Das Internet, unendliche Selbstdarstellungsweiten. Wir schreiben das Jahr 2016 und lesen Blogs. Blogs, die Geschichten erzählen. Geschichten, die den Alltag spiegeln. Spiegel, die Dinge reflektieren. Reflexionen, die Ergebnisse von Denkprozessen sind. Denkprozesse, die wirkliche Dinge zu wahren Dingen machen.

Ich kokettiere gelegentlich mit dem Widerspruch zwischen Realität und Wahrheit, indem ich behaupte, die Alltagsgeschichten dieses Blogs seien alle wahr, aber nicht notwendig in der Realität geschehen. Genauer gesagt, sie seien nicht so, wie ich es schildere, in der Realität geschehen. Das ist natürlich gelogen. Wie alles auf diesem Blog. Alles, was ich erzähle, ist auch in der Realität so geschehen. Genau so. Nur ganz anders.

Mutter Zeilenende rief: „Wer war das?“ Ich horchte auf. Hatte eine der Katzen mal wieder ein Blutbad mit Maus in der Küche angerichtet? Ich erhob mich träge von der Couch und schlurfte in die Küche. Sie deutete auf den roten Fleck auf der Anrichte, den ich zuvor ebenfalls entdeckt hatte. Ich für meinen Teil hatte aber entschieden, ihn zu ignorieren.

Mutter Zeilenende schrie: „Wer war das?“ Ich horchte auf. Hatte eine der Katzen mal wieder ein Blutbad mit Maus in der Küche angerichtet? Ich erhob mich träge von der Couch und schlurfte in die Küche. Sie deutete auf den roten Fleck auf der Anrichte, den ich zuvor ebenfalls entdeckt hatte. Ich für meinen Teil hatte aber entschieden, ihn zu ignorieren.

Mutter Zeilenende brüllte: „Wer war das?“ Ich horchte auf. Hatte eine der Katzen mal wieder ein Blutbad mit Maus in der Küche angerichtet? Ich erhob mich träge von der Couch und schlurfte in die Küche. Sie deutete auf den roten Fleck auf der Anrichte, den ich zuvor ebenfalls entdeckt hatte. Ich für meinen Teil hatte aber entschieden, ihn zu ignorieren.

Während in Variante 1 Mutter Zeilenende die Contenance bewahrt, wird sie in Variante 2 hysterisch und in Variante 3 schließlich zum Hulk. Selbst ich, der ich seit vielen Jahren die diversen Varianten von Mutter Zeilenendens Sprechen mit gehobener Stimme kenne und ein feines Sensorium dafür entwickelt habe, ob ich Fersengeld geben und mich in meinem Zimmer verstecken sollte oder ob es reichte ein Nickerchen vorzutäuschen …

Ich finde diesen Satz in seiner Komplexität so schön, dass ich an dieser Stelle einen Einschub einbaue, der die Komplexität weiter steigert. Denn auch das ist bemerkenswert. Alles, was in der Realität geschieht, lässt sich im Blog anhalten. Ich habe gerade ein Ereignis geschildert und gebe nun meine Gedanken wieder. Als Schnelldenker kann ich in einigen Sekunden sehr viele Gedanken denken und sie behalten. Ihr Aufschreiben wiederum benötigt seine Zeit. Das Lesen womöglich noch länger, wenn es sich dabei, wie in diesem Fall, um einen verschachtelten Gedanken handelt, den ich zudem – mit Absicht – übermäßig kompliziert formuliere.

… kann nicht in jeder Situation Rückschlüsse auf die derzeitige Gemütsverfassung von Mutter Zeilenende ziehen, die ohnehin von Ereignissen in der Küche bestimmt werden, von denen ich – bis auf die Information, die ungebührlich durchdringend mein Gehör penetriert, DASS etwas in der Küche vorgefallen sei – …

Der Satz geht noch länger. Wir erinnern uns: Mutter Zeilenende hatte drei einfache Wörter geäußert, ich hatte sie gehört, mich vom Sofa erhoben und bin ein paar Meter in die Küche gelaufen. Und ihr lest das jetzt schon so lange, dass ich in der Zwischenzeit ein 10.000-Teile-Puzzle hätte lösen können.

