Heute soll es zum ersten Mal um eine Amazon-Eigenproduktion gehen, Premiere also auf dem Blog. Unglaublich. Mit House of Cards gibt es immerhin schon seit geraumer Zeit eine Netflix-Besprechung hier auf dem Blog … Und das obwohl ich ein Prime-Abo und kein Netflix-Abo habe. Das muss sich ändern. So viel vorweg: Einen Vergleich zu HoC werde ich nicht ziehen, das wäre unfair. Aber damit genug des Vorgeplänkels, nun zu „The Man in the High Castle“.

Inhalt

„The Man in the High Castle“ spielt in einem alternativ-historischen Setting des Jahres 1962. Nazideutschland und Japan haben den Zweiten Weltkrieg gewonnen und daraufhin die Vereinigten Staaten von Amerika besetzt. Der Westen der ehemaligen USA macht nun die Japanese Pacific States aus, während der Osten zum Großdeutschen Reich gehört. Zwischen ihnen befindet sich die neutrale Pufferzone der Rocky Mountain States.

Es geht um Nazis, Japaner, amerikanischen Widerstand, Verschwörungen und Filmrollen, die alternative Versionen der Zukunft zeigen. Zukünfte, in denen Nazideutschland den Krieg verloren hat. Es geht um allgegenwärtige Angst ebenso wie die Möglichkeit zu Reformen und natürlich um die Umsetzung der Nazi-Ideologie in den Alltag. Denn der Spuk endete nicht nach zwölf Jahren, er konnte fast 30 Jahre lang in die Köpfe der Menschen sickern – und hat seine Überlegenheit durch den gewonnen Sieg bewiesen.

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Quelle

 

Fehlende Story

Die Zusammenfassungen zu „The Man in the High Castle“, die man all überall im Netz findet, enthalten unausgesprochen Warnungen. Sie deuten nämlich immer nur an, was es an Handlung in der ersten Staffel der Serie geben könnte. Das ist geschickt gemacht, denn tatsächlich verhält es sich so:

Was in der Serie gespielt wird, ist auch nach neun Folgen so gar nicht klar. Es gibt keinen wirklichen Plot. Stattdessen gibt es immer mal wieder Szenen, die Einblicke in das Leben dieser Alternativ-Welt bieten, es gibt Szenen, in denen die Filme für den Mann im hohen Schloss erwähnt werden, die Filme werden sogar gezeigt. Aber nach neun Folgen weiß man auch nicht mehr, als dass es diese Filme gibt. Es gibt zudem ein Attentat in der ersten Staffel, dessen Urheber nach neun Folgen noch nicht klar ist, es gibt japanisch-deutsche Konflikte ebenso wie innerdeutsche und innerjapanische Konflikte.

Das klingt nach einer ganzen Menge an Dingen, die erzählt werden könnte, aber sie werden nur angerissen. Konsequent verzichtet die Serie darauf, eine Geschichte zu erzählen. Die Macher beschränken sich bis kurz vor Staffelfinale darauf, zu zeigen, welche Geschichten sie erzählen könnten, wenn sie sich die Zeit nähmen. Und erst im Staffelfinale holen sie dann ein paar Katzen aus dem Sack. Aber was es mit den Filmen genau auf sich hat, welche Parteien es unter den Deutschen und Japanern gibt oder auch nur wie der Widerstand funktioniert, all das bleibt bis zuletzt offen. Stattdessen sammeln sich die Fragezeichen über den Köpfen der Zuschauer.

 

 

Keine Charaktere

Nun gut, denkt der geneigte Zuschauer sich. Die Macher von „The Man in the High Castle“ wollen in der ersten Staffel also lieber einmal vorzeigen, was in ihrer Alternativ-Welt so alles möglich ist. Stattdessen setzen sie auf spannende Charakter-Entwicklung oder zumindest ansprechenden Charakter-Aufbau … Oder überhaupt Charaktere.

Pustekuchen. Ich komme auf drei Figuren, die ich am Ende der ersten Staffel von „The Man in the High Castle“ zumindest ansatzweise sympathisch finde. Deprimierenderweise sind zwei davon Nazis. Eine Figur finde ich sympathisch wegen dem, was sie tut, die zweite Figur unerklärlicherweise und die dritte Figur, weil man bei ihr tatsächlich einen Charakter und einen Konflikt aufbaut. Aber den einzigen.

Andere Figuren wie die Widerständler oder Inspektor Kido verharren im Stereotyp. Man kommt ihnen nicht nahe, versteht ihre Motivation nicht, kommt ihnen auch im Laufe der Story nicht näher. Selbst Frank, der ein riesiges Potential hätte für Sympathie, kommt man nicht nahe. Sein Tun kauft man ihm nicht ab, es bleibt immer äußerlich – sein Wandel ist so vorhersehbar, dass auch das Stereotyp bleibt.

Entwicklungen sind nirgends zu erkennen. Auch wenn die Serie keine klassischen Hauptfiguren kennt, gibt es mit Joe und Juliana doch zwei Figuren im Mittelpunkt. Und Joe besitzt gar keinen Charakter, zeigt auch bei genauerem Hinschauen keinen und macht zu allem Überfluss keine Entwicklung durch. Juliana ist die einzige Figur, die sich entwickelt: Sie lernt Verantwortung zu übernehmen und sich durchzusetzen.

Es ist schon deprimierend, wenn die einzige Figur, die Charakter erkennen lässt, der Schurke ist, zumindest dann, wenn die Serie vom Setting her grundsätzlich so angelegt ist, dass man den Schurken nicht mögen darf. Weil er der Schurke ist. In dem Fall, weil er eine SS-Uniform trägt und mit Haut und Haaren ein Nazi ist. Das ist keine Rolle, die er spielt, John Smith lebt den Nationalsozialismus. Er ist eigentlich die ideale stereotype Figur, aber zugleich die einzige Figur, die eben kein Stereotyp ist. Die Charakter hat, statt bloß „unmotiviert“ zu handeln.

