Es gibt vornehmlich in der Schule, aber auch im Studium, zwei Sätze, die so notorisch sind, dass jede*r von uns sie wohl kennt. „Was will der Autor sagen?“ Und „Was will der Text sagen?“ Beide Fragen kommen sehr unschuldig daher, sollte man meinen, drücken aber einen bestimmten Blick auf die Funktionsweise von Literatur aus. Einen Blick desjenigen, der die Frage stellt.

Was will der Autor sagen?

Ja, was nur, was nur? Der Autor, so viel ist klar, ist derjenige, der den vorliegenden Text geschrieben hat. Zumindest wahrscheinlich. Es steht, liegt er in Buchform vor, immerhin vorne auf dem Cover. Auch wenn man annehmen sollte, dass Robert Gailbraith zumindest ein Mann und nicht gleich eine unheimlich erfolgreiche Kinderbuch-Autorin ist.

Gut, dieses Rätsel haben wir ja geknackt, was uns zu der Frage führt, ob Shakespeare überhaupt gelebt hat und was es mit diesem komischen Homer auf sich hat. Nicht der aus den Simpsons, der aus Gustav Schwabs „Sagen des klassischen Altertums“. Verdammt, ist Homer jetzt der Autor oder nur ein fieser Trick dieses Gustav Schwab, seine eigene Autorschaft zu maskieren? Und vielleicht steckt hinter Gustav Schwab ja auch eine unheimlich erfolgreiche Kinderbuch-Autorin.

Ich hoffe übrigens, das mit der Kinderbuch-Autorin geht mir durch. Das soll keine Beleidigung für Frau Rowling sein. Was will Frau Rowling mir aber mit Harry Potter sagen?

Die Frage dahinter denkt sich Literatur folgendermaßen: Das vorliegende Buch ist ein Rätsel. Ich kann diesem Rätsel mit meinem literaturwissenschaftlichen Filetierbesteck zu Leibe rücken. Irgendwo hinter dem Erzähler, sei er Ich-, auktorial oder personal, wird sich der Autor verbergen. Genauso ist nämlich das Buch entstanden: Das Autorenwesen hatte bewusst oder unbewusst eine Botschaft, die es entweder absichtlich oder aus Unwissenheit hinter allerlei störendem stilistischen Beiwerk verborgen hat, damit ich als Leser es auch wert bin, diese geheime Offenbarung mitzubekommen.

Neben meiner Stilmittel-Analyse brauche ich dafür natürlich eine Biographie des Autorenwesens und wenn ich in dem Text etwas entdecke, das partout nicht zum Autorenwesen passen will, dann brauche ich noch das psychoanalytische Werkzeug, um dem Autorenwesen einen Ödipus- oder Elektra-Komplex anzudichten, von dem es selbst noch nichts wusste. Oder ich stelle einfach fest, dass Franz Kafka auch nur das Pseudonym einer unheimlich erfolgreichen Kinderbuch-Autorin war.

Wer also nach der Botschaft des Autors fragt, glaubt letzten Endes, dass Literatur nur Mittel zum Zweck ist, um Botschaften zu übermitteln. Und dass man Texte bis zum Autorenwesen aufbrechen kann. Notfalls durch Pseudonyme hindurch. Solche Menschen stellen sehr bewusst nie die Frage, warum der Autor sich diese Mühe macht, statt einfach zu sagen, was er meint. Und solche Menschen können es auch nicht ertragen, dass Texte gut sind, auch wenn die Autorenwesen dahinter ziemliche, mit Verlaub, Arschlöcher sind. Das findet man notfalls nachträglich in den Texten, wenn man das bislang vom Autorenwesen nicht wusste.

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Und was will uns der Autor damit wohl sagen?

 

Was will der Text sagen?

