Walter Moers ist schon ein besonderer Autor, den einzuordnen nicht leicht fällt. Er ist auf den ersten Blick ein Fantasy-Autor, hat mit den Großen des Genres aber nicht viel gemein. Er steht sicher auch in der Tradition der schwarzen Romantik. Am Ehesten ist er vielleicht die deutsche Antwort auf Terry Pratchett, ein wenig grotesker, etwas weniger sozialkritisch, genau so hemmungslos in seinen Sprachspielen und der Verarbeitung bekannter Stoffe. In jedem Fall sind Bücher von Walter Moers stets ausufernd, so auch „Der Schrecksenmeister“.

Inhalt lt. amazon.de

In Sledwaya, der ungesündesten Stadt Zamoniens, ist Echo, das hochbegabte Krätzchen, nach dem Tod seines Frauchens in allergrößte Schwierigkeiten geraten. Er ist gezwungen, mit dem Schrecksenmeister Succubius Eißpin einen verhängnisvollen Vertrag zu schließen. Dieser gibt Eißpin das Recht, die Kratze beim nächsten Vollmond zu töten und ihr das Fett auszukochen. Als Gegenleistung muss Eißpin Echo bis dahin auf höchstem kulinarischen Niveau durchfüttern. Doch der Schrecksenmeister Eißpin hat nicht mit dem Überlebenswillen und dem Erfindungsreichtum des Krätzchens gerechnet – vor allem nicht mit dessen neuen Freunden, den Grübelnden Eiern und dem Goldenen Eichhörnchen, Fjodor F. Fjodor, dem Einäugigen Schuhu und dem Gekochten Gespenst und vor allem Inazea Anazazi, der letzten Schreckse von Sledwaya.

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Quelle

 

Stil

Moers ist Fantasyautor, aber nimmt das Genre nicht ernst. Er schreibt aber auch keine Fantasy-Parodie, denn seine fantastische Geschichte nimmt er durchaus ernst. Was das bedeutet, führt er gleich zu Beginn des Buches vor und charakterisiert den Schrecksenmeister Eißpin als ein Wesen direkt aus der Hölle, vielleicht sogar als Höllenfürsten persönlich. Dies tut er so ausufernd, in seinen Formulierungen schwelgend, dass man Eißpin als Bösewicht nicht ernst nehmen kann. Und diese Frage zieht sich durch das gesamte Buch: Meint Moers es ernst mit Eißpin als Schurke?

Die Sache mit den Schwelgereien ist so eine Sache (sic!). Funktional eingesetzt sind sie ein gelungener ironischer Bruch mit dem Genre. Moers setzt es aber einmal zu häufig ein, die Schwelgerei ist das bezeichnende erzählerische Merkmal, wenn es um Eißpin geht. Moers ergeht sich in der Beschreibung von Eißpins Charakter immer wieder in endlos langen Aufzählungen. Sie machen den Schrecksenmeister aus und werden mit der Zeit anstrengend. Im Unterschied zur mythenmetzschen Abschweifung, mit der Moers von Hölzchen auf Stöckchen kommt und von der ich ein großer Fan bin, bleibt er in seinen Aufzählungen beim Thema und bei aller Lust am Spiel mit Worten, wird er damit streckenweise ermüdend.

Der Schrecksenmeister Eißpin ist dennoch eine faszinierende Figur. Begegnet er uns in seinem ersten Auftritt als archetypischer Bösewicht, der das arme Krätzchen Echo und seine missliche Lage ausnutzen will, wird er zum fürsorglichen Beschützer, zum beinahe liebenswerten Gesellen. Dann wieder zum grausamen Alchimisten. Eißpin ist völlig verrückt, das macht die Figur zur reizvollsten des Buches: Er tötet aus Sammelleidenschaft und malt Katastrophenbilder, andererseits kocht er mit so viel Liebe und Herzblut, dass man glaubt, einen anderen Eißpin zu erleben: In der Küche ist er fürsorglich, bemüht, ein exzellenter Gastgeber. Das, was er tut, alchimistische Prozesse steuern, bleibt gleich, aber im Labor ist er unheimlich, am Herd liebenswert.

Die Charakterisierung macht deutlich: Er ist absolut irre. Aber er hat einen Plan abseits von seinem Interesse am Kratzenfett. Genau genommen hat er zwei Pläne. Den einen verrät der Erzähler ganz lapidar nach nicht einmal 100 Seiten, statt auf den großen Showdown am Ende zu warten, wo der Schurke die ganze Boshaftigkeit seines Plans selbst erläutern darf. Denkt man als Leser. Aber Moers führt uns in die Irre und präsentiert auf den letzten Seiten einfach einen weiteren irren Plan des Schrecksenmeisters und bricht das Bild des prototypischen Bösewichts erneut.