 

 

Atmosphäre

Worin die erste Staffel von „The Man in the High Castle“ gut ist: Atmosphäre aufzubauen. Was es bedeutet, dass die Nazis und die Japaner den Krieg gewonnen haben, wird spürbar. Die Nazi-Ideen und das extreme Klassen-Kasten-Rassen-Denken von Japanern und Deutschen wird gekonnt inszeniert. Sei es mit dem Antiquitäten-Händler, sei es mit dem Nippon Building oder den Alltags-Szenen der Familie Smith oder auch von Frank Frink. Man bekommt ein Gefühl dafür, was es bedeutet hätte, wenn der Zweite Weltkrieg anders ausgegangen wäre.

Gelegentlich beschlich mich in den neun Folgen das Gefühl, genau das will die Serie tun. Der Antiquitäten-Händler, der eigentlich nur eine Randfigur ist und dessen Verhalten man nicht groß erklären müsste, bekommt einen Entwicklungsmoment, der gefühlt eine ganze Folge in Anspruch nimmt. Für die „wichtigen“ Haupt- und Neben-Charaktere letztlich völlig bedeutungslos und in dieser Breite auch für die Story nicht von Belang, wird sein nicht vorhandener Charakter und seine Demütigung in epischer Breite erzählt. Einzig zu Stimmungszwecken.

Meistens funktioniert es aber über Kleinigkeiten, wenn Inspektor Kido zum Beispiel unvermittelt irgendwo auftaucht und Anweisungen gibt, damit die Macht der Kempetai untermalt … Oder wenn man an das Auftauchen von Heydrich denkt, der einem kalte Schauer über den Rücken jagt.

 

Fazit

„The Man in the High Castle“ ist in der ersten Staffel eine schwierige Serie. Sie bietet viel Stimmung, aber kaum Handlung und Charakter-Aufbau oder Entwicklung. Sie reißt viele Dinge einfach nur an, um zu zeigen: So ist die Welt von „The Man in the High Castle“. Bei einer Serienstaffel von 20+ Folgen ist es legitim, sich die Zeit zu nehmen, die Welt zu entwerfen, in der die Serie spielt, Nebenschauplätze zu entwickeln, Plot-Hinweise für zukünftige Staffeln großzügig auszustreuen und sich Zeit zu lassen.

Bei einer Kurzstaffel erwarte ich das nicht. Ich freue mich natürlich darüber, wenn die kompakten zehn Folgen genutzt werden und knackig ein paar zukünftige Handlungsstränge angedeutet werden. Ich erwarte aber in zehn Folgen für eine Staffel andererseits, dass sich die Serien-Macher auf das Wesentliche konzentrieren, eine Geschichte stringent erzählen und an diesen Strang immer wieder Dinge anknüpfen, fallen lassen und wieder aufnehmen, wenn es passt.

Die Pilot-Staffel von „The Man in the High Castle“ schafft das nicht. Sie bietet kaum stringente Handlung über zehn Folgen hinweg, nahezu keinerlei Charakter-Aufbau oder Entwicklung. Die Stimmung allein, so dicht sie auch ist, reicht nicht aus für ein gutes Ergebnis. Nach neun Folgen war ich mir fast sicher, ich würde nicht mehr als diese eine Folge schauen. Und lediglich die reichlich vorhandenen „What-the-fuck?!“-Momente des Staffelfinales haben mich die Entscheidung treffen lassen, Staffel 2 zumindest eine Chance zu geben. Eine Empfehlung gibt es von mir damit erst, wenn ich bewertet habe, ob sich Staffel 2 lohnt.

 

22 Kommentare zu „Was für ein Schloss?

  1. Ich fand die Serie durchaus gelungen, sehe aber gerade bei den Charakteren auch deutliches Verbesserungspotenzial. Die Idee der Parallelwelt reizt mich schon sehr, aber im Moment ist mein Drang die zweite Staffel zu sehen auch nicht sonderlich groß.

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    1. Ich fand die vorhandene Story auch nicht wirklich sauber … Aber in der zweiten Staffel (Review kommt) machen sie einiges besser. Allerdings drängt es ja nicht wirklich. Man kann sich Zeit lassen. *g*

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  2. Dann habe ich bisher ja nicht ganz so viel verpasst (derzeit sowieso kein Prime-Abonnent) – ich habe stattdessen die fünfte Staffel der anderen angesprochene Serie gesehen.
    Zwei deiner drei Lieblingscharaktere sind also Nazis? Was soll ich sagen, serien-/fimübergreifend gehört nämlich ein gewisser Hans Landa zu meinen Lieblingscharakteren 😀

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  3. Ich denke, für mich wäre die Serie nichts,, dabei finde ich die Idee an und für sich extrem spannend. Aber ich brauche Charaktere zum Identifizieren und eine Story.

    Derzeit bin ich gerade von Madame Secretary total angefixt 🙂

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  4. Mir hat die Serie gefallen. Gut gemacht, Schauspieler die in ihren Rollen aufgehen und sie authentisch verkörpern. Einzelne Schwächen in der Logik kann man übersehen. Die zweite Staffel ist dann noch komplexer und gewinnt an Tempo. Ich warte auf Staffel 3.

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    1. Die zweite Staffel war zumindest ganz gut … Mich haben die Darsteller in der ersten Staffel aber nicht wirklich überzeugt. Die waren mir alle zu sehr auf schauspielerischem Valium. Das war wohl Absicht, ist aber nicht meins.

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