Es ist schon lustig, dass ich mir eine Überschrift für diese Besprechung ausdenke, auf die Verlagshomepage gehe, um mir Inhaltsangabe und Cover zu organisieren, nur um festzustellen: Die überschreiben ihre Inhaltsangabe genau so. Heute ist es so weit, meine Lektüre der Mars-Trilogie nimmt nach Roter Mars und Grüner Mars heute ein Ende. Zeit für einen Blick auf den dritten Band und die Reihe insgesamt.

Inhalt lt. Verlagshomepage

Es ist die größte Herausforderung, der sich die Menschheit je gegenübersah: die Besiedlung unseres Nachbarplaneten Mars. Die Verwandlung einer lebensfeindlichen Wüstenwelt in einen blauen Planeten wie die Erde. Von der ersten bemannten Landung auf dem Mars über die frühen Kolonien und ihre Auseinandersetzungen, welche Form von Gesellschaft sie erbauen sollen, bis zum riskanten Versuch, das Klima einer ganzen Welt zu verändern – Kim Stanley Robinson erzählt in seiner Mars-Trilogie die Geschichte der Zukunft wie ein großes historisches Epos.

 

Blauer Mars von Kim Stanley Robinson
Blauer Mars von Kim Stanley Robinson (Quelle)

 

Der Mars kommt in der Normalität an

Das ist, das aufmerksame Lesewesen hat es vielleicht bemerkt, die gleiche Beschreibung wie auch der zu Band 1 und 2. Das ist aber nicht schlimm. Es gibt keinen Grund, Band 2 oder 3 zu lesen, wenn einem die vorherigen Bücher nicht gefallen haben, denn Robinson erzählt in ihnen keine wirklichen Protagonistengeschichten. Robinson entwickelt eine neue Gesellschaft.

Es ist nicht zu viel verraten, wenn ich an dieser Stelle sage, dass der Mars tatsächlich unabhängig wird. Mehr noch: Die Menschheit dehnt sich, auch wegen der drückenden Überbevölkerung auf der Erde, weiter aus. Merkur und die Jupiter-Monde werden besiedelt, selbst die terraformingtechnisch problematische Venus wird in Angriff genommen. Der Mars als erstes Projekt der menschlichen Besiedlung erlangt seine Unabhängigkeit und wird gleichzeitig zu einem Projekt: Entsteht auf ihm eine neue Gesellschaft, wie es sich die Mars-Utopisten, die wir im zweiten Band kennengelernt haben oder entsteht sogar eine neue Spezies, wie es manche der ersten Siedler in stillen Momenten annehmen?

 

Politik

Dieses Thema hätte sicherlich mehr Aufmerksamkeit verdient, es kommt allerdings nur am Rande vor. Oder es zieht sich durch alle drei Bücher – wie man will. Nach dem Fokus auf Naturwissenschaft im ersten und Soziologie im zweiten Band, ist „Blauer Mars“ ein Buch über Politik. Der Mars wird unabhängig. Er benötigt damit eine Verfassung, eine Ökonomie, ein Wahl- und Repräsentationssystem. Er kann föderalistisch oder zentralistisch werden. Auf dem Mars leben keine zwanzig Millionen Menschen, aber die potentielle Mars-Nation würde einen gesamten Planeten umfassen und gewaltige Spannungen noch dazu.

Der Streit um das Antlitz des Mars ist nach wie vor nicht beigelegt und er schwelt bis zum Ende des Buches latent weiter: Wie dicht soll die Atmosphäre sein, welche Areale gehören geschützt, dürfen Stickstoff oder andere Gase von außen in die Atmosphäre eingebracht werden? Wer darf über das Wasser verfügen, was darf wo geschehen? All dies sind beherrschende Fragen und Gegenstand heftiger Auseinandersetzung. Der Mars verliert darüber seine Unschuld: Wo in „Grüner Mars“ unterschiedliche Interessengruppen aufgetreten sind, formieren sich nun politische Parteien, die gegeneinander intrigieren, gleichzeitig aber versuchen müssen zu kooperieren, um eine Nation zu bilden. Den zahllosen Aspekten dieser Geburt einer Nation schenkt Kim Stanley Robinson viel Aufmerksamkeit und entwickelt ein Utopia irgendwo zwischen Kommunitarismus und Sozialismus.

Den größten Raum nimmt in seinen Schilderungen der Konflikt zwischen Isolationisten und Kooperationisten ein. Der Mars ist eine Nation und ein Planet im Werden, darüber sind sich beide Fraktionen einig. Während die Isolationisten deshalb den Mars abschotten wollen und sich mit den neu entstehenden Kolonien zu verbünden gedenken, wollen die Kooperationisten die Bindung an die Erde bewahren. So findet der Gedanke, ob die Marsbewohner noch Menschen oder schon Marsianer sind, letztlich einen politischen Ausdruck. Und eine erstaunliche Auflösung.

 

Wissenschaft

Aber auch die Wissenschaft bleibt wichtig. Auf dem Mars beginnt die Forschung, wie Mutterboden hergestellt und damit Ackerbau betrieben werden kann. Die Technologie entwickelt sich mars-spezifisch weiter, Birdsuits kommen in Mode, weil sich auf dem Mars das Fliegen anbietet. Und Tiere beginnen, den Mars zu besiedeln. Genetisch veränderte Tiere hoppeln, laufen und Fliegen auf dem Mars herum. Daran merkt man, dass Robinson seine Trilogie in den frühen 90ern geschrieben hat: Die Einfachheit, mit der er Gentechnik als nahe Zukunftsvision benutzt, würde heutzutage wohl kaum noch als Hard Science Fiction durchgehen. Doch berücksichtigt man den zeitbezogenen Kontext, ist Robinson nach wie vor Realist.

