Das Buchdate ist wieder mal im vollen Gange und gestern wurde mir ein Partner zugelost. fraggle vom Reißwolfblog (ja, der fraggle. Der mit den großartig-bösen Rezensionen und dem Lesetripper, den er sich mal bei einer Wanderhure eingefangen hat) muss sich durch meine Empfehlungen kämpfen, während ich von der guten Tausend (ich bin ja mal gespannt, ob ich nochmal Arno Schmidt untergejubelt bekomme 😉 ) bedacht werde.

Buchdate

fraggle war ein wenig besorgt darum, was ihm hier wohl bevorstehen könnte und es gibt wahrscheinlich keine kundigere Hand, jemanden in die schöne Welt der Klassiker gleiten zu lassen als die Meine. Du hast dich also auf die Erfahrung deines Lebens eingelassen, fraggle. 🙂

Zunächst die Anamnese. Was verrät der Patient (vorläufige Diagnose: Klassiker-Schnupfen, ausgelöst durch das Bakterium Mannia Thomasi) über seine Lesegewohnheiten?

Meine drei letzten Bücher:

„Das Buch der Spiegel“ von E. O. Chirovici
„Die Glücklichen“ von Kristine Bilkau
„Good as Gone“ von Amy Gentry

Wir sehen auf den ersten Blick: Das Zeilenende kennt keinen der Titel. Es kennt noch nicht einmal eines der Autorenwesen. Das ist … Ein Problem.

Lieblingsgenre:

Fantasy und Krimis

Ich verstehe, woher die Abneigung gegen Klassiker kommt. Weder das eine noch das andere Genre haben Klassiker hervorgebracht … (Steinigt mich ruhig dafür!) Jedenfalls ist es ein weiteres Problem, dass ich beiden Genres auf sehr spezielle Art zugetan bin.

Die drei liebsten Autorinnen und Autoren:

David Mitchell
Andreas Eschbach
John Boyne

Da kann ich wieder mitreden. Zumindest bei Andreas Eschbach, der durchaus gut schreibt und John Boyne, dem ich den Jungen im gestreiften Pyjama wegen dem Holocaust-Kitsch immer noch nicht verziehen habe. So ehrenvoll sein Anliegen war … Okay, ich gebe zu, ich habe ein grundsätzliches Problem mit Holocaust-Literatur. Aber der Junge kann immerhin schreiben. Das stimmt mich positiv für die Empfehlungen.

Was möchte ich überhaupt nicht lesen:

Schnulzen jedweder Art
Young Adult
Alles was einen überzogenen Gewaltgrad enthält, literweise Blut, Ritualmorde, Serienmörder, die eine Stadt in Atem halten usw.

… Ohnehin alles kein Klassikerpotential. Außer vielleicht das Mädchen vom Rotkäppchen, wenn man es psychoanalytisch liest. Und wie sieht es mit Klassikern aus, fraggle?

Ich stehe den sogenannten „Klassikern“ eher ablehnend gegenüber, daher auch meine lange Nachdenkphase hinsichtlich der Teilnahme am Buchdate #4. 🙂 Daher habe ich diese Klassiker auch fast ausschließlich zu Schulzeiten gelesen. Und wenigen positiven Beispielen („Homo Faber“ oder, ja, auch Goethes „Werther“) stehen viele Bücher entgegen, auf die ich damals gerne verzichtet hätte („Josef und seine Brüder“, „Nachdenken über Christa T.“, einiges von Lenz und alles von Martin Walser).

So sehr ich mir auch vornehme, doch irgendwann einmal Mann und Proust zu lesen, stelle ich mir immer kurz vorher die Frage: „Warum sollte ich mir das antun?“ 😉

Mir fallen ja viele Sachen zum Thema „Homo faber“ und „Werther“ ein, aber das letzte wäre „positives Beispiel“, es sei denn es ginge um Beispiele für alberne Bücher … Wobei ich bei der Abneigung gegen Thomas Mann ganz vorn mit dabei bin. Über Siegfried Lenz möchte ich an dieser Stelle hingegen nicht reden. Sonst würde mir das Herz bluten. Nun gut. Was tun wir jetzt? Empfehlen, genau! (Und ankündigen, dass am Donnerstag eine Rezension zu einem Buch von Siegfried Lenz erscheint – die ich lustigerweise schon Anfang März für diesen Tag vorgesehen habe. *gg*)

Das ist gar nicht so einfach und doch recht einfach. Ich überlege gerade, ob ich dir einfach drei Romane von Jules Verne empfehlen sollte. „Moderne Klassiker“ heißt für mich nämlich: Bis heute gern gelesen und nach 1870 erschienen. Aber damit würde ich es mir zu leicht machen. Stattdessen nehmen wir uns eine spannende Geschichte, eine fantastische Geschichte und eine spannende und fantastische Geschichte für dich heraus.

