Ich bin ein ziemlich großer Hogwarts-Fan. Ich weiß, in welches Haus ich gehen würde (Ravenclaw), welche Wahlfächer ich belegen würde (Runenkunde und Arithmantik), außerdem wären Zaubertränke und Verwandlung meine Lieblingsfächer. Im Besenfliegen wäre ich dafür eine Null und wenn ich es in die Quidditchmannschaft schaffen würde, dann höchstens als Quaffel, da wird man schließlich nur getragen und muss nicht wie ein Klatscher selber fliegen oder wie der Schnatz noch wenig und agil sein. Wahrscheinlich könnte ich dem Sport noch nicht einmal sonderlich viel abgewinnen, wo Fußball mich nicht die Bohne juckt und ich mir lieber American Football reinziehe.
In Bezug auf Letzteres war die Lektüre von „Quidditch im Wandel der Zeiten“ gleich eine Offenbarung. Denn wer bislang dachte, dass Hexen und Zauberer ziemlich unkreativ seien und nur ein Mannschaftsspiel auf Besen entwickelt werden, wird eines Besseren belehrt. Es hat zwar nicht für eine American-Football-Variante gereicht, aber englische Hexen und Zauberer sind exzentrisch genug, bis heute einen Sport zu pflegen, der sich am Besten als Tennis auf Besen beschreiben lässt. Das regt die Phantasie an und legt nahe, dass auch andere populäre Muggelsportarten ihre Entsprechung in der magischen Welt haben.
An dieser Stelle sieht man deutlich die Anlage des Buches: Es geht darum, möglichst viele Hintergrundinformationen über Quidditch zu vermitteln. Es ist schließlich ein Sachbuch aus der magischen Welt. Die Grundregeln des Spiels und mancherlei Information dazu gibt es natürlich in den sieben Romanen, aber das ist nicht viel. Auch wer wie ich die Bände rezitieren kann, wird bei der Lektüre des Buches merken, dass zwar einige Dinge bekannt sind, aber es noch viele Leerstellen gab, die Joanne K. Rowling, pardon, Kennilworthy Whsip, mit trefflichem Humor aufgefüllt hat. Köstlich zum Beispiel die Geschichte, wie man die Schnatzer-Jagd (der Schnatzer ist ein kleiner Vogel) durch die exzentrische Laune eines Funktionärs ins Quidditch-Spiel integriert hat und die quidditchbegeisterten Hexen und Zauberer durch ihre unreflektierte Begeisterung beinahe für das Aussterben dieser Art gesorgt hätten. In der realen Welt wäre das ein Moment, um die Frage nach dem Umgang mit Ressourcen zu stellen, in der magischen Welt gibt es glücklicherweise die Findigkeit und das Talent Einzelner, diese Probleme zu lösen. Dennoch lädt selbst ein unschuldiges kleines Büchlein an solch einem kleinen unbedeutenden Punkt einer fiktiven Welt dazu ein, über grundsätzliche Dinge in unserer Gesellschaft zu reflektieren, wenn wir Erdölreserven verbrauchen und Abgase in die Luft pusten, nur um ein paar halbstarken Jungs in Monaco, Dubai, Melbourne, … dabei zuzuschauen, wie sie völlig sinnlos im Kreis umherfahren. Wie ist damit umzugehen, wenn man nicht zaubern kann? Oder: Kann man doch zaubern?
Das ist die Stärke der Welt von Joanne K. Rowling. Man kann „Quidditch im Wandel der Zeiten“ als Hintergrundlektüre genießen und die magische Welt von Harry Potter und seinen Spießgesellen ein wenig reicher gestalten, ihr Details hinzufügen und danach die Romane noch einmal lesen (oder wie ich es sicher demnächst noch einmal tun werde: hören), um zu sehen, wo sich bereits Andeutungen versteckt haben, denn auch darin ist Joanne K. Rowling ja eine Meisterin. Ich vermute, bei „Quidditch im Wandel der Zeiten“ wird es nicht anders sein.
