Heute: Bedingungslosigkeit, Würde und das Kapital.

seamus29

„Zeilenende?“

„Ja, Seamus?“

„Wir leben jetzt seit über drei Monaten in Stuttgart.“

„Stimmt.“

„Du hast mich noch nicht einmal gefragt, ob es mir hier gefällt. Und du hast das Bild immer noch nicht geändert.“

„Ja.“

„Und du hast mich noch nicht einmal gefragt …“

„Wie gefällt es dir hier?“

„Ich bin glücklicher, seitdem ich nicht mehr in der Reichweite von Herrn Moritz sitze.“

„Weil er dich einmal vom Regal geworfen hat?“

„Weil er mich einmal vom Regal geworfen hat und ich ihn dann leider verprügeln musste.“

„Großer, starker Bär.“

„Kein Spott. Ich wollte dich noch etwas fragen.“

„Was wolltest du mich noch fragen?“

„Wie etwas bedingt, aber bedingungslos sein kann.“

„Verstehe ich nicht.“

„Ich auch nicht. Lass mich anders fragen … Wenn du einen Anspruch auf etwas hast …“

„Eine Unterhaltung mit mir.“

„Blödes Beispiel. Das ist ein Privileg. Darauf hast du keinen Anspruch. Nehmen wir Sozialleistungen. Das Arbeitslosengeld II.“

„Hartz IV?“

„So kann man es nennen. Aber dann muss ich immer an Nuttenflatrates denken. Darauf hast du einen Anspruch. Oder?“

„Ich habe Arbeit.“

„Als du keine Arbeit hattest.“

„Wenn ich da Anspruch gehabt hätte, hätte ich keinen gehabt, weil ich offiziell Student war.“

„Mach doch nicht alles so kompliziert.“

„Okay. Ich hätte Anspruch gehabt. Auf Basis des SGB II.“

„Dann hättest du auch eine Gegenleistung erbringen müssen, oder?“

„Ja, ich hätte mich vor meinem Sachbearbeiter ausziehen müssen, nachdem ich meine Taschen entleert und meine Kontoauszüge vorgelegt hätte. Damit er überprüfen kann, ob ich nicht ein Beuteltier bin, das Diamanten hortet.“

„Genau. Warum?“

„Sadismus?“

„Nein. Weil der Staat nur diejenigen unterstützen will, die sich nicht selbst versorgen müssen. Weiter. Was müsstest du noch tun?“

„Mich auf angebotene Arbeitsstellen bewerben und im Zweifelsfall annehmen.“

„Genau. Warum?“

„Weil der Staat das ALG II erfunden hat, um Menschen zu unterstützen, bis sie sich in den Arbeitsmarkt reintegriert haben.“

„Genau. Und wer das nicht macht, hält sich nicht an die Spielregel, die da lautet: Reintegrier dich in den Arbeitsmarkt oder desintegrier dich aus dem Leben.“

„Friss oder stirb. Aber das ist doch ungerecht.“

„Weil?“

„Weil der Mensch doch eine Würde hat.“

„Ja. Eine Würde schon, aber keinen Preis.“

„Häh?“

„Ein Menschenleben kann man nicht in Geld ausdrücken. Deshalb versucht der Staat es auch nicht.“

„Und was ist mit dem bedingungslosen Grundeinkommen?“

Seamus schnaubt.

„Häh?“

„Hast du mir eigentlich zugehört?“

„Nein.“

„Wenn der Staat per Gesetz beschließt, dass du Geld bekommst, erfolgt das auf Basis eines Gesetzes. Das definiert einen Anspruch und damit Bedingungen, unter denen man einen Anspruch auf das Geld hat. Also deutscher Staatsbürger zu sein und kein Beuteltier oder so.“

„Okay. Es gibt Bedingungen. Aber sonst muss ich dafür nichts machen.“

„Ja, aber das reicht schon. Das bedingungslose Grundeinkommen ist an Bedingungen geknüpft, damit bedingt. Und das Wort ein gar furchtbares Oxymoron, wenn man genauer hinschaut.“

„Oxy … Können wir nochmal über die Sache mit dem ALG II reden? Ich find das ungerecht.“

„Was ist daran ungerecht?“

„Naja, dass die einfach so Gelder kürzen oder nicht herausgeben dürfen.“

„Die tun das nicht einfach so. Die ist eine Behörde. Behörden handeln nach Regeln, die die Politik festlegt.“

„Dann muss die Politik die Spielregeln ändern.“

„Nein.“

„Wieso nicht?“

„Weil … Also … Wie sollte sie das denn ändern?“

„Jeder hat einen Anspruch auf Geld vom Staat!“

Das Zeilenende streift sich rote Socken über. Seamus seufzt.

