Es ist soweit, Rezensionstag beim aktuellen Buchdate. Ich gebe hiermit exklusiv kund, dass ich mich für eine Empfehlung des guten fraggle entschieden habe. Freut euch auf eine launige Besprechung von Tanja Kinkels „Götterdämmerung“.
Ich musste mit mir selbst ins Gericht gehen, welches Buch ich denn nun lesen sollte. Auch „Das späte Geständnis des Tristan Sadler“ von John Boyne hat es immerhin schon einmal auf meinen SuB geschafft, ich spürte aber, dass eine latente Lese-Unlust im Anmarsch war. Oder eher die Unlust, ein Buch nur für 30 Minuten in die Hand zu nehmen, dafür aber täglich. Ich brauchte ein Buch, mit dem ich schnell durch bin und das mich bei der Stange hält. Der Tristan Sadler schien mir dafür weniger gut geeignet zu sein als die Götterdämmerung und „Der fünfte Stein“ disqualifizierte sich aus dem sehr simplen Grund: Zu lang.

Inhalt lt. Autorenhomepage
Wer wacht über die Wächter? Der Schriftsteller Neil LaHaye versucht das schon seit Jahren, zuletzt mit einem Buch über die Gefangenen von Guantanamo, und hat sich dadurch bei der Mehrzahl seiner Landsleute gründlich unbeliebt gemacht. Sein neues Thema glaubt Neil in den Ursprüngen von AIDS gefunden zu haben. Er setzt sich auf die Spur des genialen Wissenschaftlers Victor Sanchez, der nach Kontakten zu frühen AIDS-Fällen plötzlich verschwand. Durch die Bekanntschaft mit Sanchez‘ Tochter Beatrice gelingt es Neil, den Forscher aufzuspüren; inzwischen arbeitet Sanchez für den gewaltigen Pharmakonzern Livion. Doch die Situation ist sehr viel komplexer, als Neil annimmt; die Fragen, die er stellt, greifen noch zu kurz. Die wahren Drahtzieher im Hintergrund sitzen nicht nur in der Pharmaindustrie, sondern auch im Pentagon, und haben allen Grund, niemanden in ihre Geheimnisse Einblick nehmen zu lassen. Aus der Beziehung zu Beatrice, die selbst auf der Suche nach Antworten ist, wird Liebe. Der Einsatz beim Kampf um die Wahrheit ist sehr viel höher, als die beiden es wahr haben wollen, und ihre Gegenspieler halten alle Karten in der Hand. Kann Neil diesen ungleichen Kampf überhaupt gewinnen?
Thematische Wiederbegegnung
Willkommen bei AIDS. Mal ernsthaft: Wer hat in den letzten Jahren noch verfolgt, wie sich das HI-Virus ausbreitet? Das Thema spielt medial kaum eine Rolle, zumal in Westeuropa ist ein langes Leben mit dem Erreger möglich ist. Dass die Infektionsrate nicht nur in Osteuropa konstant hoch ist, sondern auch bei uns zuletzt angestiegen ist, findet in den Köpfen der meisten Menschen kaum noch statt.
Ich gebe zu, ich verschwende auch nur selten einen Gedanken an das konkrete Problem HIV-Infektion, aber wenn man es im Kontext „Geschlechtskrankheiten allgemein“ mitdenkt, ist ja schon einmal viel gewonnen. Dennoch hatte ich, als das Thema auf dem Tisch war, ein paar Flashbacks, denn damals, in den 90er Jahren, als ich zur Schule gegangen bin, war das Thema noch ziemlich angstbesetzt. Und beim Lesen dieses 2005 erschienen Buches, war diese sorgenvolle Atmosphäre wieder da. Sie hat sich tief eingebrannt.
Von guten Beschreibungen und unsauberes Handwerk
Unbestreitbar ist: Tanja Kinkel hat ein Händchen für Ortsbeschreibungen. Die Settings, in denen sie ihren Roman spielen lässt, wurden alle lebendig. Sie hat den richtigen Ton getroffen, um die Schönheit Alaskas zu beschreiben und einen Laborkomplex wie eine fremde Welt wirken zu lassen, sie beschreibt Arbeitszimmer akribisch, ohne pedantisch zu werden und lässt so Bilder im Kopf entstehen.
Was ihr auch gelingt: Ihren Charakteren auf den Zahn zu fühlen, ihre Gefühlswelt zu ergründen und in die passenden Worte zu kleiden. Ein beachtliches Talent, was sie leider durch einen Hang zum Stereotypen verwässert und durch die Form ihres Romans verstärkt.
Letzteres ist vor allen Dingen ein persönliches Ding. Ich mag Bücher, die in Kapitel eingeteilt sind. Das bietet Orientierung beim Lesen. Mir ist es relativ schnuppe, ob es lange oder kurze Kapitel, mit oder ohne Unterkapitel sind. Aber bei Texten von mehr als 100 Druckseiten erwarte ich mehr als Sternchen und Leerzeilen, die einen Gedankensprung andeuten.