Wie viel einfacher haben es die Menschen, die sich nur für den Text interessieren? Die Biographie des Autorenwesens können sie wieder verschenken und das psychoanalytische Werkzeug können sie auch wieder nach Wien schicken. Dafür wäre es sinnvoll, sich aus Zürich das Besteck der analytischen Psychologie kommen zu lassen. Letztlich nur aus Abgrenzungsgründen, zugegebenermaßen, denn man macht den gleichen Hokuspokus jetzt eben mit den Figuren im statt hinter dem Text

Also, was will der Text uns sagen? Das ist eine gute Frage. Wieder ist es Zeit für das literaturwissenschaftliche Filetierbesteck. Irgendwo in dem Erzähler, sei er Ich-, auktorial oder personal, wird eine Botschaft stecken. Der Erzähler selbst ist ein erster Hinweis und dann sind da noch die ganzen stilistischen Dinge, die Metaphern, Stabreime, Chiasmen und was sonst noch alles in diesem Text enthalten. Sie sind kein störendes Beiwerk und nicht dazu da, mich als Leser zu ärgern, sie sind die Sprache des Textes, mit dem er seine Botschaft mitteilen will.

Wer nach der Botschaft des Textes fragt, glaubt nie, dass der Text selbst die Botschaft ist. Denn dann wäre die ganze literarische Analyse ja zwecklos. Der Text ist ein eigenes Wesen, das genauestens untersucht werden muss, weil in ihm eine Botschaft steckt. Wer so fragt, glaubt letzten Endes, dass Literatur vom Himmel fällt. Sie ist einfach da. Notfalls gibt es ein Autorenwesen, das die Botschaft des Textes kanalisiert. Aber das Autorenwesen spielt keine Rolle. Es ist austauschbar. Auch wenn man seine Zweifel haben kann, dass Kafkas Literatur möglich ist ohne die einzigartige Kombination aus schriftstellerischer Ambition, verkorkstem Vaterverhältnis und Arbeit in einer grauenerregenden Maschinerie moderner Bürokratie, nämlich einer Versicherungsanstalt. Man glaubt einfach, dass sich der Text ohne Kafka eines anderen Mediums bedient hätte, um sich zu channeln. Oder dass er irgendwann tatsächlich vom Himmel fällt.

 

Was will der Text durch den Autor und der Autor durch den Text sagen?

Beide Herangehensweisen haben ihre Stärken. Die Betrachtung von Literatur vor ihrem biographischen Hintergrund vereinfacht natürlich das Verständnis. Kafkas Romane machen wahrscheinlich erst dann Spaß, wenn man um diesen Hintergrund weiß … Oder gleiche Erlebnisse gemacht hat. Das zeigt die Ambivalenz auf: Kafkas Werke stehen durchaus für sich und erfahren durch das „Neuland“ Internet derzeit eine Aktualisierung, genau so wie seine „Verwandlung“ wahrscheinlich für alle Zeiten Identifikationspunkt für all diejenigen sein wird, die sich abseits der normgebenden Mehrheit der Gesellschaft finden.

 

Und ich?

Aber gerade in diesem Absatz ist etwas geschehen, habt ihr es bemerkt? Da hat sich nämlich jemand drittes hineingeschlichen. Ich. Hallo. Ich bin das Zeilenende. Ich habe Kafkas Romane gelesen, als ich selber studiert und parallel Studienberatung gemacht habe. Dafür hatte ich insgesamt rund ein Dutzend unterschiedlicher Studienordnungen detailliert im Kopf und konnte sehr gut verstehen, was da im Schloss so abging. Und die Verwandlung, die ich zum ersten Mal mit 14 gelesen habe? … Der kleine Nerd in mir fühlte sich manchmal durchaus wie ein überdimensionaler Käfer. Zwar nur selten, aber das Gefühl ist vertraut. Für mich wird die Geschichte deshalb für immer (auch) eine traurige Coming-of-Age-Story bleiben.

Damit wird es kompliziert, gell? Franz Kafkas Texte stehen für sich wie für ihn, wahrscheinlich für Beides. Aber letzten Endes gibt es auf der „anderen“ Seite des Textes immer … Mich. Denn egal ob Autoren Texte schreiben oder Texte von Autoren gechannelt werden, damit die Texte Bedeutung haben, damit Existenz in einem gehaltvollen Sinn, braucht es notwendig immer … mich. Ein Lesewesen. Da kann Kafka noch so sehr über die trostlose Moderne schreiben, wenn ich es nicht lese, ist es nicht da. Da kann ein Text noch so sehr Kritik der Bürokratie sein, wenn ich das nicht lese, ist es nicht da.

Statt zu fragen, was ein Text oder Autor sagen wollen … Liebe Deutsch- und Philosophie-Lehrer*innen, fragt beim nächsten Mal lieber, was das Gelesene für die Leser*innen bedeutet.

