Ich schreibe hier meistens anekdotisch, wenn ich aus meinem Leben berichte. Es gibt einen bestimmten Anlass wie „Ich habe (vor vielen Wochen) einen Kuchen gebacken“ oder „ein Buch gelesen/eine Serie geschaut“ und baue dann ein paar grundsätzliche Überlegungen zum Thema ein. Ich greife das Witzige einer Episode heraus oder das Bedenkenswerte, aber in den größeren Kontext der „Banalität des Alltags“ baue ich es selten ein. Das muss auch so sein, sonst wäre es langweilig zu lesen.

Blog steht kurz für Weblog und meint so viel wie Webtagebuch, zumindest ist das eine weit verbreitete Interpretation des Begriffs. Das ist aber nicht ganz richtig. Zugegeben, zuerst war das Phänomen des „Online-Tagebuchs“ verbreitet, ebenso wie erste Versuche, eine Art von kontinuierlich sich entwickelnde Zeitschrift im Netz zu veröffentlichen, d. h. einen Raum zur Veröffentlichung von Kommentaren und Analysen zu schaffen. Das Netzine gilt wohl als ältester noch bestehender Vertreter dieser Art von Veröffentlichung und ist seit 20 Jahren im Internet beheimatet. Blogs zeichnen sich durch eine gewisse Technologie dahinter aus, das Prinzip ist aber auch von einer „normalen“ privaten Homepage mit News-Bereich bekannt.

Ich habe mich für diesen Beitrag auf die Suche nach einem „wirklich“ alten „privaten“ Blog gemacht, das allein protokolliert und nicht einzelne Episoden aus dem Leben herausgreift und „etwas damit anstellt“. Gefunden habe ich nach 20 Minuten nichts. Und was man nach 20 Minuten nicht findet, existiert nicht oder ist nicht relevant. Zumindest nicht im Internet.

Man stelle sich das auch einmal vor, jemand würde Tag für Tag so etwas veröffentlichen wie meinen gestrigen Tag:

07:00 Aufwachen, mit Moritz schmusen, Kaffee kochen, Waschmaschine anstellen, anziehen, das schwarze Raubtier füttern.

08:00 Fahrt zum Wochenmarkt mit der U1, dabei in der aktuellen Ausgabe der ZEIT gelesen. Gekauft: Ein Bund Möhren, einen Spitzkohl, ein Pfund Zwiebeln, eine Aubergine, eine Zucchini, eine Paprika, zwei Kräutersaitlinge, eine Laugenstange, ein Pfund Zwetschgen, drei Nektarinen.

09:00 Einkäufe einräumen, Gang zum Supermarkt. Gekauft: Zwei Becher Joghurt, ein Becher Quark, eine Packung Schinken, Mini-Leberwürste, eine Tüte Milch, ein Paket Snacknüsse, ein Paket Mehl, ein Paket Zucker, Vanille-Zucker, Honig, Sahne, 2,5kg Kartoffeln.

10:00 Einkäufe einräumen, Frühstück: Laugenstange mit Frischkäse und Leberwurst, Roggenbrot mit Ovomaltine Crunchy Cream (ich könnte dafür morden, zumindest die schweizerische Variante) und Schinken. Wäsche aufhängen.

[…]

Dabei habe ich noch nicht einmal alles protokolliert. Dem aufmerksamen Leser ist es wahrscheinlich aufgefallen, dass der Kaffee seit 07:00 gekocht, aber nicht getrunken ist, weder Toilettengänge noch Atemzüge protokolliert sind. Ich hätte auch einen Schrittzähler aktivieren können, um die Angaben weiter anzureichern. Aber bereits nach vier Stunden liest es sich mühsam. Es ist öde.

