Drei Stunden Irrsinn. Drei Stunden ein überragender Leonardo diCaprio. Drei Stunden lang stelle ich mir die entscheidende Frage, die zu Beginn des Films fällt: Wie soll man das anders durchstehen als mit Drogen und Nutten?

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Der junge, unerfahrene New Yorker Börsenmakler Jordan Belfort träumt den amerikanischen Traum – und wacht auf in der korrupten Realität des Kapitals, das nur eine Maxime kennt: hemmungslose Habgier. Als Broker jongliert Belfort bald mit Millionen, feiert Ende der 80er-Jahre exzessive Erfolge mit seiner Maklerfirma Stratton Oakmont und entwickelt schon mit Anfang 20 seinen radikal luxuriösen Überflieger-Stil – was ihm den Titel Der Wolf von der Wall Street einbringt. Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit. Geld. Macht. Frauen. Drogen. Sie konnten allem widerstehen – außer der Versuchung: Belfort und seine Wolfsmeute ließen sich von keiner Behörde einschüchtern, Bescheidenheit ersetzten sie in ihrer Ellbogengesellschaft durch eiskalte Arroganz. Einfach immer mehr. Und selbst das war nie genug.

Die miesen Geschäftspraktiken des Finanzkapitalismus

Nutzt die Gier der Anderen: Wenn sie mit einem Geschäft Profite machen, lenkt ihre Profite in neue Geschäfte. Der Broker verdient sofort, der andere muss lernen, in der Profiterwartung zu verharren. Oder kurz: „Halte die Kunden im Riesenrad fest.“ Wenn du das eklig findest, betrachte es als moralische Mission: Deine Kunden sind Idioten, wenn sie sich von dir über den Tisch ziehen lassen. Und Geld ist in deinen Händen besser aufgehoben als in der von Idioten.

So oder so ähnlich lässt sich die Moral des Ganzen, was als Film daherkommt, zusammenfassen. „The Wolf of Wall Street“ ist ein Film voller verfickter Zyniker. In diesem Film gibt es keine einzige sympathische Figur. Die Wall-Street-Leute sind ohnehin keine Sympathie-Träger, Jordan Belforts Frauen ebensowenig, weil sie dessen Geldgier beide bedingungslos unterstützen. Auch die Vertreter der Staatsmacht sind keine Sympathieträger, höchstens intellektuell. Ihr Stil und Auftreten macht sie von den Börsenmaklern aber kaum unterscheidbar – wohl zwingende Voraussetzung um mit Börsenmaklern umzugehen, die Lüge und Betrug als Kunst regelrecht zelebrieren.

Ein Film über eine Firma die mit einem firmenkritischen Artikel erst so richtig durchstartet, ein Film, in der so viele Aussagen für den Film stehen, dass ich einfach mit Zitaten um mich werfen könnte. Wie wäre es damit: „Das war obszön, aber nur in der normalen Welt … Und wer will da schon leben?“ Warum diesen Film schauen?

Das perverse Vergnügen an der Dekadenz

„The Wolf of Wall Street“ basiert auf einer wirklichen Geschichte, die ich nicht näher kenne und deshalb nicht darauf eingehe. Vielleicht hat der Film dokumentarischen Wert, aber damit erklärt sich nicht, wieso ich drei Stunden vor dem Fernseher zugebracht habe. Drei Stunden, schon die Länge deutet an, was dieser Film ist. Wie viele Filme haben schon eine Laufzeit von drei Stunden? Nur sehr wenige, gefühlt dauert ein Film durchschnittlich 90-120 Minuten. 180 Minuten sind cineastischer Exzess. In diesem Fall geht das Schauen selbst eine unheilvolle Verbindung mit dem Geschauten ein, denn der Film bietet zwar Einblicke in die Wirtschaftswelt, aber vor Allem feiert er mit schnellen Schnitten und hektischen Kamerabewegungen den Exzess in jeder Form. 180 Minuten lang Drogen, Sex, Protz und Verschwendungssucht. Und selbst wenn der Film vorgibt zu entschleunigen, das Erzähltempo ruhiger wird, die Kamera sich entspannt, der Exzess geht weiter, denn nun predigt Jordan Belfort als Messias der Geldgier darüber, wie man andere Menschen manipulieren kann, genau so geldgierig zu werden wie die Broker, die ihm zuhören. Gottesdienste des Kapitalismus, das ist intellektuelle Dekadenz, verbaler Exzess.

Warum liest man „Cena Trimalchionis“, „Gegen den Strich“, „Das Bildnis des Dorian Gray“ oder „Die 120 Tage von Sodom“? Diese Werke als Satiren oder Gesellschaftskritik zu begreifen, greift zu kurz. Zumindest mir geht es so, dass alle Kritik unter der zur Schau gestellten Dekadenz zusammenbrechen muss. Vulgarität besiegt jede Botschaft. Es ist der Exzess, dem ein beklemmendes Denkmal gesetzt wird. Schaurige Schönheit, wenn man so will.