34 Kommentare zu „Was will ich eigentlich sagen?

  1. Das ist Anforderungsbereich drei, liebes Zeilenende, da darfst du dich erst zu äußern, wenn du durch den Wust vorher durchgefunden hast 😉 Aber ich mag das Arbeiten in diesem höchsten Anforderungsbereich eh am liebsten, somit frage ich immer danach. Was auch nicht von allen Schülern geschätzt wird. Das vorher ist ja viel besser und auch mit mehr Abstand analysierbar, als sich selbst unter die Lupe zu nehmen.

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    1. Ich bin ja nach wie vor der Meinung „Erkenne dich selbst“ ist die Grundlage einer jeden Erkenntnis, bevor man anfängt, sein eigenes Ich zu transzendieren und zu solchen Dingen wie „Essenzen“ oder „Guter Wille“ durchzudringen. Von daher sollte das Anforderungsbereich 1 sein. *grummel*
      Und ja klar: Das Anwenden des literaturwissenschaftlichen Filetierbestecks oder unserer heißgeliebten logischen Schlussregeln ist natürlich einfacher … Andererseits … Schlag solchen Schülern doch einmal vor, statt zu „analysieren“, sollten sie einen Ytongstein mal mit einer Nagelfeile zu Pulver verarbeiten. Kommt aufs Selbe hinaus. *g*

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      1. Ich würde das gar nicht einfacher nennen, nur eben nicht gleich so ‚persönlich‘. die Schüler sind gewohnt die Dinge erstmal fernab von sich zu betrachten. Da macht es auch Sinn, dass es allgemeingültige Regeln und Muster gibt, die sie allgemeingültig wiedererkennen können dürfen. Es ist schon schwerer zu schlucken, wenn man plötzlich nach so Allgemeingültigem das eigene Selbst angehen soll. Es gibt ein genormtes Filetierbesteck für mich? Neee danke, bin doch so individuell! Und sagt man ihnen dann, dass doch alles ganz individuell ist … dann wird es ja noch komplizierter! Doppelt neee danke 😮

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        1. Hihi … 🙂 Aber das Filetierbesteck ist einfacher – weil Selbsterkenntnis für meine Begriffe ein schwieriger und dauerhafter Prozess ist. Von den Schmerzen wollen wir gar nicht reden.
          Dabei wäre es eine schöne Gelegenheit zu lernen, dass es sowohl ein Innen als auch ein Außen gibt, eine subjektive Ebene des Textes und eine objektive. Und dass die objektive vielleicht doch von der subjektiven beeinflusst wird.
          Aber ich muss die Allgemeingültigkeit in Schutz nehmen: „Gute“ Literatur zeichnet sich m. E. dadurch aus, dass sie immer wieder neu Sinnhaftigkeit entwickelt, aber zugleich im Kern „sie selbst“. Und wir alle spüren das – auch wenn wir Unterschiedliches draus machen.
          Nehmen wir mal Hermann Hesse. Das ist für mich sozialromantischer Psychokitsch mit Individualitäts-Pathos als Zuckerguss oben drauf. Ich kriege von Hesse Karies, Bauchschmerzen und Alkoholismus. Aus den gleichen Gründen, warum ihn andere abfeiern: Weil er ein verdammt guter Beobachter der menschlichen Psyche ist und bei seinen Lesern ein Gefühl der Innerlichkeit und Bedeutsamkeit zum Schwingen bringt.

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          1. Da stimmen dir die Schüler absolut zu, Selbsterkenntnis ist schwer weil so furchtbar langanhaltend und ausdauernd zu betreiben. Wäre ja super, wenn das nach einer harten Analyseeinheit abgehakt wäre!

            Allgemein finde ich aber, dass man auch einfach das ‚richtige‘ Werkzeug für den Umgang mit sich selbst braucht und das in dem Falle ‚richtig‘ sowohl effektiv wie auch erprobt bedeuten sollte. Natürlich kommt man da mit einem Durchgang nicht aus und sollte immer wieder Neues entdecken können. Allerdings dürfte ‚die‘ Jugend (immer diese ominösen Sammelbegriffe 😮 ) schon genug damit beschäftigt sein durch sich selbst durchzusteigen. Da zu erwarten, dass sie tatsächlich Literatur nicht nur einmal sondern mehrfach durcharbeiten um dann auch noch neue Erkenntnisse über sich selbst herauszufiltern … da sind wir bei der Utopie angekommen 😀

