Das Zeilenende urteilt wieder ungerecht über mich. Und über sich dabei auch. Er tut so, als sei er ein großer Handarbeiter, dabei hat er nicht halb so viel drauf wie ich. Seine neue Mütze verdankt er übrigens auch nicht sich selbst, sondern mir. Eine Richtigstellung.

Das Zeilenende brüstete sich unlängst damit, dass er Mützen gestrickt habe. Vielleicht sei so viel ergänzt, dass er für die beiden Mützen knapp zwei Monate gebraucht hatte und der angefangene Socken bereits seit drei Wochen auf seinem Schreibtisch ruht. Nur, dass ihr keinen falschen Eindruck gewinnt. Das Zeilenende sitzt mitnichten abends im Schaukelstuhl und strickt, während ich auf ihm throne, Fußball gucke und Bier trinke. Dafür hat das Zeilenende keine Zeit, es muss Schnittchen für meine Kumpels und mich schmieren.

moritz
Der Autor persönlich. Ohne Schnittchen. Die hat er schon aufgegessen.

Wenn das Zeilenende doch einmal eine ruhige Minute hat, nunja. Vielleicht fange ich besser von vorne an.

Das Zeilenende beschloss eines abends, dass eine „anständige“ Mütze, wie er sich auszudrücken beliebte, nicht genüge. Mit anderen Mützen in seinem Schrank könne er sich nicht unter Menschen trauen. Er verspürte allerdings auch kein Bedürfnis, sich eine Mütze zu kaufen, denn er könne das ja selbst und dabei Rücksicht auf seine farblichen Bedürfnisse nehmen.

Gesagt … getan? Das Zeilenende begann zu stricken – unter meinem partiell wohlwollenden Blick. Ich war durchaus geneigt, das Zeilenende stricken zu lassen, da ihm erhöhte Fingerfertigkeit zugute kommen würde, wenn er mein Fell krault. Dementsprechend ließ ich ihn in Ruhe stricken. Allerdings nur etwa zwei Abende lang. Denn dann beschloss das Zeilenende, es habe nunmehr besseres zu tun, Bücher zu lesen oder andere langweilige Dinge. Ich war zutiefst empört, denn dafür hatte ich ihn nicht freigestellt und setzte mich anklagend auf seinen Schoß. Mehrere Tage lang.

Ich gebe zu, ich bin ein nachgiebiger Herrscher. Zu nachgiebig vielleicht. Ich bin aber auch gütig und hatte Mitleid mit dem armen Zeilenende, das ohne ein neues Mützchen arg frieren würde. Ich verstehe bis heute natürlich nicht, wieso Menschen sich kein Fell wachsen lassen. Ein Fell, ihr lieben Menschen, würde sehr viele Probleme lösen. Nicht zuletzt das der Ausbeutung von Kindern in den Nähereien von Bangladesch. Ich begreife nicht, wieso dieser Missstand nicht per Einführung von Fell behoben wird. Dann könnte man diese Kinder endlich auf Reisfarmen ausbeuten. Aber was gehen mich menschliche Angelegenheiten schon an?

Wie dem auch sei, ich saß also tagelang ununterbrochen anklagend auf des Zeilenendes Schoß, was für ihn unangenehmer war als mich, weil ich mich nicht geniere, das Zeilenende schon. Dennoch war mein stiller Protest letztlich erfolglos. Ich musste etwas anderes unternehmen. Und ja, wie gesagt, ich hatte Mitleid.

Es ist so, dass dieses erste Projekt meines ist. Es ehrt das Zeilenende, dass er die Missgestaltung auf seine Kappe Mütze nimmt, aber es ist dennoch gelogen. Genau so wie natürlich das zweite Projekt einer Ringelmütze meines ist. Ich bin aber durchaus erstaunt, wie viel Suggestionskraft ihr Menschen besitzt. Ja, ich interessiere mich für euer Wohlergehen. Nein, ich interessiere mich nicht für eure Wollknäuel.

Das Zeilenende beschwerte sich unlängst im privaten WG-Kreis über mich, dass ich zunächst kein Interesse an seinen Wollknäueln gehabt hätte, weder als sie offen herumlagen, noch als er damit strickte. Deshalb hatte er sie offen liegen gelassen. Doch eines Tages kehrte er in sein Zimmer zurück und fand die Wollknäuel auf dem Boden verteilt, inklusive seiner Mütze.

Dieser undankbare Kerl bemerkte natürlich nicht, dass das Gestrick seit der letzten Betrachtung um die ein oder andere Reihe gewachsen war. Er war damit beschäftigt mich zu beschuldigen: ICH würde sein Strickwerk sabotieren, weil es erst interessant wird, wenn man es kaputt machen kann. Dabei konnte er mir nicht schlüssig erklären, wie man nur mit Krallen und Kiefer ein angebrochenes Wollknäuel wieder auf den Schreibtisch legen solle, ohne Unordnung zu stiften. Es ist ihm auch nicht aufgefallen, dass die beiden Knäuel für die Ringelmütze immer vorbildlich verkreuzt nebeneinander lagen. Der menschliche Hochmut ist mir manchmal regelrecht zuwider. Und auch kein Wort der Anerkennung darüber, wie fein ich die Fäden vernäht habe. Ganz ohne Nadel. Nur mit meinen Krallen.

Und was tut das Zeilenende, jetzt wo ich so schnell gelernt und ein neues Hobby gefunden habe? Statt sich etwas Gutes von mir tun zu lassen … Naja, soll er halt selber sehen, wie er den Socken jemals fertig bekommt.

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20 Kommentare zu „Der große Verstricker

  1. Katzen und Wollknäuel…..das gehört ja wohl absolut zusammen! Sämtliche Klischee-Kartenhäuser würden in sich zusammenbrechen wenn dem plötzlich nicht mehr so wäre!

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    1. HA! Und auch ich muss mich da mal einschalten! Zugegeben…..unsereins interessiert sich hauptsächlich in jungen Jahren für Wollknäuele…..schult die Feinmotorik und so 😜 aber einer Katze / einem Kater Wollknäuele zu verwehren…..das grenzt ja wohl an bodenlose Unverschämtheit!

      Jedesmal mühsam auf den Schreibtisch hüpfen und die Wolle zu dir auf den Boden holen…..warum lässt er sie dir nicht gleich dort….pfffffff……

      Ich bin stolz auf Dich wie Du das mal wieder hingekriegt hast – ein Meisterstück!

      Liebste Grüsse
      Deine Emma

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  2. Hm, und das soll man glauben, das der feine Herr Moritz die Wolle unberührt liegen lässt? Was für ein Kostverächter. XD
    Aber eins muss man ihm lassen: Der Zustand der Socke(n) ist eine Katastrophe! Das kann und darf so nicht weitergehen! Zeilenende, stricken Sie! 😉

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  3. Aha, da steht dann Aussage gegen Aussage, ob es nun die Beherrschung des Chaos durch den geschärften Geist (oder die Kralle) war oder nur ein eine kätzische Unart (welche es selbstverständlich gar nicht gibt). Dass sich da nur mal keiner in irgendwas verstrickt!

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