In einem meiner allerersten Blogposts zur Wiederbelebung meines Sammelsuriums habe ich mit dem Fantasy-Genre abgerechnet. Meine Diagnose war: Zum großen Teil paternalistischer Mist und Reproduktion reaktioner gesellschaftlicher Zustände obwohl das Genre doch so viel Potential bietet. Doch das Fantasy-Genre ist nicht das einzige, das meinen Zorn verdient hat. Heute sind die Seefahrts-Romane an der Reihe.

Mein damaliges Urteil wurde durch zwei grandios miese Fantasy-Romane untermauert, die beiden Bände von Taberna Libraria, die ich im vergangenen Jahr gelesen habe und deren Besprechungen ihr hier und hier findet. Damit habt ihr einen Eindruck, worüber ich mich beim Lesen ärgere.

Ich bin ein großer Fan von Seefahrts-Romanen, also solchen Büchern, die auf Schiffen spielen und deren Protagonisten Seefahrer sind. Dabei übersehe ich großzügig, dass es sich dabei gemeinhin um ein Subgenre des Historischen Romans handelt, auf das ich allergisch reagiere. Die meisten Seefahrts-Romane werden dankenswerterweise von Menschen geschrieben, die selbst zur See gefahren sind oder sich die entsprechende Expertise angelesen haben und anschließend auch ihre historischen Fakten checken. Das äußert sich insbesondere in den Begriffen, die in solchen Büchern auftauchen. Schiffe halsen, Segel sind richtig benannt, es wird gerollt und das Schiff wird gelenzt, wenn die Bilge volläuft.

kommodore hornblower
Erschienen bei Ullstein

In jeder Hinsicht vorbildlich ist in diesem Genre C. S. Forester, der mit Horatio Hornblower den größten Helden aller Zeiten geschaffen hat, aber auch Autor von „The African Queen“ ist. Die Abenteuer von Hornblower und seinen Begleitern habe ich regelrecht verschlungen und nächtelang davon geträumt, mit ihm auf der Lydia zu segeln, durch Frankreich zu irren oder Riga gegen die Franzosen zu verteidigen (auch wenn „Kommodore Hornblower“ mit der Geschichte ziemlich frei umgeht).

Ein Teil meiner Faszination erklärt sich sicherlich aus der Akuratesse der Darstellung des Seefahrerlebens, ebenso wichtig ist aber Foresters Konzeption der Figuren. Hornblower ist alles andere als ein Hau-Drauf. Bis zuletzt wird er seekrank, wann immer sein Schiff ausläuft, er ist stets in Sorge um seine Mannschaft und sein Schiff. Er ist ein erfolgreicher Offizier, aber er zweifelt immer an sich. Er macht sich Sorgen, ob seine Unternehmungen gelingen, schließt mehrfach mit seinem Leben und seiner Karriere ab. Hornblower ist sympathisch, weil er realistisch ist. Er ist zwar der Held der Geschichte, aber das ist ihm nicht bewusst.

Flankiert wird er von Figuren, die die Romane nicht bloß möblieren, sondern lebendig machen. Die Rolle des eifrigen Hau-Drauf übernimmt über viele Geschichten hinweg Leutnant Bush. Er treibt die Leute an, er ist begeisterter Anhänger seines Königs, er glaubt an seinen Kommandanten und stürmt zuverlässig in jedes Gefecht. Bush ist das Klischee eines Seefahrer-Romanhelden. Der Kniff, ihn zur Nebenfigur zu machen, als Freund und partielles Gegenteil von Hornblower, macht die Romane so interessant. Der typische Held ist für Abenteuergeschichten wichtig, als Charakter tendentiell unterkomplex. Bush gibt es bei Forester aber nur im Zusammenspiel mit Hornblower, das gibt der Geschichte Dynamik, Spannung und das gewünschte Abenteuer.