            Aber theoretisch, ja theoretisch hättest du Recht 😉

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  2. Puuh, der Literaturwissenschaftler in mir sträubt sich gegen biographische Ansätze, weil man dabei oft genug dazu neigt, den Text bzw. dessen Bedeutung massiv einzuschränken. Da wird dann, um bei Kafke zu bleiben, alles zum Symbol des Vaters und seiner verkorksten Beziehung zu selbigem, auch wenn durchaus andere Interpretationen möglich sind.
    Gerade im Bereich Schule muss man hier aufpassen, das schön zu trennen. Erst recht, weil hier viele Schüler dazu neigen, lyrisches oder literarisches Ich mit dem Autor-Ich gleichzusetzen, was dann erst recht in Teufels Küche führt. ^^
    Mit Kafka hast du natürlich das ideale Beispiel herangezogen, um die Grenzen beider Verfahren aufzuzeigen. Ohne Kafkas Erfahrungen wären seine Texte nicht so, wie sie sind – wobei das ja trivialerweise auf jeden Autor zutrifft, bei Kafke aber am deutlichsten aufzuzeigen ist – aber wie bereits erwähnt besteht die Gefahr, aufgrund des starken Konzentrierens auf den biographischen Ansatz andere Aspekte und Interpretationen zu vernachlässigen.

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    1. Ich bin übrigens auch kein großer Fan von biographischer Analyse. Ich bin der Meinung, dass ein Text im ersten Schritt für sich selbst steht. Andererseits steht man vor manchen Kafkatexten tatsächlich wie der Ochs vorm Berg, wenn man den biographischen Hintergrund nicht kennt und keine eigenen Erfahrungen hat, die ihn verständlich machen.
      In beiden Fällen gilt aber: Letzten Endes geht es in der Literatur drum, was ein Text mit einem selbst anstellt – und was man mit dem Text anstellt.

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  3. Das sind für mich die wirklich guten Bücher, die diese Lücken lassen in die man sich selbst in die Geschichte einwebt. Man kann sie nach ein paar Jahren wieder aus dem Schrank holen, sie nochmal lesen und verzaubert sein davon, wie sich der Text mit einem entwickelt hat und man ihn nun anders liest. Das fehlt vielleicht so manchen Romanen, die gleich eine zu eindeutige Selbstinterpretation mit auf den Weg geben.

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    1. Es ist natürlich auch immer die Frage, welchen Anspruch ein Buch verfolgt. Ein 08/15-Liebesroman will meistens gar nicht mehr als unterhalten … Wobei ich auch denke, dass Harry Potter zunächst nicht mehr wollte, als einfach zu unterhalten … Aber – und das ist wichtig, weil das schon wieder nach Schelte der Trivial-Literatur klingt: Ein kitschiger Liebesroman kann dein Leben genau so ändern wie (pardon, aber ich liebe ihn momentan einfach wieder) Kafka. Und darum geht es. Auch auf analytischer Ebene: Warum hat dieser Roman so eine starke Wirkung auf mich? Und sei es, weil wirklich alles mit einer dicken verbalen Zuckerglasur überzogen wurde.

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  4. Was hast Du nochmal gesagt? 😉

    Ja, genau diesen Ansatz sehe ich auch….stelle zehn Menschen einen Text vor und jeder wird etwas anderes / eigenes herauslesen…..und genau das macht die Sache spannend 😃

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  5. Tjaaa. Manchmal wollen Texte auch einfach nur unterhalten und gut ist. Und manchmal deuten Leute Sachen in Texte rein, die der Autor so nie beabsichtigt hatte.

    Ich sagte mal zu einem Freund, dass Kunst erst dann Kunst ist, wenn sich der Künstler etwas dabei gedacht hat. Einfach nur was hinschmieren is also nich.
    Er hat dann Tweety gemalt und alle standen davor und fragten sich, was er damit sagen will. Als ich ihn danach fragte, meinte er „Ich wollte einfach mal viele blöde Gesichter sehen und hören, was den Leuten dazu wohl einfällt.“

