Das Drama mit der Katastrophe

Ich habe offenbar eine neue Obsession, aber da müsst ihr durch. Wenn ich schon den Arsch nicht hochbekomme um selbst anzupacken, muss ich eben schreiben. Aber ich habe zumindest mein Informationsdefizit behoben und weiß, dass es Asylsuchende in meinem Ort gibt und dass sie derzeit erstaunlich gut versorgt sind, auch mit Freiwilligenarbeit. Das zu meiner Gewissensberuhigung. Also schreibe ich weiter und danke für das heutige Thema Ilanah.

Ich möchte dich nicht an den Pranger stellen, im Gegenteil. Deshalb beginne ich mit dem Bekenntnis, dass ich auch schon von Drama oder Katastrophe gesprochen habe. Ich möchte mit meiner Sprachkritik auch niemanden verurteilen, der sich der entsprechenden Worte im Alltag schon bedient hat. Dennoch sind beide Begriffe, ebenso wie Schwemme oder Flüchtling überhaupt, geeignet, die Betroffenen herabzuwürdigen, sie zu Dingen zu machen und somit ihre Würde zu unterminieren.

Harter Tobak, oder? Ich musste auch schlucken, als es mir bewusst wurde. Fangen wir mit dem Drama an. Drama entstammt dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie Handlung. Wir benutzen Drama als Oberbegriff für die literarische Gattung der Theaterstücke, als Oberbegriff für Tragödie und Komödie. Pointiert: Jedes Drama ist wahlweise eine Komödie oder eine Tragödie – und zwar im Bühnensinne.
Von einer Flüchtlingskomödie zu sprechen scheint mir nur angemessen, wenn man sich das Verhalten mancher Länder (Slowakei) anschaut,  die bspw. nur Christen aufnehmen wollen. Wobei ich zugeben muss, dass die Farce ein Genre der Komödie sein muss, um das so zu nennen.

Was ist mit der Flüchtlingstragödie? Nein, es ist keine Tragödie, die sich da abspielt. Es ist ziemlich offensichtlich keine Tragödie, die diese Leute zu uns treibt sondern Not und Angst. Und es ist keine Tragödie, wie diese Leute im Mittelmeer ertrinken oder sich zunehmend verzweifelt durch Europa schlagen, wie am Eurotunnel in Calais. Nennt es, wie ihr es wollt, aber nicht Tragödie. Denn: Die Tragödie dient der Unterhaltung! Egal ob man den Unterhaltungseffekt mit Katharsis, mit Quasi-Gefühlen oder mit Erhebung erklärt, weitgehend Einigkeit herrscht dahingehend, dass in der Betrachtung des unschuldig schuldig Gewordenen (zentrales Motiv der Tragödie) die Zuschauer irgendwie unterhalten werden. Flüchtlinge in überfüllten Booten auf dem Mittelmeer sind kein Theaterstück sondern real. Die Bezeichnung als Drama entwertet damit das Schicksal der Menschen auf der Flucht und es fiktionalisiert sie, inkl. ihres Leides. Sie werden von Menschen zu Figuren. Und Figuren sind „glücklicherweise“ keine Zwecke an sich, deshalb darf man mit ihnen machen, was man will. Merke: Flüchtlingsdrama=Halb so schlimm, sind ja keine Menschen.

Nebenbedeutung: Drama machen. Ein Flüchtlingsdrama ist der Eiertanz Europas, das um Quoten streitet. Dass der greise Kontinent trotz schrumpfender Bevölkerung glaubt, er könne die Leute, die potentiell zu uns kommen wollen, weder versorgen noch integrieren … Und dass der Friedensnobelpreisträger EU denkt, er trage nicht sehr viel Verantwortung: Das ist Drama, Baby. Merke: Nicht die Tasche muss lebendig sein sondern das humanitäre Gefühl.

Nun zur Katastrophe. Einigen wir uns zuerst darauf, dass die Flüchtlinge keine Katastrophe sind, denn der menschenverachtende Kern liegt offen zutage. Katastrophe bedeutet so viel wie Wendezeitpunkt, wenn man sich den ursprünglich ebenfalls altgriechischen Begriff ansieht. Katastrophe gibt’s übrigens im Drama, bezeichnet die Wendung zum Schlechten oder Guten im letzten Akt des Dramas. Zu dieser Bedeutung muss ich keine weiteren Worte verlieren, das habe ich oben ja bereits erläutert.
In einer zweiten Bedeutung meint Katastrophe einen wahrscheinlich eintretenden riesigen Schaden oder einen bereits eingetretenen Riesenschaden.  Der Sprachgebrauch ist hier nicht eindeutig. Während bei der Atomkatastrophe die atomare Strahlung im Suffix die Katastrophe selbst ist (und die Asylsuchenden sind keine Katastrophe, verdammt!), ist bei der Umweltkatastrophe die Umwelt der zu Schaden kommende. Bei der Schiffskatastrophe ist meist das Schiff eine Katastrophe und Leidtragender zugleich, wenn man die Passagiere als Teil des Schiffes versteht. Mit einer Analyse des konkreten Sprachgebrauchs kommen wir hier nicht weiter.

