Ich habe vor langer langer Zeit einmal einen Artikel geschrieben, der mir auf Facebook den Vorwurf des Bahn-Bashings eingebracht hat. Das fand ich nicht sehr nett. Ich beschwere mich in diesem Beitrag nämlich nicht über die Bahn, sondern über meine mangelnde Fähigkeit, mit den Beschwernissen des Bahnfahrens zurecht zu kommen. Spitzfindige Gesellen, wie ich es einer bin, konstatieren aber sogleich: Du nennst es Beschwernis, Zeilenende. Das ist diskriminierend.

Bevor mich hier also jemand wegen Bahn-Diskriminierung verklagt, habe ich mich entschieden, eine Ode an die Bahn zu dichten. Seid ihr bereit?

Freude, schöner Schienenfunken,
Bahnfahrt nach Elysium,
wir betreten schon betrunken,
das Speisewagen-Heiligtum.
Überlastung bindet wieder,
was die Klassen streng geteilt,
alle Menschen werden Pendler,
wenn kein Mitarbeiter streikt.
Seid Sardinen, Millionen!
Stellwerk bist der ganzen Welt.
Pendler unterm Sternenzelt
muß sich die Verspätung lohnen.

Wem der große Wurf gelungen,
eines Tickets Herr zu seyn;
wer einen Sitzplatz hat errungen,
mische seinen Jubel ein!
Ja – wer auch nur  einen Schaffner
gut kennt auf dem Schienenrund!
Und wer nie beschwert, der stehle
weinend sich aus diesem Bund!

 

Ihr seht, wenn der Herr Schiller von Weimar immer nach Jena hätte pendeln müssen, dann wäre seine Ode an die Freude anders ausgegangen. Und in der Bürgschaft wäre es um ein Komplott gegangen, Rüdiger Grube zu erschießen. Wegen der Ähnlichkeit von Komplott und Kompott gibt es Letzteren übrigens bis heute im Bordbistro nicht käuflich zu erwerben.

Doch halt, Zeilenende! So geht kein Hohelied. Du hast noch nicht die endlosen Freuden proseccotrinkender Damenkegelclubs gepriesen. Ohne eine Lobpreisung draller Damen in wohlgedrechselten Worten kann eine Lobpreisung der Bahn doch gar nicht funktionieren. Kein Wort des Jauchzen, Frohlockens … Moment.

Eine Geschichte, Zeilenende, erzähle eine Geschichte!

Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage,
Rühmet, was heute der Grube getan!
Lasset das Sagen, verbannet die Klage,
Stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an!
Dienet dem Höchsten mit herrlichen Chören,
Laßt uns den Namen des Herrschers verehren!

Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Rüdiger ausging, daß alle Welt sich verspäten müsse. Und jedermann ging, daß er sich verspäten ließe, ein jeglicher in seinen Bahnhof. Da machte sich auch auf Zeilenende aus dem Rheinland, aus der Stadt … Stadt?! Buahahaha …, in das grässliche Land zum Ort mit Bahnhof, die da heißet Schladern; darum, daß er eine ökologische Seele hat, auf daß er sich verspäten ließe mit Seamus, seinem vertrauten Weibe, die war fett. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, daß sie warten zunehmen sollten.

„Zeilenende?“

„Ja, Seamus?“

„Disst du mich gerade?“

„Nein, ich erzähle eine Geschichte.“

„Du disst mich. Wenn du so weiter machst, polier ich dir gleich ganz besinnlich, im liebenden Weihnachtsgeiste, die Fresse.“

„Öhm … Okay.“

 

Bahngleise.jpg
Ohne Lok läuft nix!

 

Nun gut … Ihr seht, ich bemühe mich. Aber aus der Freude wurde nichts, Seamus führt sich auf wie ein kleiner fetter Hoppser und post auf dicke Hose rum. Vielleicht ist die Bahn empfänglicher für fette Beats und krasse Reime?