Neben allerlei Gedanken über Terraforming und Aerodynamik (Areoaerodynamik, wenn man so will) wendet sich Robinson im dritten Band aber auch stärker der Wissenschaft vom Menschen zu. Die Langlebigkeitsbehandlung ist in der Trilogie gut etabliert und so kommt es, dass von den ersten Hundert, die in Roter Mars den Planeten besiedeln, noch einige leben. Sie werden allerdings alt. Während Altersschwäche nicht mehr auftaucht, wächst die Befürchtung, es könnten Krankheiten entstehen, die sie irgendwann doch dahinraffen werden. Was zu einem realen Problem wird: Zunehmender Gedächtnisverlust bis hin zu Wahnvorstellungen. Und so gerät diese Erzählung über den Mars zugleich zu einer Lehrstunde in Gerontologie und dem Versuch, die Erinnerung zu bewahren. Und zu einem Fallbeispiel für die Frage, ob ewiges Leben wirklich so erstrebenswert ist.

 

 

Protagonisten

Kim Stanley Robinson hat keinen großen Wert auf seine Protagonisten gelegt. Einige von den ersten Hundert sind die Figuren, die wir die gesamte Trilogie hindurch besonders dicht verfolgen, aber sie sind nur Mittel zum Zweck, ebenso wie einige ihrer Kinder. Diesem Prinzip bleibt Robinson auch in „Blauer Mars“ weitestgehend treu. Da verschwinden gleich zwei tragende Figuren beinahe kommentarlos (okay, sie verschwinden nicht, sie treten ab), ohne dass sie zukünftig noch eine Rolle spielen. Und auch wenn Robinson gerade in der zweiten Hälfte des Buches den Blick auf die Probleme der ersten Hundert und ihre individuellen Erinnerungen und Wünsche lenkt, stellt er sie immer auch als Gruppe dar.

 

Dennoch weicht „Blauer Mars“ auffällig von den beiden Vorgängerromanen ab. Denn die ersten Hundert werden persönlicher in den Blick genommen. Es gibt Beziehungen, Nostalgie und Charakterentwicklungen. Sax kristallisiert sich erst im dritten Band als Hauptfigur der Trilogie heraus, aber wenn man zurückblickt, ist das eine logische Variante. Keine zwangsläufige, aber eine logische. Und der dritte Band wartet ebenso abweichend, mit einer Liebesgeschichte auch. Ebenso wie Sax‘ Status als Protagonist der Trilogie ebenfalls eine logische, wenn auch nicht zwangsläufige Variante, die der Geschichte vom Mars, seiner Besiedlung, dem Terraforming, der Menschen auf dem Mars, ihrer Infektion mit dem Mars und ihrer Areoformung einen schönen Abschluss gibt.

 

Fazit

2720 Seiten Mars-Trilogie habe ich in den letzten Wochen gelesen. Im dritten Band fiel es mir zunehmend schwer, denn hier springt Robinson häufig und berührt viele Themen, allerdings nur oberflächlich und ohne die Leichtigkeit, die die beiden vorhergehenden Bände auszeichnet. Ein Zeichen dafür, dass das Leben auf dem Mars komplizierter wird.

Nichtsdestotrotz war auch Blauer Mars ein Glanzstück und ein würdiger Abschluss der Trilogie, denn das muss man sich auch vor Augen halten: Kim Stanley Robinson ging es nicht um den großen Knall und die Effekthascherei. Er hat zwei große Gedankenexperimente durchgeführt:

  1. Ist es technisch und sozial möglich, den Mars zu besiedeln?
  2. Was geschieht mit der Menschheit, wenn sie den Mars besiedelt?

Auf beides bietet Robinson interessante und bedenkenswerte Antworten und stärkt den schlichten, aber nachvollziehbaren Gedanken, dass der Mensch das Land macht wie das Land den Menschen macht.

Darüber hinaus warten 2720 Seiten natürlich noch mit weitaus mehr auf. Die Bevölkerungslage auf der Erde habe ich in meinen Besprechungen ebenso ausgeklammert wie die allzu detaillierten Schilderungen von metanationalen Konzern, Öko-Ökonomie, Tausch-Ökonomie, Kooperativ-Wirtschaft, etc. pp. Doch auch dieser Aspekt kommt immer wieder vor und hat seinen Reiz als Schreckens- oder Hoffnungs-Vision für die Zukunft der Menschheit.

Alles in allem ist die Mars-Trilogie nichts, das man zur Unterhaltung liest. Aber sie ist etwas, das die eigenen Gedanken beflügeln wird, über Wesen, Vergangenheit und Zukunft der Menschheit nachzudenken, wenn man sich darauf einlässt. Und natürlich seinen Spaß am Spielen mit technischen Möglichkeiten hat. Ich möchte meine Zeit auf dem Mars nicht missen.

11 Kommentare zu „Des Mars letzter Akt

  1. Gratuliere. Du hast es geschafft. Tatsächlich habe ich mir nun den ersten „Akt“ besorgt. Für eine reine Abenteuergeschichte wäre mir der Gesamtumfang deutlich zu groß. Aber wie aus deiner Beschreibung deutlich hervorgeht, sind da ja sehr viele Aspekte mit im Spiel und der Umfang macht Sinn. 🙂

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