Ich war im Kino und echt begeistert. ☺ Manchester by the Sea ist ein wirklich gelungener Film über … Ach, das ist egal, es ist ein darstellerisches Meisterwerk von Casey Affleck. Das reicht schon.

Inhalt lt. kino.de

Lee Chandler (Casey Affleck) ist ein Handwerker in Boston. Schweigsam und ziemlich einsam verrichtet er seine Arbeit, bis die Nachricht über den plötzlichen Tod seines Bruders Joe (Kyle Chandler) das eintönige Leben Chandlers in Aufruhr bringt. Denn nun soll er sich um den 16-jährigen Sohn Patrick (Lucas Hedges) kümmern. Aus diesem Grund zieht er an die amerikanische Ostküste in seine Heimatstadt – Manchester – zurück. Die Aufgabe, die ihn erwartet, ist ungewohnt, denn er hat keine Kinder und soll nun von Null auf Hundert den Ersatzvater für einen Teenager geben. Außerdem trifft er in der heimatlichen Hafenstadt auch noch seine Ex-Frau Randi (Michelle Williams), mit der ihn eine chaotische, aber zum großen Teil glückliche Vergangenheit verbindet. Alte Wunden reißen auf und Lee muss sich mit den gegenwärtigen Schmerzen auseinandersetzen. Er beginnt sein Leben zu reflektieren und macht den Versuch, mit der Vergangenheit ins Reine zu kommen. Gleichzeitig gilt es auch zu ermitteln, was er tun muss, um ein eine gelungene Zukunft zu starten.

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Quelle

Ein Film darüber, wie das Leben dir auf die Fresse geben kann

Und wie es dir auf die Fresse gibt. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, mir nur dann Trailer anzuschauen, wenn ich es nicht vermeiden kann, also wenn ich ohnehin im Kino sitze. Ich habe einen Trailer gesehen, das Plakat und die Besprechung der singenden Lehrerin gelesen. Mehr wusste ich von diesem Film nicht und war dementsprechend überrascht. Ich fand den Film nämlich witzig, wenn auch komisch.

Lee ist ein deprimierter Verlierertyp in seinem Leben. Er muss sich plötzlich um seinen Neffen kümmern und Verantwortung übernehmen. Das hat er sichtlich in seinem eigenen Leben nie getan. Doch dann beginnen die Rückblenden, die Lee mit einer Familie zeigen. Glücklich. Und natürlich stellt sich sofort die Frage, was geschehen ist.

Doch der Film ist in der Hinsicht brutal. So unvermittelt, wie er Lees Vergangenheit durch einen Schnitt einführt, so brutal ist er auch in der Auflösung. Er lässt sich Zeit, die Geschichte erst voranzutreiben, bis der Zuschauer völlig in der Gegenwartsgeschichte steckt. Der Film ist ebenso sprachlos in Fragen der Vergangenheit wie die Protagonisten im Film.

Dann packt er erneut einen harten Schnitt aus und gibt in einer Beiläufigkeit den Grund für „all das“ preis, dass man doppelt betroffen ist: Durch das, was geschah und wie es inszeniert wurde. So wie Lee vom Leben auf die Fresse kriegt, gibt der Film seinen Zuschauern mit dramaturgischen Mitteln auf die Fresse. Und ja, das muss so vulgär formuliert sein, denn diese Geschichte braucht starke Worte.

 

Casey Affleck

Es gibt zwei Gründe dafür, warum dieser Film so wunderbar geworden ist. Im Nachgang habe ich festgestellt, dass Casey Affleck, der Hauptdarsteller, für seine Performance stark gelobt wurde. Dem kann ich mich nur anschließen. Sein Lee ist bemitleidenswert ohne dass man man ihn in den Arm nehmen und drücken will – er ist authentisch bemitleidenswert. Mal ist er sympathisch, mal unsympathisch, er findet immer die perfekte Balance, dass das Publikum ihn mag, aber nicht zu sehr, dass der Film dadurch kitschig werden würde.

Sein Lee ist authentisch – das will das Drehbuch vermitteln, das schafft Casey Affleck spätestens in der Sequenz, in der er gar nicht anwesend ist. Dort begegnet Paddy, Lees Neffe, seiner Mutter. Eine der lustigsten Sequenzen des Films, für Paddy eine furchtbare Sache wahrscheinlich, weil für ihn Hoffnungen zerbrechen, aber ein großer Moment für die Figur Lee und die Verkörperung durch Casey Affleck.

Das Stärkste an ihm ist aber, dass er in seiner Rolle gar nicht viele Worte braucht. Die meiste Zeit ist es das, was er nicht sagt, was er unbeholfen nicht tut, worauf es in der Szene ankommt. Casey Affleck gelingt es, dieses Unausgesprochene und Unbeholfene darzustellen und dabei gleichzeitig wie eine Schildkröte zu wirken, die übersehen werden will, gebeugt und mit eingezogenem Kopf.

 

Bilder

Was „Manchester by the Sea“ ebenfalls so ansprechend macht sind die Bilder, die er benutzt. Von Anfang an wirken die Landschaftsszenen wie gefiltert, unterkühlt, distanziert. Fragt man sich zu Beginn noch, ob Lees Abneigung gegen Manchester by the Sea etwas mit der Enge der Welt dort oder schlechten Kindheitserfahrungen zu tun hat, wandelt sich der Blick auf die Bilder. Allerdings ohne dass sich die Bildsprache ändert. Manchester by the Sea bleibt ein unglücklicher Ort, aber man entdeckt in den Bildern neben Wehmut und Verlust, Schmerz und Trauer nie zu viel davon.

