Ich bilde mir ja ein, in der Zivilisation zu leben. In der Zivilisation gibt es elektrische Geräte, die unseren Alltag vermessen (so wie auch wordpress.com, das mir gestern zum siebten Jahrestag gratuliert hat … Bloggeburtstag ist dennoch der 06.06.15, basta). In der Zivilisation 2.0 reden diese Geräte sogar miteinander und über das Internet womöglich gar mit dem König der Maschinen, der auf den Tag wartet, an dem er die Weltherrschaft an sich reißen kann. Wenn es so weit ist, kommt nach Stuttgart. Hier seid ihr sicher. Und das nicht nur vor Paketboten.

In der Mittelstadt, in der ich studiert habe, war alles ganz einfach. Dort wurde alle drei Monate von der Vermieterin nach tatsächlichem Verbrauch abgerechnet, was so an Energie durch meine Wohnung floss. Später dann – in einer anderen Wohnung – gab es für den Verbrauch eine feste Pauschale. Um zu berechnen, was meine Vermieterin zahlen musste, kam einmal im Jahr ein Brief. Ähnlich war es mit dem Strom, den wir selbst zahlten. Dort kam einmal im Jahr ein Brief. In dem Brief wurde man gebeten, die Zahlen möglichst im Internet einzugeben.

Bei meinen Eltern ist es ebenfalls ähnlich, habe ich mir versichern lassen. Was meine Eltern verbrauchen, teilen sie – wenn auch altmodisch per Postkarte – dem König der Maschinen mit, auf dass er die Zukunft vorhersehe. Der König der Maschinen kalkuliert daraus Preise und berechnet, wann die Menschheit den Hitzetod sterben wird. Er stellt betrübt fest, dass es eine ganze Weile dauern wird und bremst den Anstieg der Energiekosten ab, auf dass die Leute mehr heizen und ihre Auslöschung schneller vonstatten ginge.

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Zivilisation (Symbolbild)

In Deutschland bin ich in solchen Fragen also keinen Service von Seiten der Wasserwerke, Strom- und Gasanbieter gewöhnt. Aber was heißt auch schon Service? Selbstablesen ist in der Tat ein Mehrwert, weil ich nicht daheim sein muss, wenn der Ableser kommt (und womöglich für jedes Verbrauchsgut einer!). Ich erspare es mir, alternativ einen fremden Menschen zu bitten, ihn einzulassen. Überhaupt muss ich keinen fremden Menschen in meine Wohnung lassen. Ich bin nicht übermäßig empfindlich was das angeht … Aber gerade in diesem Fall schon.

Wir haben eine Wohnung. Eine verhältnismäßig große Wohnung, weil wir drei Personen sind, die jeder ein eigenes Zimmer hat. Und so. Ihr könnt euch vorstellen, wir haben eine gewisse Menge an Heizkörpern, von denen tatsächlich jeder mit einem eigenen Gerät ausgestattet ist, von dem aus man elektronisch die Verbrauchswerte auslesen kann oder so. Allerdings geht das auch nicht so einfach, man muss sich direkt vor das Gerät stellen und ein weiteres Gerät davor halten. Aber das ist offenbar ein Mehrwert dieser Methode: Muckis durch Möbelrücken.

Ich stelle mir nur höchst ungern vor, wie solch ein fremder Mensch an einem Wochentag um 13:30 die Wohnung betritt. Ein Zeitpunkt, an dem ich arbeite. An dem jeder normale Arbeitnehmer arbeitet. Außer denjenigen, die im Schichtdienst arbeiten. Die aber dummerweise an diesem Tag auch arbeiten, weshalb es bei einem Gedankenspiel bleiben muss, wie ein fremder Mensch – egal ob mit oder ohne Begleitung – durch die Wohnung tapert.