Aus dem gleichen Grund macht „The Wolf of Wall Street“ so viel Spaß. Jordan Belfort kennt kein Maß, ist völlig enthemmt und kennt keine Grenze. Der Film ist eine Spirale des Kontrollverlustes, inhaltlich wie formal. Und auch der Zuschauer verliert die Kontrolle. Immer wieder möchte man schreien: „Stop! Genug!“ Aber es fehlt die Kraft, den Film zu stoppen. Er überwältigt und überfordert den Zuschauer damit, dass er immer noch eine Idee hat, wie sich die Gier und die Vulgarität steigern lässt.

Leonardo DiCaprio

Der zweite Grund, diesen Film zu schauen, ist Leonardo DiCaprio. Der lächelnde, freundliche Muster-Schwiegersohn Leonardo DiCaprio, zugleich der aalglatte Schleimer, der geschickte Menschen-Manipulator, der hilflose Drogenjunkie und der vor Selbstbewusstsein strotzende Selfmade-Man, in einem Moment der liebende Familienvater, im nächsten Moment Rumpelstilzchen. Leidet DiCaprio eigentlich an Tourette, dass er das so überzeugend hinbekommt? Man hasst seinen Jordan Belfort, dann hat man Mitleid mit ihm, entwickelt zwischendurch Sympathien, geht seinem manipulativen Geschwätz auf den Leim, um ihn dann wieder zu hassen. Auf so eine Achterbahn bin ich schon lange nicht mehr geschickt worden. Und meine tiefe Verbeugung vor der großen Schauspielkunst, in der Leonardo DiCaprio minutenlang völlig „drauf“ versucht, in seinen Wagen zur robben, krabbeln, purzeln. Oder dieser kindliche Unglauben, mit dem er in die Kamera blickt, als seine Figur alles verloren hat. Leonardo DiCaprio spielt in diesem Film wahrlich groß auf.

Was will der Film uns sagen?

Was ist die Botschaft des Films? Jordan Belfort verliert alles, weil er der große Blender seiner selbst ist. Am Anfang bekommt er den Rat, seine Provision einzustreichen und seine Kunden im System zu halten, damit sie ihn mit immer neuen Provisionen füttern. Aber das System blendet sich selbst: Die Gier der anderen auszunutzen setzt eine eigene Gier voraus – oder weckt sie. So blendet sich auch Jordan Belfort: Er scheitert nicht am System, das ihm sehr entgegenkommt. Er scheitert an sich selbst. Statt den Gewinn einzustreichen und aufzugeben kämpft er weiter, weil er nicht alles bekommt.

Grenzenlose Gier führt zu grenzenlosem Irrsinn, das ist womöglich eine zweite Botschaft des Films. Sein Leben zu riskieren wegen 20 Millionen Dollar, obwohl man ohnehin stinkend reich ist, das  ist ganz großer Irrsinn. Mit dem Schiff durch stürmische See, Titanic-Gefühle machen sich breit, der Größenwahn lässt grüßen.

Aber ist das die Lektion des Films? Drei Stunden lang feiern wir den Exzess, obwohl das Giersystem des Jordan Belfort wackeliger und wackeliger wird. Aber das ist uns egal, wir erfreuen uns daran, dass mehr und mehr verschwendet wird. Uns geht es nicht um eine Kritik des korrupten Systems, die Ermittlungsbehörden mit ihren Deals sind genau so widerwärtig wie die Finanzjongleure der Wall Street. Und wenn das eine Geschäftsmodell zusammenbricht, fangen wir mit den gleichen Mitteln von vorne an. Nein, der Film kennt keine Moral.

Fazit

Es gibt drei Gründe, diesen Film zu sehen und einen, ihn nicht zu sehen. Der Grund, weshalb man diesen Film nicht sehen sollte: Er lässt hoffnungslos zurück. Wer auf eine Kritik am Finanzkapitalismus hofft, womöglich am Ende den Triumph des Anstands erwartet, der wird schwer enttäuscht. Der Film lässt sich als kritischen Kommentar, als Realsatire verstehen, aber darum geht es ihm nicht. Wer den Film mit dieser Erwartung ansieht, wird womöglich traumatisiert sein, nachdem er drei Stunden gelitten hat.

Wer hinreichend desillusioniert ist, kann drei Stunden lang den Exzess genießen (Pro 1), und sich Bestätigung holen, dass die Menschheit verdorben und dem Untergang geweiht ist (Pro 2), vor Allem aber spricht für diesen Film die Schauspielkunst von Leonardo DiCaprio (Pro 3). Wer es schafft, eine der schmierigsten Filmfiguren, die ich je erlebt habe, so grässlich sympathisch zu machen, hat drei Stunden Aufmerksamkeit durch den Zuschauer verdient. Am Ende des Films mag dem Zuschauer übel sein, aber auf perverse Art und Weise wurde er zugleich bestens unterhalten.

11 Kommentare zu „Besprechung: The Wolf of Wall Street

  1. Man erkennt deutlich zwei Dinge in diesem Film. Zum einen, was machbar ist, tut der Mensch und zum anderen, dass sich das amerikanische System auf Gier aufbaut (habe für US Firmen gearbeitet). Leo hätte den Oscar bekommen müssen, aber das hätte der US Finanzwelt nicht gefallen, denn im Land der Freien und Tapferen glaubt nach wie vor jeder an die „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ Geschichte und bewundert seine Reichen, die es geschafft haben. Danke für deine gute Rezi.

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