Die Frau mit dem unmöglichen Blognamen hatte eine Idee. Basierend auf meinen sechs Büchern für 2016 schlug sie vor, ich solle ihr doch ein Buch nennen, das sie lesen soll. Das könnte eine spaßige Aktion werden. Und das hoffen wir beide.

Wie sich das so ergibt, kommentierten wir erst hin und her, dann mailten wir hin und her. Denn Rezensionen schreiben kann jeder, selbst gute Rezensionen schreiben können viele Menschen. Ein Buch zu empfehlen ist eine Kunst, die selbst mancher Mensch nicht beherrscht, der das gelernt hat. Es gelingt umso besser, je genauer man einen Menschen kennt.

Wie ich es als Philosoph und verhinderter Lehrer gewöhnt bin, stellte ich deshalb erst einmal eine Batterie an Fragen:

  1. Die letzten drei Bücher, die du gelesen hast?
  2. Deine drei liebsten Genres?
  3. Deine drei liebsten Autor*innen?
  4. Deine No-Gos?

Man muss ja ein Gespür für die Menschen bekommen, denen man etwas empfehlen möchte. Und das Leben hat mit dem Literaturgeschmack nur bedingt etwas zu tun. Nicht jeder Serienkiller liest gern Romane über Serienkiller. Und die meisten Leser*innen von Romanen über Serienkiller sind meiner Beobachtung nach Mütter mit Kleinkindern. Scheint was kathartisches zu haben, zumindest literarisch zu erleben, wie Menschen umgebracht werden.

Die Antworten stellten mich vor Probleme. Die drei genannten Titel kannte ich nicht, die liebsten Autor*innen schon, aber nur aus Besprechungen. Die liebsten Genres „Fantasy, Fantasy und Fantasy“ sind mir zwar vertraut, aber einen Großteil der Veröffentlichungen halte ich bekanntermaßen für Mist. Desweiteren wurde noch Schmonzette („Kitsch“) und „Krimi“ genannt. Beides nicht meine Genres. Andererseits ist die Frau mit dem unmöglichen Blognamen (ich kriege das nicht fehlerfrei getippt) „offen für alles“.

Damit wurde die Sache reizvoll und ich überlegte ihr, ein wenig Science Fiction der abgefahreneren Sorte aufs Auge zu drücken. Oder doch Heinrich Böll. Vielleicht auch Herta Müller. Das war allerdings selbst für mich zu anspruchsvoll (bei weitestgehend fehlendem Inhalt) und die Frau mit dem unmöglichen Blognamen hätte es gern „anspruchslos“.

Mein Lid zuckte bei diesem Wort, weil selbst die scheinbar so anspruchslose Groschenliteratur ganz großartig sein kann. Literatur sollte sich ohnehin dadurch auszeichnen, dass sie anspruchslos ist, d. h.: Literatur ist, wenn alle Leser*innen, die lesen und denken können, einen Zugang zur Literatur gewinnen und etwas daraus ziehen können, egal ob Erkenntnis oder Unterhaltung. Die beste Literatur ist womöglich die, die es bei jedem Lesen aufs neue ermöglicht, etwas aus der Lektüre zu ziehen, aber wir wollen ja nicht werten.

Ich überlegte also und stellte mir die Frage: Wenn ich eine Leserin, die Liebesgeschichten und Fantasy mag, für mein Bücherregal begeistern möchte, welche Bücher würde ich ihr als Erstes zeigen? Mir war sehr schnell klar, dass ich einen Fantasy-Titel nennen würde und einen Titel, der einen Zugang in die Science Fiction eröffnet, ohne Science Fiction zu sein. Und mir war sehr schnell klar, dass ich auch ein Risiko eingehen wollte mit einem Vorschlag. Ich liebe nämlich ein paar Autor*innen, die klassische „Liebe sie oder hasse sie“-Autoren sind. Ich entschied mich deshalb (hoffend, dass du die Bücher nicht kennst) für:

 

Die Halblinge von Mel Odom

Wie gesagt, die Fantasy und ich stehen auf Kriegsfuß. Das gilt gleichermaßen für High Fantasy mit den epischen Schlachten wie für Romantic Fantasy mit den glitzernden Vampiren. Egal ob Tolkien, Heitz, Meyer oder Cast, wenn ich einen guten Tag habe, nenne ich es nur „ermüdenden Unfug“. Wenn ich Fantasy lese, dann Pratchett und Moers, wahrscheinlich, weil ihnen das Kunststück gelingt, ihr Genre ernst zu nehmen und zugleich nicht ernst zu nehmen.

