Heute: König von Deutschland

„Zeilenende?“

„Ja, Seamus?“

„Ich habe eine Bewerbung geschrieben. Kannst du die mal bitte Korrektur lesen?“

„Als was bewirbst du dich denn? Als neues Gesicht für Kinder-Riegel? Ich glaube, nach dem letzten Shitstorm nehmen die keinen Bartträger mit nachweisbarem Migrationsvordergrund mehr.“

„Nein. Und auch nicht als neue Werbefigur für Bärenmarke, auch wenn dir der Spruch wahrscheinlich auch schon auf der Zunge liegt. Lies.“

„An das deutsche Volk … Seamus?“

„Lies weiter.“

„Da fehlt die Anschrift.“

„Kennst du die Anschrift des deutschen Volkes?“

„Nö.“

„Siehste? Ich will meine Bewerbung an die Türen des Reichstags nageln.“

„Okay. Na mal sehen. ‚Meine Untertanen! Hiermit bewerbe ich mich als euer neuer König.‘ Seamus?“

„Ja, Zeilenende?“

„Ist bei der Schmetterlings-OP was schief gegangen? Hast du die Betäubungsmittel nicht vertragen?“

„Wieso?“

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„Als König kann man sich nicht bewerben. Das wird man. Da gibt es Gesetze für. Man muss eine Prinzessin heiraten, Sohn eines Königs sein oder mittels Staatsstreich die Macht an sich reißen.“

„Das ist aber barbarisch.“

„Prinzessinnen heiraten?“

„Zumindest wenn sie Lillifee heißen, du kleine rosa Prinzessin.“

„Na, nicht ausfallend werden, sonst lese ich das nicht. Wieso willst du König von Deutschland werden?“

„Willst du etwa, dass diese geistige Energiesparbirne Bundeskanzler wird?“

„Nein. Aber ich dachte immer, du wartest auf die Rückkehr des Messias.“

„Willy Brandt ist schon zurückgekehrt. Das Dumme ist, dass das mit der Phase zusammenfiel, als Franz Müntefering die Rente mit 67 verteidigt hat. Da ist er sofort wieder tot umgefallen.“

„Okay. Und was ist mit Sigmar Ga …“

Seamus bricht in schallendes Gelächter aus. Nach etwa fünf Minuten ringt er mühsam um Luft.

„Der war gut, Zeilenende.“

„Gell? Also schön. ‚Schon Platon hat erkannt, dass Vernunft das herrschende Prinzip sein sollte. Deshalb sprach er sich dafür aus, dass Philosophie herrschen sollte.‘ Ich dachte, bei Platon ging es um die Herrschaft der Philosophen.“

„Hast du wieder Poppers geschnüffelt?“

„Nein, Popper gelesen. Da stand was von autoritär und ideologisch verblendet.“

„Ich wusste gar nicht, dass Popper so selbstkritisch war.“

„Er meinte Platon. Der entwickelt doch in der Politeia so ein Kastensystem. Jeder hat darin seine Aufgabe. Der Wächter bewacht, der Schuster schustert, jeder nach seiner Fähigkeit. Und niemand solle sich um des anderen Angelegenheiten kümmern. Und der Philosoph, weil er das Gute geschaut hat, solle mit Weisheit herrschen und dafür sorgen, dass jeder das tut, was er kann. Und dabei soll ihm niemand reinreden. Keinerlei Individualität ist zulässig.“

„Japp. Das sagt Platon zum Thema gutes Leben.“

„Und wenn ich kein Schuster werden will?“

„Ich hatte dich in meinem Hofstaat als Narren vorgesehen, Zeilenende. Aber wenn ich es mir recht überlege, vielleicht darfst du auch die Latrinen reinigen.“

„Danke. Also gut. Du willst also absolutistisch herrschender Monarch werden?“

„Nein. Philosophenkönig.“

„Wo ist der Unterschied? Bei Platon klingt das sehr gleich.“

„Aber nur, wenn man Popper gelesen hat und nicht Platon.“

Seamus seufzt.