„Zu welchen Bedingungen?“

„Zu keinen. Jede*r kriegt.“

Seamus kichert, weil das Zeilenende ein Gender Gap spricht.

„Das ist nicht witzig!“

„Wohl. Weil du doch eine Basis benötigst, um das Geld einfordern zu können. Wenn keine Regeln definiert sind, nach denen der Staat dir Geld gibt, gibt es kein Geld. Das ist wie bei der Menschenwürde.“

„Aber die hat doch auch jede*r. Und die ist unantastbar!“

„Steht im Grundgesetz. Richtig. Auf die Unantastbarkeit deiner Würde hast du keinen Anspruch. Wenn ich deine Würde antaste, etwa so …“

Seamus packt das Zeilenende an der Nase und zieht.

„Hey!“

„… dann magst du das als Antastung deiner Würde verstehen, für den Staat ist das aber höchstens Körperverletzung. Keine Würdeverletzung. Auch wenn der Körper Teil des Menschen ist.“

„Also habe ich zwar Menschenwürde, kann mir davon aber nichts kaufen. Weil es nicht unter meiner Würde ist, Arbeit anzunehmen, egal ob ich die will oder nicht.“

„Richtig.“

„Voll blöd.“

„Voll gut. Damit sind die Spielregeln immerhin klar. Und wenn du dir von deiner Würde was kaufen könntest, hättest du ohnehin einen Preis, aber keinen Wert mehr.“

„Häh?“

„Das ist doch die Pointe. Wenn deine Würde ein Anrecht auf einen bestimmten Betrag Geldes direkt konstitutieren würde, könnte man Würde handeln. Und damit dich. Du würdest endgültig zur Hure des Kapitals werden.“

„Dann … Müsste man einfach das Kapital abschaffen.“

„Meinetwegen kannst du das versuchen. Aber solange solltest du aufhören zu jammern, dass du dich vor dem Jobcenter nackig machen müsstest. Die Spielregeln von Monopoly sind die Spielregeln von Monopoly und gelten so lange, bis man auf Twister umsteigt. Und wenn du nicht umsteigst, bist du selbst schuld. Und nicht Monopoly.“

22 Kommentare zu „Auf eine Zigarette mit Seamus O’Bär (7)

  1. So ist es! Dreamteam mal wieder am plaudern – herrlich 😀

    Und woher kommt es das Regeln immer enger, immer härter gestaltet werden….durch Menschen, die versuchen auf dem Monopoly Brett Twister zu spielen…oder durch anfängliche Regeln, deren Langzeitwert nicht bedacht wurde…einfach mal loslaufen…und sich dann über das hohe Startkapital wundern…“Gehe nicht über LOS….“…

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    1. Und vor allen Dingen hoffen, dass niemand merkt, dass sie anderen Regeln folgen. Ja. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht ein Misstrauen, dass den Bürger*innen gegenüber nicht angemessen ist und mich ebenso ärgert.

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      1. Das ist so, ja…..von Amtswegen schon schlimm genug, aber noch schlimmer wenn der einzelne Mitarbeiter die Klienten mit einem Misstrauen behandelt, welches ihnen nicht zusteht….

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  2. Immer wieder wunderbar diese sokratischen Dialoge. Bären bleiben sogar dann herzig, wenn sie zudringlich werden und anderen ihre tiefen Weisheiten auf die Nase binden. Das nennt man dann einen Bären aufbinden, oder?
    Durch die Abschaffung des Kapitals würde auch das Ende von Monopoly eingeleitet und der Weltfriede würde sich unmittelbar aus der plötzlich einsetzenden Harmonie aller Mitspieler ergeben. Neue Spielregeln könnten geschaffen werden. Oder man macht es so wie ich: Man ignoriert das Anleitungsheft und führt kreative Ad-hoc Adaptionen zur sicheren Erreichung des eigenen Gewinns ein. Das geht natürlich leichter solange der Spielepartner noch nicht lesen gelernt hat 😉

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    1. Ich bin mir gar nicht so sicher, wer hier wem einen Bären aufbindet. Der Geist von Gerhard Schröder scheint nämlich in Seamus gefahren zu sein.
      Was das Spielen nach eigenen Regeln angeht, bin ich aber ganz bei dir. Zumindest solange beide Seiten ihren Spaß daran haben, ist die Variation doch eine reizvolle Sache. 🙂

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  3. Wie Marinsche schreibt, das Dreamteam im Dialog.
    Bedingungslos klingt einfach besser. Auf den Karren springt man schnell auf. Würde ist auch so ein missbrauchtes Wort. Wobei die Würde keinesfalls missbraucht werden darf. Ich war noch nie im Jobcenter. Zum Glück. Ich glaube mit der Würde ist es da nicht gut bestellt.