Immer wieder enthält das Buch Anspielungen und Bezüge auf kulturelle Traditionen und Praktiken. Sehr anschaulich wird das in einem Kapitel, das der Weinverkostung gewidmet ist. Einerseits hat Moers sich hier unübersehbar an Faust I, der Szene in Auerbachs Keller, bedient, andererseits macht er sich gnadenlos lustig über so manche Praktik bei einer Weinverkostung, die den Wein als Krone der Schöpfung und dessen Verkostung wissenschaftliche Disziplin zelebriert, die man ohne immenses Hintergrundwissen gar nicht zu schätzen wissen kann.

 

Philosophereien

Damit nicht genug der Anspielungen. Auch wenn man es kaum glauben mag, enthält „Der Schrecksenmeister“ doch einiges an philosophischen Stücken. Eißpin bewundert die Urgewalt der Natur und theoretisiert darüber. Er klingt dabei fast wie Nietzsche oder Schopenhauer, wenn diese über den Willen räsonieren. Seine Theorien sind Schopenhauer näher, seine Formulierungen Nietzsche. Auch bei Eißpin glaubt man, den Wahnsinn durch die Worte hindurch schimmern zu sehen.

Wenn Eißpin Nietzsche ist, dann ist Fjodor F. Fjodor mindestens ein ausgeprägter Empirist, vielleicht sogar eine Anspielung auf Ludwig Wittgenstein. Er glaubt nur an das, was er sieht und an wissenschaftliche Erkenntnis. Er ist ein wenig verpeilt, macht sich über Echos Unwissenheit lustig und hat eine ausgeprägte Allergie gegen Aberglauben, den er Echo auszutreiben gedenkt. Das macht ihn zu einer unheimlich lustigen Figur, wenn er die Existenz des Mann im Mond vehement leugnet, andererseits aber in einer Welt der Alchimie und Zaubertränke lebt, es für ganz natürlich hält, dass es so etwas wie Magie gibt. Er wirkt ein wenig wie aus unserer Welt, aber zugleich ist er voll in der magischen Welt Zamoniens zu Hause.

Damit nicht genug, spielt Moers auch noch mit einem der populärsten Gedankenexperimente der neueren philosophischen Diskussion. Thomas Nagel hat sich einmal die Frage gestellt, wie es wohl sei, eine Fledermaus zu sein und kommt zu dem Ergebnis, er könne sich nur vorstellen, wie es für ihn als Mensch sei, plötzlich eine Fledermaus zu sein. Echo wird im Laufe der Geschichte in eine Ledermaus verwandelt (Wahlspruch: Niemand versteht die Ledermäuse, nicht einmal die Ledermäuse.) Plötzlich ist für ihn alles klar und eindeutig, er weiß, wie sich eine Ledermaus verhält, auch wenn er es selbst als Ledermaus nicht versteht. Aber er schafft es nicht, seine Erfahrungen wieder mit in sein Kratzendasein zu nehmen: Er versteht die Ledermäuse doppelt nicht, weder ihr Verhalten noch ihr Unverständnis dem eigenen Verhalten gegenüber.

Im Rückblick auf Echos zahlreiche Verwandlungserfahrungen kommt schließlich Descartes in Spiel und Echo muss sich die Frage stellen, ob er all seine Verwandlungen wirklich erlebt hat oder nur geträumt, woran er die Zustände unterscheiden könne und schließlich auch, ob sie überhaupt Bedeutung haben.

 

Konstellationen und Fazit

Moers bedient sich in „Der Schrecksenmeister“ an allem, was die Tradition hergibt. Erwähnenswert ist auch die Konstellation der Unterstützer: Spielt am Anfang des Buches der Schuhu Fjodor noch eine große Rolle, verschwindet er im Laufe der Geschichte ebenso wie das gekochte Gespenst, während die im Klappentext angekündigte Izanea erst in der zweiten Hälfte des Buches eingeführt wird. Auch hier bedient er sich typischer Erzählschemata des Fantasy-Romans, allerdings gelingt es ihm nicht, dieses Schema ironisch zu brechen und gibt den Ausschlag, „Den Schrecksenmeister“ zu einem Fantasyroman zu erklären und nicht zu einer Persiflage des Genres.

Insgesamt betrachtet haben wir damit einen typischen Moers: Liebe zur Sprache, ausufernden Formulierungen, eine abgedrehte, groteske Geschichte mit merkwürdigen Entwicklungen. Es ist nicht sein bestes Buch, die ein oder andere mythenmetzsche Abschweifung statt der endlosen Aufzählungen hätte ihm gut getan. Auch aus der Konstellation, dass Moers offiziell als Übersetzer von Hildegunst von Mythenmetz auftritt, schlägt er kein Kapital: Anders als in anderen Büchern gibt es im Schrecksenmeister nur den Erzähler, die Meta-Ebene, die der Übersetzer sonst übernimmt, fehlt komplett.