Ein wenig aus der Reihe fällt dabei die Reihe von Mel Odom um den Halblings-Bibliothekar Edeltocht Lampenzünder. Ich vermute, es hat etwas damit zu tun, dass er Bibliothekar und Halbling ist. Wir Bibliotheksmenschen lesen wahrscheinlich gern Romane, in denen wir die Hauptfiguren sind und für Halblinge habe ich eine gewisse Schwäche. Sie werden nur viel zu selten beachtet, wenn sie nicht gerade irgendwelche allmächtigen Ringe finden. Von Tolkien abgesehen ist das Halblings-Genre meiner Kenntnis nach so gut wie tot.

Mel Odom gelingt es mit seinem Helden, eine Abenteuergeschichte zu schreiben. Und Abenteuer mag ich, egal ob Fantasy-Setting oder nicht. Mit einem Bibliothekar als Helden kann das auch nur eine famose Angelegenheit werden. Und auch wenn Amazon den Titel nicht mehr führt, über den Marketplace ist er erhältlich und meines Erachtens eine Investition wert.

 

Die Landkarte der Zeit von Félix J. Palma

Die Landkarte der Zeit ist eine Hommage an H. G. Wells. Der Roman spielt mit dem Science Fiction Genre, ist meiner Ansicht nach aber kein klassischer Science Fiction Roman. Man könnte ihn zum Steampunk rechnen, aber das trifft es auch nicht so wirklich. Und es ist auch irgendwie ein historischer Roman, ohne ein historischer Roman zu sein. Ganz sicher hingegen ist er eine Liebesgeschichte, rührend aber nicht kitschig. Und dennoch tut man der Landkarte der Zeit unrecht, wenn man das Buch in die Abteilung Liebesromane stellt.

Allein schon die Schwierigkeiten, diesen Roman adäquat einzuordnen ist ein Grund, ihn zu lesen. Auch der Stil ist es. Und da ich glücklicherweise vor Urzeiten eine Besprechung dazu geschrieben habe, zitiere ich mich einfach selbst:

Der Stil des Autors ist opulent (oder gewaltig, dekadent? Ich kann mich für das treffende Wort nicht entscheiden, vielleicht hilft ein Bild weiter:), man möchte sich in seine Sätze hineinsetzen, in ihnen baden und sie immer und immer wieder lesen. Mit viel Detailreichtum und einer guten Beobachtungsgabe werden uns Charaktere geschildert, die auch als Schurken nicht bloß hassenswert sind, sondern eine unheimliche Faszination auslösen, uns in ihren Bann schlagen. Jeder Charakter bekommt seine eigene Geschichte, trotz der Ordnung in Haupt- und Nebencharaktere hat jeder genug Platz, um nicht bloß Statist zu bleiben – selbst wenn sie nur einen kurzen Auftritt im Roman haben. Diese Fülle ist großartig, sie saugt einen in das London des Palma’schen H. G. Wells und lässt einen nicht entkommen.

 

John Irving  |  Das Hotel New Hampshire  |  Roman, Taschenbuch, 608 Seiten | € (D) 12.90 / sFr 18.90* / € (A) 13.30

Das Hotel New Hampshire von John Irving

John Irving ist zuletzt der Autor aus der Kategorie „Liebe ihn oder hasse ihn“. Irving erzählt im Hotel New Hampshire die Geschichte der Familie Berry. Der Roman ist voller Melancholie, Tragik, Witz, Anarchie, Groteske, garniert mit Sozialkritik, einem Schuss Abscheulichkeiten und einer gehörigen Portion Wien. Es ist meines Erachtens bis heute sein bester Roman, eine solche erzählerische Meisterschaft hat John Irving bis heute nie wieder erreicht. Seine übrigen Romane sind gut – nicht umsonst ist er mein Lieblingsautor – aber das hier ist meisterhaft. Mehr kann ich dazu beim besten Willen nicht sagen.

 

Für welches der Bücher würdet ihr euch entscheiden? Könnt ihr der Frau mit dem unmöglichen Blognamen vielleicht mit einem Rat weiterhelfen? 

Liebe wortgeflumselkritzelkram (Ha, ich habe es geschafft!), welches der drei Bücher soll es sein? Welches der drei Bücher willst du kaufen/leihen/stehlen, lesen/abbrechen und auf deinem Blog besprechen/verreißen?