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  4. Tja, die seltsame Wendung von der Würde des Menschen. Ich glaube, was man eigentlich mit „unantastbar“ meint, ist, dass sie nicht materiell ist und folglich in unserer Gesellschaft keinen Stellenwert hat. Ehrlicher wäre die Formulierung: Auf die Menschenwürde wird nach Strich und Faden gesch… und so.
    Das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen habt ihr beiden Hübschen aber wohl nicht so ganz verstanden. Es heißt ja GRUNDeinkommen. Man würde es also aus einem bestimmten Grund – nämlich der deutschen Staatsangehörigkeit – erhalten. Das wäre dann eben ein Grund und keine Bedingung. Daher bedingungslos. 😉

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    1. Sie hat einen Stellenwert, das ist ja der Witz. Aber WAS Menschenwürde ist, das muss erst ausgehandelt werden. Deshalb kriege ich immer Bauchschmerzen, wenn von Würdeverletzungen die Rede ist. Das große, wichtige Wort wird so schnell für Kleinigkeiten hergenommen, wenn jemand seinen Lolly nicht bekommt.
      Aber: Damit ein Grund ein Grund ist, muss er die Bedinung erfüllen, dass er wahr ist. 😉

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  5. Hach ja, Hartz IV. Wer einen Job hat, dem fällt’s leicht, auf die „Harzer“ herabzublicken. Leider vergessen die Berufstätigen gerne mal, dass sie sich im Laufe von nur 12mon selbst in der Situation befinden könnten…

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    1. Ich weiß durchaus, dass das ein problematisches Thema ist. Und auch wenn mein Mitgefühl den Menschen gilt, die auf ALG II angewiesen sind: Das Ding basiert auf Gesetzen und damit gibt es Spielregeln. An die sich beide Seiten zu halten haben, ebenso die Vermittler wie die Menschen, die Geld bekommen. Das ist keine Böswilligkeit von Seiten der Menschen im Jobcenter, sondern das Prinzip des ALG II, dass es eben nicht bedingungslos ist, sondern ein Leistungsaustausch ist: Do, ut des. Das darf man gern blöd finden (und ich krieg von Neoliberalismus immer Pickel, so ist das nicht), aber wenn Kritik übers Ziel hinaus schießt, sollte man das auch benennen.

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      1. Das Problem bei Regeln und Gesetzen ist, dass sie eben das Individuum nicht sehen.
        Ich denke schon, dass man die „Bezieher“ nicht alle über einen Kamm scheren sollte.
        Ein bisschen „Individualisierung“ gibt es schon: Wenn du über 58 Jahre alt bist und mindestens vier Jahre gearbeitet hast, kriegst du nicht nur 12mon ALG I, sondern immerhin 24mon. Das ermöglichst dir zumindest etwas mehr Zeit, um wieder einen Job zu finden. Wenn das ALG I bereits unter Hartz-IV-Satz liegt, hilft dir das natürlich nicht XD

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        1. Das ist völlig legitim. Ebenso wie ich es für einen mittelschweren Skandal halte, dass Wohnbesitz u. U. verkauft werden muss. Aber das Problem ist, dass alle vom Staat auch gleich behandelt werden wollen und niemand willkürlich bevorzugt werden soll. Das ist eine gute Sache. Aber wenn das bedeutet, selbst zurückstecken zu müssen, dann geht immer wieder das Geschrei los. Das finde ich zuweilen anstrengend.

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      2. Mh. Du hattest den Vorteil, während deiner Arbeitslosigkeit die Wahl zwischen Hartz IV und „zurück zu Eltern“ zu haben. Wer das nicht, hat nicht das Gefühl, gesetzmäßig und gerecht behandelt zu werden. Warten wir ab, bis es dich erwischt und freuen uns dann auf deinen Artikel 😀

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