Rezension: David A. Yallop – Im Namen Gottes?

Ich war mal wieder fleißig und am Ende sind mir sogar die Post-its ausgegangen. Aber keine Sorge, ich habe vor ein paar Tagen neue bekommen, insgesamt 400 Stück, wenn ich das richtig geschätzt habe. Ich bin geneigt, das Zeilenendesche Gesetz zu formulieren, das besagt, dass der Maß meines Missfallens an einem Buch direkt proportional zur Menge an geschriebenen Anmerkungen ist. Doch von Beginn an: Gegenstand der heutigen Besprechung ist der Tod Papst Johannes Pauls I. (JPI), der nach nur 33 Tagen im Amt verstarb und der angeblichen Verschwörung hinter seinem Tod. Zumindest ist das das Thema des Buches. Mir dient es zu einigen Überlegungen zur Redlichkeit von Sachbuchautoren.

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Inhalt laut Klappentext

Bereits in den ersten Tagen nach dem plötzlichen Tod von Papst Johannes Paul I. tauchten Spekulationen auf: Der Heilige Vater sei keines natürlichen Todes gestorben, sondern Opfer eines heimtückischen Mordanschlags geworden. David A. Yallop deckt in seinem Bestseller die Verstrickungen des Vatikan in die Geschäfte der internationalen Finanzwelt auf und enthüllt die Intrigen im Machtzentrum der katholischen Kirche.

Stil

Angloamerikanischen Sachbuchautoren ist es gemein, dass ihre Bücher gut zu lesen sind. Sie bedienen sich zumeist des Reportagestils, man hat gleich das Gefühl, eine geschilderte Szene vor Augen zu haben. Yallop schmeißt nicht mit Fremdworten um sich und wenn doch, so erklärt er sie. Er nimmt den Leser Stück für Stück mit und folgt zwei Erzählsträngen. Er schildert auf der einen Seite das demütige Leben des Mannes, der Papst JPI werden wird und auf der anderen Seite die finsteren Machenschaften raffgieriger und machtbesessener Hofschranzen am Vatikan. Solch starke Kontraste und das Spiel mit den Gegensätzen machen Yallops Reportage spannend wie einen Krimi. Hinzu kommt seine Neigung, Begebenheiten so zu schildern, als sei er dabei gewesen. Der Leser kommt ganz nah ran an vertrauliche Gespräche und darf einen Blick in die Seelen der Protagonisten werfen, in denen deren innerste Beweggründe so plastisch zu Tage treten als würden sie selbst davon berichten. Als Spannungsliteratur ist Yallop ein gutes Buch gelungen und nebenbei vermittelt er einige profunde Tatsachen über die Struktur des Vatikan. Er führt sogar Nebenhandlungen und weitere finstere Gestalten (Stichwort: Bistum Chicago) ein, um dem Leser eine falsche Fährte zu bieten.

Verfikation

Damit wären wir mittendrin im größten Dilemma des Buches. Yallop geht mit diesem Stilmittel allzu sorglos um. Er hält sich mit Belanglosigkeiten als Hinweise auf Charaktermerkmale auf und schildert Verhaltensweisen, die ihm als Verschleierungen für tatsächliche dunkle Motive bei den Schurken gelten, die Banalitäten des Lebens JPIs hingegen sind für ihn per se Zeichen von Aufrichtigkeit. Lange zurückliegende Ereignisse gibt er zuweilen in wörtlicher Rede wieder, obwohl er nicht dabei gewesen sein kann und auch keine Quelle nennt.
Überhaupt: Die Quellenarbeit! Wenn Yallop überhaupt Quellen für seine Behauptungen erwähnt (und das tut er gefühlt nur bei 10% seiner Aussagen, auf die er seine Schlussfolgerungen stützt), dann sind das persönliche Gespräche oder irgendwelche Dokumente. Um welche Dokumente es sich dabei handelt, bleibt im schlimmsten Fall ungenannt, im besseren Fall spricht er von Krankenakten, etc., aber an keiner Stelle führt er einen Beleg an, um seine Behauptungen verifizierbar zu machen.
Es sei Yallop unbenommen, zur besseren Lesbarkeit nicht alle zwei Zeilen eine Fußnote anbringen zu wollen, aber hin und wieder wäre es zur Würdigung einer Information, insbesondere wenn es um seine Schilderungen vermeintlicher Gespräche geht, hilfreich zu erfahren, woher er seine Informationen bezieht. Aber es gibt noch nicht einmal ein Quellenregister im Anhang. Das ist auch für ein populäres Sachbuch entschieden zu dürftig.

