Manche Entscheidung seiner Vorgesetzten muss man nicht nachvollziehen können. Dazu gehört der Beschluss, sämtliche Planungen über den Haufen zu werfen ohne nach den Gründen zu fragen, warum etwas so und nicht anders geplant wurde. Konkret: Wir haben in anderthalb Wochen unser großes Sommerfest mit Livemusik, Kinderbelustigung und großem Budenzauber. Heute sah unser Jahresplan vor, den Tag der Erdbeere zu widmen. Wir wollten es wegen des bevorstehenden wirklich großen Festes ruhig angehen, weil unsere Bewohner*innen sich zuweilen über ein zu anstrengendes Feierprogramm beklagen: Erdbeerkuchen backen, Kaffeetrinken und in den Gruppen auf den Wohnbereichen das Programm rund um das rote Früchtchen gestalten. Ich wollte zudem „Tutti Frutti“ spielen, das haben die Kolleginnen aber abgelehnt. Dabei wäre ich ein toller Hugo Egon Balder gewesen.

Die Chefetage war not amused und hat kurzfristig beschlossen, dass wir statt fünf 25kg Erdbeeren verarbeiten sollen, dazu soll es Erdbeerbowle geben und haufenweise Dekoartikel, nur die Verlegung der Feierlichkeiten von den Wohnbereichen in die Cafeteria konnten wir noch verhindern. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Die Erdbeeren wurden in der Tat vertilgt als ob es kein Morgen gäbe. Aber: Zu unserem Kaffeeklatsch kamen viele Bewohner*innen, die nie zu unseren Feiern in der Cafeteria kamen. Und der kleinere Rahmen wurde von Allen gelobt. Aber die Erdbeerenschnibbelei am Vormittag war ein Kraftakt. Die Leute bei Laune zu halten hat mich an den Rand meines Berufsethos getrieben.
Egal, der Erdbeerkuchen war der Hit. Selbst meine ewig mäkelnden Bewohner*innen haben gestopft als hätten sie nie etwas Besseres bekommen. Dabei ist er 1) wirklich einfach und 2) meine Vanillekipferl um Längen besser.

Für den Boden verrührt man 350g Mehl, je 1 Päckchen Vanillezucker und Backpulver, 175g Zucker, 250ml Sahne, 3 Eier und bäckt das ganze zwanzig Minuten bei 150° Umluft bis es etwa so aussieht.

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Wenn die Teigplatte ausgekühlt ist, verrührt man 800ml Schmant(sic!) mit 50g Puderzucker, 2 Päckchen Vanillezucker und 2 Päckchen Vanillesaucenpulver (ohne Kochen) und streicht die Creme auf dem Boden, sodass sich dieser wunderschöne Anblick bietet. Das Rezept sieht noch 2 EL Zitronensaft vor, die ich meistens aber weglasse. Der Unterarm links oben gehört übrigens meiner lieben Frau W: „Chef, und was ist, wenn ich keine Lust mehr habe, Erdbeeren zu schnibbeln?“ „Dann können Sie sich zukünftig jemand anderen suchen, der Sie durch den Zoo schiebt, Frau W.“

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Dann bedeckt man den bereits vorzüglichen Kuchen mit 1kg halbierten Erdbeeren und übergießt alles mit einem halben bis ganzen Glas warmer Erdbeermarmelade. Nachdem man den Kuchen ein paar Stunden lang im Kühlschrank versteckt hat und sich die Hoffnung erfüllt hat, dass ihn niemand vorher wegnascht, sieht das ganze so aus.

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Am Besten genießt man den Kuchen mit einem Glas Erdbeerbowle, deren Produktion man an den Küchenchef delegiert. Und wenn man hat, serviert man noch eine riesige Schüssel von Senior*innen kleingeschnibbelter Erdbeeren, wahlweise mit oder ohne Schlagsahne.

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Wenn man ganz viel Glück hat, sieht es nach der Viertelstunde, die man wegen Bürokrams zu spät zur Feier gekommen ist, noch so aus:

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…und bekommt dank neuer Barttracht das ein oder andere Kompliment gratis dazu, dass man plötzlich viel männlicher aussieht.

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13 Kommentare zu „Erdbeerträume

  1. „dass man plötzlich viel männlicher aussieht.“

    definitiv!
    Wenn du am Wochenende draußen spazieren gehst und ein bißchen Bräune ins Gesicht bekommst, wirst du dich vor schmachtenen Frauen nicht retten können.:-)

    Entscheidungen von Vorgesetzten? Ich kann ein Lied davon singen.

    „Müssen wir wirklich den Tagungsort verlegen, weil _eine_ Dame gehbehindert ist und einen Rollator benötigt?

    (Der „Tagungsort“ ist absolut nicht behindertengerecht, da muss man gar nicht drüber diskutieren, dass das nicht geht)

    „Nein, wir könnten auch Piss-Pagen einstellen, wenn Ihnen das lieber ist!“

    (den Witz hat er nicht verstanden und ich kann davon ausgehen, dass er mich beim nächsten Mal fragt, wie teuer eigentlich die Anmietung solcher Piss-Pagen ist) 🙂 🙂 🙂

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    1. Das schlimme ist ja, dass ich meine Chefetage gern mag, aber mit diesem Aktionismus mein Haarfarbenbudget extrem strapaziert. Vor Schreck bleiche ich regelmäßig aus. Vielleicht schützt mich das wenigstens vor schmachtenden Frauen. Die sind zusätzlich immer mindestens 20 Jahre älter als ich.
      Aber den Piss-Pagen versteh ich auch nicht. *kopfkratz*

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  2. Das war wohl auch zu missverständlich ausgedrückt.
    Das hauptsächliche Problem bestand darin, dass man die Damen-Toilette nur erreicht, wenn man eine Treppe rauf oder eine Treppe hinunter ging. Mit Rollator nur schwer zu bewerkstelligen. „Aber mit einigen helfenden Händen“ -war man der Meinung-, müßte es vielleicht doch gehen.
    Nein, das geht natürlich nicht. Die Dame kann doch nicht jedes Mal, wenn sie die Toilette aufsuchen muss, mit den Finger schnippen und nach „helfenden Händen“ fragen.

    Deswegen der Witz mit den „Piss-Pagen“. Die gab es im Mittelalter und wurden gerufen, wenn mal musste und gerade beim Essen (welches gern mal einige Stunden dauerte) war. Die kamen dann direkt zum Platz und hielten ein passendes Gefäß drunter.

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    1. Ah, okay. Mit Kontext versteh ich es. Ich wette aber, wenn die auf Kostenschonung bedachte Etage nachdenkt, kommt sie eher auf die Idee, „Inkontinenzmaterial“ als Give aways zu verteilen …

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    1. Darüber habe ich nachgedacht, aber da fiel mir derbedauernswerte Zustand meines Oberkörpers ein und dass ich derzeit lieber die langen Ärmel meiner Hemden hochkrempel, als T-Shirts zu tragen, wenn ich das Haus verlasse und mich doch lieber als Balder beworben. 😉

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