Als Mutter Zeilenende klein war, gab es „Drei Aschenbrödel für Haselnuss“ oder so. Jedenfalls gab es zahlreiche Märchenfilme. Deren Migrationsgeschichte, aus dem Ostblock in die Populärkultur des Westens, wäre einmal einen eigenen Beitrag wert, das überlasse ich aber einem berufeneren Menschen als mir. Ich versuche heute lieber, das Lamento „Es gibt keine schönen Märchenfilme mehr“ zu verhindern.

Zeilenendes eigene Kindheit bestand nicht aus tschechischen Märchenklassikern, sondern aus Disney-Märchenklassikern. Zeilenendes Kindheit ist vorbei, Märchenfilme aus dem Hause Disney gibt s nach wie vor. Aber taugen die überhaupt noch was? Früher war immerhin alles besser!

Quelle

Inhalt lt. amazon.de

Flynn Rider ist ein Dieb, wie er im Buche steht. Smart, charmant und seinen hartnäckigen Verfolgern immer einen Schritt voraus. Doch als er eines Tages auf der Flucht einen scheinbar verwaisten Turm im Wald entdeckt, erlebt er eine haarige Überraschung. Dort trifft der gewiefte Gauner auf Rapunzel, ein Mädchen mit langen, seidig glänzendem, blonden Haar. Sie fängt ihn mit ihren Haaren und fesselt ihn damit an einen Stuhl. Rapunzel will raus aus dem Turm und entgegen aller Überlieferung, beginnt für das ungleiche Duo ein haarsträubend komisches und warmherzig verwuscheltes Abenteuer, bei dem sich die beiden mehr als einmal in den Haaren liegen …

Rapunzel oder nicht Rapunzel?

Zur Erinnerung für all diejenigen, die sich nicht mehr erinnern können: Rapunzels Mutter zwingt Rapunzels Vater zum Diebstahl im Garten einer Hexe. Die Hexe erwischt den Vater und presst ihm das Kind ab. Ein Prinz verliebt sich in Rapunzel, erblindet, die Liebe rettet ihn und Rapunzel wird zur Prinzessin. Außerdem wird Rapunzel zur Friseurin ihrer selbst und nicht von der Hexe kahl rasiert.

Disney verföhnt die Geschichte nicht neu, sondern behält lediglich die Motive „Turm“, „Hexe“ und „Langhaarfrisur“ bei und erzählt eine neue Geschichte. Einerseits ist die Geschichte klassischer, denn Rapunzel wird zur Prinzessin. Andererseits wird die Geschichte gnadenlos modernisiert:

1) Nicht der Prinz ist der Retter, sondern ein gewöhnlicher Dieb.

2) Rapunzel ist die treibende Kraft der Flucht aus dem Turm.

Die Geschichte wird damit zugleich märchenhafter und weniger märchenhaft, weil wir zwar eine Prinzessin haben, aber eine mehr oder weniger emanzipierte Prinzessin, die noch nicht einmal weiß, dass sie den Traum eines jeden kleinen Mädchens lebt. Richtig modern wird es allerdings, wenn es um das Verhältnis von Rapunzel zur Hexe geht: Im Original weiß Rapunzel, dass die Hexe nicht ihre Mutter ist. In der Neu-Verföhnung agiert die Hexe als Mutter. Die Hexe sperrt Rapunzel zwar wegen der Magie ihres Haars in den Turm, aber davon weiß Rapunzel nichts. Und da die Geschichte an ihr entlang erzählt wird, gerät die Geschichte zu einer Beziehungskiste: Die böse Hexe gerät in die Rolle der über-protektiven Helicopter Mom. Sie hütet einen Schatz, für Rapunzel wie Zuschauer spielt es keine Rolle, dass der Schatz nicht Rapunzel, sondern lediglich ihr Haar ist. Und die Hexe agiert wie die klassische über-protektive Mutter, wirft dem aufsässigen Kind vor, es erkläre die Fürsorge der „Mutter“ zur Bösartigkeit und beteuert immer wieder die Liebe zur „Tochter“, zwingt Rapunzel so in ein Abhängigkeitsverhältnis.

„Rapunzel – neu verföhnt“ führt damit den beobachteten Trend der letzten Kinderfilme fort. Immer arbeiten sich die Filme an Eltern-Kind-Beziehungen ab. Gleichzeitig bleibt der Film trotz aller Modernisierung ein klassisches Märchen: Die Prinzessin nervt wegen Stimmungsschwankungen, es gibt ein Opfer aus Liebe, ein Wunder, die Prinzessin lernt etwas wichtiges über sich selbst und am Ende ist nicht nur die Hexe tot, es herrscht auch noch Friede, Freude und Eierkuchen.

