Lebensmittelgefahr die nächste: WHO erklärt, man solle lieber Würstchen rauchen und Zigaretten essen statt umgekehrt. Oder warum nichts so krebserregend gegessen werden sollte, wie man es zubereitet.

Grafik erstellt von Hans Hillewaert, CC BY-SA 3.0

Der folgende Beitrag ist weder ernährungswissenschaftlich noch medizinisch oder biologisch in Studien fundiert. Er bedient andererseits aber auch nicht das Ressentiment: „Ich habe BSE, Maul- und Klauenseuche, Dioxin und Molekularküche überlebt, also macht mir der neueste Trend auch nichts.“ Also nicht ausschließlich. Und natürlich geht es nicht um Krustentiere. Die gehören meines Wissens nach nicht zur Kategorie „rotes Fleisch“.

Fangen wir mit den groben Fakten an: Die Presse berichtet darüber, dass der Konsum verarbeiteten roten Fleisches ein Risikofaktor für Krebserkrankungen, insb. Darmkrebs sei. Die Einzelheiten darüber möge jede*r der bevorzugten Tageszeitung entnehmen, ich habe mir auch nur den nächstbesten Artikel herausgegriffen. Die Krebsgefahr steigt bei regelmäßigem hohen Konsum an, die WHO empfiehlt deshalb, den Fleischkonsum zu begrenzen, auch wenn sie gleichzeitig das Fleisch nicht verdammen will.

An den Meldungen fällt auf: Es wird von „verarbeitetem roten Fleisch“ gesprochen. Das Fleisch wird geräuchert, gepökelt, gegrillt, gebraten, gebacken. Das „unverarbeitete rote Fleisch“ ist ein kleinerer Risikofaktor für Krebserkrankung als das verarbeitete und wird in der Berichterstattung meiner Beobachtung nach ignoriert. Munition für mehr Vegetarismus? Womöglich, in mir keimt aber ein Verdacht.

Lebensmittelzubereitung ich ein Risikofaktor: Was den Einsatz von Nitritpökelsalz in der Zubereitung vegetarischer oder veganer Produkte angeht, bin ich nicht informiert, aber zumindest Tofu wird geräuchert wie Schinken, manches Gemüse wird scharf angebraten wie ein Steak und gegrillte Gemüsespieße waren schon vor der vegetarischen Revolution ein netter Hingucker auf dem Grillbuffet. Räuchern und Grillen ist dem Krebswachstum ebenso dienlich wie das Erhitzen von Nitritpökelsalz, auch wenn bei Letzterem ein ideologischer Konflikt tobt. Sagen wir: Derzeit steigert es das Krebsrisiko. Und was das Grillen und scharfe Anbraten angeht, da fällt mir doch spontan das Acrylamid wieder ein.

Verarbeite ich Fleisch zu Wurst, Rumpsteak oder Schwarzwälder Schinken, benutze ich also eine potentiell gesundheitsschädigende Zubereitungsform. Oh Wunder, dass das verarbeitete Fleisch damit dem Krebsrisiko dienlich ist. Wenn ich mein T-Shirt rot färbe, wird das rot. Der Zusammenhang ist trivial. Das Krebsrisiko liegt wesentlich an der ungesunden Verarbeitung der Produkte. Wenn ich ein Stück Bioschweinefleisch nehme, es durch den Wolf drehe, mit Salz, Pfeffer und anderem würze, es als „Thüringer Mett“ verkaufe, habe ich das Problem nicht mehr – denn so wie die Erkenntnisse in der Presse verkauft werden, ist der Zusammenhang zwischen Schweinemett und Krebsrisiko weitaus weniger gesichert. Ich vermute: Räuchertofu ist der größere Risikofaktor. Vielleicht sogar der von gegrilltem Brokkoli.

Die aktuelle Studie fasst damit nur systematisch zusammen, was vereinzelt schon recht gut belegt ist. Dennoch bietet sie einen Mehrwert. Sie erinnert daran, dass Fleisch oft ein hochgradig verarbeitetes Lebensmittel ist. Je mehr Verarbeitungsschritten ein Urprodukt ausgesetzt ist, desto mehr kann es einerseits veredelt werden, desto mehr Risiken schleichen sich womöglich ein. Das gilt für gebratene Kasselerscheiben (gepökelt und hoch erhitzt) genau so wie für die Gemüselasagne aus dem Tiefkühlregal. Jeder Verarbeitungsschritt bedeutet, dass die dahinterstehende Chemie komplexer wird – unterschiedliche Substanzen werden zusammengeführt und zeitigen möglicherweise überraschende Effekte. Und wenn man Pech hat, gibt es ein böses Erwachen, dem ein baldiges Nie-mehr-Erwachen folgt.