Für das Buch spricht zudem, dass es überhaupt erst wieder verfügbar ist, denn die deutsche Auflage war lange Zeit vergriffen, bis der Carlsen-Verlag 2011 diesen Band und „Magische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ (dessen Besprechung folgt demnächst) glücklicherweise neu aufgelegt haben. Weiterer Pluspunkt ist, dass ein Teil des Verkaufserlöses wie auch bei der englischen Ausgabe an Comic Relief geht, einer „englische[n] Hilfsorganisation, die Kinderprojekte in den ärmsten Ländern der Welt unterstützt“, wie uns der hintere Buchdeckel informiert. Man kann mit seiner Begeisterung somit gleich ein wenig Gutes tun.
Bevor ihr in meiner Lobhudelei erstickt: Ja, es gibt auch ein paar kleine Mankos. Da wäre zum Einen die Umschlaggestaltung des Büchleins zu nennen. Die Harry-Potter-Bücher sahen ja, seien wir ehrlich, alle irgendwie merkwürdig aus, zumindest die deutschen Ausgaben (die englischen wurden mit der Zeit besser, die amerikanischen sind so lala, die schwedischen Ausgaben gefallen mir ganz gut, dafür sind die französischen Ausgaben noch schrecklicher gestaltet als die deutschen). Es ist zwar Besserung in Sicht, denn die Bände werden neu aufgelegt, (http://www.spickmich.de/news/201306131600-harry-potter-bekommt-neue-cover-in-deutschland) aber „Quidditch im Wandel der Zeiten“ folgt der Tradition natürlich, das Corporate Design muss schließlich erhalten bleiben und für das ist noch die alte Kinderausgabe maßgeblich (die „Erwachsenenausgabe“ war zugegebenermaßen auch nicht ansprechender). Kommen wir zum Punkt: Auf dem Cover ist ein leicht unförmliger goldener Schnatz zu sehen, dessen Gesichtsausdruck irgendwo zwischen „Aww wie süß“ und „Ich hau dir gleich aufs Maul“ liegt. So ganz genau lässt er sich nicht deuten und ist wahrscheinlich stimmungsabhängig. Aber ansprechend geht anders.
Eine weitere Kleinigkeit ist das Vorwort von Albus Dumbledore. Die Geschichte, die dort erzählt wird, ist hochgradig amüsant, allerdings wird dort explizit darauf Bezug genommen, dass er das Buch für die Muggelwelt aufgelegt hat. Da vermischen sich Realität und Fiktion, denn obwohl Dumbledore natürlich von der Muggelwelt weiß, sollte er eigentlich so tun als wüsste ich nicht, dass es die Zaubererwelt wäre. Außerdem beißt sich das mit dem Entleihzettel vorne im Buch, der uns darüber aufklärt, dass zahlreiche uns wohlbekannte Figuren dieses Buch angeblich schon ausgeliehen hätten. Eine Ausgabe, die mir zufällig in die Hände gefallen ist, die eigentlich für Schüler von Hogwarts neu aufgelegt wurde und vielleicht sogar den expliziten Hinweis enthält, dass die Jung-Hexen und -Zauberer daran denken sollen, diese Bücher nicht in die Hände von Muggeln geraten zu lassen, hätte nicht zu solch einem ungewohnten Bruch geführt und wäre sogar noch ein wenig magischer für mich als Leser gewesen.
Aber das sind natürlich nur Marginalien, das kann das Vergnügen beim Abtauchen in die Welt von Winkelgasse, Askaban und St. Mungo’s bei Weitem nicht aufwiegen, von daher: Kauft, ihr magisch Begabten, die ihr auch am Ende eures vierten Schuljahres sehnsüchtig auf die Eule gewartet habt – oder euch gewünscht hättet, dass sie aufgetaucht wäre, weil ihr schon zu alt wart, als ihr verzaubert wurdet.