…bislang keine Kunde hatte, denn ich muss die Küche erst betreten. Und weiß auch in diesem Augenblick noch nicht, ob Mutter Zeilenende soeben beherrscht gerufen, hysterisch geschrien oder hulkig gebrüllt hat. Hat sie zuvor irgendetwas getan, was sie ermüdet, ergriffen oder erbost hat? Ist sie ermüdet, so wird sie wohl ermattet gerufen haben, war sie zuvor ergriffen, könnte es ein Teenager-auf-Justin-Bieber-Konzert-Geschrei gewesen sein und wenn sie erbost war, würde das auch ihre grüne Gesichtsfarbe erklären.

Meine eigene Gemütsverfassung ist dabei noch gar nicht in den Blick gekommen: Ich verhalte mich träge und schlurfe. Bin ich körperlich müde, geistig müde, emotional müde? Da ich mir noch eine Vielzahl an Gedanken machen kann, bin ich wohl nicht geistig müde, aber dieses ganze Denken auf dem Weg in die Küche hat mich ermüdet, sodass die Reflexion auf das Ereignis insgesamt durch die im Ereignis erworbene Müdigkeit eingefärbt wird. Und wenn ich müde bin, wird reden zu rufen, rufen zu schreien, schreien zu hulken und hulken zum Start einer Saturn-V-Rakete direkt neben mir.

Überhaupt, Müdigkeit. Wenn die Müdigkeit weit genug fortgeschritten ist, stellt sich das Delirium ein. War das wirklich Mutter Zeilenende, die da so gebrüllt hat? Es klang ein wenig piepsig für sie. Und knatschig. Piepsig? War Seamus heruntergekommen? Für piepsiges Sprechen in diesem Blog ist ja er zustä…

Zeilenende, hör sofort auf, Lügen über mich zu verbreiten. Ich bin ein Bär. Ein bäriger Bär. Ein männlicher bäriger Bär. Ich habe eine Stimme so schwarz wie Ebenholz, so sanft wie feines Schmiergelpapier und so schneidend wie eine Bullenpeitsche. Kennst du 50 Shades of Grey? … Nein … Macht nichts. Dieser Protagonist basiert auf mir. Die Autorin hat ihn nur ein wenig angepasst, damit die Minderwertigkeitskomplexe männlicher Leser nicht allzu groß werden.

…ndig. Für den knatischen Tonfall ist hingegen Mauzi Zeilenende zustä…

Zeilenende, wenn du behaupten willst, ich sei knatschig, solltest du dir das gut überlegen. Wenn ich mit dir fertig bin, hast du einen Schmiss. Und du brauchst ein neues Hemd.

…ndig. Wie soll ich eigentlich einen Blogbeitrag unter solch erschwerten Bedingungen schreiben? Seamus will nicht piepsig sein, Mauzi nicht knatschig. So KANN ich mich doch nicht an die Realität halten. Deshalb lasse ich es. Und das Brot ist auch gelogen. In Wirklichkeit ist das aus Plastik.

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Ich behaupte dennoch, dass es sich um Mischbrote handelt. Beide im Verhältnis 3:1. Das runde Brot ein Roggenmischbrot mit Knuspermüsli, das längliche ein Weizenvollkorn-Weizen-Mischbrot (Nochmal ein Verhältnis: 1:2) mit Sesam und Dinkelflocken. Beide mit dunklem Weizenbier gebacken. Die Flasche war noch von einem Rezept übrig geblieben, das ich ausprobiert habe. Aber das ist natürlich auch gelogen und soll nur von meinem Alkoholproblem ablenken. Also dem Alkoholproblem, dass ich keinen Alkohol vertrage. Ist klar, gell?

