Es ist immer dankbar, wenn sich ein Ereignis von außen aufnötigt, um im Blog verarbeitet zu werden. Während Erlebnisse immer noch die Umformung in einen Blogbeitrag brauchen, mehr noch überhaupt erst einmal zum Thema des Blog werden müssen, sind Feiertage etwas, das sich ganz zwanglos anbietet. In Vorwegnahme des morgigen Tages möchte ich deshalb zurückblicken.

Vor ziemlich genau einem Jahr, am 03.10. habe ich erstmals zum Nationalfeiertag der Deutschen gebloggt. Meine Abneigung gegen alles Nationalistische und die Vereinnahmung von Leistungen Einzelner für die „Nation“ ist seitdem bestehen geblieben. Sie hat sogar Nahrung bekommen.

Seit dem 03.10. lässt sich im Diskurs über die deutsche Selbstvergewisserung erstaunliches beobachten. Meine Angst vor übermäßiger Deutschtümelei fühlt sich für mich nicht unbegründet an, sie ist aber schwächer geworden. Die Deutschen scheinen ihr Deutschland zu mögen ohne sich der Illusion hinzugeben, sie seien besonders toll, besonders gründlich oder besonders ordentlich. Die Fußball-WM (nicht Weltmeister), der BER (Pfusch) und VWs Dieselmotoren (kleine Dreckspatzen) konnten passieren, ohne dass es zur Revolution kam. Jogi Löw musste nicht gehen, Klaus Wowereit hatte bloß keine Lust mehr auf Regierender Bürgermeister und der Deutschen Liebe zum Golf bleibt ungebrochen.

Deutschland, so scheint es, hat sich als Nation ohne besonderen Geltungsdrang, Anspruch und ohne Eitelkeiten etabliert. Deutschland begreift sich als Nation ohne ein starres, unveränderliches Bild von sich zu haben. Das Traurige daran ist, dass diese Erkenntnis wesentlich durch einen Diskurs bestätigt wird, der uns im vergangenen Jahr beschäftigt hat.

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Deutschland (Symbolbild)

Die „Flüchtlingskrise“ ist, wir erinnern uns, der Wunsch zahlloser Menschen, in unser schönes Land zu kommen, um sich sicher zu fühlen. Hier zu bleiben. Hier leben zu wollen. Deutschland scheint attraktiv zu sein. Was in zwischenmenschlichen Beziehungen ein Kompliment (Attraktivität) und ein großer Vertrauensbeweis (Ich will bei dir bleiben, mit dir zusammenziehen, vielleicht sogar Kinder bekommen) ist, scheint in nationaler Dimension ein Problem zu sein. Genauer: Auf der Ebene Nation-Einzelne. Denn auf der Ebene Nation-Nation feiern wir morgen immerhin 26. Hochzeitstag.

Der „Flüchtlingskrise“ aber verdanken wir Sorge ums Deutsche. Da sind die Wahlerfolge der AfD, die sich irgendwie als deutschnational definiert  … Oder eben nur so tut.

Die AfD macht es sich denkbar einfach. Sie hat keine gehaltvolle Vorstellung dessen, was Deutschland als Nation ausmacht. Was sie tut: Sie versucht, die Nation völkisch zu interpretieren, d. h. Charakter der Nation und Charakter des Volkes fallen zusammen. Frauke Petry denkt darüber nach, das nostalgische, altmodische Wörtchen „völkisch“ wieder aus der Schmuddelecke der Historie herauszuholen, ohne so recht angeben zu können, was sie mit dem Begriff tun will oder ihn gar mit Inhalten zu füllen. Die geistige Energiesparbirne bemüht das Sittengesetz, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Das konnte jeder Teddybär verstehen. Das sind Phrasen, die geschichtsvergessen sind, denn im gesamten 19. Jahrhundert wusste niemand, wer dieses deutsche Volk (völkisch verstanden) sei. Eine Antwort bleibt bis heute aus. Es lässt sich immerhin positiv wenden: Die AfD zeigt mit ihrer Existenz, dass ein völkischer Nationalismus eine Phrase ist. Blutleer, unbrauchbar. Das Deutsche an Deutschland hat nichts mit dem völkischen Volk zu tun.

Nun haben wir glücklicherweise dennoch ein deutsches Volk. Was es ausmacht? Eben das, was ich mir wünsche. Angela Merkel hat gesagt: „Deutschland wird Deutschland bleiben, mit allem, was uns daran lieb und teuer ist.“ Aber was ist uns lieb und teuer? Deutsche Tugenden, das christliche Abendland? Kehrwoche und Karneval? Dass Frauen bei uns zwar Kopftücher tragen dürfen (die schwäbische Hausfrau wäre endgültig vom Aussterben bedroht!) aber keine Niqabs?