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Zugegeben, zuweilen habe ich aber auch eine Schwäche für Tristesse, gerade im Photographischen. Ich hoffe, das Bild habe ich noch nicht benutzt. 😉

 

Ich könnte anders fortfahren und auflisten, was ich an außergewöhnlichen Dingen im Laufe des Tages gemacht habe:

  • Friseurbesuch
  • kleiner Spaziergang durch Bad Cannstatt
  • Erwerb und Montage eines neuen Toilettensitzes
  • Stäffeletour mit dem Fotoapparat durch den Stuttgarter Osten (ich glaube, dass es zum Osten gehört: Vom Haus der Geschichte hoch bis zur Villa Reitzenstein, dann wieder herunter zum Olga-Eck)
  • Bummel durch die Stuttgarter Innenstadt und Kauf von blauen Vans für unschlagbare 30€

Damit würdet ihr sehen, dass ich gestern aktiv war, aber es würde unter den Tisch fallen, dass ich zudem auch fleißig war, denn ich habe nicht nur mein Zimmer gesaugt und mein Bad geputzt, sondern auch die Gemeinschaftsräume mit dem Staubsauger bearbeitet. Und wieder fehlen Toilettengänge, aber auch Überlegungen wie: „Das Zentrum von Bad Cannstatt ist völlig anders als das von Stuttgart. Andere Menschen, andere Geschäfte, andere Stimmung. Auf den ersten Blick provinzieller, auf den zweiten Blick urbaner. Und das bei einem Abstand von sieben U-Bahnstation zwischen Hauptbahnhof und Wilhelmsplatz.“ Ich glaube zumindest, dass es sieben Stationen sind. Ich könnte es dokumentieren: Staatsgalerie, Neckartor, Stöckach, Metzstraße, Mineralbäder, Mercedesstr., Wilhelmsplatz. Und dann könnte ich es googlen und sehen, dass ich recht habe.

Man bekommt zwar einen Eindruck vom Leben des Tagebuchführers, aber im ersten Falle ist das für Marketingmenschen interessanter als für die Leser*innen eines Blog, im zweiteren Falle setzt es voraus, dass die Leser*innen ohnehin einiges über das Leben des Autoren wissen, zum Beispiel, dass er nach wie vor recht neu in Stuttgart ist oder eine gewisse Obsession in Sachen Mode hegt. Man könnte ihn dann nämlich dafür loben, dass er nur 30€ ausgegeben und ein Paar Schuhe gekauft hat. Und nicht noch 25 Hemden, 3 Hosen und einen lustigen Hut.

Das Anekdotische hätte es reizvoller gemacht. Ich hätte nur über die Schuhe berichten können und meinen Kampf in dem Laden, nicht noch ein zweites Paar Schuhe zu kaufen, weil ich schon ein paar roter Vans habe und jetzt nicht noch die rot-gemusterten haben muss. Und wenn mir das eine weitere Paar an Schuhen in meiner Größe zwar gefällt, aber zu klein ausfällt, dann verbringe ich natürlich eine Viertelstunde damit, das Regal der nächsten Größe durchzustöbern, ob das Modell vielleicht auch in 44 vorrätig ist. Das wäre eine lustige Geschichte gewesen, in der ich nebenbei meine Schuhgröße verraten hätte. Wäre wohl interessanter gewesen als die Auflistung oben. Aber ich wollte es mal ausprobieren. Aber jetzt muss der Blogbeitrag enden, denn es ist

37 Kommentare zu „Das Leben beschreiben

  1. Ich stimme dem völlig zu: Ein wirkliches Web-Tagebuch wäre eine katastrophale Idee, denn entweder ertrinkt es in Banalitäten (s.o.), oder aber es wird zu intim. Dann wäre es z.B. für mich zu voyeuristisch — ich würde mich schon beim Lesen aufdringlich fühlen.

    Das anekdotische Wesen eines Blogs ist eigentlich perfekt. 👍🏻

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    1. Andererseits wäre es auch spannend, mal so minutiös einen Tag zu protokollieren. Allerdings wäre Twitter dafür wohl das geeignetere Medium. Im Blog könnte man den Rückblick machen.
      Andererseits will ich selbst auch gar nicht im Netz lesen, wann ich auf Toilette war (darüber spricht man wohl besser nicht) und unbewusst verrät man ja schon so einiges über sich. Wer sich meine Einkäufe anguckt, dürfte einen recht guten Eindruck von meinen Ernährungsgewohnheiten bekommen. Schon diese Banalität empfände ich – zumindest auf die Dauer – voyeuristisch.