 

38 Kommentare zu „Die Wirklichkeit lügt

        1. Naja, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht, scheiden Bär und Katze aus. Das Problem ist, dass Mutter Zeilenende auch nicht in der Küche war. Per Ausschlussverfahren ergibt sich damit, dass ich selbst gerufen habe und von mir ablenken will. Aber am Ende war es ohnehin ganz anders. Was denkst du? 😉

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          1. Bär? Also, du meinst, du, wenn du dich ne Woche nicht rasierst? 😀

            Hm, aber was ist denn nun geschehen? Nicht immer so auf die Folter spannen! 😛

            Ich vermute, dass es die Frau Mutter Zeilenende war, aber ich werde mich hüten, das ihr gegenüber zu erwähnen! 😮

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  1. Die Brote könnten rein theoretisch auch bildbearbeiterisch umgebackene Windbeutel von vorgestern sein. Die Kost-Probe wird die Wahrheit ans Licht bringen. Denn Brot ist die Inkarnation (von wegen vegetarische Safari) von Wahrheit und Wirklichkeit – in einer Person*. Man erkennt sogar beim ersten Bissen, ob es sich um ‚das wahre Brot‘ oder ‚die Ware Brot‘ handelt. 😉

    *Im besten Fall sogar Persönlichkeit!

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    1. Theoretisch. Praktisch habe ich die Windbeutel schon vor ein paar Wo … Lassen wir das … *räusper* Die Sache mit der Wahrheit und Wirklichkeit, die zusammenfällt, das hat ja was von einem hegelianischen Moment. Zugegeben, linkshegelianisch, es geht ja dann doch wieder um den Kapitalismus.
      Ich esse jedenfalls gleich noch eine Scheibe. Wenn sich der Weltgeist in meinem Magen realisiert und ich ihn nicht aus Versehen verdaue, können wir vielleicht Licht ins Dunkel bringen. 🙂

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  2. Wahrheit und Wirklichkeit…
    Gibt es Wahrheit überhaupt? Man kennt das doch, dass man sagt „Ich bin sauer, weil du das und das gesagt hast!“ und der andere entgegnet: „Oh, so hattest du das aufgefasst? So war es aber gar nicht gemeint.“ Es ist doch immer Subjektivität mit im Spiel. Gefühle, Gemütsverfassung, etc.

    Das Brot macht mich übrigens gar nicht heißhungrig…

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    1. Ich gehe sogar so weit, die objektive Realität von Dingen wie Töpfen zumindest zu bezweifeln. Das ist aber genau der Gedanke. Realitätsansprüche hinterfragen. Wahr … wahr ist es wahrscheinlich dennoch. So wie die Tatsache, dass du den Heißhunger nur verleugnest. 😉

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  3. Was ist denn nun passiert? Und noch viel wichtiger „Wer war das?“
    Meine Neugier bittet um eine Fortsetzung, und wenn nicht, so bitte doch um Aufklärung. Sonst werde ich wie in Variante 3 zum Hulk und zerquetsche ein Mischbrot. Nur eins, ich bin ja nicht herzlos.

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      1. Mein Sherlock-Sinn rät mir zum offensichtlichen: Es war Mautzi Zeilenende, unterwegs als blutrünstiger Mäusemörder.
        Jedoch hofft der Krimi-Liebhaber in mir auf eine spannendere Aufklärung. Vielleicht ja was mit einer Verfolgungsjagd nach einem unglücklich verlaufenen Brotdiebstahl?

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        1. Hmmm … Da dir die Sherlock-Lösung nicht gefällt, war es auch nicht so. Magst du vielleicht die Humor-Lösung? Mutter Zeilenende wollte ein Brot klauen und die Maus schrie empört auf, weil man ihr die Beute vor der Nase geklaut hat, bevor sie sich an die Verfolgung von Mutter Zeilenende machte? Dann hätten wir es skurril UND spannend. 🙂

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    1. Ich finde es zunehmend verwirrend, dass alle nur noch mehr Fragen stellen, statt mir Antworten zu liefern. Wie soll man sich denn da der Realität nähern? Du lenkst mich doch nur weiter ab, weil jetzt plötzlich eine Plastik ins Brot eingebacken wurde und das ganze Züge von Kunsthehlerei trägt. Offenbar ist dabei auch noch jemand ermordet worden. In meiner Küche. Ich bin schockiert! ^^

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