Mit Lady Barbara gibt es in den Hornblower-Romanen zusätzlich eine starke Frauenrolle. Kein Dummchen, aber auch nicht unrealistisch, weiß Lady Barbara genau, was sie will und stellt Hornblowers Schiff bei der ersten Begegnung gehörig auf den Kopf. Allein schon deshalb, weil sie nicht beschützt werden muss, aber auch, weil sie sich einbringt und die Krankenschwester auf der Lydia spielt. Im weiteren Verlauf ist sie der Stabilitätsanker für Hornblower. Lady Barbara gleicht seine Schwächen aus, nimmt ihn an der Hand, wo er unsicher ist und stärkt ihm den Rücken. Sie ist keine Zugabe zu Hornblower, aber sie ist auch nicht so dominant, dass die beiden Figuren nebeneinander bestehen. Hornblower und Lady Barbara bestehen zusammen, als Einheit.

An den Hornblower-Romanen kann man erkennen, was einen guten Seefahrer-Roman ausmacht: Komplexe Charaktere, die zusammen ein Gefüge bilden, eine spannende Abenteuer-Geschichte und maritimer Sachverstand. Meine alte Ausgabe mit den Geschichten „Der Kapitän“, „An Spaniens Küsten“ und „Unter wehender Flagge“ kommt zusätzlich mit einem Appendix daher, auf dem auf mehreren Seiten die diversen Fachbegriffe erläutert werden. Das ist ein tolles Zuckerstück.

Leider sind nicht alle Romane so gelungen. Während man als gutes Beispiel für die Zeit des Zweiten Weltkriegs Lothar-Günther Buchheims Das Boot als Referenz nennen kann, gibt es in dem Segment auch viel Mist. Ein Beispiel dafür ist Dewey Lambdins „Eine Hand für das Schiff“ mit seinem Protagonisten Alan Lewrie.

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Alan Lewrie ist ein junger und aufstrebender Schiffskommandant, der vor Selbstbewusstsein und einem Mangel an Beherrschung kaum geradeaus laufen kann. Er ist ein Hitzkopf, ganz so wie Leutnant Bush.

Während Lambdin sein Handwerk versteht, eine spannende Geschichte mit dem nötigen nautischen Beiwerk zu verfassen, können seine Charaktere nicht bestehen. Auch wenn Alan Lewrie ungerecht behandelt wird und er um seine Karriere fürchten muss, ist er als Charakter über jeden Zweifel erhaben. Lambdin weiß alles und kann alles. Er ist ein begnadeter Navigator und Kommandant. Er kokettiert zwar damit, dass er die ein oder andere nautische Schwäche hat, nur um im nächsten Moment zu zeigen: Ich kann es trotzdem. Lambdin lässt zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der Kompetenz seines Helden aufkommen. Das tut auch Forester nicht. Aber Hornblower zweifelt immerhin selbst. Lewrie sind diese Zweifel fremd. Zudem ist er ein feuriger, leidenschaftlicher Liebhaber, womit Lambdin ganz tief in der Klischeekiste gewühlt hat. Selbst wenn Lewrie einen Fehler macht (er betrügt seine Frau) und dies weiß (er fühlt sich kurzzeitig schlecht), sind diese Fehltritte gleich wieder vergessen, sie haben keine Konsequenzen und Lewrie verdrängt seinen Ausrutscher.

Mit Leutnant Ballard besteht neben Lewrie eine Figur, die Foresters Hornblower ähnelt. Ballard ist ein eher schüchterner Charakter, deshalb will Lewrie ihn verkuppeln. Ballard ist ein brillanter Taktiker und Analytiker, aber nicht so tatkräftig wie sein Kommandant. Lewrie setzt auf die Talente seines Offiziers, gleichzeitig verspottet er ihn immer wieder. Die beiden sind Freunde, aber Ballard bleibt als Charakter immer blass. Er ist der Nerd-Freund des Protagonisten. Und der Nerd-Freund des Protagonisten hat es schwer, ein eigenständiger Charakter zu werden, weil ihn der Protagonist, der Held Lewrie, überstrahlt. Lambdin läuft damit in die Falle, die Forester umgeht, indem er den Nerd zum Protagonisten und erfolgreichen Helden macht. Bush und Hornblower können beide glänzen, bei Lambdin glänzt nur Lewrie.

