Mein erstes Literaturfestival! Also jetzt nicht überhaupt, aber als Personal und damit als Gastgeber. Vorbereitungen treffen, Leute begrüßen, mit dem Künstler plaudern, freundlich auf die Garderobe hinweisen und ein kleines Schmankerl in der Hinterhand behalten – daran könnte ich mich gewöhnen.

Lars Ruppel, Poetry Slammer aus dem tiefsten Hessen, mittlerweile in Berlin ansässig, hat es mir aber auch leicht gemacht. Ein gewisse Nervosität konnte ich nicht leugnen. Vorträge organisiert habe ich schon häufiger, die Gäste waren aber immer aus dem akademischen Betrieb und deren Habitus ist mir vertraut genug, keine Berührungsängste zu haben. Mit „Künstlern“ hatte ich hingegen noch nicht zu tun. Dass das auch bloß Menschen seien, musste ich mir erst beweisen. Und Lars Ruppel in seiner jovialen, freundlichen Art, hat es sehr eindrucksvoll bewiesen.
Die Veranstaltung war kein Poetry Slam. Lars Ruppel war der einzige Gast und geladen, etwas zu machen und aus seinem Buch „Holger, die Waldfee“ zu lesen. Und gemacht hat er dann auch was. Er hat erzählt. Frei von der Leber weg, wie es wirkte. Sprache, so konnte man nicht nur hören, sondern erleben, sei ein Erlebnis, dem Poeten gehe es um das Faszinosum, was man mit Worten so alles anstellen kann. Texte, das sind Heilmittel, denn Papier ist ein guter Zuhörer. So erzählte Lars Ruppel von seiner Jugend mit Holzkrawatte, im Bademantel, mit Spikes-Frisur und dem Bedürfnis, ständig in Gebüsche zu springen. Eine Landjugendrebellionsphase, in der sich die Wut eines Teenagers irgendwie Bahn brechen muss. Und Papier saugt diese Wut auf. Trägt man die sprachlich veredelte Wut dann vor, kann einem Erstaunliches passieren. Denn der Prozess des Schreibens ist nicht dokumentarisch, er verändert etwas: Im Schreiber verändert sich beim Schreiben etwas, wie sich der Text im Schreiben verändert. Das kann ich bestätigen, auch wenn ich keine Gedichte produziere verfertige schaffe, sondern mit meinen Blogeinträgen nach Gedanken suche.

Für Ruppel steht am Ende der Poetry Slam, bei dem es vor Allem ums Freibier geht, das besondere Erlebnis, dass dort Leute sind, die es gut finden, wie der einzelne Slammer mit Sprache etwas anstellt. So wie bei uns Bloggern der Druck auf den „Publizieren“-Knopf steht. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber die Kommentare unter den Beiträgen sind für mich genau so Teil des Bloggens wie das Verfassen der Beiträge.
Lars Ruppel erzählte an diesem Abend viel. Er trug Texte vor, mit „Liebe Julia“ meinen absoluten Favoriten, aber auch Neues. Er erzählte die Geschichte der „Heide Witzka“ wie die der „Kuh vom Eis“, die für die BILD-Zeitung Schlagzeilen tippt. Vor Allem aber zeigte er, dass Gedichte leben müssten. Gedichte, das sei nicht das Aufsagen von Worten, das sei Rhythmus, das sei Mimik, das sei Gestik und Performance. Das leuchtete auch mir ein, der mit dem Lesen von Poesie nicht viel anfangen kann.

Was das praktisch bedeutet, war allerdings der eindrückliche Höhepunkt des Abends, als Ruppel von seinem Projekt „Weckworte“ zur Poesie in der Pflege erzählte. Unsere Demenzkranken könnten auf Knopfdruck die ganze „Glocke“ abspulen, aber, so fragte Ruppel: Wollen wir die Dementen als Jukebox missbrauchen? Ist das ein glückliches Leben in Demenz, in dem immer wieder der gleiche stereotype Trigger abgerufen würde? Ruppel verneinte, auch mit Demenz habe man das Recht auf Neues oder zumindest eine indivduelle Ansprache. Er verdeutlichte das an mehreren Beispielen, am besten hängen geblieben ist mir Tucholskys „Mutterns Hände“:
Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm –
un jewischt und jenäht
un jemacht und jedreht …
alles mit deine Hände.
Das Gedicht sagt „Danke“ und was liegt näher, als es zum Dankesagen zu benutzen? Das Gedicht sagt doch eindeutig wie: Man trage dieses Gedicht vor und halte dabei die Hände einer alten Frau, die ihr Leben als Hausfrau, Mutter, Oma verbracht hat, streichele über den Handrücken. Die Ansprache ist gleich eine ganz andere und viel persönlichere als der Erlkönig in Endlosschleife.
Die Veranstaltung war amüsant, dem Publikum hats gefallen, auch wenn der Veranstaltungsraum zu groß geraten war für diesen Abend. Weiß man’s vorher? Egal, die Verlorenheit gab sich durch die Atmosphäre, die Einbindung des Publikums. Mein persönliches Highlight war aber das Lob für meinen Kuchen. Ich hatte den Kolleginnen wegen Apfelüberschuss (ich berichtete) Apfelkuchen gebacken. Als der Künstler nach einem Happen Süßem fragte, offerierte die findige Kollegin sogleich den Kuchen, pries ihn als von mir selbst gebacken an, inkl. Äpfeln aus dem eigenen Garten und selbstgemachter Brombeermarmelade als Topping. So bin ich doch zu einer etwas speziellen Widmung in meinem Büchlein gekommen.

Glückwunsch für das gelungene Event – wie hätte es anders sein können 😉
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Stimmt, mit so einem unkomplizierten Künstler ging es gar nicht anders. Okay, und dank der lokalen Slammerszene, die den Abend durch Stimmung hervorragend abgerundet hat.
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Die Widmung ist cool 😀
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Auf die bin ich auch sehr stolz. 🙂
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Ha, wofür Dein Backtalent alles gut ist! Gratulation! 🙂
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Danke. Wenn ich sonst nix werd, mach ich doch in Cafés. ^^
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