Ich habe mir für das Jahr 2017 7 Bücher vorgenommen. Eines davon war ein Band mit Erzählungen von Thomas Mann. Sie hinterlassen mich ratlos.

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Thomas Mann und ich, das ist keine große Liebe. Den Felix Krull fand ich großartig von der Idee her. Aber stilistisch anstrengend. Ebenso wie alle andere, was ich von Mann gelesen habe. Ich dachte, in der Kurzform würde es vielleicht besser werden, würde ich verstehen, wieso Thomas Mann als Jahrhundert-Literat gilt. Doch dann fing ich an zu lesen … Und schielte immer wieder sehnsüchtig auf das Ende jeder Geschichte, in der Hoffnung, die nächste würde besser werden.

Statt also eine Rezension zu schreiben, kann ich nur versuchen, mein Unverständnis in Worte zu packen.

Der Tod in Venedig

Der Tod in Venedig ist … Ja … Es geht offenbar um Päderastie. Ein alter Mann, dessen Kopf sich verwirrt, weil er sich in einen Knaben an der Schwelle zum Mannesalter verliebt. Zumindest verstehe ich Tadzio als eine solche Figur. Aschenbach verliert im Laufe der Geschichte seinen Verstand, wird zum Narren … Und verliert sein Leben, weil er seinen Kopf verloren hat. Ist es eine schlecht gewählte Metapher über die verzehrende Kraft der Liebe? Geht es darum, dass wir in unserer Traum- und Wunschwelt gefangen sind? Ist es eine Warnung vor der Lust?

Fragen über Fragen … Noch dazu in endlosen Bandwurmsätzen verpackt, die ich bei Mann so sehr hasse. Seinen Bandwurmsätzen mangelt es an sprachlicher Eleganz. Sie packen nicht, sie ziehen den Geist nicht in den Bann. Sie lösen nur Leid aus, weil das Auge den nächsten Punkt sucht.

Tristan

Eine Sanatoriumsgeschichte. Wieder eine Geschichte über die Liebe? Eine über Hoffnungslosigkeit? Die unzugänglichste Geschichte. Sie macht irgendeinen Punkt. Nur sah ich ihn nicht.

Die vertauschten Köpfe

Vom Setting einmal abgesehen ist diese Erzählung dahingehend interessant, weil sie nach dem Verhältnis von Körper und Verstand fragt. Ein Thema, das unterschwellig auch in den beiden vorherigen Erzählungen auftaucht, in „Die vertauschten Köpfe“ aber durchdekliniert wird. Es handelt sich hier um ein philosophisches Gedankenexperiment, verpackt in gestelzte Formulierungen und eine Geschichte. Eine Geschichte auch darüber, dass man vorsichtig sein sollte mit dem, was man sich wünscht.

„Die vertauschten Köpfe“ ist zugänglich und spricht auf vielen Ebenen an, aber auch hier gelingt es Mann, den Spaß an der Lektüre gründlich zu verderben, weil er seine Charaktere so wählt, dass es zumindest mir nicht gelingt, ihr Verhalten nachzuvollziehen.

Gladius Dei

Noch mehr Fragen: Im Unterschied zum Tristan scheint diese Geschichte nicht einmal einen Punkt machen zu wollen. Sie ist absurd, irrsinnig … Ist es Gesellschaftskritik? Kunstkritik? Kritik der Kritik? Was, Thomas, was?!

Schwere Stunde

Thomas Manns Verneigung vor Schiller, der in dieser Geschichte wütet und schäumt und einen genialen Einfall hat. Leider sehr kurz, denn hier zeigt Mann, dass er mit Worten durchaus umzugehen weiß, dass er berührend sein kann. Man fragt sich nur: Warum nicht immer so?

Das Gesetz

Thomas Mann schreibt die Bibel neu und erzählt die Geschichte von Moses, der gemeinsam mit Gott, Aaron und ein paar anderen Sektierern das Volk Israel … Unterwirft? Wenn ich böse wäre, würde ich sagen, das habe ich schon bei Nietzsche gelesen, zwar nicht so explizit, dafür aber spannender.