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    1. Hihi. Die Sache mit Tweety gefällt mir. Ebenso wie Leinwände, die einfach mit einer Farbe bemalt wurden.
      Natürlich gibt es auch Texte, die einfach unterhalten wollen. Guck dir die Texte hier an. Sogar meine Kuchenrezepte wollen unterhalten. Der Text hier ist auch nur ein philosophisch angehauchter Witz. Aber in jedem steckt das Potential, mehr zu sein, als das Autorenwesen beabsichtigt hat. Für mich ist das großartig. 🙂

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      1. Es gab mal einen Artikel, wo Buchautoren in eine Schulklasse gesetzt worden sind. Man hat den Schülern aber erzählt, es wären irgendwelche Leute vom Schulamt. Diese Buchautoren haben dann Artikel aus ihrer Sicht geschrieben, wie es für sie war. Und einer schrieb tatsächlich, dass er eine bestimmte Sache, die im Buch öfter vorkommt, wirklich nur „so“ erwähnt hatte, ohne Hintergedanken. Er fands lustig, als alle es als sonstwas deuteten 😀

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  6. Ein hervorragender Text! Ich hatte in meiner gesamten Unizeit exakt ein Seminar, in dem dieser Ansatz vertreten wurde. Eins der besten, die ich überhaupt besucht habe.

    Allerdings habe ich auch gelegentlich mit der Dozentin herumdiskutiert, weil mir die Frage: „Was verrät der Text über die Zeit und welcher Gedankenwelt entstammt er?“ gleichfalls wichtig ist und ich den Blick auf die Literaturgeschichte nie ablegen wollte.

    Ich verbinde z.B. mit Dadaismus auch eine ganz bestimmte Zeit in meinem Leben und die Wirkung auf mich. Als sich aber, als ich älter war, zusätzlich die Dimenson der Welt öffnete, in der er entstand, habe ich das als noch größere Bereicherung empfunden. Und ja, ich gebe es zu: Ich bereichere mich an der Literatur, sie tilgt immer mal wieder ein paar weiße Flecken auf meiner Weltbildkarte.

    Weder der hermetische Ansatz noch der „Was will der Autor“-Ansatz sind wohl alleinseligmachend. Die Offenheit gegenüber dem Text und den eigenen Leseeindrücken führt m.E. ganz von selbst zu Fragen, denen man dann wie so ein kleiner Archäologe nachbuddelt. Jedenfalls geht es mir so. Übrigens halte ich es für eins der größeren Hemmnisse des Deutschunterrichts, dass die Lektüre vorgeschrieben ist und nicht einmal die Lehrerlein einen Zugang oder Bock auf den Text haben, ganz zu schweigen von dem Glücksgefühl, ein sprachliches Kunstwerk einmal im eigenen Geist gehabt und gesehen zu haben.

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    1. Ja, die Frage nach der Entstehungszeit ist auch nicht unerheblich. Aber auch in der Beziehung gilt: Das ist nur bedingt wichtig. Egal ob Schiller, Kafka oder Juli Zeh, die Texte funktionieren (für mich) auch ohne Kenntnisse der Weimarer Klassik, der Sezessionszeit in Kakanien oder die trübe Einöde Brandenburgs. 🙂
      Wobei ich fast so weit gehe zu sagen, dass die Entstehungszeit eine Funktion der Autorschaft ist. Aber das führt auf eine andere Frage – machen Menschen Geschichte oder macht Geschichte Menschen.
      Deinen letzten Satz kann ich unterschreiben. Ich bin durchaus ein Fan von kanonischer Literatur an Schulen, aber flexibel sollte der Kanon bleiben. Goethe würde ich nie unterrichten wollen. *gg*

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      1. Ich denke auch, die Kenntnis der Entstehungszeit/-umstände ist nicht notwendig für einen eigenen Zugang, Und letztlich liest man Literatur ja für sich oder eben als man selbst.
        Es kommt auch auf die Texte an. Einen Zugang zu Kafka findet man anders als zu Heine zum Beispiel, wo Vieles ohne Vertiefung in die Geschichte und Geistesgeschichte kaum verständlich ist.
        Auch diverse Dramen/Epen, in denen Standesfragen und Verhaltenscodizes eine Rolle spielen, ergeben im leeren Raum (bzw. für Schüler, die keine Vorstellung von einer anderen als ihrer eigenen Gesellschaft haben) oft keinen Sinn.

