Eurovision Song Contest Vienna 2015 – Der Review Teil 2

Willkommen zurück zu Zeilenendes ESC-Musik-Rückschau auf das diesjährige Spektakel in Wien. Den ersten Teil findet ihr hier. Ich will keine großen Vorworte schwingen, lasst uns gleich in medias res gehen.

Irland: Playing with numbers von Molly Sterling

Wir haben mit einem typisch irischen Beitrag aus Ungarn geendet und beginnen mit dem diesjährigen irischen Beitrag. Wir haben es hier mit einem sehr seltenen Vertreter seiner Gattung zu tun, es handelt sich dabei nämlich um eine Pop-Ballade. Die Balladen beim ESC sind entweder klassische, an den Chanson angelehnte, Balladen: Das ist die klassische Grand Prix Ballade, ein eigenes Musikgenre. Ansonsten sind die Balladen aus dem Bereich Rock. Irland bietet damit mal etwas anderes. Aber mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen. Durchschnittsware mit guter Stimme.

Israel: Golden Boy von Nadav Guedj

Der Song ist richtig geil. Der Text erzählt von einer zurückgewiesenen Liebe und dem Verhältnis eines jungen Mannes zu seiner Mutter, für die er der Golden Boy ist. Herrlich, wie unernst sich der Sänger damit nimmt und demonstriert, wie man aus diesem Gefühl Selbstvertrauen gewinnt. Garniert wird das ganze mit gut tanzbaren arabischen Klängen und Rhythmen und endet mit einem Hinweis, dass die drei Minuten um sind und das Lied deshalb aus. Herrlich, diese Selbstironie. Drei Daumen hoch! Nur nach eigenem Tanzen ist mir heute irgendwie nicht, weder be- noch unbekleidet.

Island: Unbroken von Maria Olafs

Island hat in seinen Beiträgen meistens Anleihen an den Eurodance der 90er, sodass ich erstaunt war, dass DJ Bobo es für die Schweiz versucht hat. In Island müsste er eine riesige Fangemeinde haben. Auch hier meint man, den Eurodance im Hintergrund durchhören zu können, aber auch Anleihen an Loreens Euphoria entdecke ich. Insgesamt ein merkwürdiger Mischmasch, in dem auch eine Akustikgitarre mitspielen darf. Ich bin mir nicht sicher, was mir der Song eigentlich sagen soll.

Italien: Grande Amore von Il Volo

Ich wusste ganz genau, dass Mutter Zeilenende das hier favorisieren würde und ich hatte recht. Die drei Tenöre reloaded, in einem kitschigen Popsong Marke Pathos mit Karies. Der Song ist genau so schmalzig wie die Haartolle des Klische-Italieners, die drei Sänger sind einem Magzin für den modebewussten Hipster-Opernsänger entsprungen. Zugegeben, die drei harmonieren und sie können singen, aber muss man so viel Gefühl in einen Song legen, als ob gerade Pompeii zerstört wurde, nur weil man von seiner großen Liebe singt?

Litauen: This time von Monika Linkyté & Vaidas Baumila

Noch mal ein Duett mit guter Laune und mit Gitarrenintro. Dem gesellt sich, wenn der Mann einsetzt, ein Bass hinzu. Soll wahrscheinlich davon ablenken, dass seine Stimme doch recht glatt ist. Im Refrain, wenn beide singen, gibt es zudem sehr viel Getrommel. Das wiederum soll wohl davon ablenken, dass die Stimmen der Beiden überhaupt nicht miteinander harmonieren. Während der Komponist alles richtig gemacht hat, versagt die Umsetzung der Interpreten. Schade.

Lettland: Love injected von Aminata

Beim ersten Hören dachte ich: Was ist DAS denn? Meinen die das ernst? Beim zweiten Hören, gemeinsam mit meinem Kumpel M., von einigem musikalischen Verstand, fand ich es ganz nett und er war begeistert. Langsam aber sicher muss ich zugeben, dass ich es auch gut finde. Vielleicht fehlen mir bloß die Begriffe, um diesen Song zu beschreiben, aber ich kann nicht sagen, woran es liegt. Er ist sehr reduziert, die Stimme ist stark, er ist irgendwie… Merkwürdig… aber gut. Vielleicht muss ich Kumpel M. mal um einen Gastbeitrag bitten.