Ich mag diesen Merkel-Satz. Sie erklärt ihn nämlich:

Dass so viele Flüchtlinge gerne nach Deutschland kommen wollen oder nach Österreich und Schweden, dass sie dort gut behandelt werden, nach unseren Werten und Grundsätzen, das beruht ja auf Voraussetzungen. Sie spiegeln sich wider in unserem Grundgesetz, in unseren Gesetzen. Sie zeigen sich in unserer Liberalität, unserer Demokratie, unserem Rechtsstaat, in unserem überwältigenden Grundbekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, einer Ordnung also, die mit wirtschaftlicher Stärke die Schwächsten auffängt. Das alles darf und wird sich nicht ändern.

 

Nein, das deutsche Volk ist nicht völkischer geworden. Die Parolen der AfD verfangen nicht wegen ihrer Inhalte. Die gibt es nicht. Sie verfangen auch nicht wegen der Vision. Selbst damit kann die AfD nicht dienen. Das ist ja das Lustige: Die AfD ist ebenso wie die Linke eigentlich eine post-ideologische Partei. Statt einem gesellschaftlichen Entwurf bietet sie technokratisch Lösungen an, von Euro verlassen bis Grenzen dichtmachen. Sie bemäntelt es zwar mit dem Sprech der Nationalisten, dahinter steckt aber kein Konzept, keine Vision. Es geht lediglich darum, einen Tatbestand zum Problem aufzubauschen und dieses mit einem einfachen Lösungsangebot zu beseitigen. Die AfD ist erfolgreich, weil sie die Welt vereinfacht.

Dagegen hilft, sich selbst zu fragen, was uns lieb und teuer ist. Und ob das wirklich bedroht wird. Wenn ich hier im Fitnessstudio die Halbstarken so sehe, dann muss ich häufig grinsen. Da gibt es zum Beispiel die Modelle „Mehmed“ und „Murat“, mit einiger Wahrscheinlichkeit Deutsche. Und selbst wenn auf dem Papier vielleicht kein Deutscher: Wer jeden bis jeden zweiten Satz mit einem „weischt?“ beendet, der kann seine Herkunft wahrlich nicht verleugnen. Der ist definitiv Schwabe.

Das ist mir lieb und teuer: Dass man sich zugehörig fühlen kann. Dafür braucht es Anstrengung auf beiden Seiten. Man muss sich gefallen lassen, dass die Maultaschen plötzlich in ein Fladenbrot gesteckt und mit Knoblauchsauce übergossen werden genau so wie diese lästige Angewohnheit, dass diese komischen Deutschen am frühen Sonntag Morgen einen solches Gebimmel machen, dass der Muezzin vor Schreck vom Minarett fällt, die Faust ballt und den Priester einen Seggl schimpft. Dass wir liberal sind … und vor allen Dingen neugierig aufeinander.

Wie steht es mit eurem Verhältnis zu Deutschland? Ganz entspannt, kritisch oder ablehnend? Erlebt ihr noch völkisches Denken oder ist es wirklich zur Phrase geworden? Was ist euch lieb und teuer an Deutschland?

16 Kommentare zu „Einheitstag

  1. Die Frage kann ich so einfach gar nicht beantworten. Für morgen habe ich aber den Song des Tages unter ein vergleichbares Motto gestellt. Und es ist sicher nicht unsere Nationalhymne, mit der kann ich nämlich nicht viel anfangen. Lass dich überraschen (wird dafür auch etwas länger als sonst).

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  2. Einheitstag ist eine klasse Idee. Alle Deutschen werden mit einem deutschen Einheitstag getaggt, alle Dänen mit einem dänischen Einheitstag, usw. Dann haben auch eingefleischte Nationalisten etwas, was wirklich landestypisch ist. Das ist ja ansonsten gar nicht so einfach, weil man bei diesen „typisch“ Begriffen entweder total schwammig ist, oder diese zwar konkretisiert, aber dabei etwas benennt, was gar nicht mehrheitstypisch ist. Wenn schon, bin ich eher an Regionen interessiert, die – oft über Landesgrenzen hinweg – etwas Typisches haben.
    Schönes neues Design, übrigens. 🙂

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    1. Danke. Ich hoffe, damit bin ich endlich am Ende der Reise, nachdem das vorherige zwar viele Möglichkeiten hatte, aber nie schön war. Und ich mich endlich durchringen konnte, einen richtigen Header zu benutzen. *gg* Mal sehen, letztes Mal habe ich auch im Herbst gewechselt. Jetzt muss ich nur noch im Hintergrund 2-3 Sachen ändern.
      Was das Taggen von den Typen angeht … Ich finde es ehrlich gesagt lustig, wenn sich ein durch und durch regionales Land wie Schland einen Nationalismus zulegen will … Und zugleich erklären, warum die Deutsch-Schweizer dabei z. B. nicht mitmachen dürfen. Ich verstehe den Nationenbegriff einfach bis heute nicht. Bzw. konkreter die Emotion dahinter. Analytisch ist er mir durchaus präsent.
      Ich für meinen Teil halte mich aber doch lieber an Reibekuchen mit Zwiebelrostbraten. Und hoffe, dass manche Flachpfeife irgendwann erkennt, dass schon das Multikulti ist.