Disneyfilm

„Rapunzel – neu verföhnt“ ist modern, es bleibt ein Märchenfilm und es bleibt auch ein Disneyfilm. Was dem Film nicht gelingt: Überzeugend Menschen zu animieren. Die Menschlein in dieser Geschichte sind nicht niedlich, sind nicht lustig, sind keine klar erkennbaren Karikaturen, es sind einfach nur schlecht animierte Menschen. Niemand braucht Pseudo-Realismus. Aber von diesem (schwerwiegenden) Makel abgesehen, ist „Rapunzel – neu verföhnt“ auch ein Film in Disney-Tradition.

Sei es der Running Gag mit der Bratpfanne, sei es das völlig verrückte Pferd, das zum heimlichen Helden der Geschichte wird. Darüber hinaus bietet „Rapunzel – neu verföhnt“ ein albernes Tier als Begleiter der Hauptfigur. So wie Arielle ihren Fabius hat, so bekommt Rapunzel ein Chamäleon namens „Pascal“ zur Seite gestellt. Pascal kann zwar nicht sprechen, besitzt aber von allen Figuren den meisten Humor – und das, obwohl er nur am Rande vorkommt.

Und auch das wichtigste Element eines Disney-Films ist vorhanden: Die Gesangseinlage. Und die ist ohne Zweifel der Höhepunkt des Films. Schurkische Schurken werden schmusig und beginnen zu singen, zu tanzen, von ihren geheimen Sehnsüchten zu erzählen. Die Szene ist irrsinnig, erinnert ein wenig an die absurden Szenen in der Mitte von Shakespeares Dramen. Andererseits stellt sie die Weichen für die weiteren Geschichten – und wird im Laufe des Films noch einmal aufgegriffen, um dem Film ein furioses Finale zu verpassen. Genug Alliterationen, oder?

Fazit

Vom ursprünglichen Rapunzel ist nicht viel übrig geblieben in dieser Geschichte. Es ist auch nicht der beste Disney-Film aller Zeiten, dafür ist Rapunzel eine entschieden zu nervtötende Heldin, die sich nicht so recht entscheiden kann, ob sie eine emanzipierte Frau oder ein unsicheres Muttertöchterchen sein soll. Misst man Rapunzel aber nicht an der Vorlage, so kann man Disney zugute halten, traditionelle Märchenelemente neu zu arrangieren und eine Geschichte zu erzählen, die der Lebenswirklichkeit heutiger Kinder näher kommt.

Das heißt nicht, dass die klassischen Märchenstoffe für heutige Kinder ungeeignet wären, aber eine Welt, in der es nur noch wenige Stellen als Prinzessin gibt, braucht es auch andere Identifikationsangebote in Kindergeschichten. Das ist von Disney gewohnt souverän umgesetzt worden. „Rapunzel – neu verföhnt“ ist solide Unterhaltung: Keine groben Schnitzer, aber auch keine besonderen Highlights.

7 Kommentare zu „Besprechung: Rapunzel – neu verföhnt

  1. „Rapunzel“ ist in der Tat schlecht animiert. Bei „Frozen“ hat Disney das um Längen besser hinbekommen. Ansonsten sehe ich das ähnlich: solide Unterhaltung aber keine der Figuren wird einem als Zuschauer richtig sympathisch. Was ich aber zauberhaft finde, sind die Lichter-/Laternenszenen gegen Ende des Films. Die sind schön geworden aber das ist auch wieder eine Stärke von Disney.

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  2. Mir hat „Rapunzel – neu verföhnt“ ziemlich gut gefallen. Die klassischen Märchen von den Gebrüdern Grimm sind und bleiben natürlich immer meine Favoriten 😉 Aber bei Disney erwarte ich schon gar nicht mehr das Original. Ich glaube mit Schneewittchen waren sie damals auch am nächsten dran (dieser Film wird auch immer mein Lieblings-Disney-Märchenfilm bleiben). Wie überrascht ich mal sein werde, wenn dann doch mal das Original über den Bildschirm flimmert… Nein wirklich, ich will von Disney dann unterhalten werden und lass mich dann überraschen was erzählt wird. So hab ich es auch bei Rapunzel getan und am Ende mitgelacht und auch ein wenig mitgelitten. Es ist sicher nicht der beste Film, aber ich kann ihn mir öfter als 1x ansehen 🙂

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    1. Das in der Tat. „Solider Disney-Film“ ist ja schon eine Auszeichnung. Ich müsste jetzt angestrengt überlegen, bis mir ein schlechter Disney-Film einfiele. Zumindest die, die ich gesehen habe, waren alle gut. Disney kann nur einfach mehr als das, was sie hier geboten haben.

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      1. Hmm also wenn dann eher die Disney Filme a la High School Musical, die ich echt nicht gute finde. Aber das ist auch wieder mein persönlicher Geschmack. Im Trickbereich würde mir auch keiner einfallen. Aber stimmt schon, Disney kann ein wenig mehr, als bei Rapunzel gezeigt wird 🙂 Ich freu mich da auch schon sehr auf den nächsten Einfall 😀

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