Ich habe mich dazu entschieden, nicht mehr von Rezensionen zu sprechen, wenn ich über Bücher, Serien, Musik oder Filme (vielleicht irgendwann mal wieder) schreibe. Auslöser ist das Buch, das heute dran ist und dessen Verwurschtelung ich in diesem Blog angedroht habe.
Rezension ist in meinen Augen ein sehr enger Begriff, in dem es um Vorzüge und Schwächen von Machwerken geht, vor Allem aber eng an der Vorlage bleibt. Natürlich vermitteln Machwerke auch immer Ideen, auf die man in Rezensionen eingehen kann, aber es bleibt doch eng am Machwerk. Als die Rezension zum heutigen Machwerk in meinem Geiste entstand, merkte ich, dass ich weniger über das Buch und mehr über die dahinterstehende Idee sagen wollte.

Inhalt laut randomhouse.de
Es gab eine Zeit, da wusste Biz Stone nicht, ob sich sein Social- Media-Start-up jemals einen Namen machen würde. Heute lautet die Frage eher, wer den Namen Twitter nicht kennt. Glaubwürdig, unterhaltsam und informativ beschreibt der Autor den unerwarteten Erfolg seines Unternehmens, aber auch seinen eigenen, und erzählt die bemerkenswerte Geschichte seines Lebens und seiner Karriere – wie er von einem unbekannten, hoch verschuldeten Internet-Nerd zum Gründer und Sprachrohr eines der bekanntesten Kommunikationsmedien der Welt wurde. Biz Stone zeigt überzeugend auf, wie man mit Selbstvertrauen und einem unerschütterlichen Glauben an sich selbst eigene Grenzen, Ängste und Selbstzweifel überwinden und dabei das kreative Potenzial ausschöpfen kann, das in jedem von uns steckt. Das perfekte Buch für alle, die mehr aus sich und ihrem Leben machen möchten – von einem der erfolgreichsten Unternehmer des 21. Jahrhunderts!

Motivierend
Biz Stone versammelt einige Weisheiten, die ich mir auch zu eigen gemacht habe. Seine Kunst besteht darin, sie gleichzeitig nett verpackt zu erzählen und so auf den Punkt zu formulieren, dass mir meine eigenen Weisheiten noch einmal klarer vor Augen stehen. Diese Weisheiten sind, von mir zu Stone wieder in meine eigenen Worte übersetzt:
- Fehlschlag? Mund abwischen, weitermachen.
- Für einen großen Erfolg muss man gewillt sein, viel zu riskieren.
- Sich seiner eigenen Träume explizit bewusst zu werden, ist die halbe Miete: Du gewinnst Zuversicht und dein Selbstbewusstsein hilft dir gegen unbewusste Selbstsabotage.
- Häng dich nicht daran auf, was nicht geklappt hat, sondern halte dich an das, was funktioniert hat.
Diese Weisheiten mögen banal klingen und sie sind natürlich nicht alles. Aus seinen Fehlern zu lernen ist auch eine Tugend, aber letztendlich muss man mit den Fehlern abschließen, damit sie nicht ewig kleben bleiben und sich hemmend auswirken. Die Lektüre des Buches war von dieser Warte betrachtet Selbstbestätigung, zugleich kritische Reflexion und ermutigend, denn: Hey, der Kerl hat Twitter erfunden und maßgeblich daran mitgewirkt, es zu einem Riesenerfolg zu machen.
Redundanzen
Stone ist gut darin, Anekdoten zu erzählen und einfache Beispiele aus seinem Leben als Archetypen für seine Weisheiten einzusetzen. Etwa nach der Hälfte des Buches beginnt er allerdings, sich ständig zu wiederholen. Typisches Erzählmuster Stones: Er fährt irgendwo hin, plappert drauf los, und er wiederholt seine Weisheiten. Manchmal erzählt er die gleiche Geschichte auch noch einmal, um zu betonen wie wichtig diese oder jene Einsicht war. Es sind immer die gleichen Phrasen und Wörter, er spricht immer wieder von Risiko, Menschlichkeit und Transparenz, ohne diesen Worten eine Bedeutung zu geben, selbst wenn er sie mit neuen Beispielen für deren Wichtigkeit unterfüttert. Die Begriffe bleiben plakativ. So lassen sie sich auf jede Lebenssituation übertragen, schmälern aber die Lesefreude.
Hinzu kommt die Neigung Stones, sich selbst voller Understatement darzustellen, als Typ, der irgendwie dahin gestolpert ist, wo er hingekommen ist, der immer bloß gequatscht und rumgesponnen hat, dessen Erfolg also zufällig und unglaublich ist. Das mag Stone sympathisch machen, andererseits widerspricht es seiner Betonung, wie wichtig es ist, sich auf die Realisierung seiner Träume hin zu orientieren. Understatement und Selbstbewusstsein schließen sich nicht aus, aber bei Stone wird die Mischung immer wieder unglaubwürdig.
