Ich telefoniere selten. Ich schreibe. WhatsApp, E-Mail, Tweet, Blogkommentar, auch die gute SMS. Ich bin mir nicht sicher, ob mein altes Smartphone überhaupt eine Telefonierfunktion hatte. Wenn es die Funktion gab, nach meiner exzessiven Nutzung hätte es aber bestimmt geglaubt, es wäre gestohlen worden und hätte den Dienst eingestellt. Wie gut, dass ich ein neues habe.


„Guten Tag, ich habe gerade Ihre Mail gelesen.“

Berufstätigkeit und Vorstellungsgespräche lassen sich nicht immer leicht vereinbaren. Wenn das Vorstellungsgespräch in München ist, wird die Sache noch ein wenig komplizierter. Das sind mit dem ICE über 4h Fahrt pro Strecke. Und noch komplizierter wird es, wenn in der angesetzten Woche gleich zwei Termine liegen, an denen Schulklassen kommen. Die lassen sich leider nicht verschieben, sondern nur absagen. Und da sehe ich mich in der Pflicht, diese Termine wo möglich wahrzunehmen.
Dienstag und Donnerstag gehen also bei mir nicht. Ich frage, ob Freitag möglich sei, das wäre für mich optimal. Man kann mir nur Mittwoch anbieten. Das bedeutet, dass ich die Vorbereitungen für Donnerstag aufteilen muss. Ein Teil am Montag, die Aufbauten am Donnerstag in der Frühe. Kein Problem, lässt sich organisieren. Interessanter ist die Bahnfahrt und die Übernachtungsmöglichkeit. Der Termin ist am Vormittag, 11 Uhr. Ich muss also am Tag vorher anreisen. Bei den Hotels selber zu buchen ist unmöglich. Es gibt nur noch Zimmer über Portale im Netz. Und die müssen mit Paypal bezahlt werden. Paypal und ich, das ist ein endloses Problem. Das löse ich irgendwann, aber ich brauche es zu selten, um akuten Druck zu verspüren. Glücklicherweise gibt es in unserer Familie mehrere funktionierende Paypalaccounts.

 

„Können Sie doch Freitag?“

24 Stunden später die nächste Mail. Offenbar ging bei der Terminplanung etwas schief, nun solle ich doch Freitag kommen. Ich jubiliere. Dadurch entspannt sich die Reise und ich kann ein paar Stunden Aufenthalt in München planen. München ist schön, davon konnte ich mich in diesem Jahr überzeugen, auch wenn ich vieles nicht gesehen habe. Doch damit beginnt das Telefonieren.
Ich schreibe an das Hotelportal, ob ich meine Reservierung ändern könne. Ich besteige den nächsten Zug, um eine halbe Stunde Bahnfahrt zum nächsten Reisecenter zwecks Ticketumtausch zu organisieren. In der Bahn ein Anruf. Im Funkloch. Die Strecke ist voll davon. Eine Münchener Nummer, die Personalabteilung. Ich wollte den Termin nach erfolgten Umbuchungen bestätigen. Ich warte ein weiteres Funkloch ab, rufe zurück. Und hatte etwas wichtiges vergessen. Der Gesprächspartner nimmt ab … und verschwindet. Ruft zurück.
„Verzeihung, ich dachte, ich hätte alle Funklöcher auf der Strecke durch, aber da kam noch eins. Ich wollte nur den neuen Termin bestätigen.“ Mein Gesprächspartner ist amüsiert, das höre ich. Pluspunkt: Er muss sich durch meine Gesprächseröffnung nicht erst für die Verschiebung entschuldigen, ich ergreife ja die Initiative. Ist zwar noch nichts organisiert, aber das kann ja nicht so schwer sein.

 

Günstig fahren

Tickets umzutauschen kostet Geld. Der Vorteil der Schalterbuchung: Ich habe keine Bahncard … Nein, ich hatte keine Bahncard. Nun habe ich eine Probebahncard, ein neues Ticket und dennoch 15€ zurückbekommen. Und die Fahrtkosten erstattet das Unternehmen in München ohnehin. Für die ist es günstiger als vorher, ich habe bloß 15€ Umtauschgebühren verloren, das kann ich verschmerzen. Und das Vorstellungsgespräch wird ein Erfolg werden, zwecks Wohnungssuche muss ich also ohnehin nochmal nach München fahren, die Bahncard rentiert sich dann auch für mich. Währenddessen eine Mail.

 

Gefangen in osteuropäischen Callcentern, die sich laut Vorwahl in Frankfurt am Main verstecken

Eine gewisse M., deren Name auf osteuropäische Herkunft schließen ließ, hatte mir geschrieben. Ich war erstaunt, dass die Mail es durch meinen Spamfilter geschafft hatte, sie war nämlich eine Zusammenstückelung von Textbausteinen, die händisch verbunden wurden und nicht viel Sinn ergaben. Ich erschloss mir folgende Aussage:

„Lieber Zeilenende,

bitte ruf uns bei Fragen an. Unser Vertrag erlaubt keine Terminverschiebung. Womöglich können wir ihn stornieren und neu buchen. Ruf bei weiteren Fragen an.

Viele Grüße,

M.

P.S.: RUF – MICH – AN!