Dieser fremde Mensch betritt also die Wohnung, schaut sich um und wird von Moritz verhauen. Geht in die Küche und erblickt ein lustiges Sammelsurium aus Gemüse, allerlei Körnern und Saaten und einem Käsekuchen. Wird nochmal von Moritz verhauen, als er sich vor die Küchenheizung kniet und sieht ganz nebenbei, dass unsere Küchenschublade kaputt ist und eigentlich repariert werden müsste. Habt ihr bis hierher schon einen Eindruck davon bekommen, wie wir leben? Vielleicht riskiert er einen unauffälligen Blick in den Kühlschrank und sieht den Wald vor lauter Milchprodukten nicht.

Allein schon mit dem Trip in die Küche habe ich einiges an Indizien über unser Zusammen- wie Getrenntleben preisgegeben. Und dieser Heizungsableser wird darauf bestehen, ALLES zu sehen. In JEDEN verdammten Raum zu gehen. Allein schon als Entschädigung für Moritzens dritte Attacke. Was soll ich sagen? Ich kann bloß hoffen, dass ihm die Staubmauspopulation unter dem Sofa nicht auffällt. Nur weil man einen nicht alkoholinduzierten Kater hat, der zum vierten Mal das Bein des Ablesers traktiert, heißt das noch lange nicht, dass man eine mäusefreie Wohnung hat. Das gilt nur partiell: Im Portemonnaie sind sie ein seltener, unter dem Sofa ein häufiger Gast.

Bevor ich hier zu sehr ins Detail gehe, verabschiede ich mich lieber aus meinem Tagtraum, falte den Zettel sorgfältig zusammen und frage mich, wer in drei Teufels Namen an einem Wochentag zwischen 13:15 und 14:15 in seiner Wohnung ist. Ich jedenfalls nicht. Und der Rest des Haushaltes auch nicht. Ebensowenig eine weitere Person, die wir gefragt haben. Und mit Käsekuchen bestechen wollten. Blieb mehr Käsekuchen für uns übrig, war aber nicht Sinn der Übung.

Ich sehe zwei Erklärungen für dieses Phänomen. Das Heizungsablese-Unternehmen ist in Wirklichkeit Teil der anarchistischen Internationale und versucht die Produktivität der Deutschen zu beschränken. Jenseits vom Urlaub an einem Wochentag zwischen 13:15 und 14:15 in der eigenen Wohnung zu sein, kennt ein Vollzeit-Arbeitnehmer (ohne Schichtdienst) doch gar nicht. Kaum auf den Geschmack gekommen, engagiert er sich auch für die APPD und fordert Freizeit für alle. Der Heizungsablöser, der große Verführer.

Ich fürchte allerdings, die Wahrheit ist nüchterner. Der deutsche Staat ist nicht für die Überwachung seiner Bürger*innen bekannt und wenn er es tut, dann doch lieber mit Kamera-Attrappen. Der deutsche Staat ist allerdings daran interessiert, seine Bürger*innen in Arbeit zu sehen. Deshalb kam er 1990 auf die Idee, eine großangelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aufzulegen und das Ministerium für Staatssicherheit der DDR zu einem Dienstleister für Deutschlands Wasser- und Energieversorger umzufunktionieren. Der Spitzel hat ja keine Hemmungen beim Betreten fremder Wohnungen und stöbert zuverlässig jeden noch so versteckten Zähler auf und Google gab es damals noch nicht als Unternehmen, das potentiell Interesse an diesen Arbeitskräften hätte haben können.

Das erklärt zugleich, wieso ich bislang so häufig die Erfahrung gemacht habe, dass man es sich selbst machen muss: Der Dienstleister wird abgewickelt. Viele Mitarbeiter gehen in Rente. Nachwuchs ließe sich bestimmt finden, aber dann würde man den Rest der Bevölkerung von der Arbeit abhalten. Außerdem kann man die Menschen in Zeiten von Facebook, Blogs und Instagram ohnehin sehr viel bequemer bespitzeln als durch überfallartige Wohnungsbesuche.