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  2. Blogs geben ja immer nur ein Gerüst vor und die Leser machen daraus einen Film für sich, über die betreibende Person, seine Motivation, eventuell sogar seinen kompletten Lebensstil. Geschichten sind da eine gute Alternative, denn diese sind ja in sich abgeschlossen, es sei denn der Blogger hat nichts gegen Spekulationen über sein Dasein, die kann auch sehr spannend werden. So, ich ziehe mich jetzt in meinen Westflügel zurück um das Frühstück einzunehmen und reite anschließend über meine Ländereien 😉 Dir einen famosen Sonntag 🙂

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    1. Das Ungesagte ist im Blog ja häufig eh das spannende. Ich bin manchmal schon neugierig, was die Leute sich für ein Bild zusammensetzen von mir, ob und wie sie Leerstellen füllen, die ich ja durchaus lasse. Grüß den Hund vor deinem Kamin von mir. 🙂

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  3. Machst dir ja sehr viele Gedanken beim schreiben und ist auch interessant zu lesen bei dir.
    Bei mir kommt fast alles aus dem Bauchgefühl heraus. Was vielleicht oftmals nicht ganz so interessant, aber eben einfach nur vom Gefühl heraus kommt und nicht jedermanns Sache ist.
    So hat jeder seine ganz eigene Art und Weise sich mitzuteilen, was ja gerade das schöne im Web ist.
    Liebe Grüße und einen schönen Sonntag wünsche ich dir noch🌻🌞

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    1. Danke für das Lob. Wenn es trotz der langweiligen Auflistung interessant ist, dann ist es mir ja doch gelungen, eine Geschichte zu erzählen. Ehrlich gesagt, so viele Gedanken mache ich mir gar nicht, zumindest nicht bei den Sonntagsbeiträgen. Da habe ich oft einen Geistesblitz und verfolge den dann. Heute dachte ich mir „Ich habe schon lange keinen Post mehr gemacht, in dem ich aus meinem Alltag berichte, nicht reflektiere oder Blödsinn mache und vor allen Dingen streng an der Realität bleibe.“ Der Rest ist dann Gefühl, da steht meistens ein Satz und dann gucke ich, wie es weitergeht.
      Aber ja, jeder hat so seine Art zu bloggen und ich finde die unterschiedlichen Herangehensweisen immer wieder spannend. Das war einer der Gründe, warum ich auch die Anderwelt als Kategorie im Blog integriert habe. Um diese Vielfalt zumindest ein wenig abzubilden.

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    1. Ich habe das mal versucht … Aber selbst da hatte ich Angst vor meiner eigenen Offenheit und habe dann eher ein Gedankenjournal mit Reflexionen geführt. Ein Gutteil ist davon dann auch überarbeitet im Blog gelandet.

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      1. Ein blog hat den Vorteil, Beiträge schreibt man einfach und per Tastendruck sind sie online.
        So wie früher mit der eigenen HP… damusste man alles in html machen, es per ftp – Server hochladen usw.. Ich habe sogar noch meine uralte HP 😉

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  4. Also ich finde, der Toilettensitz könnte eine spannende Geschichte bergen!
    – Warum musste ein neuer Toilettensitz erworben werden? Wie ist der alte kaputtgegangen? Oder seid ihr nur zu faul, Toilettensitze zu schrubben und kauft immer neue?
    – Welche Farbe hatte der alte Toilettensitz, welche Farbe hat der neue? Aus welchem Material besteht der neue?
    – Hat der neue eine Absenkautomatik?
    – Ließ er sich leicht montieren oder gab es ein paar witzige Situationen? (mir ist beim Montieren mal ein Toilettensitz durch’s Bad geflogen…)

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  5. Interessanter Ansatz. Genauso, wie ich das ledigliche Posten eines Rezeptes ohne Anekdoten in einem Blog öde finde, wäre auch diese Art der Dokumentation eher langweilig. Die Verbindung von Twitter, Instagram und Blog (als Rückblick) hingegen, fände ich schon wieder spannend. Da ist es aber wirklich ein schmaler Grat zwischen Voyeurismus und sozialphilosophischer-schlagmichtot Dokumentation und du müsstest tatsächlich genauer als sonst überlegen, was du dann postest.