Ist es der da, der da am falschen Gleis steht
Oder der da, der dir zu früh entgeht
Ist es der da, dann zieh nen dicken Pulli an Mann
Denn das ist der Zug, der keine Klima-Anlage kann

Die Bahn … Die Erlebnisse mit der Bahn. Nun gut, sagen wir es so: Als Pendler ist sie ein Alltagserlebnis. Wenn der Verkehr läuft, nehmen wir das als selbstverständlich hin. Wenn allerdings eine Busladung Fußballfans auf Verkehr aus ist, dann schließt die Dame im Wohnwagen panisch die Tür ab, wie mir Bruderherz in einer seiner Anekdoten über einen Ausflug seiner Fußballmannschaft einst berichtete. Und bei der Bahn … Es liegt der Geruch von zarten Alkoholausdünstungen in jedem Wagen und die Toiletten … Apropos Alkohol, mir kommt eine Idee.

Es war schon dunkel, als ich auf Vorstadtschienen heimwärts fuhr
Da war ein Kegelclub, auf dem Rückweg von ihrer Sauerlandtour.
Ich hatte Lust und mir war kalt, drum stieg ich ein.

Da saßen Männer mit braunen Augen und mit schwarzem Haar,
und aus dem Smartphone erklang Musik, die fremd und grässlich war.
Als man mich sah, stand einer auf und lud mich ein.

Lauwarmes Bier ist so wie das Blut der Erde.
Komm‘, schenk ein dir
und wenn ich dann traurig werde,
liegt es daran, dass ich immer träume vom leeren Zug;
Du musst verzeih’n.

Selbst mit Alkohol wird die ganze Sache also nicht erträglicher, vor Allem, weil solche Kegelclubs noch nicht einmal Udo Jürgens gröhlen sondern des Teufels schönster Tochter Lieder. Ich bin dann immer atemlos vor Schreck und frage mich, wo Gewerkschaften stecken, wenn ich sie mal benötige. In solch einem Fall wäre es erstrebenswert, wenn alle Räder still ständen, so lange ich jenseits des Zugs bin.

Andererseits … Die Bahn – Die Bahnbelegschaft ist nicht nur Vorkämpfer für bessere Arbeitsbedingungen, die Bahn ist auch der große Gleichmacher. Wenn es mir also nicht gelingt, ein Loblied auf die Bahn zu singen, denn fordere ich zumindest dazu auf, die Verhältnisse zu ändern. Hoch die internationale Pendler-Solidarität!

Pendler, zur Sonne, zur Freiheit,
Pendler zum Licht empor!
Hell aus dem dunklen Tunnel
leuchtet die Zukunft hervor.
Hell aus dem dunklen Tunnel
leuchtet die Zukunft hervor.

Seht, wie der Zug mit Millionen
endlos vor Pendlern überquillt,
bis eurer Sehnsucht Verlangen
die Erste Klasse überschwillt!
bis eurer Sehnsucht Verlangen
die Erste Klasse überschwillt!

Pendler, in eins nun die Hände,
Pendler, Verspätung verlacht!
Ewig, dem Fahrplan ein Ende,
Anarchie nach der Schlacht!
Ewig, dem Fahrplan ein Ende,
Anarchie nach der Schlacht!

Brechet das Joch der Verspätung,
Die uns so grausam gequält.
Schwenket die losen Sitzbezüge,
Über die Bahnfahrerwelt.
Schwenket die losen Sitzbezüge,
Über die Bahnfahrerwelt.