Stones Rezepte und wie er ihnen zugleich widerspricht: Gießkanne und Mitgefühl
Stones Rezepte sind vor allen Dingen zwei. Erstens empfiehlt er zumindest in der Social-Media-Branche, viele kleine Start-ups zu füttern, damit möglichst viele kreative Ideen entstehen, die das Leben bereichern. Zweitens spricht er von Mitgefühl als treibender Kraft der Menschheit und fordert mehr davon in der Welt.
Das erste Rezept verwirft er, sobald es an globale Probleme geht. Statt das Prinzip auf die Medizin zu übertragen fordert er einen Zusammenschluss aller Onkologen der Welt, die sich nacheinander jede einzelne Krebsart vorzunehmen und eine gute Behandlung zu entwickeln. Ich hielt es für plausibler, hier ebenfalls die vielen kleinen kreativen Ansätze zu nehmen und sie breit zu fördern. Krebs ist kein zu lösendes Problem, es ist immer eine individuelle Erkrankung, die man nicht kochbuchhaft lösen kann. Da macht Stone es sich zu einfach.
Das zweite Rezept ist Fassade, wenn man zum Schluss kommt. Dort erklärt Stone explizit, wieso Mitgefühl so eine tolle Sache ist. Er beschreibt das Gefühl, jemandem bei einer Autopanne zu helfen.
Wie gut würden wir uns dann fühlen? Großartig! Was bin ich doch für ein toller Mensch! Ich habe angehalten und jemandem in einer Notlage geholfen. [Herv. i. O.] Wir wären von gerechtem Stolz erfüllt. Wahrscheinlich würden wir jeden Vorwand nutzen, um anderen von unserem humanitären Einsatz zu berichten. „Oh, ihr seid heute mit dem Auto zur Arbeit gekommen? Das erinnert mich daran, wie ich … „
Tu Gutes und sprich darüber mag eine stereotyp amerikanische Einstellung sein, vielleicht ist das ein kulturelles Problem. Für mich klingt es aber eher so, als ob jemand, der so spricht, geholfen hat, nur um darüber sprechen zu können. Das Mitgefühl, das wir gezeigt haben, wird entwertet, weil es nur Vehikel für den eigenen Egozentrismus ist: „Was bin ich doch für ein toller Mensch!“ Mit seiner eigenen Schilderung macht Stone deutlich, dass Mitgefühl eben keine Selbstverständlichkeit ist, auch nicht angeboren, sondern etwas, das man lernen und dem natürlichen Egozentrismus erst einmal abtrotzen muss.
Damit nicht genug hat Stone auch eine komische Vorstellung von Mitgefühl. Er fordert mehr Transparenz, damit es das Mitgefühl einfacher hat. Er beschreibt eine Situation, in der er einer alten Dame einen Kratzer ins Auto fährt und freundlich zu ihr sein will, aber angekeift wird. Er meint, es wäre noch leichter gewesen, freundlicher zu ihr zu sein, wenn er mehr über sie gewusst hätte. Deshalb sollten die Menschen offener zu einander sein, ihre Leben den Anderen gegenüber transparenter machen, um die Beweggründe für gewisse Reaktionen besser verstehen zu können.
Daraus ergibt sich für mich nicht nur die Bestätigung, dass Mitgefühl antrainiert werden muss, daraus ergibt sich für mich auch eine Entwertung des Mitgefühls. Anthropologisch gesprochen ist Mitgefühl eine Nahbereichsfunktion, unserem unmittelbaren Umfeld vorbehalten. Die wahre Größe des Mitgefühls liegt aber darin, auch dem Fremden, über den ich nichts weiß, der womöglich unangemessen reagiert, zugewandt und mit Mitgefühl zu begegnen. Das ist die Herausforderung, die ein universelles Mitgefühl an uns stellt und einen eigenen Beitrag zum Thema wert (ich habe da was zum Thema Nahbereichs- und Universalethik im Kontext der Evolution in Vorbereitung). Wir müssen eben nicht mehr über unser Gegenüber wissen, wenn wir das universell gebietende Mitgefühl zur Maxime unseres Handelns machen wollen, sondern dieses Soll gebietet kategorisch. Ich will einem Fremden nicht alles über mich erzählen, damit er mir mitfühlend hilft. Ich verzichte sogar auf das Mitfühlende, solange er mir hilft. Stone liefert an dieser Stelle eine ziemlich unbrauchbare Begründung, warum wir alle unser Leben transparent machen sollten.
Ehrgeiz oder Selbstinszenierung?