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    1. Es gibt auf Instagram dafür ja hin und wieder den „Picture my day day.“ Wobei ich Instagram und Twitter tatsächlich so ähnlich nutze. Mal banale Statusmeldungen, mal Gedanken, die mir durch den Kopf schießen. Und häufig genug verweisen die beiden Kanäle darauf, dass unbewusst ein Blogbeitrag entsteht. Allerdings bin ich zu skrupelbeladen, tatsächlich wirklich alltägliche Dinge wie „Stehe jetzt auf“ zu twittern.

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  6. Ein neuer Toilettensitz in einer neuen WG….hätte von mir sein können…also….die Handlung…..nicht der Sitz….btw….hatte ich schon von meiner Reise nach Mittenwald einst – damals -früher berichtet….ein kleiner roter Panda….drei Kinderlein hinten….ein Fahrer vorn….auf dem Beifahrersitz Es Marinsche herself….auf dem Schoss….einen Berg ( na ja….es waren drei Packs ) Toilettenpapier….man weiss ja nie ob man davon genug bekommt in so einer Jugendherberge….nä….jaaaa….meine Güte…..

    Und: ich bin ja dafür das Du Dich mal ordentlich mit Ovomaltine Crunchy Cream eindeckst….aus dem Urspungsland versteht sich….dann hat es nicht nur Geschmack sondern auch den nötigen spirituellen Background….und auf dem Weg dahin könntest Du dann mal auf einen Sprung vorbeischauen….oder auch auf dem Weg zurück…..mireeejjjaaallllll……weisste….. 😀

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    1. Hihi … Es hatte pragmatische Gründe, obwohl ich das Reisen mit der Klorolle durchaus aus früheren Campingtagen kenne. Da ist man auch mit der Rolle in der Hand regelmäßig zum Toilettenhaus gelaufen. Oh, wie ich es gehasst habe.

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  7. Interessante Vorstellung einer Quasi-Unmöglichkeit. Eine betont protokollarisch-dokumentarische Schreibweise artet ja auch oft darin aus, mit einer blutleeren Aufzählung meilenweit am tatsächlich Erlebten vorbeizuschreiben. Und zumindest meiner schmutzigen Phantasie zufolge ist es ja irgendwie die Pointe des Lebens, dass es gelebt wird. Und das tut es ja, auch wenn es sich nicht immer so anfühlt. Man kann zwar entscheiden, wie stark man das subjektiv Erlebte gewichten will. Reduziert man es aber zu stark, hat man zwar viel Beschreibung, aber kein Leben. Oder anders ausgedrückt: Vor lauter Rahmen hat kein Bild mehr Platz.

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  8. Wieder etwas gelernt: Vans sind Schuhe und keine großen Autos (beim Preis wurde ich schon stutzig), Stuttgart hat mindestens eine U-Bahn und mehrere Stadtteile, sogar was mit Bad Soundso, eine richtige Stadt, die kann. Ist doch sehr aufschlussreich so ein Tagebuch im Netz. 😉
    Ich bewundere übrigens deine Geduld 20 Minuten lang nach einer Sache zu googeln. Was nicht auf der ersten Seite präsentiert wird, verbleibt ja gewöhnlich in den Untiefen der Unkenntnis aller Googler.
    So, jetzt denke ich über bunte Hüte nach: Zeilenende mit buntem Hut, mal sehen: Zweispitz, Dreispitz, etwas mit Blümchen oder ein Zylinder?? Fragen über Fragen 🙂

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      1. Oh, zum Thema Glitzer hätte ich noch ein Bild. XD
        Aber da muss ich schauen, ob ich das posten kann, ohne irgendwelche Infos über mich rauszurücken. Das geht im aktuellen „Beruf“ noch viel weniger… ^^‘

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