 

Thomas Mann und ich – ein ketzerischer Gedanke statt eines Fazits

Wirklich Freude hatte ich sprachlich nur an „Schwere Stunde“, die leider sehr kurz ist. Inhaltlich erquickend war „Die vertauschten Köpfe“, aber dieses Schwelgerische, woran deutsche Schriftsteller immer kranken, wenn sie über Indien schreiben, macht auch diese Geschichte schwer erträglich. „Das Gesetz“ wäre sicher eine nette Erzählung gewesen, wenn auch sie nicht so elendig lang wäre. Ich hätte gern den Rotstift gezückt und ihm die aus der Bibel bekannten Passagen herausgestrichen.

Alles in allem … Ich glaube nicht, ich habe Thomas Mann nicht verstanden. Ich behaupte einfach ketzerisch, dass das überzeitliche Werk des Herrn Mann begrenzt ist, das meiste seiner Schriften aber mit dem Untergang der Lebenswelt von Thomas Mann für die Nachwelt … keine Bedeutung mehr hat?

44 Kommentare zu „Tiefe Ratlosigkeit

  1. Bruder im Geiste! 😉 Wir sind uns ausnahmsweise einig. 🙂

    Über das „Schwelgerische, woran deutsche Schriftsteller immer kranken, wenn sie über Indien schreiben“, habe ich ja lange nachgedacht, abe außer Hesses „Siddharta“ fällt mir spontan keines ein, das in Indien verortet ist..

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    1. Ohne Titel nennen zu können, bin ich mir recht sicher, dass es Gedichte von Brecht und Rilke zu Indien gibt, Schopenhauer natürlich und Carl Friedrich von Weizsäcker … Und ein paar habe ich bestimmt noch vergessen. Gerade bei Philosophen lege ich beim Reizwort „Indien“ das Buch gern weg. *gg*

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  2. Es ist so erfrischend, wenn mal einer schreibt….ne, der und ich, das wird nichts. Sogar noch begründet. Du hast tapfer durchgehalten. Ich drück die Daumen, dass das nächste Buch deutlich mehr Freude bereitet!

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    1. Das ist lieb von dir. Und ich kann sogar berichten: Das nachfolgende Buch war eine regelrechte Erlösung. Andererseits komme ich von Mann nicht los … „Königliche Hoheit“ liegt hier auch noch. Ich bin wohl Masochist.

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          1. Eine? Ein ganzer Wald. Walser, Jelinek, Saramago und immer wieder Steven Hawkin….letzterer kann aber nichts dafür, ich bin einfach zu doof für das Universum in der Nußschale 😉

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              1. Ich habe weniger das Problem, dass ich davon nicht überzeugt bin, wenn ich was empfehle, was bei meinem AG erscheint, sondern ich weiß, dass Empfehlungen schon einmal fehlgehen. Und in solch einem Fall ist man ganz schnell bei „Er hats ja nur empfohlen, weil er da arbeitet.“ Was nicht stimmen muss, mir mein Kopf aber vorgaukelt. *g*

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  3. Deshalb werde ich Mann wohl nicht wieder lesen. Nicht, weil er mir nicht gefallen hätte, sondern, weil schon. Und wer weiß, ob er mir 20 Jahre später eben auch noch gefällt oder man die Geschichten vielleicht kritischer betrachtet. Wobei, von seinen kurzen Geschichten ist auch nur der Titel des Tod in Venedig bei mir hängen geblieben

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    1. Deshalb lasse ich bei meinen Liebsten keine 20 Jahre vergehen. Der ein oder andere Autor, den ich vor 20 Jahren gelesen habe, kommt auch heute noch auf meinen Leseplan. Und ja, es gibt tatsächlich nicht nur einen Autoren, der seit 20 Jahren immer mal wieder in meinem Leben auftaucht.^^