„Sieh mal, Zeilenende. Du bist doch ein nicht gänzlich unintelligentes Kerlchen, oder?“

„Die einen sagen so …“

„Die anderen haben recht, aber das ist jetzt erst einmal egal. Pass auf, ich erkläre es dir.“

„Jetzt bin ich mal gespannt.“

„Platon vergleicht den einzelnen Menschen mit einem Staat. Wenn der Mensch ein Staat wäre, dann müsste für ein wohlgeordnetes Staatsleben klar sein, dass jeder seine eigene Aufgabe hat. Der Schuster schustert, damit alle gut besohlt sind. Der Herrscher herrscht, damit Rechtssicherheit und all so ein Gedöns herrscht und der Pöbel pöbelt, damit man was zum Kopfschütteln hat.“

„Klingt traumhaft.“

„Ist es auch. So wie im Körper: Die Leber lebert und niert nicht, die Niere niert und lebert nicht. Der Herrscher herrscht, weil er das Gute erkannt hat.“

„Und was ist das Gute?“

„Honig.“

„Honig?“

„Ja, Honig. Ein Staat ohne Honig ist kein richtiger Staat. Frag mal die Bienen.“

„Ich mag keinen Honig.“

„Deshalb wirst du ja auch nicht mein Hofnarr. Aber du hast die wichtige Frage nicht gestellt.“

„Welche wichtige Frage?“

„Zeilenende, das hier ist ein Dialog. Wenn ich alles allein machen muss, dann kann ich zukünftig auch deine Beiträge schreiben und wir können uns dieses Gespräch sparen.“

„Ich dachte, Philosophie funktioniert nur im Dialog?“

„Ja, aber nur, wenn der Gesprächspartner intelligenter ist als das Abendprogramm von RTL II.“

„Manchmal bist du richtig arrogant, Bär.“

„Die Frage, Zeilenende.“

„Ist ja gut … Also, Seamus. Was will Platon uns mit seiner Philosophenherrschaftsthese sagen?“

„Er entwickelt seine gesamte angeblich politische Theorie im Rahmen der Frage, was der Mensch für ein gutes und gerechtes Leben braucht: Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit. Der Staat interessiert ihn gar nicht, der ist nur ein Bild. Dass ein Staat, so wie er ihn beschreibt, nicht funktioniert, spielt keine Rolle, weil es Platon gar nicht um konkrete Staaten geht. Seine Botschaft ist: Der Mensch soll sich um Erkenntnis kümmern, dabei tapfer und besonnen sein. Und sich nicht von seinen Trieben beherrschen lassen.“

„Aber warum dann diese Verfallsgeschichte in der zweiten Hälfte der Politeia? Du weißt schon, da wo er die Demokratie verdammt.“

„Lass mal überlegen, Zeilenende. Wenn jeder Teil deines Körpers tut, was er will … Wenn deine Leber lebert, deine Niere lebert und dein Kopf auch lebert. Oder wenn du den ganzen Tag rumhurst und säufst und Popper liest …“

„Das wäre ein schönes Leben.“

„Aber kein glückseliges. Weil dir jede Ordnung und Struktur fehlt. Wer immer nur seinen Trieben folgt und jedem Impuls nachgibt, der macht sich zum Sklaven seiner Launen. Wenn du dir vornimmst, ein Volksmusik-Star zu werden, aber das Ziel nicht verfolgst, sondern dich immer ablenken lässt, dann wirst du nie erreichen, dass du ein Star wirst. Das ist keine Freiheit, das ist Abhängigkeit. Freiheit besteht nur da, wo du bewusst ja oder nein sagst, wo du eine Entscheidung triffst.“

„Das heißt, der König soll herrschen ist ein Appell, dass Weisheit und Vernunft herrschen sollen? Es soll kein Philosoph Herrscher sein, sondern die Philosophie …“

Zeilenende runzelt angestrengt die Stirn.

„Ja … Nur weiter. Was ist Philosophie, wenn sie immer nach dem Guten sucht?“

„Ein Prinzip der Reflexion?“

„Gut, Zeilenende.“

„Die Philosophie soll als Reflexionsprinzip also die Entscheidungen des Herrschers leiten. Deshalb sind Volksabstimmungen auch so gefährlich, weil viele Menschen sich beim nachdenken zu wenig Mühe geben … Er soll nicht einfach deshalb, weil er keine Lust Lust auf Diskussionen mit anderen Herrschern hat, Prozesse gegen Satiriker zulassen?“

„Genau. Er soll das tun, weil er gründlich abgewogen hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass ein Prozess … Ach … Da sieht man mal wieder, wie sehr Unvernunft herrscht und wie sehr Deutschland mich als König braucht. Mir wäre das nämlich nicht passiert.“

„Weil du weißt, wie wertvoll Satire ist und sie verteidigt hättest?“

„Nö, ich hätte den Böhmermann prophylaktisch bei Amtsantritt erschießen lassen. Als König sollte man ja auch seinen Hobbes gelesen haben: Homo homini lupus est. Diese Mentalität muss der Monarch zurückdrängen. Und das geht am Einfachsten, wenn man alle Wölfe zum Abschuss freigibt. So gesehen sind die Interessenvertretungen der Jäger auch Philosophenkönige.“

 

 

Den Volltext zur Politeia gibt es hier, zur Legitimation der Philosophenherrschaft insb. Buch V, die Analogie beginnt in Buch II. Die Kritik Platons am „anything goes“ der Demokratie findet sich in Buch VIII.  Und wer gern eine Buchausgabe haben will, dem sei bei einer einsprachigen Ausgabe der zweite Band der Sämtlichen Werke bei Rowohlt empfohlen.