Was folgt daraus? Mehr Veganismus und weniger Fleischfresserei? Wenn man es so betrachten möchte, dann ist der Profiteur dieser Studie am Ehesten noch die Paleo-Bewegung. Aber auch nur, wenn das Lagerfeuer vor der Höhle vorsichtig eingesetzt wird. Sicher, auch mancher Vegetarier oder Veganer kann auf der sicheren Seite sein, aber sobald sie ein Faible für Margarine haben, empfehle ich zur Erheiterung und Aufklärung bzgl. des Themas „verarbeitete Lebensmittel“ die verlinkte Episode von „Da wird mir übel

Für mich folgt daraus aber vor Allem: Hier wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das größte Krebsrisiko, das wir eingehen, ist nicht das Rauchen. Das größte Krebsrisiko ist der Mensch selber oder vielmehr seine steigende Lebenserwartung. Je älter wir werden, desto größer das Risiko, an einer der zahlreichen Krebserkrankungen zu leiden. Krebs lässt sich meiner Ansicht nach auch nicht richtig als „klassische“ Krankheit, ausgelöst durch Bakterien oder Viren oder sonstwas bezeichnen. Krebs ist unser Rost. Bei guter Pflege macht es unser Körper besser, wird womöglich zum Oldtimer, bei schlechterer Pflege rostet einem der Boden unter den Füßen weg. Der modernen Medizin verdanken wir nicht nur, dass Krebs vielfach „heilbar“ ist, das massenhafte Auftreten (oder die massenhafte Diagnose) von Krebserkrankungen verdanken wir ihr ebenso.

Krebs ist die Frage: Wie willst du leben? Willst du ein scheckheftgepflegter Garagenwagen sein, der einmal im Monat auf eine gemütliche Landpartie darf? Oder möchtest du doch lieber ein VW Bulli sein, der Umzüge bewältigt, mit dem man zum Surfen an den Strand fährt und der am Ende in der Brandung steht, weil dein Fahrer mit zugedröhntem Kopf diese irre Idee hatte, nur noch Wellen sehen zu wollen? Okay, das ist reichlich romantisch, keine der beiden Optionen ist sonderlich reizvoll. Aber aus der Studie folgt nicht, dass wir unbedingt entsagen sollen. Aus ihr ergibt sich auch keine Forderung, unser Essen noch weiter zu moralisieren. Aber sie gibt uns einen Anstoß, über das gute Leben nachzudenken.

Und wenn ich ehrlich bin: 50g hauchdünn aufgeschnittener Schwarzwälder Schinken haben entschieden mehr Sexappeal als ein um 18% geringeres Darmkrebsrisiko.

5 Kommentare zu „Verarbeiteter und unverarbeiteter Krebs

  1. Nicht erst seit unserer neuen Küche sind wir daheim sehr darauf bedacht, die Zubereitung unserer Lebensmittel in die eigene Hand zu nehmen, denn da wissen wir genau, was hinzugefügt wurde.

    Aber wenn man in die Länder der sog. »Ersten Welt« blickt, tut sich genau da die Schere zwischen Arm und Reich auf: Die einen können sich das Geld und die Zeit nehmen und Slow Food kaufen oder zubereiten, die anderen haben weder das Geld noch die Zeit. Warum erhalten die Discounter mit ihren monströsen Paletten an Fertiggerichten seit Jahren diesen enormen Zulauf?

    Immer wieder tauchen öffentliche Überlegungen in den Medien auf, ob man nicht ein Fach wie »Ernährung« in der Schule anbieten sollte. Nach dem Genuss des Films »Supersize Me« fände ich das gar nicht so falsch…

    Vielen Dank für deine Denkanstöße! 👍🏻

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    1. Immer wieder gern. Im Zweifel ist es eher der Bequemlichkeitsfaktor, denn man kann sich letztlich günstiger ernähren, wenn man auf Fertiggerichte verzichtet, das habe ich im Selbstversuch herausgefunden. Was „Ernährung“ betrifft, wird das in der Grundschule vermittelt, später soweit ich weiß noch einmal im Bio-Unterricht. Aber ein eigenes Schulfach dafür? Ich denke, das gibt das Thema auch nicht her. Wobei mir ja eh immer die Ohren klingeln, wenn irgendwo neue Fächer gefordert werden. Manchmal habe ich das Gefühl, man wolle Familie abschaffen und die Kinder einfach 24h/Tag beschulen … Eigentlich eine schöne Vorstellung. *g*

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  2. Zuviel ich weiß, bildet Nitritpökelsalz, welches zum haltbar machen von Wurst und Fleisch eingesetzt wird, im Magen und Darm krebserregende Nitrosamine. Gemüse, welches mit stickstoffhaltigen Dünger hochgezüchtet wird, ist ebenso ungesund. Nitrate im Gemüse wandeln sich bei Aufnahme im Körper zu Nitrite um und diese wiederum zu den krebserregenden Nitrosaminen. Egal was man isst, ob Fleisch oder Gemüse…vll kommt es auf das gesunde Maß an, um nicht an Krebs zu erkranken.

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  3. Mir fällt ein ziemlich blöder Witz dazu ein:
    ein junger Mann bittet den Kioskverkäufer um eine Schachtel Zigaretten. Der Verkäufer reicht ihm eine Schachtel mit der Aufschrift „Rauchen kann zu Impotenz führen. Der Junge Mann gibt dem Kioskverkaäufer die Schachtel zurück und sagt, „Geben Sie mir lieber die mit dem Lungenkrebs.“

    Wenn es doch nur so einfache Kausalzusamenhänge wären…

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