„Hallo.“ „Hallo.“ Schweigen.

So geht mir das häufig. Die scheinbar so harmlose Situation des Kennenlernens ist nie so einfach, wie sie sich darstellt. Dabei haben wir in unserem Leben doch alle schon viele Menschen kennengelernt und sei es sehr oberflächlich. Woran liegt es? Ganz klar, an den Themen.

Drauflosreden ist nicht meine Stärke. Ich verschaffe mir gern zunächst einen Überblick über die Situation, möchte wissen, wer mein Gesprächspartner ist und stelle mir vorab gern die Frage, was für diese Person interessant sein könnte. Man will sein Gegenüber ja nicht mit einer minutiösen Analyse des letzten Fußballspiels langweilen, obwohl das Gegenüber für Fußball gar nichts übrig hat.

Unverfängliche Gesprächseinstiege eignen sich hingegen zuverlässig dazu, nach diesem Einstieg wieder im Sande zu verlaufen. Das klassische Small-Talk-Thema „Haben Sie gut hergefunden?“ mit der Variante „Hatten Sie eine gute Anreise“ gebietet der Höflichkeit halber lediglich die Antwort „Ja, danke.“ Mit dem Ankommen dokumentiere ich bereits, dass ich angekommen bin, wenn meine Kleidung nicht in Fetzen vom Leib herabhängt, bin ich nicht von Wegelagerern überfallen worden. Und wenn man nicht von Wegelagerern überfallen wurde, kann man die Anfahrt trotz immenser Verspätung, nicht funktionierender Klima-Anlage und einem Damen-Kegelclub (8 Damen, 8 Flaschen [Melchisedech], ein Mixtape mit dem Besten von Helene Fischer und Andreas Gabalier) durchaus „gut“ nennen.  Das Gespräch endet.

Das Wetter bietet eine größere Mannigfaltigkeit. Es gibt ja viele Wetterlagen. Aber das ist nur auf den ersten Blick so. Wer über’s Wetter redet, ist entweder Meteorologe oder „Zu“ … Zu warm, zu kalt, zu nass, zu trocken. Oder er kommt aus Wetter. Wetteraner trifft man allerdings nur selten. Das Gespräch trägt so etwas nicht.

„Wetter?“

„Zu.“

„Mhm.“

Schweigen.

Google Glasses könnten den Smalltalk sehr viel einfacher machen, wenn wir Google+ damals eine Chance gegeben hätten. Ich stelle mir eine Zukunft vor, in der wir wildfremden Menschen begegnen, mit denen wir Small Talk führen und uns die Frage nach den relevanten Themen nicht stellen müssen. Ein Blick durch die Glasses und wir haben mittels Gesichtserkennung Zugriff auf sein Google+-Profil, das uns verrät: Der gewünschte Gesprächspartner interessiert sich für Star Trek, Philosophie und Brot.

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Links: Paderborner. Rechts:Ein Weizenbrot mit Vollkornanteil und Leinsamen.

Aber leider sind wir ja alle bei Facebook. Und die Glasses kommen von Google. Wegen der erbitterten Konkurrenz um die Vorherrschaft im Universum werden Google Glasses beim Zugriff auf Facebook-Profile also nur Mist verzapfen: „Der gewünschte Gesprächspartner interessiert sich für Fußball, Sadomasochismus und Helene Fischer.“ Damit landet man vielleicht einmal einen Glückstreffer, denn der Algorithmus ist intelligent: Er sagt nicht einfach das, was die Person nicht mag, das wäre zu leicht zu durchschauen. Er nennt sowohl echte Vorlieben als auch dokumentierte und vermutete Abneigungen. Man weiß nie, ob und welche Antworten wahr, gelogen oder randomisiert vorgeschlagen wurden. Das macht die Sache unberechenbar und wahlweise Facebook oder Google Glasses untauglich für die Zukunft.

So ähnlich ist das auch beim Bloggen. Wer möchte schon an einem besonders heißen Tag in jedem gefolgten Blog eine Philippika oder Suada über die besondere Hitze lesen? An besonders heißen wie kalten Tagen verbietet es sich geradezu, über das Wetter zu schreiben.

Die heißen Eisen, die man im Small Talk nicht nur an heißen Tagen unberührt lässt (Politik, Religion und Gender-Diskurse), eignen sich eigentlich ganz hervorragend für Blogbeiträge, wenn man nur wüsste, was daran interessant wäre. Und wenn man wüsste, wie man einsteigt. Es müsste harmlos sein, um die Leserschaft in den Text hineingleiten zu lassen. Damit ist Sex als Einstieg ungeeignet. Da gleitet zwar früher oder später auch irgendetwas irgendwo rein (meistens) und ein Vorspiel gibts auch dazu (manchmal), aber Sex ist nicht harmlos sondern hochpolitisch (was ihr unter und über euren Bettdecken etc. treibt, sind damit Bundestagsdebatten in entspanntem Rahmen. Denkt beim nächsten Mal dran. 😉 )

Sex, um das Wort Sex noch einmal zu verwenden … Also Sex ist höchstens gut dafür, um unerwünschte Leserschaft auf dem Blog zu haben. Und die bekommt man nur weg, wenn man konsequent auf Brote statt Brüste in der Artikelbebilderung setzt.