Karl Poppers Kritik an Platon findet sich in Popper, Karl: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde 1. Der Zauber Platons. 

Eine alternative Deutung zu Platons Philosophenkönigtum findet sich u. a. bei Gadamer, Hans-Georg: Platos Denken in Utopien. In: Ders.: Wege zu Plato

18 Kommentare zu „Auf eine Zigarette mit Seamus O’Bär (5)

  1. Interessanter Dialog. Ich glaube, der Bär hat recht. Mir gefällt die Deutung der Politeia als Staatsutopie nicht. Und dass der Staat nur entworfen wird, um das Gute in einer einzelnen Person zu finden, spricht deutlich dafür. Aber warum dieser eigenartige Zuchtplan für die auserwählten Weisen? Oder sollte man davon ausgehen, dass sie nicht nur das Gute finden, sondern auch ein bisschen ihren Spaß haben wollten? Es ist doch etwas putzig, wenn es heißt: Hey, dein Bruder hat doch eine Hundezucht, vielleicht kann er uns ja sagen, wie man Weise züchtet.

    Grüße an Seamus.

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    1. Das Zuchtprogramm. Ewiges Streitthema. Seamus sieht es so: Platonische Dialoge enden fast immer in Aporien. Ihr Witz ist, das am Ende keine feste Theorie steht, sondern Platon andere Theorien zerlegt und Denkanstöße bietet, ohne ein geschlossenes Weltbild zu haben. Wann immer Platon Sokrates also eine Theorie detailliert ausarbeiten lässt, wird es absurd ( der gesamte Mittelteil des Kratylos funktioniert genau so). Zusammen mit der Tatsache, dass diese detaillierten Theorien am Ende des Dialogs keine große Rolle spielen, ist der Bär der Meinung, dass seien philosophische Witze. Platon macht sich da über irgendjemand lustig.
      Man darf nicht vergessen, so der Bär weiter, dass man die platonischen Werke immer im Gesamtzusammenhang sehen muss und Platon eben auch Schriftsteller war (wenn auch nicht Autor im modernen Sinne).

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  2. Hach der Seamus 😍 Honig für die Monarchie, genauso ist es. Wenn die
    Bienen sterben geht es mit uns sowieso zu Ende und dieses Jahr liegen extrem viele tote oder schwache Bienen am Boden herum. Seamus for President (oder King) und Zeilenende for Seamus‘ Lakai.

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  3. King of Kings, and Bear of Bears.
    Hallelujah!
    [Mein Rat an Seamus: Be careful, honey! Üble Händel können sonst die Folge sein.]
    Grundsätzlich bin ich mit Seamus gar nicht so uneinig. Wenn aber jeder seine zu ihm passende Aufgabe haben soll, müsste Seamus altkanzlern, weil er doch der geborene Altkanzler ist. Also:
    Die Niere niert…
    Die Leber gründet eine Leber-Partei (mit St. Georg als Schutzpatron)
    Seamus altkanzlert…
    Und Popper… äh – das Prinzip dürfte ja klar sein. 🙂

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    1. Nicht ganz. Es bleibt zu klären, ob er poppt, Pringles poppt oder Poppers schnüffelt. Aber wie kannst du Seamus und seinen Herrscher-TÜV haben wollen? Woran macht man fest, dass jemand zum Herrschen geeignet ist?

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      1. Hm. Ich würde das eben nicht einschränken wollen. Das gibt zusätzliche Entfaltungsmöglichkeiten. Wie, genau, Popper seine Popp-Art auslebt – da würde ich eben nicht hineinregieren wollen.
        Die Eignung ist ja grundsätzlich schwer von vornherein abzuschätzen. Deshalb gefällt mir Seamus in dieser Rolle, weil er sich nicht einfach als Herrscher geBÄRdet. Erstens imponiert mir, dass er sich beim Volk bewerben will. Und irgendwie impliziert dieses Verfahren ja auch, dass es so etwas wie eine Probezeit geben sollen würde. Oder so. 🙂

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