für mich die Romanzen, die eigentlich nur Erotikliteratur sind, einfach mal zusammen (Egal welche Ausrichtung die Figuren haben) 😉

    Also: Nicht aufregen ^.^

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  3. Wow. Jetzt habe ich in einem einzigen Blogartikel etwas gelernt, und gleichzeitig, dass ich es gar icht hätte lernen müssen, weil man’s nicht braucht. Nämlich dass Männerschnulzen ein eigenes Genre sind und gleichzeitig auch, dass die Existenz dieses Genres, von dem ich vorher kopfschüttelnd behauptet hätte, dass das doch in der Form keiner braucht auch von mindestens einem Menschen, der deutlich näher am Thema, ist für überflüssig gehalten wird. Gibt es auch Lesbian Romance oder läuft das bei Rosamunde nebenher mit?

    Es ist unwahrscheinlich, das sich sie je anbringen kann (ich habe keine Kinder und in meinem Alter werden die Coming-Outs langsam selten), aber die Cannelloni-Reaktion gefällt mir.

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    1. Ja, klar gibt es auch Lesben-Schmonzetten, genauso überflüssig! Das fängt schon bei der minderqualitativen Verpackung (billige Buchproduktion) an und hört bei den austauschbaren Plots und schlechten Dialogen noch lange nicht auf…
      Der Übergangsbereich zu „hochwertigeren“ Lesbenromanen ist breit und nicht so genau zu definieren, aber es gibt dort m. M. n. einige sehr gute Schriftstellerinnen. Und denen bin ich dankbar dafür, dass sie mir vor dem Coming out Angebote für Identifikationsfiguren gemacht haben, die es in meinem ‚real life‘ auf dem Dorf nicht (erkennbar) gab!

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      1. Danke für die Ergänzung. Die Bücher mit queeren Charakteren sind ja allgemein betrachtet was anderes als das recht platte „Romance“ Genre (auch wenn Romance nicht zwangsläufig platt sein muss). Bei deren Figuren habe ich immer arge Identifikationsprobleme.

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  4. Hehe, ich sehe dich vor meinem inneren Auge an deinem Rechner sitzen und wutentbrannt die Zeilen in die Tastatur hacken. Auch wenn mir der direkte Bezug fehlt: Kitschige Liebesliteratur ist nicht mein Ding, weder in Hetero- noch in Gay-Form… 😱

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