Moralische Entrüstung

Yallop hat eine Mission: Er will nicht nur den Mord an JPI aufklären, ihm geht es auch darum, die finsteren Machenschaften der Vatikanbank und der katholischen Kirche anzuprangern. Dabei verfolgt er in seinem Buch eine Agenda, basierend auf moralischen Maßstäben, die er leider nicht transparent macht. Yallop spricht oft von „dem Vatikan“, wenn er von Anhängern einer von oben geführten Kirche spricht. Aber welches andere Selbstverständnis bleibt dem Katholizismus, wenn sein Oberhaupt als Stellvertreter Gottes auf Erden fungiert? Yallop scheint sehr für eine demokratische Kirche zu sein und prangert dieses Verhalten an. Er übersieht dabei, dass niemand gezwungen ist, beim Katholizismus mitzumachen. Wer sich als Christ versteht, aber den Autoritarismus des Vatikan mit seinen Dogmen nicht mag, findet bestimmt eine Heimat in den zahllosen protestantischen Religionsgemeinschaften. Yallop glaubt, den Katholizismus retten zu müssen, indem er dessen 2000jährige Tradition in Frage stellt und übersieht dabei, dass er dem Katholizismus damit ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu anderen christlichen Glaubensrichtungen für obsolet erklärt. Katholisches Bedürfnis nach mehr innerkirchlicher Mitbestimmung in allen Ehren, aber Yallop erklärt an keiner Stelle, wofür es eigentlich noch einen Papst braucht, wenn man an dessen unbedingter Autorität in Glaubensdingen rüttelt und ihn zudem entweltlicht wissen will.
Dabei ist Yallop ähnlich dogmatisch wie sein Widersacher, der ‚autoritäre Vatikan‘: Wer den hohen moralischen Ansprüchen des Autors von Demut und Bescheidenheit nicht genügt, wird automatisch den Bösen zugerechnet. Das erzählerische Mittel der Schwarz-Weiß-Geschichte, die zum Spannungsaufbau gut gewählt ist, leiert in seinen Wertungen zunehmend aus. Für Yallop gibt es unter den katholischen Würdenträger nur weiße und schwarze Schafe, die vielen Schattierungen dazwischen übergeht er. Dies wird insbesondere am Ende deutlich, wenn er mit dem Nachfolger abrechnet.
JPI musste sterben, weil er die Kirche aus den finsteren Machenschaften des Finanzkapitalismus retten wollte, der Geldwäsche und den mafiösen Strukturen. Dass JPII diesem Treiben keinen Einhalt gebot, ist für Yallop Grund genug, ihn ebenfalls den Schurken zuzurechnen. Ich bin sicher kein Fan von JPII, aber an dieser Stelle tut er ihm massiv unrecht und zeigt seinen moralischen Dogmatismus am Deutlichsten und in seiner problematischen Konsequenz: Meinem Verständnis nach hat JPII klar erkannt, dass der Kapitalismus das beste aller möglichen Übel ist. Er hatte eine politische Agenda, die sich gegen den Sowjetkommunismus richtete. Der Finanzkapitalismus erwies sich dabei als hilfreich. Die Segnungen des Kapitalismus waren für ihn größer als dessen teuflisches Potential. Yallop blendet die historische Dimension des Handelns von JPII einfach aus und verrennt sich damit in seinen Wertungen. Er überträgt seine Maßstäbe in historisch stark abweichende Handlungsfelder.

Eine Verschwörung?

Bliebe das Kernthema. Wurde JPI ermordet? Billigen wir Yallop zu, dass er gründlich recherchiert hat und mit seinen Quellen nicht so schlampig umgegangen ist, wie er es in seinem Buch vermittelt, bleibt bei aller Kritik an dem Buch, dass seine Behauptung überzeugt. Wir sprechen vom Italien der Zeit vor dem Ende des Kommunismus. Der Staat, das lässt sich in zahlreichen Abhandlungen lesen, befand sich fest im Griff mafiöser Strukturen und anderer Geheimbünde (P2). Politik und Wirtschaft waren gleichermaßen korrupt, Anfang der 90er brach deshalb das Parteiensystem zusammen und hat sich politisch bis heute nicht oder kaum davon erholt. Yallops Indiziensammlung zeichnet ein deutliches Bild. Der politische Mord war in Italien ein probates Mittel, die eigenen Interessen zu wahren und JPI hat durch seine Pläne einige sehr mächtigen und noch skrupellosere Männer beunruhigt.
Man kann deshalb davon ausgehen, dass JPI ein Opfer der von Yallop so eindringlich geschilderten finsteren Machenschaften geworden ist. Die Überzeugungskraft seines Plädoyers leidet darunter, dass sein Buch so unendlich viele Schwächen hat, die er manchmal auch noch in Stärken umzuwandeln versucht. Niemand im Vatikan, so Yallop im Vorwort, habe auch nur den Versuch unternommen, ihn zu widerlegen. Wer wie er ohne verifizierbare Angaben auskommt, kann das von einer traditionell verschwiegenen Organisation nun wirklich nicht erwarten. Und so bleiben am Ende trotz aller Überzeugungskraft dss Plädoyers Fragen: War es nicht vielleicht ganz anders? Gibt es plötzlichen Tod durch Stress? Hätte ein anderes Buch mehr Überzeugungskraft gehabt? Bei so vielen Fragen gibt es keine Lese-Empfehlung für das Sachbuch, aber zumindest eine halbe für den politischen Thriller „Im Namen Gottes?“

2 Kommentare zu „Rezension: David A. Yallop – Im Namen Gottes?

    1. Danke schön. 🙂 Wie gesagt, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, ein Sachbuch zu lesen, dann hat man einen ganz netten politischen Thriller um den Mord an einem Papst, von dher ist es brauchbare Strandlektüre. Aber wenn ich damit vorm Lesen abschrecke, habe ich alles richtig gemacht. 🙂 Nächste Woche gibt es dafür einen schriftlichen Begeisterungssturm, denke ich. Verrisse machen nämlich eigentlich keinen Spaß, sie dienen nur der kathartischen Reinigung vom Gefühl verschwendeter Lebenszeit.

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