Also doch kein Sex. Vielleicht die larmoyante Variante, dass früher alles besser war. Dann könnte man von der guten alten Zeit erzählen, wo Männer noch Männer waren und der Papst deshalb ganz problemlos Kleidchen tragen durfte, weil Crossdressing und Transgender noch nicht existierten, wohingegen man heute erst einmal scharf nachgrübeln muss: Ist das ein Papst oder ein Crossdresser … Oder beides?

So ein Einstieg hätte zwei Vorteile, denn man thematisiert zugleich Religion und kann ganz entspannt zu der eigentlich interessierenden Frage überleiten, wieso es für die Menschen so wichtig ist, was jemand sei, statt sie in ihrem Wesen und ihren Bedürfnissen einfach zu respektieren. Die wenigsten von uns können einem Menschen immerhin ansehen, ob dieser Mensch Mann, Frau oder Eichhörnchen ist, da wir Geschlecht angeblich ja ganz simpel (nein, nicht über Anteil am Reproduktionsgeschäft) über die Art der Geschlechtschromosomen definieren.

Während ihr euch nun fragen könnt, wie man das früher mit der Geschlechtsbestimmung gemacht hat, als das menschliche Genom noch gar nicht erfunden war, lehne ich mich zurück und staune. Wie bin ich denn jetzt doch von meiner Unfähigkeit, Small Talk zu führen, mitten in die Gender-Debatte reingetrampelt? Ah, natürlich. Sex. Funktioniert immer. Kennenlernen ist fast immer die Vorstufe zum Sex. Und auch Brüste und Kleider haben für manche Menschen was mit Sex zu tun. Und Brot? Ich sage nur: Bagel.

25 Kommentare zu „Das Wetter reist mit der Bahn -Vom Small Talk

  1. Zwischen Smalltalk und Blogbeiträgen gibt es für mich einen eklatanten Unterschied: Smalltalk ist abhängig vom Gegenüber, Blogbeiträge sind „Unterhaltung in eine Richtung“. Quasi: Einer unterhält, einer wird unterhalten.

    Für mich zeichnet sich Smalltalk dadurch aus, dass er gerade dämlich und einfältig ist. Das Wetter, Fußball, etc. Wenn die Person darauf eingeht, egal wie dämlich es ist, weißt du, dass sie reden möchte. Geht sie nicht drauf ein und sagt „Ja/Nein/Mh“, kannst du davon ausgehen, dass kein Gespräch erwünscht ist. Und wenn ein Gespräch erwünscht ist, kommt man ganz schnell von Fußball auf lustige Anekdoten und unterhält sich prächtig.

    Übrigens, gerade das Jammern über „verspätete Züge, kaputte Klimaanlagen aber wenigstens keine Wegelagerer“ ist eigentlich der beste Smalltalk: Menschen sind sich am sympathischsten, wenn sie über dasselbe meckern können.
    Achte mal drauf, wie viele Wildfremde an Bahnsteigen plötzlich zu Freunden werden, wenn für den Zug gerade eine zweistündige Verspätung angekündigt wird 😉

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    1. Ach … Wenn mich ein Blogbeitrag nicht interessiert, kann ich das Lesen abbrechen. Ob ich nicht höre, was mein Gegenüber mir sagt oder ob mein Gegenüber nichts sagt, macht zumindest für mich keinen Unterschied. *gg*
      Du erwähnst übrigens eine eklatante Parallele zwischen Smalltalk und Blogbeiträgen: Sie zeichnen sich beide dadurch aus, dass sie dämlich sind und wenn die Person darauf reagiert, weißt du, dass ihr verwandt im Geist seid. *gg*
      Was den Pendler-Smalltalk angeht, stimme ich dir zu. Mir ging es eher um Situationen, in denen Auswärtige auf Einheimische treffen. Pendler-Smalltalk liebe ich auch. 🙂

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  2. So richtig interessant wird es ja wenn Leute einem begegnen und fragen wie es einem geht….die Gesichter wenn man anstatt des erwarteten „Oh, danke gut“ anfängt zu beschreiben das es einem grad nicht so gut geht…..köstlich!