Moldawien: I want your love von Eduard Romanyuta

Da trillert gleich zu Beginn eine Flöte. Die Flöte war wesentlicher Bestandteil von „Only Teardrops“, mit dem Dänemark seinen letzten ESC gewonnen hat. Das gibt also nichts, dem Komponisten ist nichts eingefallen. Ansonsten besteht dieser Song aus solidem Pop mit einer massiven Wall of Music direkt aus der Konserve. Vom Hocker reißt mich das nicht, auch wenn es ganz nett ist, wie massiv auch heute noch bei manchen ESC-Beiträge klassische Electro-Sounds eingesetzt werden.

Montenegro: Adio von Knez

Schon wieder Geigen! Diesmal für den Anfang glücklicherweise nur eine. Noch bin ich entspannt. Aber das Stück hat ja auch fast eine halbe Minute Intro, da habe ich noch nicht viel Grund zum Aufregen. Im Gegenteil, der Sänger bedient sich seiner Muttersprache. Damit  muss ich nicht über den Text nachdenken. Leider bekomme ich meinen heißgeliebten Balkanpop auch diesmal nicht … Ich glaube, in diesem Jahr hat kein einziger ESC-Beitrag auf diese Musikrichtung gesetzt. Schade. Ich schweife ab, was nicht für den Song spricht. Gerade sind wir in einer ausufernden Ohohoh-Phase und ich glaube, unbewusst habe ich auch einen Tonartwechsel vernommen. Außer der Sprache also nichts besonderes an dieser Nummer.

Mazedonien: Autumn leaves von Daniel Kajmakoski

Schon wieder ein Balkanland ohne Balkanpop sondern ein Song, der verdächtig nach Take That klingt. Die 90er sind also auch zurück. Damit fällt das auch unter Retropop, wenn, ja wenn nicht die Flöte wäre und der Refrain nach „Only Teardrops“ klänge. Das haben doch schon die Moldawier vor zwei Liedern versucht, Emily De Forrest (oder so) zu kopieren. Da höre ich mir lieber das Original an. Danke für den Versuch, aber nein danke.

Malta: Warrior von Amber

Drei schlechte Songs in Folge, eigentlich hätte ich mir eine Erholung verdient. Dummerweise heißt der nächste Song „Warrior“ und wird von einer Frau gesungen. Das kommt mir düster bekannt vor … Georgien! In diesem Fall ist es aber bloß eine Ballade. Man hat sich den Rock gespart, denn das hier ist eine eher typische Ballade und dazu trägt auch Mann Kleid statt Rock … Auch wenn Amber natürlich eine Frau ist und ihre Ballade souverän heruntersingen kann. Immerhin kein Grund, mich aufzuregen, aber langsam hätte ich gerne mal wieder was richtig gutes.

Niederlande: Walk along von Trijntje Oosterhuis

Die Niederländer waren im letzten Jahr meine Sieger der Herzen mit „Calm after the Storm“. In diesem Jahr versuchen sie es mit Folk-Pop und viel Waiaiaiai. Das klingt ganz nett, aber die Stimme der Sängerin klingt zu aufgeregt für ihr Lied. Es weigert sich, im Ohr haften zu bleiben, dabei hat das schon so viel gelitten, dass es Andrea Berg schon als Erleichterung verstehen würde. Auch die Holländer bieten nur Mittelmaß. Man sollte doch erwarten, dass es für den ESC in jedem Beitrag so richtig kracht, stattdessen klingt alles auf die ein oder andere Weise gleich.

Norwegen: A monster like me von Mørland & Debrah Scarlett

Dieses Jahr war sehr duettlastig, wie mir erst jetzt auffällt. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, mag ich Duette tendentiell ganz gern, zumindest wenn sie gut gemacht sind. Für dieses Duett gilt es jedenfalls. Das liegt nicht unbedingt an der Leistung der Duettanten, sondern am Gesamtpaket, das reduziert daher kommt. Das Stück ist nicht aufwendig instrumentiert, wenn man von der Bridge einmal absieht. Es steht der Gesang und der Text im Fokus, erstaunlich für einen Liederwettbewerb, gell? Gefällt mir jedenfalls.