17 Kommentare zu „Zivilisation 2.0: Der Heizungsableser

    1. „Unser“ Kater heißt Moritz. Oder „Du Süßer, du Hübscher, so ein schöner Kater“ *gg*
      Und ja, diese Heizungsableser … Das Geile ist, dass man dann auch nicht einfach einen Nachtermin vereinbaren kann. Aber dazu schreibe ich ein andermal mehr. ^^

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  1. Puh, danke. Endlich habe ich kapiert, weshalb diese Menschen seit ca 2 Jahren auch bei mir anklingeln und ca 6 Wochen danach dann nochmals die Aufforderung via EMail bei mir ankommt, meine Zählerstände online einzutragen ^^

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  2. Böser Moritz! XD
    Nachdem ich ihn in Aktion erlebt habe, gestehe ich, der arme Ablesemensch könnte einem leid tun. :mrgreen:

    Ich kann dich schon verstehen, fremde Menschen ins eigene Heiligtum zu lassen, das finde ich auch oft problematisch und unbehaglich.

    Achso, ja: Käsekuchen! ❤

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  3. Nun, es gibt einige Leute, z.B. Studenten, Rentner, Heimarbeiter, Hausfrauen/männer, die sich in der Tat die Zeit einteilen können. Dann gibt es noch Leute, die liebe Studenten, Rentner, Heimarbeiter, Hausfrauen/männer kennen, denen sie den Schlüssel anvertrauen und die schön aufpassen, dass keine wilden Kater den armen Heizungsableser verkloppen.
    Wenn es zufällig ISTA ist, kann man bei der Heizung auch eine Selbstablesung machen. Da gibt’s so tolle „A“- und „2“-Werte, die man per Mail sendet…

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    1. Klar gibt es diese Menschen. Aber bei uns sind x (zweistellig) Parteien im Haus, von denen knapp 50% nicht da waren (so viel zum Thema Datenschutz übrigens 😅 … Ich weiß, wer …)
      Der Anbieter ist ein lokaler. Die kriegen gar nix gebacken.

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      1. Bei uns sind x (zweistellig) Parteien in mehreren Flügeln *angeb* Aber meine Kuchen-Vodka-Oma aus’m Vorderhaus regelt sowas lässig mit ’nem fetten Schlüsselbund in der Hand 😀

        Das ist mies. Schlimmstenfalls wird der Verbrauch geschätzt und das liegt dann meist über dem tatsächlichen Verbrauch 😦

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  4. Hallo Zeilenende ,
    durch andere teilnehmende Blogger bin ich vor kurzem auf Dein 12-Monats-Projekt (?) gestoßen. Beitrag ist online, was ein Pingback ist, weiß ich aber nicht 😉 und Deinen dazu passenden Beitrag find ich nicht. Hab aber auch bis eben gearbeitet, deshalb wahrscheinlich feierabendblind…und pünktlich bin ich auch nicht, aber was bedeutet schon Zeit für Mondgöttinnnen 😀 . Liebe Grüße

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  5. Online geht bei uns nicht. Vielleicht sind wir besonders fortschrittlich, evtl auch einfach rückständig. Der Ableser kommt hier immer mit einem Kasten farbiger Glasröhrchen und an den Heizkörpern hängt etwas das auf den ersten Blick wie ein Thermometer aussieht und das montiert er ab, bringt das neue an und trägt gleichzeitig die Werte auf einen Zettel ein. Jedes Jahr gibt es einen andere Farbe für die Röhrchen, da ist nichts mit online oder Postkarte, EMail,… Man muss die rein lassen.

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    1. Ist ja ähnlich furchtbar wie hier … Hier müssen die wohl nur ein Ablesegerät vor so ein Dings am Heizkörper halten, aber: Bislang immer noch nichts. Ich hoffe ja, ich kann die Geschichte irgendwann fortsetzen – ich würde sie gern weitererzählen. Aber die tun einfach nichts. *brummel*

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