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        1. Och … Okay. Das Wintermärchen. Ja, das geht ohne kaum. Weshalb ich das Wintermärchen auch nur so halb gut finde. Aber ja. Es ist ohne den historischen Kontext manchmal härter und man muss die Situation übertragen, um einen Text so richtig inn den Griff zu bekommen.

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          1. Das Wintermärchen… ist unter gewissen Aspekten interessant. Aber „Atta Troll“ und „Jehuda ben Halevy“ find ich genial. Hab mich lange mit Heine beschäftigt, genau gesagt 5 Jahre.

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  7. Mir fällt dazu eine bemerkenswerte Aussage von Nikolaus Harnoncourt ein: «Selbst wenn wir uns noch so bemühen, die Noten, die Bach oder Mozart geschrieben haben, auszulegen, wie sie damals verstanden wurden, ist das unmöglich. Das kann man gar nicht. Die Komponisten würden sich schieflachen.»
    Harnoncourt war ein Pionier der historischen Aufführungspraxis, der in mühevoller Kleinarbeit versucht hat, anhand der verfügbaren Quellen herauszufinden, wie Musik von Bach oder Mozart zur jeweiligen Zeit geklungen haben könnte. Auch wenn damit eine bemerkenswerte Annäherung möglich war – Harnoncourt war selbstkritisch genug, die Grenzen dieser Annäherung zu erkennen.
    Mit ähnlichen Vorbehalten haben m.E. die unterschiedlichen Zugänge zu literarischen Werken durchaus ihren Sinn – eben als Versuche einer Annäherung. Problematisch ist es, wenn solche Dinge „matter of factly“ verkündet werden. Da profitieren die Verkünder eindeutig davon, dass ihre Opfer bereits tot und folglich keine Verleumdungsklagen zu befürchten sind.

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    1. Oder … Noch größere Sünde: Bei der Analyse stehen bleiben. Obwohl ich es viel spannender finde, erst ein Gefühl für den Text zu bekommen und DANN mit der Formalismuskeule draufzuhauen. Manchmal habe ich ja den Verdacht, in Sachen Kultur sind wir noch sehr preußisch. Da gilt nur, was die Obrigkeit sagt. 🙂
      Aber: Einem Autoren ist bei der Interpretation eines Textes zu widersprechen, wenn man es für richtig hält. Auch der Autor hat keine Deutungshoheit. 🙂

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      1. Das Problem, dass man bei der Analyse stehen bleibt, würde sich gar nicht stellen, wenn man sich dem Text zunächst unvoreingenommen näherte und sich anschließend den analytischen Fragen widmete. Mir scheint das auch logischer. Dass man eben zunächst etwas aus dem Text herausliest und sich dann die Fragen stellt: Warum ist das so? Formell und ‚biomäßig.’ Andernfalls passiert das, was ich gerne als „Suggestivlektüre“ bezeichne. D.h. man liest genau das aus dem Text heraus, was man mit vorgefassten Ansichten davon erwartet.

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  8. Interessanter Artikel, aber im Kleingedruckten steht so etwas von Kitsch und Hesse in einem Satz!!! Das kann nur ein Tippfehler sein *geschocktes Grinsen*
    >eine grosse Hesse-FanIn< (? gibt es da wirklich keine weibliche Form?) aufgrund der eigenen autobiographischen Momente in Bezug auf den Zeitpunkt des Lesens der Texte; soll heißen: für mich trifft bei Hesse der Textzugang "was bedeutet der Text für MICH" wunderbar zu, um zu erklären, warum ich seine Werke nicht als Kitsch abtun würde 😉

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    1. Deshalb auch nur im Kleingedruckten. Ich weiß, dass gerade Hesse sehe bedeutend für viele Menschen ist. Ich habe Hesse aber zu einer Zeit gelesen, als ich sehr abgefuckt rational war. Ich fand es nur schlimm. Und habe wegen dieser traumatischen Erfahrungen nie einen Zugang gefunden. Ich kann sogar seine literarische Qualität schätzen, aber dennoch: In der Zeit, als die Liebe zu Hesse entbrennen sollte, war ich nicht bereit für ihn und das hängt nach.

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      1. Wirklich interessant, wie sehr „der richtige Moment“ mitspielt, ob ein Buch gefällt oder nicht. Und Hesse muss ja auch nicht gefallen 😉
        Bei mir war es halt sozusagen klassisch: jugendliches Rebellentum trifft Unter dem Rad auf Steppenwolf

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