 

Arthur Schnitzler – Spiel im Morgengrauen

Spiel im Morgengrauen ist eine Novelle, sie ist recht kurz, straff in der Geschichte und spielt in nur 48 Stunden. Sie behandelt eigentlich nur ein Thema, nämlich das Glücksspiel. Und was für ein Glücksspiel. Ich finde Pokern recht langweilig – egal ob ich es spiele, zuschaue oder es im Fernsehen läuft. Aber das, was während dieses Spiels geschieht und in den Köpfen der Spieler vorgeht, erzählt Schnitzler so intensiv, dass es mich in den Bann geschlagen hat. In Folge dieses Buches hätte ich beinahe Haus und Hof verspielt.

Der letzte Satz ist natürlich übertrieben. Spannend wie ein guter Krimi ist die Novelle dennoch. Sie ist nicht nur dicht, sie ist auch vielschichtig und beschäftigt sich mit einer Vielzahl an Themen. Es geht um Liebe, Ehre, Tod, Verpflichtung und Verantwortung, den Pakt mit dem Teufel und natürlich um den Thrill des Spiels.

Schnitzler verfügt über einen psychologisch treffenden Blick auf Menschen und kann das in Literatur umsetzen. Ganz ohne Verbrechen ein richtiger Krimi.

 

Franz Kafka – Die Verwandlung

Ich gebe offen zu, dass das beste Werk von Franz Kafka „Das Schloss“ ist. Dem folgt sehr dicht „Der Process“ und dann mit ein wenig Abstand „Die Verwandlung“. Ich bin der Meinung, dass jeder Teenager in der Pubertät dieses Buch lesen sollte, damit es kein Gejammer mehr gibt. Es könnte nämlich sehr viel schlimmer kommen als bloß Pickel zu bekommen. Tatsächlich habe ich sie als Teenager zum ersten Mal gelesen – als Parabel auf die Pubertät.

Die Geschichte vom Gregor Samsa, der sich in einen Käfer verwandelt, ist zweifellos fantastisch im literarischen Sinne. Wie alle Geschichten von Kafka ist auch „Die Verwandlung“ natürlich hochsymbolisch, aber sehr offen für Deutungen. Später habe ich „Die Verwandlung“ als Lehrstück über den Umgang mit gesellschaftlichen Randgruppen gelesen, tiefer in der Kafka-Lektüre und mit Michel Foucault vertraut die Mechanismen der Isolation und Kontrolle über Menschen darin veranschaulicht gefunden. Ich könnte ewig so weitermachen, käme aber nicht zum Punkt. Der ist:

Ja, Kafka gilt als schwierig und unverständlich. Das liegt m. E. daran, dass er so gern mit dem Absurden spielt und es übertreibt. Das passiert ihm in „Die Verwandlung“ nicht. Deshalb ist sie die ideale Einstiegsdroge in den irren Kosmos von Franz Kafka.

 

Die dritte Empfehlung habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich hatte Jules Verne („Reise zum Mond“) für dich auf der Liste, ebenso wie H. G. Wells (Natürlich „Der Krieg der Welten“, an Stanislaw Lem („Solaris“) habe ich gedacht und Oscar Wilde („Das Bildnis des Dorian Gray“) in Erwägung gezogen. Schließlich war ich so weit, dir sogar „Starship Troopers“ von Robert Heinlein ans Herz zu legen, das mit dem gleichnamigen Film nicht viel zu tun hat (und deshalb nicht besser oder schlechter, sondern bloß anders sein kann). Mir war jedenfalls klar, dass ich einem Fantasy-Fan und Eschbach-Freund etwas aus der Sparte „Klassische Science Fiction“ anbieten müsste. Etwas, das nicht zu sehr Science ist. Und dann fiel mir dieses großartige Geschichte von John Wyndham wieder ein.

 

John Wyndham – Die Triffids

Über das Buch möchte ich gar nicht so viele Worte verlieren. Ich sage nur: Die Menschheit versinkt im Chaos und die Pflanzen rächen sich für Jahrtausende der Ausbeutung. Ich warne gleich, dass es ein typischer Science Fiction Roman ist, der nicht viel Wert auf Charakteraufbau legt. Die Geschichte ist wichtig, die Botschaft. Wer Wert auf ausgefeilte Charaktere legt, ist in der populären Science Fiction vor … sagen wir den 80er Jahren oder jenseits von Philip K. Dick falsch. Dennoch ist es eine gute Geschichte. Und lustig fand ich persönlich sie auch.

 

Nun fraggle, ich bin gespannt, wofür du dich entscheidest, aber bitte nicht verraten, welches Buch am 01.05. im Blog besprochen wird! Wenn du alle drei Bücher schon kennst oder sie alle drei für Mist hältst, darfst du gern auch bei der Verzögerung vor der dritten Empfehlung zugreifen … Oder du lässt dir von Doktor Zeilenende ein neues Rezept ausstellen, um dich von deinem Klassiker-Schnupfen zu kurieren.

