Jeden Samstag ruft Tante Tex zum Story-Samstag auf und verlangt von ihren hörigen Follower*innen, dass sie Beiträge zum Thema verfassen. Als besonders höriges Exemplar tu ich wie mir geheißen, betrachte ein Bild, starte „Holz“ von den 257ern in Spotify und haue in die Tasten.

Für sie war das ungewohnt. Ein Stadtkind, ein Großstadtkind sogar. Bäume kannte sie, ohne Frage. Die Platanen in der Fußgängerzone. Die wurden im Herbst immer so lustig zurückgeschnitten. Sahen dann aus wie abstrakte Kunst. Und den Tannenbaum an Weihnachten, den kannte sie natürlich auch. War allerdings aus Plastik. Das wusste sie nicht, als sie klein war. Ebenso wie sie nicht wusste, dass Kühe nicht lila sind.

Ja, sie war tatsächlich das wandelnde Klischee. Nicht, dass sie glaubte, Kühe seien immer lilafarben. Aber manche … So wie in der Werbung. Was wusste sie schon von der Natur? In der Schule hatten sie nur Ausflüge in den Zoo gemacht. Das war die größte Wildnis, der sie je begegnet war, bis sie 19 wurde. Abitur in der Tasche und ein Interrail-Ticket dazu. Von der Welt wusste sie nämlich auch nichts. Sie dachte allerdings anders. Mauritius, die Seychellen, Mallorca, Antalya, St. Moritz, auch in New York war sie schon gewesen. Die große weite Welt machte ihr keine Angst, auch sie allein zu bereisen nicht.

Auf der Fähre nach Irland allerdings spürte sie erste Beklemmungen. Es war hier nicht so bequem wie im Flugzeug. Dieses dämliche Schiff, es wackelte. Und wackelte. Und wackelte. Ihr wurde übel. Und als sie es schließlich verlassen konnte, fiel sie in das nächstbeste Hostel, um zu schlafen.

Was sie dazu getrieben hatte, länger in Irland zu bleiben, außer für eine Partynacht, wusste sie nicht ganz genau. Wahrscheinlich die blauen Augen. Oder der verwegene Bart. Oder das Gerede von Feen. Feen waren toll. Sie glitzerten und hatten zarte Flügel. Sie waren dezent aber geschmackvoll geschminkt und ihre Ballerinas entsprachen immer der neuesten Mode. Sie wollte Feen sehen.Wie er es ihr versprochen hatte. Nur, hier waren nirgends Feen zu sehen. Hier roch es modrig. Und sie musste aufpassen, wo sie hintrat … Verdammt!

Der Schuh blieb hinter ihr zurück, der andere gleich dazu, aber er trieb sie immer tiefer in diese … grüne Hölle hinein. Sprach davon, wie wunderbar es war. Sie blickte auf ihr Smartphone. Noch nicht einmal Netz gab es hier. Wie furchtbar! Ihr war schon wieder übel, diesmal von diesem unerträglichen Geruch und dem schmatzenden Geräusch, das ihre Füße jedes Mal machten, wenn sie in Morast trat. Das würde ihr die sorgsam manikürten Zehennägel noch völlig ruinieren. Wann wären sie endlich da, wann könnte sie Feen sehen?

Ihr Begleiter verstummte nun. Was tat er da? Umarmte der ernsthaft einen Baum? Was für ein Freak! Plötzlich galten ihre Gedanken nur noch einer raschen Flucht. Doch er bemerkte es. Kam zu ihr, griff ihre Hand. Sie sträubte sich, ahnte Übles. Doch er legte die Hand auf den Baum, der ihr am nächsten war. Er fühlte sich rauh an, zerfurcht, zugleich weich, als ihre Finger über das Moos glitten.

„Hörst du das?“

„Ich höre nichts. Hier ist es gespenstisch still.“

„Hör hin.“

Eine Weile schwiegen sie beide. Sie verdrehte die Augen. Dann ein Rauschen, ein Wispern.

„Flügelschläge?“

„Die Feen. Das ist ihr Heim.“

Sie trat ein paar Schritte vom Baum zurück und betrachtete die Umgebung mit neuen Augen. Wie herrlich grün es hier doch war. Satt und fröhlich. Sie roch genauer hin, ein süßlich-erdiger Geruch lag in der Luft. Das hatte sie noch nie gerochen. Und die Luft roch nicht nur, sie schmeckte auch so, wie sie roch. Das bemerkte sie, als sie genauer atmete und zum ersten Mal in ihrem Leben Luft schmeckte. Schließlich fühlte sie genauer hin. Um ihre nackten Füße breitete sich langsam ein wohliges Gefühl aus, das ihren Körper hochkroch. Es musste schon eine Weile kriechen, denn es war bis zu den Hüften vorgedrungen. Sie hörte genauer hin und überall schien es leise zu kichern. Sie blickte sich um, ob sie eine Quelle des Kicherns erkennen konnte.

Doch nein. Nirgends war etwas zu sehen. Oder jemand. Und wo er stand, war nur noch ein grüner Schemen zu erkennen, an einen Menschen erinnernd, aber kein Mensch. Sie erschrak, versuchte sich zu bewegen, doch die Beine versagten ihr den Dienst. Sie wollte die Arme heben, winken und schreien, dass man ihr helfen möge. Doch das Wohlgefühl, das ihren Körper hinaufkroch, hatte sie völlig ergriffen. Sie war völlig überwältigt. Sie spürte nichts mehr. Sie sah nichts mehr. Roch und schmeckte nichts mehr. Ganz nah an ihrem Ohr hörte sie eine Stimme flüstern. Dann hörte sie auch nichts mehr.

„Willkommen im Feenreich.“

storysamstag

13 Kommentare zu „Willkommen im Feenreich (Eine Geschichte)

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