Doppelt problematisch wird das bei Tanja Kinkel dadurch, dass sie recht flott darin ist, die Perspektive zu wechseln: Plötzlich gibt es eine Rückblende oder die Perspektive wechselt, wir begleiten nun einen anderen Charakter. Man verliert dabei zwar nicht die Orientierung, ich empfinde diese Weigerung, Gedanken zu trennen, aber als unsauberes Handwerk.
Ein Kind seiner Zeit
„Götterdämmerung“ von Tanja Kinkel ist kein schlechtes Buch. Mein Teenager-Ich hätte das Buch für gut befunden, denn Tanja Kinkel erzählt eine Geschichte, die durchaus spannend ist, andererseits viel im Dunkeln lässt. Früher hätte ich sowas gut gefunden.
Heute bin ich kritischer. Für sich genommen ist „Götterdämmerung“ eine Ansammlung durchaus guter Geschichten vom Enthüllungsjournalisten und geschiedenen Vater, von einer Frau, die behutsam eine neue Welt entdeckt und ein Roadtrip durch die Natur Alaskas. Dann kommen aber die Momente, an denen Tanja Kinkel lustlos wirkt. Da werden Ereignisse in die Geschichte geworfen, die für die Geschichte wichtig sind, aber „nichts machen“ und vor allen Dingen gelingt es ihr nicht, die einzelnen Geschichten zu einer stimmigen Gesamt-Geschichte zu erzählen. Ich fragte mich, was für ein Knaller-Finale sie wohl bringen würde, als ich nur noch 100 Seiten vor mir hatte.
Sie verzichtet auf ein Knaller-Finale. Sie verweigert sich sogar dem Zusammenfügen der einzelnen Geschichten und Ideen in ihrem Buch.
Stattdessen tut sie dies: Sie zieht auf den letzten Seiten einen hanebüchenen Twist hervor. Sie präsentiert uns ein Ende der Geschichte, das zwar plausibel ist, aber im gesamten Buch nicht vorbereitet wurde. Statt sich die Mühe zu machen, die Geschichte zu einem Ende zu bringen, lose Fäden einzusammeln und zusammen zu fügen, entscheidet sich Tanja Kinkel dafür, ein Ende an den Haaren herbei zu ziehen und das in unerträglicher Lakonie zu Papier zu bringen. Mir ging ein Bild im Kopf umher, dass Tanja Kinkel wohl das Buch bis kurz vor Ende geschrieben hat, um dann in ihrem Zettelkasten ein vorgefertigtes Ende herausziehen und es ans Manuskript zu tackern, damit die Geschichte endlich fertig ist.
Mein Teenager-Ich hätte sie für diese skandalös überraschende Wende gefeiert. Denn damals, als das Buch erschien, waren diese abrupten Twists in letzter Minute meiner Erinnerung nach modern und beliebt. Mein heutiges Ich ist darüber frustriert und empfindet die Lösung als schriftstellerische Lustlosigkeit, weil ihm die sinnvolle Abrundung der diversen netten Geschichten verweigert wird.
Ich mag die Kinkel einfach nicht. … 😎
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Schäm Dich! 😉
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Ich dachte, es sei der Kinkel und der sei mittlerweile in Rente. *gg* Aber ich könnte mir vorstellen, dass sie als Autorin von historischen Romanen mehr drauf hat, da kommt es mehr auf Ambiente an.
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Historisch mag ich sowieso im seltensten Falle….
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Hmmmm, wie so oft bewahrst du mich durch die Rezension vor der Lektüre eines mittelmäßigen Buchs. Danke!
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Immer wieder ein Vergnügen. Und auch eine wertvolle Lektion: Ältere Thriller zumindest aus dem Bereich „Zeitgeschehen“ taugen später oftmals nicht mehr.
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Das ist bei Filmen dann oft so herrlich, wenn technische Spezifikationen aufgelistet werden. Bei »Hackers« erzählt eine ganz junge Angelina Jolie voller Stolz, dass sie ihren RAM-Seicher von 16 auf 32 MB verdoppeln wird… Tja, heute wären das dann wohl GB… 😉
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Das wiederum stimmt mich immer herrlich nostalgisch. Wargames ist in der Hinsicht auch toll. *gg*
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Ich habe mich in der Vergangenheit mal an zwei Büchern der Autorin versucht und festgestellt, dass sie mich einfach nicht fesseln kann, im Gegenteil, ich hasse es, wenn zwar jede Location und Situation bis ins kleinste Detail beschrieben wird, aber nicht die Story und mit ihr das Ende. Irgendwie macht mich das wütend.
Im Grunde geht es mir wie wortgeflumselkritzelkram …
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Ach, das ist bei ihr eine Standardmasche, dass das Ende an den Haaren herbeigezogen wird? Ich bin entsetzt!
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Ich hab nur eines davon zu Ende gelesen, es war was geschichtliches und da war es auch so.
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Das klingt ja atemberaubend (in der Art, dass es einem den Atem für etwas raubt, das man in der Zeit besser machen könnte: im Wald spazieren oder Tetris spielen ;-p).
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Genau so hast du das Buch richtig eingeschätzt. 🙂
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