Und wie geht es weiter? Ganz einfach. Wortgeflumselkritzelkram wird auch mir drei Bücher empfehlen, ich werde mich für eines entscheiden und das gleiche tun. Und danach … Schauen wir weiter. Wir beide hoffen, euch mit diesem Beitrag auf eine Idee gebracht zu haben. Und ich hoffe, einen kleinen Einblick in das große Problem der „Lektüre-Empfehlung“ offeriert zu haben.

Zum Schluss, da Wortgeflumselkritzelkram ja nicht ohne Input empfehlen kann, beantworte ich natürlich auch meine eigenen Fragen:

 

  • Die letzten drei Bücher, die du gelesen hast?

Ich teile das mal auf, weil ich auch Hörbücher höre (die ich allerdings nicht kaufe, sondern nur über die Onleihe streame):

Gelesen habe ich zuletzt: Die Insassen von Katharina Münk, Fünf Wochen im Ballon von Jules Verne und Die Ausgestoßenen von Claudia Kern.

Gehört habe ich zuletzt: Das Hörspiel „Bibi Blocksberg: Urlaub in der Hexenpension“ (ja, lacht nur!),  Das Känguru-Manifest von Marc-Uwe Kling und Toller Dampf voraus von Terry Pratchett.

 

  • Deine drei liebsten Genres?

Science Fiction, Abenteuer, Seefahrt

 

  • Deine drei liebsten Autor*innen?

John Irving, C. S. Forester, Stanislaw Lem

 

  • Deine No-Gos?

Schmonzetten (nicht zu verwechseln mit „Frauenliteratur“ a la Dora Heldt – das ist zwar anspruchslos, aber lustig), historische Romane (da bin ich sehr eigen, weil es so viel Mist gibt), Horror (ich bin ein Bangschisser), Thriller (bis auf blutarme Agententhriller und das, was Preston/Child schreiben) Goethe (wir pflegen gegenseitige Abneigung)

29 Kommentare zu „Wie soll man nur Bücher empfehlen?

  1. „Ermüdender Unfug“? Ich weiß gar nicht, was ich…also, das ist doch wohl…das ist…also…ich…päh!

    Ich würde mich, ohne groß zu überlegen, für Mel Odom und die dazugehörigen Halblinge entscheiden. Zu „Die Landkarte der Zeit“ kann ich nichts sagen, weil ich es nicht gelesen habe. Und meine Erfahrung mit John Irving beschränkt sich auf – wie sollte es anders sein – „Gottes Werk und Teufels Beitrag“. Das fand ich zwar absolut großartig, brauchte damals aber dennoch drei Anläufe, um es durchzulesen. Ich fand es nämlich nicht nur großartig, sondern auch anstrengend.

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    1. Anstrengend? Echt? Ich fand es deprimierend, dass es nach drei Tagen ausgelesen war. Aber da war ich zugegebenermaßen auch schon ziemlich fest im John-Irving-Ton. Die Halblinge kann ich aber auch ohne Ausschlussverfahren wärmstens empfehlen. 🙂

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  2. Oh, Zeilenende, der schönste Bericht der Woche. Das hier es eigentlich wert, als Artikel in einer Tageszeitung in der Wochenendbeilage abzudrucken. Als Kolumne ein wenig zu lang. Wie man Bücher empfiehlt, hast du hier gelungen dargestellt. Klasse. LG aus dem Lehrercafe

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  3. Schließe mich an: Top Beitrag und Spitzenidee!
    Und weil das gefragt wurde: Frau Wortgeflumselkritzelkram (ist doch babyleicht.. ;)) sollte sich für „Das Hotel New Hampshire“ entscheiden.

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  4. Also ich würde ja auch gerne einen Tipp abgeben, weil es mir nicht so glücklos wie beim Lotto erscheint. Leider ist Fantasy so gar nicht mein Genre und ich kenne keines der Bücher, werde mir aber auf jeden Fall den Félix Palma einmal zu Gemüte führen und jetzt muss ich aufhören, weil ich mich noch nicht wieder fassen konnte … Zeilenende hört Bibi …. ernst bleiben …. Bibiblo….durchatmen ….bibiblobla hahahaha 🙂 !
    Ah, eines muss ich noch loswerden: Man kaufe sich vor einem langen, seeeehr langen Flug – sagen wir mal nach Australien – ein Buch am Flughafen und lese es dann konzentriert von cover zu cover, kein Mitreisender wird dich anquatschen und in belanglosen Smalltalk verwickeln. Ach ja, der Titel des Buches sollte lauten „Australia’s serial killers“. Und nein, da war ich noch nicht Mutter …