Aber der Rückgriff aufs Theater hilft uns aus, denn aus der Katastrophe wird wahlweise eine Tragödie, weil – wie im Falle der Schiffskatastrophe – alle unschuldig sterben oder es wird zur Happy-End-Geschichte. Der Begriff Katastrophe dient also ebenfalls der Fiktionalisierung des Geschehens. Wir verfolgen die Schiffskatastrophe am Fernseher wie einen spannenden Film. Betroffene und ihre Schicksale werden zu Protagonisten, von Menschen zu Figuren. Und Figuren sind keine Träger von Würde, sie exemplifizieren höchstens die Idee von Würde. Aber sie haben keinen Anspruch darauf. Menschen auf der Flucht aber haben als Menschen nicht nur Anspruch darauf, sie haben Würde.
Und was ist mit der Umweltkatastrophe? Damit wird die Umwelt zum Betroffenen erklärt, sicher, aber wenn man diesen Interpretationsweg geht, landet man wieder auf der Bühne. Schaffen wir es, die Umwelt zu retten? Welch banges, nervenzerfetzendes Schauspiel! Die Umwelt respektive die Flüchtlinge werden zum Objekt der Katastrophe, ihnen widerfährt lediglich etwas. Sie sind keine Subjekte in auswegloser Lage sondern entblößte Opfer. Opfer höherer Mächte, auf die sie keinen Einfluss haben, auf die wir ebensowenig Einfluss haben. Auch das ist im Kern eine Dramatisierung, eine Entmenschlichung, die es uns erlaubt, von Objekten statt von Subjekten zu sprechen. Wieder verschwindet die Würde, indem wir das Realgeschehen in eine Geschichte verwandeln und die Menschen zu Figuren.
Wenn wir wenigstens die Geschichte der Menschen auf der Flucht als Geschichte von selbstbestimmten Subjekten erzählten, die ihre Heimat verlassen und große Opfer erbringen, wäre schon viel gewonnen, aber noch nicht einmal das tun wir, sondern drängen sie in die Rolle, Opfer geworden zu sein. Noch nicht einmal zu einer anständigen Geschichte sind wir fähig.

Zeilenende, wo ist dein gerechter Zorn aus dem letzten Beitrag zu dem Thema? Kann ich euch sagen: Er ist mir vergangen, als mir übel wurde. Übelkeit gespeist aus der Erkenntnis, was wir mit scheinbar harmlosen Alltagsbegriffen anrichten, denn mit Drama und Katastrophe fängt die Entwürdigung an, die ihren Schluss in Schwemme, Scharen und all dem Mist findet, den man nicht hören will. Der Zorn ist der Scham gewichen. Aber die Scham brennt ausdauernder als der Zorn, auch wenn sie weniger scharf formuliert. Darauf könnt ihr Gift nehmen. Vielleicht ist das einer der positiven Aspekte der Scham, als Antrieb laut aufzuschreien, den wir noch nicht gefunden haben?

5 Kommentare zu „Das Drama mit der Katastrophe

  1. Da musste ich durch. Hut ab. Das ist mal eine Neubetrachtung von abgelutschten Wörtern, die ich allerdings selten verwende, schon gar nicht im Kontext mit Flüchtenden.
    Danke dir – auch für den Pingback.

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    1. In den Medien begegnet es mir gefühlt verstärkt und dadurch wird es wahrscheinlich stärker in den Alltagsgebrauch zurücksickern. Und das ist nicht gut. Ich warte ja auf „Das Boot ist voll“ im nicht-zitierten Sinne. Und als ich fertig war, kam mir die Erinnerung an deinen Beitrag, an dem ich weiterhin knabberte. Und Links als gedankliche Verknüpfung fand ich schon in Script-Kiddie-Zeiten spannend, um Leser*innen-Gedanken weitertreiben zu lassen. Ich vergesse nur zu häufig, dass ich das jetzt auch selber kann. Von daher: Gern geschehen.

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  2. Gut geschrieben!!

    Ich denke, dass die Begriffe in den Medien, bzw. von den Medien, nicht zufällig benutzt werden.
    Und was sie alles anrichten, das sieht man ja leider tagtäglich 🙄

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