42 Kommentare zu „Schnitzler, Kafka und lebendige Pflanzen

  1. Ok – mich hast du auf jeden Fall mit Kafka (ich versuche es also doch mal – im Zweifelsfall gebe ich es den nichtlesenden Pubertären…) und den bösen Pflanzen…Hätte ich nicht gedacht, dass mein SuB bei dem Thema weiter wächst 🙂

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  2. Vielen Dank für die Vorschläge! Das Positive daran: Spontan hätte ich jetzt noch keine Ahnung, wofür ich mich entscheide. Das Negative daran: Spontan hätte ich jetzt noch keine Ahnung, wofür ich mich entscheide. 😉

    Im Übrigen ist es immer wieder erstaunlich, zu lesen, in welch erheblichem Maße wir in literarischer und sonstiger Hinsicht doch unterschiedlicher Meinung sind. 🙂 Ich beziehe mich da nicht nur auf die Meinung zum Poker, sondern in erster Linie auf so etwas wie:

    „Weder das eine noch das andere Genre haben Klassiker hervorgebracht … (Steinigt mich ruhig dafür!)“

    Aha, Fantasy und Krimis haben also keine Klassiker hervorgebracht — tztztz! Da Steinigungen zu Recht gesellschaftlich verurteilt werden, schlage ich alternativ eine Erweiterung des Strafgesetzbuches vor:

    StGB § 359: „Wer Krimis und Fantasy verunglimpft oder die Behauptung aufgestellt, beides enthielte keine Klassiker oder wer den tatsächlich vorhandenen Klassikern die Eigenschaft abspricht, solche zu sein und wer diese Auffassung im öffentlichen Raum kundtut, wird mit einer Vorlesung des Iny-Lorentz-Gesamtwerkes bestraft. Im Falle eines Eingeständnisses des eigenen Fehlverhaltens reduziert sich die Strafe auf eine siebenstündige Goethe-Vorlesung!“

    🙂

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    1. Ich mache Zugeständnisse: Es gibt in beiden Genres klassische Beispiele schlechter Literatur. *duck*

      Ob ich jetzt zugeben sollte, dass ich Dashiell Hammett mag? Vielleicht bleibt mir dann der Goethe erspart. 😉

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    1. Gerade bei der Verwandlung ist es traurig, weil da auch für Jugendliche so viel drin steckt. Aber das thematisiert man ja nicht in der Schule. Zum Glück haben wir nie Kafka gemacht, mir hat die Schule hingegen Lessing verleidet.

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      1. Ich musste mich zwar in der Schulzeit durch die Verwandlung und den Prozess quälen, habe ihn aber dann später schätzen und sogar lieben gelernt. So geht es mir übrigens mit vielem, was mir während der Schulzeit aufgedrängt wurde.

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        1. Alles vor den Pionieren der Phantastik ist per definitionem keine Fantasy, sonst wären Thomas Morus‘ Utopia und Marxens Kommunistisches Manifest auch Fantasy. 😉 Ganz zu schweigen von Cäsars Gallischem Krieg.
          Dracula ist ein Schauer-Roman, Alice ist ein frühes Werk der absurden Literatur … Und bei Kinderbüchern (so gut sie auch sein mögen) bin ich eh skeptisch, was Genre-Einteilungen angeht. *fuchtelt mit einem literaturwissenschaftlichen Buch herum*

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          1. Wenn man im 20.Jahrhundert bleibt und Tolkien als ‚Begründer‘ definiert, bleiben immer noch Lewis mit seinen Chroniken von Narnia, Tad Williams, Terry Brooks, White mit seinem ‚Stuart Little‘, Travers‘ ‚Mary Poppins‘, Dahl mit seinem Riesenpfirsich, Das letzte Einhorn von Beagle, … Sieh es ein, lieber Zeilenende, du kommst um die Bestrafung nicht drum rum. 😉

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      1. Krimis: Edgar Allan Poe (ca. 1840?) also noch nicht mal ‚modern‘, Wilkie Collins ‚Woman in White‘, Agatha Christie, Sherlock Holmes. Ich bitte dich, lieber Zeilenende, in der Literatur gemordet wurde doch eigentlich schon immer. 😀

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        1. Ich mag tatsächlich Poe nicht gern und so gern ich die Figur des Sherlock Holmes mag … Doyle ist mir zu trocken – tatsächlich und ohne alle Ironie. Ähnliches gilt für Agatha Christie.

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  3. Mein lieber Zeilenende, du kennst meinen Namen, du kennst meine Vorliebe für Fantasy, du wirst dir sicherlich schon gedacht haben, dass du nicht nur einen Stein abbekommst! 😛 XD

    Kafkas Verwandlung kann ich auch sehr empfehlen, die beiden anderen kenne ich noch nicht.

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