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      1. Schaut jedenfalls richtig gut und übersichtlich aus. Ich würde neidisch werden, hab’ aber aktuell keine Lust dazu. 😉
        Oft versucht man doch einfach mittels nationalistischer Symbole – Flaggen, Nationalhymen (oder wie man das genau nennt), usw. – irgendwie zu verbinden, was sich sonst herzlich am Allerwertesten vorbeigeht. Das lässt sich auch gut in den nordischen Ländern beobachten, wo (wenn überhaupt) eine Unterteilung Nord / Mitte / Süd mehr Sinn machen würde, als die heutigen Landesgrenzen.

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        1. Andererseits kann sowas natürlich auch seine Vorteile haben. Die nordischen Staaten arbeiten, so wie ich das mitbekomme, ja tendentiell recht eng zusammen. Die üben damit Supranationalismus. Nationalismus durch sinnlose nationale Grenzen abzuschaffen fände ich ein Super-Modell. 🙂

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          1. Man ist da zum Glück im Norden recht pragmatisch. Besonders, wenn man sich vor Augen hält, dass der gesunde Menschenverstand ganz offensichtlich ein eher knapper Rohstoff ist, klappt die Zusammenarbeit in vielen Bereichen recht gut. Da gibt es nordische Lösungen anstelle nationaler Eigenbrötlerei. Auch, dass da eine riesenlange EU-Außengrenze mitten durch verläuft, merkt der Normalmensch eher selten.
            Ich glaube, diese Nationalwurstelei ist letztlich vor allem im Interesse multinationaler Konzerne. Durch unterschiedliche nationale Gesetzgebungen bietet sich eine riesige Palette an Schlupflöchern, die man sich sehr virtuos nach Bedarf aussucht.

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  3. Nationalfeiertage sind für mich genauso „feierungswürdig“ wie christliche Feiertage. Generell erfüllen alle Feiertage für mich nur einen einzigen Sinn: „AUS DEM WEG! ICH HAB FREI! WUHUUU!“

    Wie stehe ich zu Deutschland…
    Ich bin hier geboren, aufgewachsen und immer noch da. Ich kenne die Sprache, die Gesetze und weiß demzufolge, „was hier so abgeht“. Das sind tatsächlich die Dinge, die mich an anderen Ländern stören: Angst davor, mich nicht verständigen zu können, bzw. etwas falsch zu verstehen und die Gesetze nicht zu kennen und daher etwas falsch zu machen (mehr als das ist es aber in der Tat nicht).
    Ansonsten denke ich nicht, dass „alle Deutschen“ oder „alle Amerikaner“ oder „alle x“ irgendwie sind. Jeder Mensch wird durch die Summe seiner Erfahrungen geprägt. Und die sind bei jedem ganz anders. Wo er herkommt, ist nur ein winziges Bruchstück…

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    1. Mir geht es grundsätzlich wie dir, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Mir verhauen diese Feiertage meinen Rhythmus, was anstrengend ist. Jetzt sitze ich hier und gehe meine Blogs durch, um nachher ins Fitness-Studio zu laufen. Aber ich denke gern über sie nach, weil die Gesellschaft das zu selten tut. Sie enthalten immer einen interessanten Kern, selbst die christlichen, obwohl man nicht glaubt.
      Ich teile deine Ansichten zu „alle Deutschen“. Wir sind zwar durch gewisse kulturell dominante Praxen geprägt, aber eben nicht ausschließlich. Und „Volk“ finde ich als Denkfigur sehr merkwürdig. Deshalb glaube ich gar nicht, dass es ein deutsches Volk gibt, im Unterschied zu Deutschland (wobei das durchaus in einem werthaltigen Sinn). Deutschland als der Ort, wo ich weiß, „was hier so abgeht“ … Ist das nicht eine schöne Definition für Heimat?

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        1. Jain … Nein, Ich brauche immer einen Moment, um mich neu zu organisieren, da geht wertvolle Freizeit verloren. Aber ja, ich war gestern bspw. fotografieren und gehe heute auf eine kleine Entdeckungstour. 🙂

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