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  4. Ich kenne von den genannten Titeln nur den Tod von Venedig, ansonsten seine großen Romane, die ich außerordentlich schätze, besonders das Riesenwerk „Joseph und seine Brüder“ und den „Zauberberg“. Du hast aber wohl recht, dass er langsam aus der Zeit fällt und in zwanzig Jahren kaum noch jemand bereit ist, sich auf seine Welt einzulassen. Ich (Jg 1942) verstehe ihn noch, ich finde seine Schreibweise wundervoll, eingängig, witzig, manchmal kalt ironisch…. ich liebe seine mythologischen Anspielungen, seine fantastischen Dialoge mit philosophischem Tiefgang, seine manchmal obskuren Charaktere, die so gar nicht Allerweltsleute sind Die Welt des Thomas Mann eben – großes Panorama, sattfarbige Bilder,

    Zur Länge fällt mir ein Bild von Cezanne ein: Jemand sagte, der Arm mit Ärmel des jungen Mannes sei viel zu lang, worauf ein Bewunderer meinte: ein so gut gemalter Ärmel kann gar nicht lang genug sein.
    Liebe Grüße dir!

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    1. Ich habe ja kein Problem mit Länge, mein Problem ist Langatmigkeit. Es gibt Länge, die gar nicht lang genug sein kann. John Irvings dickere Romane haben mich deprimiert, weil sie „schon“ vorbei waren. Bei Mann quält mich selbst die kurze Form. Der Felix Krull hat mich ja auch gequält – obwohl er von der Story her intelligent und erzählerisch durchaus gelungen war. Das mit Thomas und mir, das gibt einfach wohl nix.
      Ich glaube auch nicht, dass es unbedingt ein Problem ist des Einlassenwollens auf Mann und seine Lebenswelt, Bei seinen österreichischen Kollegen, die ich großzügig zu seiner Generation rechnen will, gibt es einige, die ich sehr liebe – allen voran Franz Kafka, der acht Jahre jünger ist, Arthur Schnitzler, 13 Jahre älter, aber auch Joseph Roth, der 19 Jahre jünger ist. Deren Lebenswelt ist mir noch sehr viel fremder, gerade weil ich hin und wieder geradezu klischeehaft „preußisch“ bin. Vielmehr würde ich sagen (und das ist ein Werturteil), Mann gelingt es nicht, seine Welt zu vermitteln. Und das tut Literatur, die die Zeiten überdauert, sonst würden wir heute keinen Dante und erstrecht keinen Homer lesen.

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  5. Ich glaube nicht, dass das Werk keine Bedeutung mehr hat. Seine Persönlichkeit spiegelt sich darin, die nicht unbedingt Sympathie erregt. Einigen seiner Erzählungen stehe ich auch verständnislos gegenüber: Gladius Dei, Wälsungenblut und andere, die ich inzwischen wieder vergessen habe. Ist schon lange her, seit ich das gelesen habe. Den Zauberberg fand ich aber großartig, und Doktor Faustus finde ich eine wesentlich gelungenere Bearbeitung des Faust-Stoffs als Goethes Faust.
    Was Tod in Venedig angeht, ich habe das damals so gelesen, dass der Protagonist eine Liebe in sich trägt, die nicht auslebbar ist, er weiß das, sie ist wie eine Krankheit, die ihn in den Abgrund zieht, bzw. in den er sich stürzt.

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    1. Deine Deutung des Tod in Venedig finde ich durchaus plausibel. Ich habe bei dem Thema eigentlich auch keine großen Berührungsängste. Vielleicht ist es der Punkt, wo es bloß um Sympathie geht. Aber du hast in einem Recht: Er fasziniert auf irgendeiner Ebene. Denn ich bin durchaus nicht gewillt, nie wieder Mann zu lesen. Andererseits muss es für so massives Unverständnis ja irgendeine Erklärung geben.

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      1. Ich weiß nicht, ob es zu kurz greift, das auf die teils verstörenden Einblicke in Manns Gedanken- und Gefühlswelt zu schieben, wäre aber geneigt, das zu tun, Die Sprache hat mich z. B. nicht gestört.
        Vielleicht tut auch das Unbehagen über die Breite, in der das Kranke und Zerfallende dargestellt werden, was dazu.

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      1. Nein, aber schon grundsätzlich keine Lust (derzeit) auf solche schwere Kost. Mit John Scalzi (‚‚Die letzte Einheit“, also ‚‚Krieg der Klone, Teil 4“) bin ich gerade genau da, wo ich sein möchte.

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