Auch die Frauenrolle fällt bei Lambdin ab. Während Lady Barbara emanzipiert aber realistisch ist, verhält sich Lewries Frau Caroline wie eine Wild-West-Braut. Sie hat ein loses Mundwerk, ist scharfzüngig und kümmert sich um keinerlei Konventionen. Sie ist das Klischee einer emanzipierten Frau im 18. Jahrhundert, wie wir uns das heute vorstellen. Sie kann sogar mit Pistolen umgehen und scheut sich nicht, zielgenau einem Mann ins Bein zu schießen. Am Ende verbringt sie natürlich eine leidenschaftliche Liebesnacht mit ihrem Mann. Caroline ist nicht das Klischee einer braven Matrosenbraut, das kann man Lambdin zu Gute halten. Noch schlimmer wäre ein Dummchen, das artig auf die Rückkehr ihres Mannes wartet und ihn dankbar empfängt. Caroline nimmt durchaus Anteil an ihrem Mann, ist für meinen Geschmack in Bezug auf historische Angemessenheit aber viel zu emanzipiert. Das hier ist immerhin kein Fantasyroman, wo man jeden beliebigen Unfug treiben kann.

Von der Emanzipation abgesehen, ergibt sich auch mit Caroline das Figuren-Problem. Da ihr Mann bereits der makellose Held ist (der sie betrügt, aber das kann man einem strahlenden Helden und einem Bild von einem Mann in seiner schmucken Marineuniform ja verzeihen … Oh welch Klischee!) hat sie es schwer. Bei aller Abneigung wegen unangemessener Schilderung ist Caroline in ihrer Scharfzüngigkeit und ihrem Scharfsinn keineswegs unsympathisch. Aber so wie Lewrie mit seiner Perfektion Ballard überstrahlt, so kann Caroline ihn wegen seiner Perfektion nicht ergänzen. Lambdin baut zwar ein Figurendreieck auf, wie Forester (mit dem er übrigens verglichen wird, deshalb reite ich auf den beiden herum), aber sein Held ist so makellos, dass seine Frau als Figur lose neben ihm steht und zum Charakter nichts beiträgt.

So gibt es auch bei den Seefahrer-Romanen Licht und Schatten, in dem man viel Mist veranstalten kann. In der Hoffnung, das mir zukünftig Missgriffe erspart bleiben und ich mir per Buch den Wind um die Nase wehen lassen kann, wende ich mich deshalb an euch:

  • Kennt jemand die Romane von Dewey Lambdin und kann mir sagen, ob ich einfach einen miesen Roman erwischt habe? Lohnen sich die anderen Alan-Lewrie-Geschichten mehr?
  • Kennt ihr vielleicht noch andere Romane dieses Genres, denen ich einen Blick gönnen sollte?
  • Ich trage mich seit einiger Zeit mit dem Gedanken, Dudley Popes „Lord Ramage“-Reihe eine Chance zu geben – kennt den jemand und kann was dazu sagen?
  • Und natürlich: Liebt ihr alle unseren Horatio Hornblower ebenso sehr wie ich? Warum ist das so? Oder warum findet ihr ihn vielleicht auch dämlich?
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Erschienen im Unionsverlag

 

21 Kommentare zu „Eine Seefahrt ist nicht lustig – literarische Abrechnung

  1. Ich kenne die beiden Autoren nicht, aber lies doch mal in einen Jack-Aubrey von Patric O’Brian rein. Die Bücher sind Vorlage zum Film ‚Master and Commander‘ (den ich sehr mochte)
    Ist bestimmt nicht jedermanns Sache, aber vlt gefällt es dir ja auch.

    Zweitens -etwas an vom Thema- kann ich ‚Barrow’s Boys‘ von Fergus Fleming empfehlen. Ist ewig her, dass ich das gelesen habe, aber ich konnte es kaum weg legen. Da geht es um den Versuch, die legendäre Nord-West-Passage zu finden.

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    1. In zweitere Richtung lese ich durchaus auch gern. Müssen ja nicht immer Seesoldaten sein, für Abenteuer und Entdeckungsreisen habe ich auch immer ein Herz. Danke für die Tipps, die schaue ich mir demnächst an. 🙂

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  2. Ich kann da nur »Der schwarze Korsar« empfehlen. Das sollte deinem Geschmack eher entsprechen. Ich habe das Buch als Kind mindestens drei bis fünf Mal komplett verschlungen.