Polen: In the name of love von Monika Kuszyńska

Polen war im letzten Jahr zum Fremdschämen schlecht, da haben sich die Polen wohl gedacht: Schicken wir in diesem Jahr einen Song, mit dem wir überhaupt nicht auffallen. Beliebiger Popsong mit beliebiger Melodie, beliebiger Stimme, zwischendurch ein wenig aufgeregterer Instrumentierung und hoffen, dass wir mit dem Song so wenig auffallen, dass wir über das Halbfinale nicht hinauskommen. Das ist ihnen gelungen, ihr Plan ist aufgegangen.

Portugal: Há um mar que nos separa von Leonor Andrade

Ich weiß nicht, ob das noch eine ESC-Ballade oder schon eine Rockballade oder eine der seltenen Popballaden ist. Aber eigentlich ist es vollkommen egal. Selbst auf der CD kommt die Sängerin nicht in die für eine Ballade nötigen Höhen, man hat das Gefühl, ihre Stimme prallt gegen eine Decke. Sie schafft weder Tonhöhe, noch Lautstärke oder, was am wichtigsten wäre, Klangvolumen. Da hilft auch viel Instrument, ein Tonartwechsel und das Singen in Landessprache nicht mehr. Und außerdem ist es nie ein gutes Zeichen für einen Song, wenn das Tippen des Titels mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Hören des Tracks.

Rumänien: De la capat von Voltaj

Und nochmal Landessprache. Diesmal eine Herrenballade, vorgetragen von einem Popstimmchen. Männerballaden gibt es noch weniger gute als Damenballaden. Ich würde gern einfach wiederholen, was ich zum Vorgängerbeitrag aus Portugal gesagt habe, auch wenn die Beiträge unterschiedlich klingen und Voltaj auch irgendwann ins Englische wechselt. Aber für die Beschreibung von Mittelmaß gehen mir langsam die Begriffe aus, wenn ich mich nicht wiederholen werde. Übrigens war „Rise like a phoenix“ eine Damenbartballade … Höhö.

Serbien: Beauty never lies von Bojana Stamenov

So ihr lieben Piepsstimmchen in Europa: Der ESC ist erst vorbei, wenn die dicke Frau gesungen hat, dass es okay ist, dass sie anders ist. Damit hat sie einen Song für die große ESC-Fangemeinde interpretiert, aber nicht nur das: Sie integriert in ihre Ballade klassische Eurodanceklänge und vor Allem: Die Frau ist ihrem Lied gewachsen, sowohl was Lautstärke, Tonumfang als auch und vor Allem Volumen angeht. So geht eine Ballade, verdammt nochmal. Nehmt euch doch mal ein Vorbild daran. Dicke Frauen braucht Eurovisionland.

Russland: A million voices von Polina Gagarina

Ein klassischer Siegertitel. Phänotypisch dem weißrussischen nicht ähnlich, aber hier wurde das Kunststück geschafft, einen Song zu schreiben, der unbedingt gewinnen soll, dem man es aber nicht sogleich anmerkt. Er ist gut gemacht und ein ganzes Stück besser als der Siegertitel in diesem Jahr. Nicht unbedingt mein Favorit, aber ein gelungener Vertreter des Genres Power Ballad. Als Ballade nicht einmal so stark wie der serbische Beitrag zuvor, aber einfach rund.

Schweden: Heroes von Måns Zelmerlöw

Mit dem schwedischen Beitrag konnte ich zunächst nicht viel anfangen. Er ist eigentlich ein typisch schwedischer Beitrag, aber unter den typisch schwedischen Beiträgen einer der schwächeren. Insbesondere der Kinderchor im Hintergrund hat mich irritiert. Mittlerweile kann ich zumindest nachvollziehen, warum er gewonnen hat: Weil er professionell gemacht ist und er mich immerhin dazu bringt, mit den Schultern beim Tippen mitzuzucken. Aber er bringt mich nicht zum Tanzen. Gut, heute könnte mich nicht einmal Tanzwut in selbige versetzen, fürchte ich, aber dennoch. Immer noch Durchschnittsware, aber immerhin auf hohem Niveau. Offenbar wollten die Schweden vor Allem versuchen, nichts falsch zu machen. Das ist ihnen gelungen. Und da sie gewonnen haben, haben sie offenbar zusätzlich noch einiges richtig gemacht.