So wie Casey Affleck die Balance zwischen Überzeugung und Kitsch hinbekommt, werden die Bilder nie so düster und deprimierend, wie man es aus der Klischee-Kiste erwarten würde. In den Bildern liegt immer auch ein Realismus. Es gibt keine Hoffnungen in den Bildern, aber es gibt auch keine Hoffnungslosigkeit. So künstlerisch sie sind, so schlicht sind sie auch.

 

Ein Film darüber, dass es weiter geht?

Ich hatte einen Augenblick Bauchschmerzen, als der Film sich dem Ende näherte. Ich hatte Angst vor dem Ende, weil ich schlimme Befürchtungen hegte. Sie sind nicht erfüllt worden. Der Film vermeidet jedes Fettnäpfchen, in das er am Ende treten könnte.

Manchester by the Sea wird damit damit eine leise Geschichte über eine große Katastrophe, über Zufälle, das Schicksal und … Das ist vielleicht der einzige Kritikpunkt, den man anbringen könnte. Hat der Film eine Moral oder hat er sie nicht? Man könnte diesem Film nämlich vorwerfen, am Ende zu leise zu sein, es ist reine Interpretationssache. Er enthält sich jeder Äußerung.

Ich bin der Ansicht, der Film hat dennoch eine. „Das Leben geht weiter.“ In seinem Realismus ist Manchester by the Sea ein melancholischer, aber kein taschentuch-deprimierender Film, der das Leben mit dem Schicksal zeigt. Den Optimismus der singenden Lehrerin, dass es irgendwann besser werden wird, teile ich nicht. Es wird sich alles wieder so arrangieren, wie es sich schon einmal arrangiert hat. Aber wie gesagt: Der Film selbst enthält sich jeder klaren Äußerung. Das kann man ihm als Schwäche auslegen … Gerade in Zeiten, in denen sich die Menschen so sehr nach Orientierung sehnen, dass sie selbst offensichtlichen Lügen Glauben schenken. Ich fürchte zumindest, es ist der Grund, warum der Film bei den Oscars (evtl. bis auf Casey Affleck) leer ausgehen wird.

14 Kommentare zu „Besprechung: Manchester by the Sea

    1. Ich bin auch nur zufällig drauf gestoßen und habe ihn dann bewusst wahrgenommen. Vom Titel her und der Beschreibung hätte der mich auch nicht gepackt. Aber allein schon wegen der Bilder spricht er mich zumindest spontan an. Schau ihn dir an, bin gespannt, was du sagst. Manchmal sind Trailer doch kein Teufelszeug. ☺

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  1. Danke für die Erwähnung und Verlinkung! 🙂 Freut mich sehr, dass der Film bei dir auch so gut angekommen ist! Und ja, der Film ist auch witzig, aber ich finde es schwer, nachdem man erfährt,was genau das Leben Lee auf die Fresse gegeben hat, dann die Schwere des Lebens noch durch den Witz leichter zu machen. Kann das grad nicht so recht formulieren, was ich meine…

    Ich bin übrigens keineswegs der Meinung, dass es sicher irgendwann besser wird. Wobei ich denke, dass du dich auf diesen Stelle meiner Kritik beziehst: „Schließlich gibt es auch einen Moment, in dem auch Lee lächelt – das einzige Mal (in der Zeitlinie der Gegenwart). Da geht einem das Herz auf und man meint auf einmal, es könnte doch noch alles so ausgehen, wie aufbauende Geschichten darüber, wie man Trauer überwinden und Erlösung finden kann.“ Doch so kommt es ja nicht – zumindest nicht innerhalb der Zeit, in der der Film spielt. VÖLLIG ausschließen allerdings möchte ich es tatsächlich nicht, dass Lee irgendwann in ferner Zukunft gelernt haben wird, mit seiner Schuld so zu leben, dass er tatsächlich wieder LEBEN kann und er nicht mehr einfach nur „empty“ ist. Ja, vielleicht bin ich zu sehr Optimistin, als dass ich das für immer und ewig ausschließen möchte. Wenn es GAR keine Hoffnung gäbe, hätte Lee seinem Leben auch einfach ein Ende setzen können. Ich hätte es verstanden. Ich weiß auch nicht, wie man mit so einer Last weiterleben kann.

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    1. Letztlich hast du mir den entscheidenden Tritt gegeben, ihn wirklich im Kino anzuschauen und nicht zu warten, bis er bei Prime ist. Und ich habe, wie du ja sehr schön ausklamüserst (was den Humor betrifft – ich denke gerade weil Lee sein Schicksal hat, sollten wir lachen. Simple „Abwehrmagie“), den Film ein wenig anders gesehen als du, da darf es ruhig eine zweite Meinung haben.
      Was den Teil mit dem „happy end“ angeht: Genau, auf die Passage bezog ich mich. Ich wollte dir auch gar nicht unterstellen, dass du es sooo optimistisch siehst (ich hätte „besser werden könnte“ schreiben sollen), aber ein wenig provozieren, das gebe ich zu. Ich bin durchaus nicht der Meinung, dass Lee eine Chance auf Besserung hat. Er HAT versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen, ich habe es so verstanden, dass er selbst dafür keine Kraft mehr hat und in einen Funktions-Automatismus verfallen ist. Suizid braucht ein Motiv. Und Lee ist völlig ohne Motive. Sogar den Schmerz scheint er völlig zu verdrängen, deshalb kann er seinem Leben kein Ende mehr setzen, sondern wird so weiter existieren. Aber leben wird er, so verstehe ich den Film, nicht mehr können.
      Was ja das Schöne ist: Der Film lässt einem die Deutungen offen. 🙂

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