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    1. Arrr … Piraten? Okay, weil du es bist. Piratengeschichten sind lustigerweise sonst weniger meins. Warum auch immer. Wahrscheinlich, weil Jungs in Uniform fescher sind als holzbeinige Piraten. Aber mein letzter Piratenroman ist auch schon … Lange her. Also sollte ich es mal wieder versuchen, gell? 🙂

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  3. Wenn die Fragen so effizient mit Seemannsgarn zum handlichen Packerl zusammengeschnürt griffbereit hingestellt werden, kann sich auch M.Mama einmal kurz fassen:

    *) nein und daher gleich nochmals nein
    *) glaube nicht, weil ich mich für Seefahrer-Romane eher nicht interessiere (ist vielleicht mehr ein Männer-Ding? Und seekrank werde ich auch so leicht)
    *) definitiv nein (siehe vorige Antwort)
    *) Noch nicht, aber vielleicht bald. Er klingt auf jeden Fall sehr interessant, so wie du ihn schilderst und ich möchte schon seit langem (jetzt aber wirklich bald) ein Buch von C.S.Forester lesen

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    1. Manchmal erinnere ich mich ja dran, dass es zur guten Bloggerkunst gehört, am Ende seine Gedanken zusammenzufassen und dann das Publikum auch noch zu aktivieren. Finde ich manchmal doof, aber bei solchen Posts einfacher für euch. „Das Zeilenende ist stets serviceorientiert und ist proaktiv um Kundenzufriedenheit bemüht“. Und Forester kann ich nur empfehlen, egal ob die Hornblowers oder seine anderen Werke. Der Mann ist unglaublich witzig. *g*

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  4. Öha! Zeilenende feuert eine volle Breitseite auf die Seefahrer-Romane. Heiteres Schiffe versenken. 🙂 Meine Erfahrung in diesem Genre beschränkt sich auf eine Jugendsünde: Der rote Freibeuter von J.F. Cooper, der mich nicht sonderlich vom Hocker gerissen hat. Folglich kann ich auch bei deinen Fragen nicht wirklich mit Antworten aufwarten.
    Was dagegen aus meiner Perspektive durchaus eine Lektüre wert sein könnte, sind Berichte von Leuten wie Heyerdahl, Amundsen, Nansen…

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      1. Ja, richtig. Scott habe ich irgendwie unterschlagen. Der gehört definitiv auch in diese Runde.
        Jon Michelet ist übrigens auch ein Autor, der über seemännische Erfahrung verfügt und diese in einigen (aber längst nicht allen) seiner Werke verarbeitet. Sehr spannend fand ich beispielsweise ‚Havets velde‘ – das Buch handelt von den drei mexikanischen Fischern, die neun Monate auf einem Fischerboot auf hoher See überlebt haben. Michelet macht daraus eine Erzählung, die er aber so weit als möglich auf Fakten basiert. Meines Wissens wurde das aber bisher nicht übersetzt.

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          1. In En stehen die Chancen ev. besser. 🙂 Aber eben Michelet hat mehrere Dutzend Bücher veröffentlicht (Thriller, Kinderbücher, Sachprosa, usw.) und ich habe keine Übersicht, was alles in welche Sprachen übersetzt wurde. Lykke til! (oder ‚Gut Lack‘, wie der Engländer sagt)

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  5. Da mir mir bei jeder Seefahrt bisher schlecht geworden ist, lehne ich irgendwie aus tiefstem Inneren heraus Seefahrerliteratur ab. Was ich allerdings gut finde, wie du beschreibst, dass die meisten Bücher dieses Genre von erfahrenen Seefahrern geschrieben werden und somit Fachkenntnisse verschriftlicht werden. Da macht das Lesen Freude.📖 LG Ela

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    1. Zumindest die Guten werden von solchen Leuten geschrieben. Oder solchen, die sich in die Materie einarbeiten.Das ist ein toller Nebeneffekt. Ich kann nicht nur verschiedene Schiffstypen auseinander halten, ich kann auch die Segel benennen. 😊

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