Slowenien: Here for you von Maraaya

Ich muss zugeben, dass sich bei mir Ermüdungserscheinungen breit machen. Das könnte daran liegen, dass ich den Refrain dieses Liedes durchaus mag, mich aber der massive Einsatz von Konservenmusik stört. Die Stimme der Sängerin ist eine nette Abwechslung zu all den Balladenpiepserinnen und Popmäusen, klingt zwar etwas quäkig, aber im Unterschied zu Ann Sophie macht es das Lied in diesem Fall interessant. Aber auch das rettet den Song nicht vor dem Prädikat Massenware.

San Marino: Chain of Light von Anita Simoncini & Michele Perniola

Ja, das ist ein Duett, vor allem ist es aber der letzte Titel auf der CD. Gedanklich überlege ich schon, was meine High- und Lowlights dieser Session waren, weil Chain of Light vor Allem ein Song ist, dem man deutlich anhört, dass Ralph Siegel ihn komponiert hat. Manchmal gelingen ihm gute Beiträge, manchmal nicht. Manchmal findet er passende Interpreten für seine Kompositionen und manchmal nicht. In diesem Falle hatte er weder beim Schreiben noch beim Casten ein glückliches Händchen.

Ohne weitere Verzögerungen präsentiere ich euch nun, um mich von meinen Qualen zu erlösen, meine Top 3 dieser Sitzung:
1) Serbien
2) Israel
3) Norwegen

Die Versetzung nicht geschafft haben
1) Portugal
2) Polen
3) Italien

… Und Italien wird wegen schlimmen Kitsches die Teilnahme im nächsten Jahr bitte untersagt. Dafür darf gern Ausralien nochmal sein Glück probieren.

Fasst man beide Sessionen zusammen, ergibt sich damit eine Top 5 und eine Flop 5, die ich euch zum Abschied auch noch mit auf den Weg geben möchte. Wir beginnen mit den Lowlights in diesem Jahr:

1) Weißrussland
2) Georgien
3) Portugal
4) Polen
5) Italien

Wenig überraschend steht Belarus an der Spitze, aber auch Georgien war noch eine größere Zumutung als der zweite Teil des ESC, der vor Allem durch Beliebigkeit und weniger durch wirklich schlechte (aber auch nicht durch wirklich gute) Beiträge bestochen hat. Meine Top 5 machen dies ebenfalls deutlich:

1) Estland
2) Belgien
3) Serbien
4) Israel
5) Ungarn

Das zu ranken war durchaus schwer, weil die Songs alle so unterschiedlch sind, was sie in meinen Augen vor allen Dingen besonders macht. Traurig für Europa finde ich hingegen, dass mit Russland und Schweden gleich zwei Favoriten auf den Sieg nicht in meiner Top 5 vorkommen. Das spricht schließlich nicht gegen mich sondern gegen Europas Musikgeschmack. 😉

Wie seht ihr das? Ich weiß, der ESC ist schon lange her, aber bin ich mit einem eurer Favoriten ungerecht umgegangen oder hype ich ein Stück Musik zu unrecht? Lasst mich an euren Gedanken teilhaben.

4 Kommentare zu „Eurovision Song Contest Vienna 2015 – Der Review Teil 2

  1. Sehr schön mal eine andere Meinung zu lesen. Um ehrlich zu sein, fand ich Italien am besten :3
    Ungarn und Israel fand ich jetzt nicht soooooo mega, aber ok, sonst gehe ich mit dir einigermaßen d’accord 🙂
    (s. meinen Beitrag zum ESC *hust*)

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    1. Ja, ich verstehe durchaus, warum man Italien mögen kann. Ich fand es trotzdem kitschig. So kitschig, dass ich mich regelrecht darüber geärgert habe. Es ist also das Gesamtpaket, auch wenn es musikalisch eine gute Leistung war. Ich habe, deshalb besonderen Dank für den Kommentar, deinen Review und auch meinen nochmal gelesen. Ich habe dabei festgestellt, dass der einzige Song, den ich hin und wieder vor mich hin pfeife, der belgische Beitrag ist. Und im Radio drehe ich ihn sogar laut. Also von daher ist es schön ausgeglichen: Du magst meinen jetzigen Favoriten nicht und ich deinen. Passt doch wunderbar. 🙂 Und ich hatte einmal mehr Gelegenheit mich dafür zu schämen, dass ich trotz Korrekturlesens NIENIENIE alle Tippfehler ausgemerzt bekomme. ^^

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