Das macht das Buch aber nicht schlecht, denn reichhaltig genug ist es, seien es die Anspielungen auf bedeutende Werke der Literaturgeschichte oder die Auseinandersetzung mit philosophischen Ideen. Gerade in Letzterem ist Moers meisterlich, denn niemand muss Angst vor verwickelten Argumentationen haben. Die angesprochenen Theorien und Haltungen Nietzsches und co. werden gänzlich en passant vermittelt. Wer nicht weiß, worauf Moers an den Stellen anspielt, weiß gar nicht, dass er eine kleine Lektion in Philosophiegeschichte bekommt. Jedem, der schon einmal etwas von Walter Moers gelesen hat, rate ich deshalb zur Lektüre. Wer von ihm noch nichts gelesen hat, sollte es aber vielleicht erst einmal mit seinem Kapitän Blaubär, „Ensel und Krete“ oder natürlich der „Stadt der träumenden Bücher“ versuchen.

 

20 Kommentare zu „Besprechung: Walter Moers – Der Schrecksenmeister

    1. Und man tut ihm immer unrecht. Wenn nach deutschen Fantasyautoren gefragt wird, dann wird als Antwort meist intensiv geschwiegen, bis den Leuten die konventionellen Antworten Wolfgang Hohlbein, Markus Heitz oder Cornelia Funke einfallen. Trotz seines Erfolgs wird Moers gern vergessen.

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  1. Den Moers mag ich auch. Ich hab die „Wilde Reise durch die Nacht“ und habe sie in einem Rutsch durchgelesen. Aber es stimmt schon, stellenweise etwas ermüdend, wenn es zu ausschweifend und langatmig wird.

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    1. Es kommt immer drauf an, wie er es einsetzt. In „Die Stadt der träumenden Bücher“ treibt er das Spiel mit der Abschweifung ja auch exzessiv, aber da stört es nicht. Hier hätte ich weniger besser gefunden. Dennoch macht es unzweifelhaft Spaß … Und Hunger. *gg*

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  2. Ich habe Moers immer in das Märchen-Genre eingeordnet… keine Ahnung wieso… vielleicht weil die Märchen von den Brüdern Grimm eigentlich auch viel grausamer sind, als es uns Disney glauben lassen will und ich mich daher an den Ursprung von Märchengeschichten erinnert fühle, wenn ich Moers lese… aber ich habe auch nicht sonderlich viel von ihm gelesen.

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    1. Moers spielt auch viel mit den Genres … Ensel und Krete ist ja als Märchen deklariert. Bei uns in der Bibliothek steht er auch in der allgemeinen Belletristik-Abteilung, Interessenkreis müsste ich nachgucken. Aber die Lektorin weigert sich, ihn bei Fantasy aufzustellen. Aber ich denke mir, Fantasy muss ja nicht immer dieses öde High Fantasy von Tolkien und co sein. 🙂

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      1. Das mit der Genredifinition haut heutzutage ja eh immer seltener hin… ich finde, da sollte man auch nicht so starrsinnig sein… Ich glaube, wir brauchen neue Kategorien um Bücher einordnen zu können 😉

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  3. Erster Gedanke: Moers kenn’ ich doch.
    Nachgedanke: gar nicht wirklich
    Tatsächlich kenne ich Walter Moers dem Namen nach schon seit geraumer Zeit. Aber was habe ich eigentlich von ihm gelesen? Ach, ja – richtig: Nichts! So kann’s gehen. Irgendwann ist einem der Name geläufig – aber da besteht kein Leseerlebnis, das Lust auf mehr weckt. Und irgendwie bleibt der Autor dann links liegen – im Schatten parkiert.
    Deine Besprechung macht nun aber definitiv Lust auf Moers. Da ist so viel Spannendes drin, dass die von dir angesprochenen Schwachstellen zu verschmerzen sein sollten. 🙂

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  4. Moers, einer meiner Lieblingsautoren. Bis heute steht Käpt’n Blaubär ganz oben auf meiner ‚könnte-ich-immer-wieder-lesen‘-Liste. Und tatsächlich habe ich das Buch schon 3x verschlungen und dazu noch 2x als Hörbuch gehört. Den Schrecksenmeister mag ich auch, so es kommt an die anderen Bände nicht wirklich ran. Ich hoffe sehr, dass es bald den 3. Teil von ‚die Stadt der träumenden Bücher‘ gibt… – Sü

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      1. Ja an manchen Stellen ist der zweite Band etwas langatmig, besonders im Theater. Und ja, hast ja Recht, lieber etwas mehr Zeit nehmen, als Müll produzieren. Das wollen wir ja alle nicht. – Sü

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