 

 

 

23 Kommentare zu „Bahnfahrer-Medley

    1. In Langform bin ich dafür nicht diszipliniert genug. In Kurzform müsste ich den Blog hier professioneller aufziehen, damit er als Referenz taugt. Dafür mag ich die Anarchie zu sehr, die mir solche Texte erst ermöglicht. Also erfreue ich lieber euch und mich weiter. 🙂

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  1. Ich bin frih, dass meine Kids noch schlafen. Sonst wären sie in den Genuss (?) des Anblick ihrer Mutter gekomnen, die sich brüllend vor lachen auf dem Boden rum wälzt. Was für ein Text. Was für Lieder. Zeilenende – du bist ein wahrer Dichter und Denker. You made my day 😊

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  2. Wenn ich morgen Abend im ICE sitze (auf dem Boden natürlich) und nach besorgtem Blick zum Uhrzeige rechne, ob der Anschluss trotz Verspätung klappen könnte, werde ich leise die Ode an die Bahn vor mich hinsummen. Mein Nebenmann wird mitsummen, ich werde ihm mein Smartphone mit dem Text rüberreiche und nach und nach wird ein ICE-Wagen voller Sardinen mit einstimmen, auf dass wir alle gutgelaunt in Düsseldorf aussteigen.

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    1. Ich fahre gern auf dem Boden im Türbereich mit, zumindest bei Strecken bis zu drei Stunden. Da hat man wenigstens seine Ruhe. Nicht so wie im Regionalexpress nach Köln gerade, in dem bestimmt 100 Kinder gewirbelt haben. Nichtsdestotrotz hätte ich gern ein Video von der Aktion. 🙂

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      1. Was ich am Boden sitzen nicht mag, ist dass die Fenster in den ICE-Türen nicht bis unten gehen, man sieht da so wenig. Ansonsten ist es meistens ganz nett. Man plaudert da auch eher mal als im Großraumwagen.

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    2. In dem Fall war es auch besonders. Die Idee für den Artikel hatte ich im Februar. Eigentlich sollte er was Positives über das Bahnfahren aussagen. Dann habe ich immer wieder Ideen notiert. Die Ode an die Freude stand recht früh fest. Dann wollte ich mit einem Arbeiterlied enden. Das war auch der Punkt, an dem ich beschlossen habe, es witzig zu machen. Da habe ich viel Zeit rein investiert, ein passendes zu finden. Aber bis Mitte Juni hat der Artikel aus einem Notizzettel bestanden, auf dem ich immer wieder Einfälle notiert habe, weil ich noch keine konkrete Vorstellung vom Artikel hatte. Das musste unterbewusst wachsen.
      Die Ideen mit dem Jauchzet und dem Die da hingegen sind bei der Reinschrift entstanden. Das waren spontane Ideen, die im Flow kamen. Und dann habe ich bis heute immer mal wieder drüber gelesen und an Formulierungen und Wörtern gefeilt.
      aber zu dem Thema könnte ich mal wieder einen Beitrag schreiben. 😊 Danke für das Lob. Hat mich riesig gefreut. 🙂

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  3. Sehr amüsantes Medley! Den vertonten Link konnte ich leider nicht finden, aber im Kopf klang es auch super 🙂
    Fußballfans (U15) mit Paletten voller Bier & Schnaps – das ist mein persönlicher Bahnfahreralbtraum und die regelmäßige Bestätigung der erschütternden Erkenntnis, dass Jugendschutzgesetze geflissentlich öffentlich ignoriert werden (erschütternd aus Muttersicht; erkenntnisreich aus Sicht der Teenager)
    Ach ja, und anarchistische Pendler, die flashmob-artig Oden und Hymnen anstimmen und Sitzbezüge rausreißen – das wäre dann die No. 2 auf meiner Liste unerwünschter Störungen, wenn ich in Ruhe Bahn fahren will 😉 Aber „in Ruhe Bahn fahren“ ist ja nur so ein Oxymoron, an das höchstens noch Ochsen und liebenswürdige morons glauben 🙂

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  4. Ganz großes Kino. 🙂

    Ich sachs jetzt auch mal in Versen:

    Bahn! Bahn! Überall Bahn!
    Wohin ich forschend blick’
    in Zeilenend’s Chronik
    Dass wir was Heitres finden
    Uns amüsieren gut
    Tat es sich quälen und schinden
    Da zieh’ ich meinen Hut!

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