Die Geschichte endet mit einem Umbruch: Stones enger Freund soll aus Twitter entfernt werden. Die Situation kommt überraschend und beiläufig zugleich daher. Stone scheitert mit seinem Versuch, ihn im Unternehmen zu halten und ist im Buch kurze Zeit später ebenfalls raus. Das klingt nach einer Niederlage, aber Stone verliert darüber nicht viele Worte. Das ist nicht merkwürdig, bedenkt man seine Weisheit, nicht das zu betrachten, was nicht funktioniert hat sondern das, was funktioniert hat. Andererseits nutzt Stone jedes kleine Scheitern dafür, daran das Gute explizit zu illustrieren. Hier tut er es nicht.
Wenn er am Ende nochmal das Gute seiner Zeit bei Twitter resümiert hätte, würde ich sagen, er wolle keine schmutzige Wäsche waschen. Aber er geht über diese Begebenheit einfach hinweg. Es klingt danach, als ob in seiner Brust ein unverarbeiteter Groll schlummert. Es wäre schön, wenn er den transparent gemacht hätte – sonst ist er da ja sehr für: Es würde seine Weisheiten nicht ent- sondern aufwerten, um deutlich zu machen, dass die simplen Sätze in der Realität harte Arbeit bedeuten können, die sich dennoch lohnt. Stattdessen nutzt er die letzten Seiten, um sich noch einmal selbst zu inszenieren:
Dem Board of Directors, das seinen Freund als CEO schasst, will er nicht unterstellen, die Bösen zu sein, das sagt er explizit. Stone meint, sie denken einfach nur gewinnorientiert. Nach eigenem Bekunden legt Stone aber mehr Wert auf andere Dinge als Gewinnorientierung, vornehmlich das Ding „das Richtige zu tun“. Die Konsequenz zu ziehen, dem Board of Directors eine falsche Prioritätensetzung vorzuwerfen, scheut Stone. Denn dann wären sie die Bösen. Hier ist Stone inkonsequent, ohne dies offen zu legen. Er streitet verbal für ein besseres Wirtschaftssystem, aber statt die Gelegenheit zu nutzen, ein Beispiel klassisch kapitalistischer Entscheidungen zu geißeln (ein CEO bringt nicht die erwartete Leistung und wird entlassen, obwohl er einen guten Job macht), zeigt er Verständnis für das System.
Stone stilisiert sich das ganze Buch hindurch als der nette Kerl von Nebenan. Als es um die Rettung zumindest der Vita seines Freundes geht (er soll als CEO zwar abgelöst werden, aber einen wichtigen Posten im Unternehmen behalten – der Klassiker: Unser Chef ist eigentlich ein Spezialist, also geben wir ihm die Chance, sich wieder ganz auf seine Spezialfähigkeiten zu konzentrieren), wird Stone zum Machtmenschen und gibt zu, dass er zur emotionalen Erpressung gegriffen hat, sich dabei aber schlecht fühlt. Stone sagt sinngemäß, er wolle sich nicht mit Machtargumenten durchsetzen. Ihm ginge es darum, Leute zu überzeugen. Letzten Endes zielt sein Handeln aber doch darauf, dass er sich durchsetzen will, dass es im Unternehmen wie in der Welt nach seinem Willen laufen soll. Damit gelangen wir wieder zum Egoismus. Stone mag mit seiner Vision von anständigem Umgang miteinander und seiner Forderung nach Mitgefühl richtig liegen, aber dafür braucht es das Gefühl, von sich überzeugt zu sein, die eigene Einschätzung auch einmal über die von anderen zu stellen und alles dafür zu tun, sich durchzusetzen.
Damit will ich nicht der Rücksichtslosigkeit das Wort reden, aber so harmlos Stone sich und seine Vorstellungen darstellt, funktioniert das nicht. Konsens-Suche und Bemühen um Einvernehmlichkeit sind wichtige Verhaltensweisen, aber sie gelten nicht universell, wie Stone es darzustellen versucht, ebensowenig wie das Prinzip des „Alles hört auf mein Kommando“, dem Gegenteil von Stones Vision.
Sein einseitiges Plädieren für das „Seid nett zueinander“ bricht sich an mancher Stelle mit seinem Verhalten. Dies wird am Ende deutlich, in seinen noch unverarbeiteten Erlebnissen. Hier kommt es zu Brüchen zwischen seinen Worten und dem, was ich mir als Leser an eigenständigen Bildern mache. Neben der Klärung gewisser Prinzipien eines möglichen Erfolgs macht das die Lektüre der Stone-Autobiographie spannend. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen Egoismus und Altruismus, der Versuch, letzteren zu propagieren und ersteren zu marginalisieren. Ein Versuch, bei dem Stone scheitert, aber dem Leser viel Stoff zum Nachdenken bietet, wenn er nicht an den Buchstaben klebt. Von daher bekommt dieses Buch eine klare Lese-Empfehlung, nicht wegen seiner Inhalte, sondern weil es das eigene Denken stimuliert.