    Mittlerweile bin ich dazu übergegangen Heinz Erhard zu zitieren “ Oh, am liebsten gut!“….die Gesichter dazu: köstlich!

    Bagel….o.k., let’s talk about Bagels 😀 oder anderer Vorschlag um es mit David Sedaris zu halten „Let’s explore diabetes with owls“….schönen Sonntag noch!

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      1. Was wiederum auch Gesichtszüge entgleisen lässt 😉 zudem kommt noch diese Sprachlosigkeit in den Gesichtern und dieses eigentlich schon Luft holen für’s nächste Thema, aber dadurch ausgebremst werden….hehe…..

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  3. Ich bin mir jetzt gar nicht sicher, was ich da like, da ich das eigentliche Thema nicht ausmachen konnte, aber es war wie (fast immer) sehr unterhaltsam, eine Eigenschaft, die small talk meistens nicht aufweist 😉
    Über das Eichhörnchen grüble ich noch: Ist das das neue dritte Geschlecht? Ich bin verwirrt. Vielleicht müsste ich eine google Brille aufsetzen, wenn ich die putzigen Tiere im Garten beobachte, um zu erfahren, dass sie mehr facebook Freunde haben als ich. Eine verrückte Welt, nur auf das Wetter ist Verlass, das ist heute wieder viel zu …

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      1. Ist dir gelungen. Ein überlegt höfliches „Hallo!“, gefolgt von ein paar Gedanken über Sex und dem Aufruf zu Brot statt Brüsten, während Google+ gegen Facebook antritt – das ist ja sozusagen ein Selbstläufer für eine ganz und gar neutrale Unterhaltung 😉

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  4. Achja, Smalltalk. Das kann ich ja auc so gar nicht, weil mein Verstand nahezu jede noch so kleinste Möglichkeit für einen zweideutigen Witz erkennt und eine dazu passende Antwort formuliert. Bei mir noch (recht/sehr) unbekannten Leuten kann ich das aber nicht raushauen, denn der erste Eindruck und so.
    Interessanterweise klappt das aber, wenn ich mich etwas wohler finde, entspanne und die Leutchen auch etwas länger als fünf Minuten kenn, ganz gut.
    Zum Thema Geschlecht erkennen: Das sieht man meist. Und in 85% aufwärts aller Fälle liegt man damit richtig, Menschen mit Brüsten, breiteren Hüften und co. als Frau einzuordnen, und Menschen mit etwas kantigerem Körperbau, gegebenenfalls Bierbauch und Bart, als Mann. 😉
    Die paar Fälle, wo das nicht zutrifft, weil unklare Chromosomenlage oder Geschlecht und Gender nicht deckungsgleich sind, fallen nicht ins Gewicht und lassen sich elegant durch ein „Entschuldige bitte“ auflösen. 😉
    Nur irgendwelchen Schneeflöckchengeschlechtern wie Trigender oder Schuhsohlenliebhabergender werde ich nicht den Gefallen tun und darauf Rücksicht nennen. 😉

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    1. Als Genderblümchen … äh Gänseblümchen … fühle ich mich gerade zutiefst getroffen. Wahrscheinlich habe ich im Leben schon zu viel gesehen, um Brüste und Bärte als spezifisch männlichen oder weiblichen Phänotyp wahrzunehmen.
      Mein Tipp für Smalltalk übrigens: Alkohol. Viel Alkohol. Dann ist man zu mehr ohnehin nicht mehr fähig. Von Zeilenende persönlich erprobt. 🙂

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      1. Ähm, sorry. 😳
        Aber wenn du auf Gänseblümchen stehst, dann bist du florasexuell, oder wie? 😉

        Hm, gut, aber manboobs assoziiere ich eben nicht mit Brüsten. Die sind per Definition für mich weiblich und schön. Wohingegen manboobs… ^^‘

        Ach, du meinst, man spricht beim Alkoholtrinken über Alkohol und bricht dann bei Whiskey on the rocks das Eis? 😉

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  5. Sex, Politik, Lebensmittel, Fußball, Religion, Wetter… Smalltalk in Reinkultur ist also, wenn ein hermaphroditischer Politiker aus Essen in einem Fußballstadion über die Religion wettert. 🙂

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    1. Nein … Wenn er wettert, dann verlässt er den Boden des Smalltalk und wird ernsthaft. Vielleicht könnte er Religionen ausdünsten … Das wäre ein sehr schönes Bild. Ich vermute, es würde nach Weihrauch riechen. *gg*

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      1. Das Bild wäre schön. Den Weihrauch benutzen Politiker aber lieber für ihre eigene Person. Vielleicht kann er auch einfach nebulös daherreden – das passt zum Politiker und zum Smalltalk (und irgendwie bleibt dann ja das Wetter mit im Spiel). 😉

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