Irgendwo in der Mail war eine Telefon-Nummer versteckt, die ich als Frankfurter Nummer identifizierte. Ich notierte mir meine Kunden-Nummer auf einem Zettel, vielleicht wäre es eine gute Idee, da einfach mal anzurufen. Die schrieben auf ihrer Homepage zwar, ich solle wann immer wie möglich eine Mail schreiben statt zu telefonieren, aber das Verlangen war übermenschlich. Nun denn, ich wählte und hatte nach kurzer Zeit eine Kollegin von M. am Ohr, ebenfalls mit osteuropäischem Sprach-Hintergrund. Das irritierte mich. In Hessen gibt es für gewisse Fächer „Leuchttürme“: Die Alma Mater hat Nah- und Mittelost-Studien bekommen, die Osteuropa-Wissenschaften waren hingegen irrsinnigerweise nach Gießen gewandert, aber doch nicht nach Frankfurt.

M.s Kollegin teilte mir mit, dass meine Kunden-Nummer nicht zu mir gehöre, sondern zu einer Dame mit arabisch klingendem Namen. Meine Verwirrung war groß. Mein Name klingt reichlich kartoffelig. Mein Name klingt so nordeuropäisch-weiß, dass Alpina eine ihrer Raumfarben danach benennen wollte. M.s Kollegin und ich einigten uns darauf, dass ich die Buchungs-Nr. heraussuchen würde und mich dann erneut meldete.

Gesagt, getan. Ich rief meine Mails ab, notierte die neue Nummer und wählte Frankfurt. Ich war gespannt, welche Kultur ich nun in diesen Beitrag integrieren könnte. Aber es war wieder Osteuropa. Ich nannte Osteuropa meine Buchungs-Nr. und … Landete in der Warteschleife. Aus der mich M. befreite. Und auch M.s Zunge hat osteuropäischen Intonationshintergrund. Richtig geraten.

Bevor das hier zu rassistisch wirkt: M. war sehr nett und bemüht. Sie schaute freundlicherweise noch einmal nach, ob ich meine Übernachtung verschieben könne. Leider war eine Umbuchung aber nicht möglich. Vom Vertrag könne ich auch nicht zurücktreten. Also fragte ich nach, ob man mich nicht für das neue Datum in einem Schlafsaal unterbringen könne. Ich hatte immerhin ein Hostel gebucht und solange M. beim Hostel dafür sorgen könnte, dass ich unten schlafen dürfe (ich habe Angst vor Hochbetten), würde ich einen Schlafsaal in Kauf nehmen.

M. fand die Lösung gut, musste mich aber vertrösten. Sie sei nur im Callcenter, sie werde die Anfrage an die Agentur weitergeben, die werden das Hostel kontaktieren. Nun sei aber schon Freitag Mittag. Wahrscheinlich werde man mir erst Montag Bescheid geben können. Ob mir das reiche? Natürlich würde mir das reichen. Ich sagte M., ich wisse doch, dass Sie ihr Bestes tun würde, damit ich noch heute eine Antwort bekommen werde, aber wenn es Montag werde, dann sei es eben so.

 

Epilog: Haarscharf vor dem Funkloch

Ich saß im Zug, eine halbe Stunde nach dem Telefonat mit Frankfurt und es läutete. Eine Frankfurter Nummer. M. teilte mir erfreut mit, dass meine Buchung geändert werden könne: Der Preis bleibe gleich und ich bekäme ein Einzelzimmer. Ich dankte M. überschwänglich, wünschte ihr ein schönes Wochenende und sie mir eine gute Reise. Ich wollte gerade auflegen, da brach die Verbindung zusammen. Funkloch. Keine Verbindung zur Außenwelt für die nächsten 20 Minuten.

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Erst an der Stelle, kurz vorm Heimatbahnhof, kriegt man wieder Empfang.

10 Kommentare zu „Mein altes Smartphone hätte den Diebstahlschutz aktiviert

  1. ich bin völlig verwirrt. Auch leicht verwirrt geht es mir wie „allesvonherzen“ und ich habe schmunzelnd und gerne diesem Abenteuer beigewohnt. Die Änderung der Buchung scheint geklappt zu haben. 🙂

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  2. Hmmmm, und wieder kein Job für den lieben Zeilenende! So kann das nicht weitergehen. Haben wir hier irgendwo einen gelangweilten Multimillionär, der zufällig einen Bibliothekar für seine Garage braucht. Ein üppiges Monatssalär und sehr entspannte Arbeitszeiten würde ich ihm ja schon gönnen… 😉

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  3. Ach ja, und Telefonieren ist (neben SMS-Schreiben) mit Abstand die am wenigsten genutzte Funktion meines iPhones. Obwohl sie funktioniert, ich habe mich dessen schon versichert. Aber allzu oft verlangt es mich nicht danach. Von den 50 Freiminuten im Monat verfallen die meisten. Bekäme ich dafür ersatzweise Unmengen an Datenvolumen geschenkt, würde ich ja jubeln…

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  4. Ich hatte mein neues Handy schon einige Wochen, sass im Auto und musste dringend meinen Mann anrufen. Kurz und knapp: ich habe es nicht geschafft. Ja, es ist peinlich, weiss ich selbst.

    Deine Geschichte klingt stressig, ich bin schon beim Lesen ganz kurzatmig geworden.

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