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    1. Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen sind toll, wenn ich mal wieder nostalgisch verklärt durch die Landschaft hüpfe. Ich find es ein wenig schade, dass es in der Onleihe hier nur ein paar von den neueren gibt … Aber irgendwo im Keller müsste es noch eine Kiste mit meinen alten MCs geben. Ich war eines von diesen Kindern, die die bis zum Ausleiern gehört hätten, wenn sie ausgeleiert wären. *gg*
      Aber den Félix Palma kann ich auch nur empfehlen, das war für mich das überraschendste Buch der letzten zehn Jahre. Und das mit den Serienkillern merke ich mir. ^^

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  5. „Die Halblinge“ merke ich mir gleich mal vor. Kenne den Autoren noch von ein paar „Shadowrun“-Romanen.
    Hat der Roman irgendwas mit Mittelerde zu tun? Wenn auch inoffiziell?

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    1. Jain … Es ist natürlich eine klassische Abenteuergeschichte mit einem Halbling, der irgendwie in Machenschaften verwickelt wird. Und die Halblinge sind natürlich auch irgendwie ähnlich wie bei Tolkien. Von der Art her würde ich es aber eher mit den Aventurien- und Forgotten-Realms-Romanen vergleichen würde.

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  6. Scheint meine neue Tradition zu werden, Beiträge mit einem Tag Verspätung zu lesen/kommentieren. 🙂
    Puh! Ich versuche seit Jahren erfolglos, mir das Lesen abzugewöhnen. Allerdings habe ich bisher keinen wirklich überzeugenden Grund gefunden, das zu tun (d.h. es eben nicht mehr zu tun, das Lesen, also). Dagegen begegnet man immer wieder kundigen Führungen, die dann in Verführungen ausarten.
    Wie ich mich an Wortgeflumselkritzelkrames Stelle entscheiden würde, kann ich natürlich nicht sagen. Aber wenn ich ich wäre (ob Schicksal oder Zufall, ich weiß es nicht – aber genau so ist es) würde ich mich für alle drei interessieren. Zwei der Autoren kenne ich noch gar nicht. Und den dritten kenne ich zwar dem (berühmten) Namen nach. Ich habe etliche Male was über ihn gelesen – aber noch nichts von ihm.
    Wie’s der Zufall (oder das Schicksal?) haben will, sind sogar alle drei Titel ‚leihbücherisch’ verfügbar (sogar sprachlich passend), was mir sehr entgegenkommt, da ich 1. bis 3. geizig bin und 4. beim nächsten Umzug nicht noch schwerere Kisten schleppen möchte.

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  7. Die Landkarte der Zeit hätte mich schon alleine wegen dem Titel sehr interessiert. Nun finde ich den Inhalt auch nicht unansprechend. Kommt auf jeden Fall mal auf die unendliche Leseliste.
    Und überhaupt und sowieso, tolle Idee mit den Empfehlungen und den dazu passenden Fragen.

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  8. Hm, mit der „Landkarte der Zeit“ hatte ich so meine Probleme. Ich fand den Anfang gut und spannend und dann irgendwann musste ich mich regelrecht durchquälen. dann gab`s wieder Passagen, die ich toll fand. Doch am Ende war ich irgendwie enttäuscht, weil das Ende für mich keine Ende war und mir irgendwie das Durcheinander von Wirklichkeit und Fiktion nicht gefiel. Da habe ich schon Besseres gelesen. Ich finde, Herr Palma wollte zu viel auf einmal unterbringen. Aber vielleicht war das alles nur für meinen durchschnittlichen Kopf zu viel 🙄 und ich hab nicht verstanden, was der Gute seinem Leser alles mitteilen wollte.

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    1. Das Ende war ziemliche formalistische Spielerei. Andererseits: Der Erzähler führt uns die ganze Geschichte über immer wieder an der Nase herum, ich fand es da konsequent, sich auch am Ende einer Auflösung zu enthalten und alles offen zu lassen. Ich habe das als Verbeugung vor dem legendären Hörspiel zu „Krieg der Welten“ gelesen, das seinerzeit angeblich für eine Reportage gehalten wurde. Das war also in der Tat was für Liebhaber.

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